„Bestimmte Patienten können profitieren“
Unser Gesprächspartner:
Priv.-Doz. Dr. Josef Hermann
Klinische Abteilung für Rheumatologie und Immunologie, Universitätsklinik für Innere Medizin, Medizinische Universität Graz
Das Interview führte Dr. Felicitas Witte
Immunmodulatorische Medikamente bergen das Risiko einer Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (PJP). Für HIV-Patienten gibt es evidenzbasierte Empfehlungen zur Prävention mit Cotrimoxazol. Forscher aus Seoul zeigten: Der Benefit einer Cotrimoxazol-Prophylaxe überwiegt auch bei Rheumapatienten die Risiken für Nebenwirkungen, insbesondere bei hoch dosierter Kortikoidtherapie.1 PD Dr. Josef Hermann erklärt, warum die Daten nicht ohne Weiteres auf Europa übertragen werden können und wie er in der Praxis vorgeht.
Haben die Ergebnisse der Studie Sie überrascht?
J. Hermann: Nein, nicht besonders, da die Indikation für eine PJP-Prophylaxe unter intensiver immunsuppressiver Therapie schon bisher einen Stellenwert hatte. Die Resultate der Studie sollten aber nicht unkritisch in die klinische Praxis in Europa übernommen werden. Eine PJP ist in Europa signifikant seltener als in Asien, wo diese retrospektive Studie durchgeführt wurde. Außerdem geht aus den bisher vorliegenden Studien hervor, dass das Risiko für eine PJP bei verschiedenen Erkrankungen unterschiedlich hoch ist. Und in diese Studie wurden Patienten mit sehr unterschiedlichen rheumatischen Erkrankungen eingeschlossen.
Neu an der Studie ist die hohe Zahl an Teilnehmern: Eingeschlossen waren 818. Teilweise neu ist auch, dass die Vorteile einer Prophylaxe – dargestellt anhand der „number needed to treat“ (NNT) – der Anzahl der zu erwartenden Nebenwirkungen gegenübergestellt wird, deutlich gemacht durch die „number needed to harm“ (NNH). Man muss 146 Patienten mit rheumatischen Erkrankungen unter intensiver immunsuppressiver Therapie prophylaktisch mit Cotrimoxazol behandeln, um eine PJP zu verhindern. In Anbetracht des relativ hohen Nebenwirkungspotenzials von Cotrimoxazol finde ich die NNT von 146 recht hoch.
Worin sehen Sie Stärken und Schwächen der Studie?
J. Hermann: Eine Stärke der Studie ist die hohe Zahl der untersuchten Patienten. Gut finde ich auch, dass die Studie deutlich gezeigt hat, dass die Prophylaxe mit Cotrimoxazol ein durchaus beachtliches Nebenwirkungspotenzial aufweist. So traten in der Gruppe der prophylaktisch behandelten Patienten im Schnitt 17,5 schwere unerwartete Nebenwirkungen/100 Personenjahre auf, in der Gruppe ohne Prophylaxe dagegen nur 10,7.
Limitierend ist, dass es sich wieder um eine retrospektive Studie handelt, die durch den Studienaufbau immer mit einem Bias behaftet ist. Zum Beispiel erfolgt in der klinischen Praxis die Auswahl der Patienten für eine bestimmte Therapie nicht zufällig, sondern nach ärztlichen Kriterien. Die Studie wurde zudem in einer asiatischen Population durchgeführt. Asiaten zeigen gegenüber Europäern eine höhere Inzidenz für eine PJP. Das Risiko für eine Infektion mit Pneumocystis jirovecii ist bei europäischen Patienten grundsätzlich als niedriger einzustufen, weshalb anzunehmen ist, dass sich das Verhältnis der NNT zur NNH in Richtung NNH verschiebt.
Halten Sie die Beobachtungszeit von einem Jahr in der Studie für lang genug?
J. Hermann: Ja, das reicht sicher aus, denn die Gefahr für eine Infektion mit Pneumocystis jirovecii ist aus meiner Erfahrung in den ersten Monaten am höchsten.
Welchen Patienten unter Rituximab verschreiben Sie eine Prophylaxe?
J. Hermann: Ich ändere meine Praxis aufgrund der neuen Studie nicht. Eine PJP ist in unseren Breiten sehr selten. Eine relevante Gefahr für eine Infektion besteht aber zweifellos bei bestimmten Patienten, und die können von einer Prophylaxe profitieren. Meine durch Studien mit niedrigem Evidenzlevel untermauerten, eminenzbasierten Empfehlungen lauten: Ich rate Patienten mit ANCA-Vaskulitis oder inflammatorischen Myopathien, etwa Dermatomyositis oder Antisynthetase-Syndrom, zu einer PJP-Prophylaxe. Und zwar in den Fällen, bei denen die Lunge durch die Krankheit mit betroffen ist oder wenn die Lymphozytenzahl unter 500Zellen/μl beträgt und die Patienten mit hochpotenten Immunsuppressiva plus hoch dosierten Glukokortikoiden im Bereich von 1mg/kg Prednisolonäquivalent/Tag behandelt werden.
Wie klären Sie die Patienten bezüglich Nebenwirkungen auf?
J. Hermann: Das größte Risiko besteht im Auftreten schwerer Hautexantheme und einer schweren Anämie. Die Patienten entwickeln einen generalisierten Hautausschlag und/oder eine Hautblässe mit starker Müdigkeit. Sie sollten dann die Therapie pausieren und sich rasch an ihren Hausarzt wenden. Unter Cotrimoxazol sollten Blutbild, Leberwerte und Elektrolyte anfänglich alle 1–2 Wochen kontrolliert werden.
Literatur:
1 Park JW et al.: Arthritis Rheumatol 2023; 75(11): 2036-44
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