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Rheuma, Sexualität und Kinderwunsch
<p class="article-intro">Wie kann sich eine Rheumaerkrankung auf die Sexualität auswirken? Warum gibt es Mankos in der diesbezüglichen Arzt-Patienten-Kommunikation und welche Lösungsansätze gibt es? Diesen Fragen wurde im Rahmen von „iFemMe“, einer Fachtagung von Ärztinnen für Ärztinnen zu Themen aus dem entzündlichrheumatischen Formenkreis, nachgegangen.</p>
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<p class="article-content"><h2>Beeinträchtigung der Sexualität</h2> <p>Rheumatische Erkrankungen können alle Aspekte des Lebens inklusive der Sexualität betreffen. „Man geht davon aus, dass rheumatische Erkrankungen sowohl aufgrund der körperlichen Einschränkungen als auch aufgrund emotionaler Probleme einen negativen Effekt auf das Sexualleben der Betroffenen haben“, so Dr. Judith Sautner, Landesklinikum Stockerau.<br /> Verminderte sexuelle Gesundheit ist zum Beispiel bei Patienten mit rheumatoider Arthritis ein bekanntes Problem, das auch oft selbst dann, wenn die Erkrankung gut eingestellt ist, zu einem hohen Prozentsatz weiterhin bestehen bleibt. Bei Männern kann unter anderem eine erektile Dysfunktion auftreten, bei Frauen sind es vor allem Schmerzen, Müdigkeit und die Abnahme der sexuellen Erregbarkeit, die Probleme verursachen können. Ganz allgemein kann es bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu einer Verminderung der Libido, der Erregbarkeit und der Befriedigung kommen. Eingeschränkte Beweglichkeit, negative Körperwahrnehmung und Depressionen sind weitere Faktoren, die einer erfüllten Sexualität im Wege stehen können. Die häufigsten Gefühle der Betroffenen aufgrund ihrer durch die Krankheit beeinträchtigten Sexualität sind laut Sautner Ärger, Frustration und durchaus auch die Angst, deswegen vom Partner verlassen zu werden.</p> <h2>Let‘s talk about sex</h2> <p>Umso wichtiger ist es, mit den Patienten darüber zu sprechen. Doch sowohl bei behandelnden Ärzten als auch bei Patientinnen und Patienten ist Sexualität im Zusammenhang mit Rheuma zumeist noch ein Tabuthema. Sautner: „Sexuelle Gesundheit gehört jedoch zur Lebensqualität und sollte nicht negiert werden. Ärzte sind zwar keine Sexualtherapeuten, aber wichtige Ansprechpartner für ihre Patienten. Sexualität ist ein komplexer Aspekt des menschlichen Lebens und mehr als nur Geschlechtsverkehr. Und dies ist sowohl für gesunde als auch für kranke Menschen wichtig!“</p> <h2>Limitierende Gesprächsfaktoren</h2> <p>In ihrem Vortrag auf der iFemMe berichtete Sautner über diverse Studien und Untersuchungen zum Thema Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten bzw. anderen medizinischen Fachkräften, wie Krankenpflegern, Psychologen und Sozialarbeitern, zum Thema Sexualität. „Auch wenn die Datenlage dazu leider noch ziemlich limitiert ist, lassen sich einige Aspekt und Trends klar herauslesen.“<br /> Einer norwegischen Studie mit Health Professionals zufolge klären mehr als die Hälfte der Ärzte ihre Patienten nicht darüber auf, dass die Krankheit ebenso wie Medikamente auch einen Einfluss auf deren Sexualität haben kann.1 Und die Patienten selbst bringen – wohl aus Scham – das Thema auch nur sehr selten zur Sprache.<br /><br /> Eine Umfrage bei der iFemMe zum Thema „Was hält Sie davon ab, sexuelle Probleme bei Patienten anzusprechen?“ ergab ein ganz ähnliches Bild wie bei einer amerikanischen Untersuchung<sup>2</sup>: Der wichtigste limitierende Faktor ist die Zeit. „Zusätzlich zum Zeitfaktor ist es im klinischen Alltag aus diversen Gründen nicht immer einfach, dieses Thema anzusprechen. Denn dies erfordert eine Vertrauensbeziehung zwischen Arzt und Patient und auch entsprechende räumliche und situative Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre“, sagt Sautner. Denn wer spricht schon gerne über seine sexuellen Probleme, wenn ihn nur ein Sichtschutz oder Vorhang vor der Behandlungskabine vom nächsten Patienten bzw. vom Trubel des klinischen Alltags trennt?<br /><br /> Sautner weiter: „Ein Gespräch über Sexualität ist kein alltägliches und gehört nicht zur Routine der Ärzte. Gerade bei einem so heiklen Thema wäre es wichtig, dementsprechend geschult zu sein. Ein Training in diesbezüglicher Kommunikation wird im medizinischen Curriculum aber nicht routinemäßig angeboten, sondern nur in Zusatzausbildungen, die sich Ärzte selbst organisieren müssen. Dies führt dazu, dass sexuelle Probleme in einem hohen Prozentsatz von medizinischen Fachkräften nicht thematisiert werden.“</p> <h2>Lösungsansätze</h2> <p>Welche Lösungsansätze können behandelnde Ärzte oder andere medizinische Fachkräfte den Betroffenen anbieten? Sautner: „Zuerst ist es wichtig, überhaupt einmal darüber zu sprechen. Dann kann man die Betroffenen dazu ermutigen, mit dem Partner das Gespräch zu suchen. Themen wie Angst, Schmerz und Stress während des Geschlechtsverkehrs und auch eventuell bestehende Verlassensängste sollten offen angesprochen werden. Damit ist einmal eine Basis gelegt. Gemeinsam mit dem Partner können dann Strategien besprochen und entwickelt werden, die für beide passend und zufriedenstellend sind. Dazu zählt auch die Möglichkeit, alternative Methoden des sexuellen Ausdrucks zu finden und zu entwickeln oder explizit sexuelle Handlungen zugunsten von Streicheln und Kuscheln in den Hintergrund zu stellen, aber auch alternative Positionen beim Geschlechtsverkehr auszuprobieren, die für den Patienten weniger belastend bzw. schmerzhaft sind.“ Auch die Gabe von Schmerzmitteln oder Muskelrelaxanzien und Wärmebehandlung vor dem Geschlechtsverkehr können hilfreich sein. „Wichtig ist, dass auf die individuelle Situation des jeweiligen Patienten eingegangen wird“, betont Sautner.</p> <h2>Familienplanung für Rheumapatientinnen</h2> <p>„Trotz zunehmend besserer therapeutischer Möglichkeiten erfüllen sich Frauen mit entzündlichen Rheumaerkrankungen ihren Wunsch nach einem Kind immer noch seltener als gesunde Frauen“, so Dr. Susanne Späthling-Mestekemper, Rheumatologin aus München, in ihrem Vortrag. Ein Grund dafür ist die oft große Verunsicherung der Frauen aufgrund unzureichender oder widersprüchlicher Informationen bezüglich möglicher Risiken. „Bei Kinderwunsch wird – unabhängig davon, ob die entzündliche Rheumaerkrankung aktiv ist oder nicht – oft aus Unsicherheit jedes Medikament abgesetzt.“<br /> Während sich die Schwangerschaft in einigen Fällen positiv auf die Krankheitsaktivität auswirken kann, kommt es nach der Geburt häufig zu massiven Schüben. Dies belegen Daten vor allem für die rheumatoide Arthritis.<sup>3</sup> Zwar gibt es durchaus Medikamente, die auch bei bestehender Schwangerschaft eingesetzt werden können, allerdings muss hier gemeinsam mit dem Facharzt eine Nutzen-Risiko-Abwägung durchgeführt und mit großem Bedacht vorgegangen werden. Späthling- Mestekemper: „Die zunehmende Qualität von Daten, zum Beispiel aus Schwangerschaftsregistern, führt zu einem besseren Verständnis des Verlaufes rheumatischer Krankheitsbilder in der Schwangerschaft. Dies erlaubt uns, das individuelle Risiko einer Schwangerschaft bereits im Vorfeld abzuschätzen. Schon vor der Empfängnis kann und soll die Therapie so optimiert werden, dass die Chancen auf einen komplikationslosen Verlauf der Schwangerschaft möglichst groß sind.“ Neben der Einstellung der Krankheitsaktivität und der Anpassung der Rheumatherapie und möglicher anderer Begleittherapien kommt der Testung von Antikörpern, wie z.B. SS-A- und SS-B-Ak, eine wichtige Rolle zu. Durch die plazentare Übertragung der mütterlichen Autoantikörper entwickelt ein Teil der Kinder eine passiv erworbene Immunreaktion, das sogenannte neonatale Lupus-Syndrom.<br /> „Neben einer engmaschigen Überwachung von Mutter und Kind müssen geeignete therapeutische Optionen diskutiert werden“, so Späthling-Mestekemper. Dann sollte dem Kinderwunsch von Rheumapatientinnen in den allermeisten Fällen nichts mehr im Wege stehen.</p> <h2>Einfluss von Lifestyle auf die Psoriasis</h2> <p>In westlichen Industrieländern leiden 1–3 % der Gesamtbevölkerung unter Psoriasis. „Ätiologisch diskutiert man eine genetische Disposition und Umweltfaktoren“, sagt Dr. Katharina Wippel-Slupetzky, Dermatologin aus Wien. „Dazu gehören Stress, Infektionen, Medikamente, Alkohol, Nikotinkonsum und hormonelle Umstellungen.“ Diese Faktoren können sowohl den Ausbruch<sup>4</sup> als auch eine Verschlechterung<sup>5</sup> der Psoriasis bewirken. Ungesunde Lebensstilgewohnheiten wie übermäßiger Alkoholkonsum und Rauchen<sup>6</sup>, Übergewicht und inaktive Lebensweise<sup>7</sup> sind bei Psoriatikern häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Unabhängig von anderen Risikofaktoren besteht bei Psoriasis ein erhöhtes Herzinfarkt-<sup>8</sup> und Mortalitätsrisiko. „Es handelt sich also nicht nur um eine Hauterkrankung, sondern um eine systemische Entzündung“, betont Wippel-Slupetzky. In den letzten Jahren würden sich die Hinweise häufen, dass ausgewogene Ernährung<sup>9</sup>, Sport<sup>10</sup>, Nikotin- und Alkoholkarenz sowie Entspannungstechniken den Verlauf der Psoriasis günstig beeinflussen. Ein diesbezügliches interdisziplinäres Vorgehen von Dermatologen, Internisten, Rheumatologen, Ernährungsberatern, Allgemeinmedizinern und Sportwissenschaftlern hält Wippel-Slupetzky daher für Erfolg versprechend.</p> <h2>Rheuma und Rehabilitation</h2> <p>In der Rehabilitation von Rheumapatienten stehen Funktionseinschränkungen, Schmerzen, die Beeinträchtigung ihrer Selbstständigkeit und Schwierigkeiten im täglichen Leben im Vordergrund. Die Basis der Maßnahmen bildet das biopsychosoziale Modell, wie Prim. Dr. Monika Mustak- Blagusz, Wien, erläutert. Dieser Therapieansatz erfordere die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams.<br /> „Rheumakranke sind sehr heterogene Patientengruppen. Bei vielen Patienten stehen Funktionseinschränkungen der Hände im Fokus“, berichtet Mustak-Blagusz. Wenn die Aufrechterhaltung von Berufstätigkeit nicht mehr möglich ist, dann erhalten das Erkennen von alternativen Möglichkeiten und die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit zunehmende Priorität. Es sei wichtig, Patienten schon mit dem Zeitpunkt der Diagnose in ihrem Selbstmanagement zu unterstützen, denn je besser Patienten geschult und geübt sind, umso länger können sie all jenen Tätigkeiten nachgehen, die sie gerne machen. „Das Anbieten von Unterstützung und das Suchen von Möglichkeiten, wie diese Herausforderungen umgesetzt werden können, das ist meine Vorstellung von Rehabilitation“, so Mustak-Blagusz.</p> <h2>Bewegung: Therapie oder Gift?</h2> <p>Der positive Nutzen körperlicher Aktivität ist sowohl bei gesunden Menschen als auch bei Patienten unbestritten. Laut Empfehlung der WHO sollte eine 18- bis 65-jährige Person mindestens 150 Minuten pro Woche Bewegung mit moderater oder 75 Minuten mit hoher Anstrengung machen. Zusätzlich wird zweimal pro Woche ein muskuläres Aufbautraining empfohlen. „Gezielte Übungen stellen einen Teilbereich der körperlichen Aktivität dar und zeigen bei vielen verschiedenen chronischen Erkrankungen Wirkung, so auch bei Patienten mit rheumatoider Arthritis“, sagt die Physiotherapeutin und Sportwissenschaftlerin Mag. Meike Klinger. Diese Patienten haben typischerweise Gelenksbeschwerden, Bewegungseinschränkungen und ein erhöhtes Risiko z.B. für Osteoporose und kardiovaskuläre Erkrankungen. Gezielte Übungen stellen einen der wichtigsten Eckpfeiler in der nicht pharmakologischen Therapie dar.<br /> „Moderne Bewegungsprogramme bezwecken eine Verbesserung der Muskelaktivität und der kardiorespiratorischen Ausdauer. Das oberste Ziel bleibt jedoch die Verbesserung der Lebensqualität und der Alltagsfunktionen“, so Klinger. „Wurde früher befürchtet, mit zu hoher Trainingsintensität zusätzlichen Schaden zu verursachen, zeigen Studien der letzten Jahre, dass auch Übungen mit höherer Intensität keinen negativen Einfluss auf die Krankheitsaktivität und die betroffenen Gelenke haben.“ Nur im stark fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung könne zu intensives Training zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen.</p> <h2>Lost in Transition</h2> <p>Für chronisch kranke Jugendliche und junge Erwachsene stellt der Übergang von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenmedizin eine kritische Phase dar. „Zum einen wird die langjährige Arzt- Patienten-Beziehung gelöst und in neue Hände gegeben, zum anderen fällt der Betreuungswechsel in eine sensible Lebensphase, in der junge Menschen auch ohne chronische Erkrankung eine Reihe von Entwicklungsaufgaben zu bewältigen haben“, sagt Prof. Dr. Kirsten Minden, Expertin für Kinderrheumatologie aus Berlin. „In dieser vulnerablen Phase bricht mehr als ein Drittel junger Rheumatiker die regelmäßige medizinische Versorgung ab. Von denjenigen, die in internistischer Versorgung bleiben, kommt ein beträchtlicher Teil mit der neuen Betreuungssituation nicht zurecht und ist dementsprechend unzufrieden.“<br /> Um eine Brücke zwischen den sehr unterschiedlichen Betreuungssystemen der Kinder- und Jugendmedizin und der Erwachsenenmedizin zu bauen, werden verschiedene Maßnahmen und Programme (= Transition) vorgeschlagen. Diese sollen Jugendliche bzw. junge Erwachsene nicht nur auf den Betreuungswechsel vorbereiten, sondern sie in dieser lebensprägenden Phase entsprechend ihren individuellen medizinischen, psychosozialen und Bildungs-/ beruflichen Bedürfnissen unterstützen. Die Evidenz für die Wirksamkeit von Transitionsprogrammen nimmt stetig zu. Sie werden bisher allerdings nicht routinemäßig im klinischen Alltag angeboten. „Transition ist ressourcenaufwendig“, so Minden. „Sie erfordert eine Umorganisation im Praxisalltag, die u.a. ausreichend lange Konsultationszeiten, eine altersangepasste Gesprächsführung, das Adressieren altersspezifischer Themen und eine gute Kooperation zwischen Pädiatern und Internisten einschließt.“ (red)</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Inflammation Female Medical Event Austria (iFemMe),
21.–22. Oktober 2016, Wien
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Helland Y et al: Scand J Rheumatology 2013; 42(1): 20-6 <strong>2</strong> Rosen R et al: J Sex Med 2006; 3: 37-46 <strong>3</strong> de Man YA et al: Arthritis Rheum 2008; 59(9): 1241-8 <strong>4</strong> Wolk K et al: Acta Dermato Venerol 2009; 89: 492-7 <strong>5</strong> Naldi L et al: Br J Dermatol 2014; 170: 634-42 <strong>6</strong> Samarasekera EJ et al: J Invest Dermatol 2013; 133(10): 2340-6 <strong>7</strong> Naldi L et al: J Invest Dermatol 2005; 125(1): 61-7 <strong>8</strong> Gelfand JM et al: JAMA 2006; 296: 1735-41 <strong>9</strong> Jensen P et al: JAMA Dermatol 2013: 149(7): 795-801 <strong>10</strong> Frankel HC et al: Arch Dermatol 2012; 148(8): 918-24</p>
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