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Highlights der IAS Conference on HIV Science 2019
Jatros
Autor:
Dr. Michael Skoll
Universitätsklinik für Dermatologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: michael.skoll@meduniwien.ac.at
30
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12.09.2019
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<p class="article-intro">Im Rahmen der diesjährigen IAS Conference in Mexico City präsentierte Dr. Rebecca Zash, Harvard Medical School, die aktuellsten Daten der bereits mit Spannung erwarteten Tsepamo- Studie. Zudem wurden neue Studienergebnisse zur dualen antiretroviralen Therapie sowie zu neuen Wirkstoffen und zur Präexpositions-Prophylaxe (PrEP) vorgestellt.</p>
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<p class="article-content"><h2>Aufatmen – nicht nur für Subsahara-Afrika</h2> <p>Die Tsepamo-Studie wurde im August 2014 in Botswana mit dem Ziel einer Birth-Outcome-Surveillance initiiert, um Neuralrohrdefekte nach Efavirenz(EFV)-Exposition zum Zeitpunkt der Konzeption zu evaluieren. Aufgrund der seit dem Jahr 2016 bestehenden Verfügbarkeit von Dolutegravir (DTG) in Botswana wurden Patientinnen mit dieser Therapie ebenso zu Vergleichsanalysen in die Untersuchung miteingeschlossen. Die Studie sah vor, Daten von Geburten in Spitälern und Entbindungsstationen zu sammeln und etwaige Geburtsschäden, die mittels Fotos dokumentiert und von unabhängigen medizinischen Genetikern beurteilt wurden, aufzuzeigen. Im Falle eines möglichen Neuralrohrdefekts wurden anamnestisch Medikamentenexpositionen seit dem Beginn der Schwangerschaft erhoben. Das Risiko für die Entstehung eines Neuralrohrdefekts endet mit der 6. Schwangerschaftswoche.<br /> Die vorläufigen Studienergebnisse von Mai 2018, die auch während der International AIDS Conference 2018 in Amsterdam präsentiert wurden, zeigten auf, dass bei 4 von 426 Neugeborenen (0,94 %; 95 % CI: 0,37–2,4 %), deren Mütter zum Zeitpunkt der Konzeption DTG eingenommen hatten, Neuralrohrdefekte nachgewiesen werden konnten. Diese Rate war wesentlich höher als bei den weiteren zur Analyse herangezogenen Vergleichsgruppen mit einer EFVhaltigen antiretroviralen Therapie (0,05 %; 95 % CI: 0,02–0,15 %) bzw. bei HIV-negativen Müttern (0,09 %; 95 % CI: 0,07– 0,12 %) und führte schließlich zu der seitens der WHO verkündeten Warnung, DTG bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne Kontrazeption nicht anzuwenden.<br /> Die Tsepamo-Studie wurde in weiterer Folge bis zum 31. März 2019 fortgeführt – einem Zeitpunkt rund 40 Wochen nach der Bekanntmachung der Warnung –, um Geburtsergebnisse von Frauen miteinschließen zu können, die während der Konzeption noch eine DTG-basierte antiretrovirale Therapie eingenommen hatten. Des Weiteren wurde die Anzahl der Beobachtungsstandorte in Botswana von 8 auf 18 erhöht, sodass die Ergebnisse von rund 72 % der Geburten im Land während des Beobachtungszeitraums analysiert werden konnten. Zudem wurden auch die Verordnungen von Folsäure-haltigen Medikamenten und weitere Risikofaktoren in Zusammenhang mit der Entstehung von Neuralrohrdefekten, wie beispielsweise das Alter und Gewicht der Mutter während der Schwangerschaft, sowie das Vorliegen von Vorerkrankungen wie Epilepsie und Diabetes mellitus erhoben. Abgesehen vom Alter zum Zeitpunkt der Konzeption – Mütter mit DTG-haltigen Therapien waren im Median etwas jünger als Mütter ohne DTG-haltige Therapien – fanden sich bei der Untersuchung dieser Risikofaktoren zwischen den Vergleichsgruppen ähnliche Resultate. Die Ergebnisse seit Mai 2018 zeigten, dass es zu einem weiteren Neuralrohrdefekt unter 1275 zusätzlichen DTG-Expositionen zum Zeitpunkt der Konzeption kam. Dies entspricht somit einer Neuralrohrdefektprävalenz von 0,30 % (95 % CI: 0,13–0,69 %) und ist damit nur geringgradig höher als in den Vergleichsgruppen.<br /> Dr. Rebecca Zash führte in ihrer Präsentation schließlich auch an, dass dieses etwas erhöhte Risiko den zahlreichen Vorteilen von DTG gegenübergestellt werden sollte und dass ähnliche Daten zu anderen, neueren antiretroviralen Therapien, die möglicherweise als Alternativen zu DTG geeignet wären, bislang nicht vorliegen.<br /> Aufgrund der Debatte hinsichtlich des Auftretens von Neuralrohrdefekten wurden mehrere Modelluntersuchungen zur Evaluierung von Vorteilen und Risiken einer DTG-haltigen antiretroviralen Therapie durchgeführt. Beeindruckend waren insbesondere die Ergebnisse des am Kongress vorgestellten „HIV Synthesis“-Modells. Dieses verglich eine neu initiierte antiretrovirale Therapie mit TLE (Tenofovir/Lamivudin/Efavirenz) mit einer Behandlung mit TLD (Tenofovir/Lamivudin/Dolutegravir) bei Frauen im gebärfähigen Alter mit Kinderwunsch in Subsahara-Afrika und schließt auch die mögliche Gewichtszunahme unter DTG mit ein. Das Berechnungsmodell prognostizierte, dass es unter 1000 Frauen im gebärfähigen Alter mit einer antiretroviralen Therapie mit TLD zwar jährlich zu zwei zusätzlichen Fällen von Neuralrohrdefekten käme, allerdings wären 38 Frauen mehr aus dieser Gruppe am Leben, es gäbe 35 Partnertransmissionen weniger und 29 Mutter-Kind-Übertragungen weniger.<br /> Diese und weitere Ergebnisse führten schließlich dazu, dass die WHO die Behandlungsrichtlinien adaptierte und DTG nun wieder als First-Line-Therapie, auch bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne Kontrazeption empfiehlt, allerdings unter der Voraussetzung, dass die Patientinnen über das geringgradig erhöhte Risiko von Neuralrohrdefekten beim Kind aufgeklärt wurden und ihnen eine Kontrazeption angeboten wurde.</p> <h2>Ein weiterer Schritt in Richtung dualer Therapien</h2> <p>Bereits im letzten Jahr führten die Ergebnisse der GEMINI-Studien, die belegen konnten, dass eine duale antiretrovirale Therapie mit Dolutegravir/Lamivudin (DTG/3TC) bei therapienaiven Patienten nach 48 Wochen einer Behandlung mit DTG+TDF/FTC (Tenofovir-Disoproxil-Fumarat/Emtricitabin) nicht unterlegen war, zum Beginn eines Paradigmenwechsels in der HIV-Therapie. Das lange geltende Gesetz der Dreifachtherapie schien gebrochen – und dies mit wirklich bemerkenswerten Erfolgen. Heuer wurden die 96-Wochen-Daten zu den GEMINI-Studien präsentiert, ebenso wie die 48-Wochen-Ergebnisse der TANGO-Studie, im Zuge deren die Kombination aus DTG/3TC im „Switch“-Setting untersucht worden war. Die Studien stellten die Non-inferiority der dualen Therapie ohne Auftreten neuer Resistenzmutationen dar.<br /> Mehr zu diesen Ergebnissen entnehmen Sie dem Bericht ab Seite 23 in dieser Ausgabe.</p> <h2>Eine neue Klasse im Kampf gegen das Virus</h2> <p>Spannende Daten wurden von Prof. Jean-Michel Molina, Hôpital Saint-Louis, Université Paris Diderot, Paris 7, zum Wirkstoff MK-8591 vorgestellt. Diese Substanz mit dem Namen Islatravir (ISL) ist der erste nukleosidische Reverse-Transkriptase-Translokations-Inhibitor (NRTTI), der aktuell für die Behandlung und Prävention von HIV-1-Infektionen entwickelt wird. Es handelt sich dabei um einen Wirkstoff mit mehr als 10-fach höherer Wirkstärke als alle bislang zugelassenen antiretroviralen Substanzen, der ebenso eine hohe Resistenzbarriere aufweist sowie über eine lange intrazelluläre Halbwertszeit von rund 120 Stunden verfügt.<br /> Eine Phase-II-Dosisfindungsstudie wurde in Kombination mit Doravirin (DOR) durchgeführt, einem bereits zugelassenen nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI), der in vitro eine Aktivität auch bei Vorliegen häufiger NNRTI-Resistenzmutationen aufweist. Die Einschlusskriterien umfassten therapienaive Patienten mit einer HIV-1-RNA von mindestens 1000 Kopien/ml und einer CD4- Zellzahl von mindestens 200/μl, keine bestehenden Resistenzmutationen und kein Vorliegen einer aktiven Hepatitis-Bbzw. Hepatitis-C-Infektion. Der erste Teil der doppelblinden Studie umfasste drei Arme, in denen die Patienten jeweils eine Therapie mit DOR/3TC und unterschiedlichen Dosen von ISL (0,25 mg, 0,75 mg bzw. 2,25 mg) einmal täglich erhielten, sowie einen Kontrollarm, in dem die Studienteilnehmer DOR/3TC/TDF einnahmen. Pro Studienarm wurden rund 30 Patienten inkludiert. Im zweiten Studienteil wurde nach 24 Wochen die Behandlung der Studienteilnehmer in den ISL-Armen, die eine HIV-1-RNA unter 50 Kopien/ml aufwiesen, auf eine duale Therapie mit ISL/DOR deeskaliert, wobei die ursprüngliche ISLDosierung beibehalten wurde.<br /> Das Erreichen einer HIV-RNA < 50 Kopien/ml wurde 24 Wochen nach dem Eintreten in den zweiten Studienteil in allen Armen bei einem hohen Anteil der Patienten erzielt – ISL 0,25 mg: 89,3 %, ISL 0,75 mg: 90,0 %, ISL 2,25 mg: 88,9 %, Kontrollarm: 96,4 %. Die Anzahl an Studienteilnehmern, die die Kriterien eines „Protocol Defined Virologic Failure“ erfüllten, war hingegen in allen Armen gering (ISL 0,25 mg: 6,9 %, ISL 0,75 mg: 6,7 %, ISL 2,25 mg: 3,2 %, Kontrollarm: 3,2 %). In den Bestätigungs-PCR-Analysen zeigte allerdings keiner der betroffenen Patienten eine Virusreplikation > 80 Kopien/ml, sodass keine Resistenztestung durchgeführt wurde.<br /> 2 von 90 Patienten in allen kombinierten ISL-Armen beendeten die Studienteilnahme aufgrund von unerwünschten Ereignissen. Diese umfassten eine Hepatitis- B-Reaktivierung sowie das Auftreten von Übelkeit, Erbrechen und Durchfällen über einen Zeitraum von rund 2 Wochen. Hinsichtlich der Nebenwirkungen kam es in den kombinierten ISL-Armen im Vergleich zum Kontrollarm häufiger zu Kopfschmerzen (11,1 % vs. 6,5 %), während Patienten mit einer Therapie mit DOR/3TC/TDF vermehrt über Durchfälle klagten (16,1 % vs. 6,7 % in den kombinierten ISL-Armen). Diese Ergebnisse unterstreichen das vielversprechende Potenzial von ISL/DOR als duales Therapieregime und weitere Studien mit diesen Wirkstoffen werden bereits durchgeführt.</p> <h2>Discover the benefits</h2> <p>Die Präexpositions-Prophylaxe (PrEP) stellt eines der wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen HIV dar. Dr. Christoph D. Spinner von der Technischen Universität München präsentierte in diesem Zusammenhang neue Daten der Discover-Studie. Hierbei handelt es sich um eine randomisierte, doppelblinde Non-inferiority-Studie, die eine PrEP bestehend aus Emtricitabin/Tenofovir-Alafenamid (FTC/TAF) mit der mittlerweile zugelassenen Prophylaxe Emtricitabin/Tenofovir-Disoproxil-Fumarat (FTC/TDF) bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), sowie Transgender- Frauen vergleicht. Die Einschlusskriterien umfassten einen negativen HIVund Hepatitis-B-Status sowie ein sexuelles Verhalten, das mit einem höheren Risiko für eine HIV-Infektion einhergeht. Dazu zählten mindestens zwei Episoden von kondomlosen Analverkehr mit mindestens zwei unterschiedlichen Partnern innerhalb der letzten 12 Wochen vor Studieneinschluss sowie die Diagnose einer rektalen Gonorrhö, einer Chlamydien- oder Syphilisinfektion innerhalb der letzten 24 Wochen vor Studieneinschluss.<br /> Die beeindruckenden Ergebnisse der Primäranalyse dieser Studie wurden bereits im Rahmen der CROI 2019 vorgestellt und konnten zeigen, dass es in 8756 „person years of follow-up“ nur zu 22 HIV-Infektionen kam – 7 davon im FTC/TAF-Arm (HIV-Inzidenz 0,16 %) und 15 im FTC/TDF-Arm (HIV-Inzidenz 0,34 %). Die Non- Inferiority von FTC/TAF konnte mit einer Incidence Rate Ratio von 0,47 (95 % CI: 0,19–1,15) nachgewiesen werden. Zum Ausschluss eines Zufallseffekts, der die geringere Zahl an HIV-Infektionen im FTC/TAF-Arm begründen könnte, wurde eine bayessche Post-hoc-Analyse durchgeführt, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 % berechnete, dass FTC/TAF effektiver als FTC/TDF ist. Es gab zwischen den Studienarmen keinen signifikanten Unterschied im HIV-Risikoverhalten oder in der Prävalenz und Inzidenz von sexuell übertragbaren Erkrankungen. Des Weiteren gab es keine signifikanten Unterschiede in der Adhärenz, die in beiden Vergleichsarmen hoch war. Die Ergebnisse zeigten jedoch, dass eine niedrige Adhärenz, die mit einer PrEP-Einnahme von weniger als zwei Dosen wöchentlich einherging, unabhängig vom Studienarm mit einem höheren Risiko für eine HIV-Infektion assoziiert war. In pharmakokinetischen Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass die Tenofovir-Diphosphat(TFV-DP)-Konzentrationen in mononukleären Zellen des peripheren Blutes (PBMC) im FTC/TAF-Arm 6,3-fach höher waren als im Vergleichsarm. Bei gleicher Adhärenz hatten 98 % der Studienteilnehmer im FTC/TAF-Arm TFV-DP-Konzentrationen über dem Wert der 90 % effektiven Konzentration (EC90) in PBMC, während es im FTC/TDF-Arm nur 68 % waren.<br /> Zudem konnte die Studie zeigen, dass TFV-DP-Konzentrationen über EC90 in PBMC mit FTC/TAF auch schneller erreicht werden als mit FTC/TDF (innerhalb von maximal 4 Stunden vs. nach 3 Tagesdosen). Des Weiteren halten diese Konzentrationen zum Zeitpunkt des „steady state“, nach der Einnahme der letzten Dosis, mit FTC/TAF auch länger an als im Vergleichsarm (16 Tage vs. 10 Tage).<br /> Dr. Spinner führte in seinem Vortrag an, dass dieser schnellere Wirkungseintritt und die längere Wirkdauer vermutlich maßgeblich zur geringeren HIV-Inzidenz im FTC/TAF-Arm beitragen. Somit stellt FTC/TAF eine effektivere Option als FTC/TDF zur HIV-Prävention dar.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Infekt_1903_Weblinks_j_infekt_1903_s22_abb1_skoll.png" alt="" width="820" height="654" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 10th IAS Conference on HIV Science, 21.–24. Juli, Mexiko
City, Mexico
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