Beginn und Ende eines langen Weges
Autor:
Dr. Sebastian Huter, MPH
Arzt für Allgemeinmedizin, Wien
Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM)
E-Mail: sh@pve-sonnwendviertel.at
Mit der Novelle des Ärztegesetzes wird zukünftig der Titel Fachärztin bzw. Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin an jene Mediziner:innen vergeben, welche die neue Ausbildung abschließen bzw. die sich ihre bisherige Ausbildung anrechnen lassen. Alternativ gibt es auch die Möglichkeit, den Titel durch das Ablegen der Facharztprüfung zu erhalten.
Nach vielen Jahren geduldigem Warten und Lobbying in mehreren Regierungsprogrammen ist die Gesetzesnovelle, welche die Einführung des Titels Fachärztin bzw. Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin gebracht hat, im Frühling 2024 durch das Parlament beschlossen worden. Was bedeutet das für Auszubildende und „bestehende“ Allgemeinmediziner:innen? Was ändert sich damit für die Praxis? Wie kann man sich „upgraden“ lassen? Ist mit dieser Umbenennung nun die lange geforderte Aufwertung der Allgemeinmedizin geschafft?
Was im Gesetz steht
Mit der Ärztegesetznovelle wird zukünftig der Titel Fachärztin bzw. Facharzt für Allgemein- und Familienmedizin an jene vergeben, welche die neue Ausbildung abschließen bzw. die sich ihre bisherige Ausbildung anrechnen lassen. Der Begriff „Familienmedizin“ ist international in vielen Ländern gebräuchlich. Er wird in der europäischen Definition der Fachgesellschaften („general practice and family medicine“)1und z.B. in den USA mit „family medicine“ bzw. „family doctor“ sogar als alleiniger Begriff für die Allgemeinmedizin verwendet. Mit der Umbenennung wird also eine Angleichung an die international übliche Nomenklatur geschaffen. Gleichzeitig wird die Bedeutung der kontinuierlichen Versorgung im Alltagskontext unterstrichen, wobei der Begriff „Familie“ stellvertretend für das soziale Umfeld steht. Zusätzlich zu dieser begrifflichen Änderung gibt es auch Anpassungen in der Ausbildung. Viele zentrale Details sind dabei in der dazugehörigen Verordnung (der Ärzteausbildungsordnung; ÄAO) zu regeln, welche bisher (Stand 4.8.2024) noch nicht veröffentlicht ist.
Was sich in der Ausbildung ändert
Fix ist bereits, dass die seit 2014 verpflichtende Lehrpraxis von mittlerweile neun Monaten weiter verlängert wird. Mit der Umstellung wird die Ausbildung analog zu den Sonderfächern auf eine Grund- und Schwerpunktausbildung aufgeteilt. Dabei sind sechs Monate Allgemeinmedizin (ohne „Familienmedizin“) bereits in der Sonderfach-Grundausbildung verankert, die auch in der zentralen ambulanten Erstversorgung (ZAE) absolviert werden können.
ZAE sind die schon vielen (vor allem städtischen) Spitälern vorgelagerten Ambulanzen zur Entlastung der Notaufnahmen, wobei wenig kritische oder nichtakute Anliegen nicht notfallmedizinisch, sondern allgemeinmedizinisch gelöst werden sollen. Auch wenn dies einen sinnvollen Teil einer allgemein- und familienmedizinischen Ausbildung darstellen kann, sind wesentliche Aspekte einer hausärztlichen Betreuung aufgrund der Rahmenbedingungen nicht erfüllbar: z.B. Kontinuität, Betreuungskoordination, Patient:innenorientierung, Behandlung von chronischen Erkrankungen oder Angebot von Präventivleistungen. Daher ergibt es Sinn, diesen Bereich zu limitieren.
Die weiteren zu absolvierenden Fächer während der Grundausbildung werden in der noch in Verhandlung befindlichen Verordnung festgelegt (Tab. 1).
Tab. 1: Vergleich der bisherigen Ausbildung für Allgemeinmedizin mit der zukünftigen für Allgemein- und Familienmedizin
In der Sonderfach-Schwerpunktausbildung sind anfangs 6 weitere Monate und bis 2030 schrittweise bis zu 18 Monate Lehrpraxis für Allgemein- und Familienmedizin vorgesehen. Insgesamt verlängert sich die Ausbildungszeit damit von ursprünglich 42 auf schlussendlich 60 Monate.
Diese Verlängerung wäre auch ein guter Anlass gewesen, um das Thema Approbation (also selbstständige Berufsberechtigung) abgetrennt vom Fachärzt:innentitel nochmals ernsthaft zu diskutieren, was leider nicht geschehen ist. So wäre eine naheliegende Option gewesen, nach der Sonderfach-Grundausbildung eine Approbation mittels Prüfung zu ermöglichen. Damit würde die Entscheidung, die Ausbildung in Allgemein- und Familienmedizin zu starten, erleichtert. Die Approbation wäre ein motivierendes „Zwischenziel“, mit der Möglichkeit, danach selbstständig z.B. im Bereich von Notdiensten tätig zu werden und damit auch das Einkommen während der (nun längeren) Ausbildung aufzubessern. Gerade für jene, die nicht in der hausärztlichen Versorgung, sondern zum Beispiel im amtsärztlichen Bereich, als Schulärzt:innen etc. arbeiten möchten, wäre eine Ausbildung im bisherigen Umfang wahrscheinlich weiterhin ausreichend.
Was sich in der Lehrpraxis ändert
Die Verlängerung der Lehrpraxiszeit bedeutet natürlich auch, dass mehr Auszubildende in einem fortgeschrittenen Stadium der Ausbildung in den Praxen sein werden. Diese Entwicklung bietet auch spannende Fragen für die Lehrpraxis: Wie schaffen wir ausreichend Lehrpraxis-Kapazitäten? Welche Rollen übernehmen Auszubildende zukünftig in den Praxen, zum Beispiel auch in der Begleitung von Auszubildenden in früheren Abschnitten? Welche Rolle spielen sie als Ressource für die Regelversorgung? Wie gestalten wir die zukünftig doch signifikant verlängerte Ausbildungszeit und was sollen dabei für zusätzliche Kompetenzen erlernt werden? Aus Sicht der Fachgesellschaft braucht es dabei auch Überlegungen zu strukturierten Programmen, die begleitendes Mentoring, Begleitseminare, koordinierte Lehrpraxiswechsel oder ein Wissenschaftsmodul ermöglichen sollen.
Wie man „Fachärztin“ bzw. „Facharzt“ wird
Ab kommendem Jahr wird es möglich sein, auch als eingetragene:r Ärztin oder Arzt für Allgemeinmedizin mit mindestens zweijähriger Tätigkeit in der Primärversorgung den Antrag auf den Fachärzt:innentitel zu stellen. Zu diesen zwei Jahren zählen z.B. Lehrpraxis, Vertretungstätigkeit, natürlich die eigene Ordination, aber voraussichtlich auch stationsärztliche allgemeinmedizinische Tätigkeit. Diese Tätigkeiten müssen mindestens für sechs Monate innerhalb der letzten zwei Jahre ausgeführt worden sein. Alternativ wird es auch möglich sein, den Titel durch das Ablegen der Facharztprüfung für Allgemein- und Familienmedizin zu erhalten.
Ist die Aufwertung abgeschlossen?
Ist mit dieser Änderung die „Aufwertung“ der Allgemeinmedizin abgeschlossen? Mitnichten, denn eine Gesetzesänderung allein sagt noch nicht viel aus. Aber sie gibt uns die Möglichkeit, durch die sprachliche und legistische Annäherung das Selbstbewusstsein für unser Fach zu stärken: Sprache schafft auch Realität. Wichtig wird sein, damit auch ein neues Selbstverständnis zu entwickeln bzw. zu festigen. Wir müssen mehr Klarheit schaffen, was unser Fach auszeichnet – z.B. der generalistische Anspruch oder der Umgang mit Unsicherheit und Multimorbidität –, und eine gemeinsame Fachdefinition, eine gemeinsame Methodik und eine gemeinsame Sprache finden, die wir auch für die Ausbildung unbedingt brauchen. Nur wenn wir es schaffen, die Allgemein- und Familienmedizin gut zu fassen und zu beschreiben, wird sie in der allgemeinen Wahrnehmung und Wertschätzung steigen. Der lange Weg zum Facharzttitel neigt sich dem Ende zu. Bei der Etablierung des dazugehörigen Fachverständnisses liegt aber noch ein Stückchen Weg vor uns.
Literatur:
Wonca Europe: European Definition of General Practice/Family Medicine, 2023; https://www.woncaeurope.org/page/definition-of-general-practice-family-medicine ; zuletzt aufgerufen am 28. 8. 2024
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