© Dr. Waltraud Zika

Wie ärztliche „Seelsorge“ aussehen kann

Die Mutmacherin

Zuerst Allgemeinmedizinerin, dann Betriebsärztin und Psychotherapeutin: Dr. Waltraud Zika zog im Jahr 2000 von Wien ins obersteirische Murau, um verschiedenste Aspekte des Arztberufes kennenzulernen. Die engen sozialen Vorgaben und starren Rollenbilder des Landlebens hinterfragt sie nicht zuletzt aufgrund ihrer psychotherapeutischen Ausbildung bis heute, ebenso das Tabu rund um psychische Erkrankungen.

Als sie vor 24 Jahren der Liebe wegen aus der Millionenmetropole Wien ins ländliche Murau übersiedelte, erlebte die Allgemeinmedizinerin Dr. Waltraud Zika einen ausgeprägten Kulturschock und machte Erfahrungen, die wohl die meisten kennen, die von der Großstadt aufs Land kommen, um zu bleiben. Nach wie vor fühlt sich die gebürtige Wienerin als „Zuagroaste“, obwohl sie lange Zeit mit einem Einheimischen verheiratet war. „Es ist leicht, mit den Leuten hier Kontakte zu knüpfen, man ist auch schnell per du, aber die meisten Beziehungen gehen nicht tiefer. Eigentlich bin ich noch immer nicht so richtig angekommen“, erzählt Zika. Ein Außenseiterstatus, den sie sich privat und auch beruflich durchaus zunutze macht: „Ich kann aus dieser Position heraus leichter Tabus ansprechen und Themen aufgreifen, die sonst eher verschämt abgehandelt werden.“ Mit ihrer psychotherapeutischen Zusatzausbildung und der anhaltenden Faszination für psychologische Abgründe hat die Ärztin ihre Berufung gefunden, über die sie später noch im Detail erzählen wird.

Wir beginnen beim Start der abwechslungsreichen Laufbahn der 60-jährigen Medizinerin, die im Laufe der Zeit mehrere schicksalhaft anmutende Wendungen genommen hat. Auch der Arztberuf war ihr nicht gerade in die Wiege gelegt worden. Zika wurde in eine Wiener Arbeiterfamilie hineingeboren, in der nur körperliche Leistung als solche anerkannt wurde: „Von meinen Eltern war es gar nicht geplant, dass ich überhaupt ins Gymnasium gehen und Matura machen darf“, erzählt Zika über ihren Werdegang. „Ich hatte aber eine Volksschullehrerin, die sie davon überzeugt hat, dass ich das versuchen sollte.“ Ihr Traumberuf Physiotherapeutin blieb der Maturantin mit zwei „Genügend“ im Abschlusszeugnis – in Chemie und Physik – verwehrt. Durch einen Freund, der Medizin studierte, wurde sie schließlich zum Medizinstudium inspiriert: „Der hat sich ein bisschen schwergetan beim Lernen und ich habe ihn abgeprüft. Nach ein, zwei Semestern habe ich mir gedacht, jetzt kann ich es eigentlich schon besser als er. Ich war immer daran interessiert, wie Menschen funktionieren, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch.“

Von Wien auf die Stolzalpe

Während der Studienjahre an der Medizinischen Universität Wien absolvierte Zika auch die Kampfkunstausbildung Shinson Hapkido mit Grundlagen der Zen-buddhistischen Philosophie und gleichzeitig auch ein umfassendes fernöstliches Gesundheitstraining, so Zika: „Die Ausbildung war eine gute Quelle an Erfahrungen und Weisheiten, aus der ich noch immer schöpfe. Mein koreanischer Meister war zudem in chinesischer Medizin ausgebildet, davon habe ich viel für meine spätere Arbeit profitiert.“ Nach dem Studium konnte Zika ihr neues persönliches Ziel, eine Facharztausbildung in Psychiatrie oder auch in physikalischer Medizin, wegendes damaligen Mangels an Ausbildungsplätzen nicht weiterverfolgen: „Ich hatte das Pech, dass ich genau in der Zeit der Medizinerschwemme studiert habe.“

Auf der Suche nach einem orthopädischen Ausbildungsplatz schrieb Zika alle österreichischen Abteilungen für Orthopädie an. Vom Landeskrankenhaus Stolzalpe erhielt sie die erste Antwort und binnen einer Woche landete die junge Ärztin im höchstgelegenen Spital der Steiermark in der Nähe von Murau, wo sie auch ihren zukünftigen Mann kennenlernte. Mit diesem Turnus kam eines zum anderen: „Auf der Stolzalpe ist dann eine kleine Rehastation entstanden und ich wurdegefragt, ob ich die als Stationsärztin übernehmen möchte.“ Im Zuge der Tätigkeit als Allgemeinmedizinerin auf der Station kam Zika mit der Arbeitsmedizin in Berührung:„Da ich mich seit jeher auch fürdie psychosozialen und psychosomatischen Aspekte der Patient:innen interessiert habe, habe ich sehr viel mit ihnen gesprochen. Da ging es hauptsächlich darum, wie es mit ihnen nach der Reha in der Arbeit weitergehen soll, wie die Patient:innen ihr Leben umgestalten, wie sie mit Schmerzen umgehen können“, erinnert sich Zika. Die Motivation, im Arbeitsumfeld der Menschen als Ärztin mehr bewirken zu können, inspirierte sie zur Weiterbildung. Und der rote Faden, der letztlich zu ihrer innersten Berufung führte, wurde weitergesponnen.

Ausbildung zur Arbeitsmedizinerin

Nach der Geburt ihrer Tochter und während einer Bildungskarenz absolvierte Zika die Ausbildung zur Arbeitsmedizinerin. Es folgten Aufgaben als Betriebsärztin des LKH Stolzalpe und als Schulärztin der dortigen Gesundheits- und Krankenpflegeschule, bevor Zika Betriebsärztin des gesamten LKH Murtal wurde. Mittlerweile arbeitet Zika als Arbeitsmedizinerin für die Brauerei Murau, die IBS Austria GmbH in Teufenbach-Katsch, das Schulungszentrum Fohnsdorf und für die Firma Trion.

© Schulungszentrum Fohnsdorf

01 Im Schulungszentrum Fohnsdorf klärte Zika im Zuge eines Vortrags zum Thema Burnout auf

Die eigene Wahlarztordination eröffnete 2019 die Möglichkeit, ihre mittlerweile absolvierte Ausbildung in ärztlicher Hypnose und Kommunikation sowie die drei Psy-Diplome in der Praxis anzuwenden. Als Motivation für die psychotherapeutische Zusatzausbildung nennt Zika in erster Linie einen konkreten familiären Hintergrund: „In meiner Familie mütterlicherseits gab es damals etliche unerkannte, nicht diagnostizierte und daher unbehandelte psychische Krankheiten. Später habe ich dann sozusagen ihren Hintergrund eruieren können –von Schizophrenie bis zu manisch-depressiven Erkrankungen, heute als bipolare Störung bezeichnet. In der Schule, mit Psychologie als Fach, habe ich gemerkt, da gibt es ja etwas, das sich mit genau diesen Themen beschäftigt. Da war für mich klar, Psychotherapie wird irgendwann einmal auf meiner Agenda stehen.“

Rollenbilder und Tabus

Mit der psychotherapeutischen Zusatzausbildung ließ sie sich allerdings Zeit bis zum Alter von 50: „Ich wusste, ich brauche eine gewisse Lebenserfahrung und ein gewisses Lebensalter, damit ich es dann wirklich schaffe, in der Therapie mit den Patient:innen meine eigenen Themen und meine eigene Geschichte hintanstellen zu können.“

Als Arbeitsmedizinerin und Psychotherapeutin kann Zika Tabus ansprechen und Themen aufgreifen, die sonst eher verschämt abgehandelt werden:etwa die seit langer Zeit hohe Suizidrate in der Region oder die starren Geschlechterrollenbilder. Ihr geht es darum, Menschen den vollen Zugang zu ihrem Potenzial zu ermöglichen – indem sie sich trauen, sich so zu geben, wie sie sind: „Am Land sind Männer wie Frauen oft sehr in ihren Rollenbildern gefangen und leben in einem engen traditionellen Korsett. Da ich aus der Großstadt in eine mehr oder weniger kleinbäuerliche und kleinstrukturierte Gegend gekommen bin, habe ich einen anderen Blick auf die Art und Weise, wie die Systeme hier funktionieren.“ Als Arbeitsmedizinerin und Psychotherapeutin möchte sie Frauen, aber vor allem auch Männern Mutmachen: „Es braucht auch dringend eine Emanzipation der Männer, vor allem hier am Land. Viele hindern sich oft gegenseitig an ihrer Entwicklung, weil sie ein ganz enges männliches Rollenbild verinnerlicht haben – Mann muss Fußball spielen, Mann muss Jäger sein, über Gefühle darf Mann nicht reden.“ Mit Vorträgen wie „Scheiss di nix“ und derAusstellung „Perfekt unvollkommen – vollkommen unperfekt“ versuchte Zika in den vergangenen Jahren, diese Tabus und Rollenklischees aufzubrechen.

Aufklärungsbedarf bei psychischen Erkrankungen

Zika weist zudem darauf hin, dass Murau nach wie vor der Bezirk mit der höchsten Selbstmordrate in Österreich ist: „In Fachkreisen hat Murau leider deswegen einen traurigen Bekanntheitsgrad. Daher ist es höchste Zeit, offen über Tabus wie psychische Erkrankungen zu sprechen.“

© Dr. Waltraud Zika

02 Zika bei ihrer Tätigkeit als Arbeitmedizinerin.

© Zika

03 Das persönliche Allheilmittel für die Ärztin ist Trommeln

2019 organisierte Zika gemeinsam mit dem Psychosozialen Netzwerk Murau einen Kongress für psychomentale Gesundheit mit zahlreichen Vorträgen und einer Ausstellung, „wo wir versucht haben, dieses Themavon allen möglichen Seiten zu beleuchten“.

Nach wie vor herrschen gravierende Wissensdefizite zu mentaler Gesundheit: „Mein Schwerpunkt in der Arbeitsmedizin ist einerseits Aufklärung, weil die Neurowissenschaft ja schon sehr viel darüber weiß, wie unsere psychischen Strukturen funktionieren. Da nimmt es oft schon sehr viel Druck raus, wenn die Leute erfahren, dass das neurobiologische, natürliche Mechanismen sind und sie nicht ‚komplett spinnen‘. Und andererseits versuche ich die Menschen zu ermutigen, sich nicht als defekt oder als ein Mängelexemplar zu sehen.“ Aktuell beobachtet die Ärztin die Zunahme an Angst-Panik-Störungen, vor allem bei Männern. Ein weiterer Schwerpunkt für Zika ist daher Stressmanagement. „Wichtig ist, zu erkennen: Wir können nicht alles beeinflussen, wir können nicht alles kontrollieren.“ Viele Menschen würden das zwar intellektuell über Gespräche begreifen, hätten aber das Gefühl für den Körper verloren, so Zika: „Da gibt es viele Möglichkeiten, wie man lernen kann, den Körper bzw. die Körpersignale besser wahrzunehmen.“ Unterstützend wendet die Ärztin ihre umfangreiche Palette an Zusatzausbildungen wie Hypnose an, zusätzlich helfen auch Körpertechniken wie Yoga und Meditationsübungen.

Sich selbst erdet die viel beschäftigte Ärztin seit einigen Jahren mit Trommeln „als universellem“ Heilmittel: „Trommeln ist meine ganz große Leidenschaft – als Musikerin wie auch als Therapeutin. Ich mag Rhythmus und tiefe Töne.“

Psy 1, Psy 2, Psy 3 – 35 Jahre Psy-Diplome

Vor 35 Jahren hat die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) die Diplome für Psychosoziale, Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin ins Leben gerufen, um den vielschichtigen biopsychosozialen Zusammenhängen in der Medizin gerecht zu werden. Seit 1989 haben rund 6% der Ärzt:innen und Ärzte in Österreich diese Weiterbildungsdiplome erworben. Das Diplom Psychosoziale Medizin (Psy 1) vermittelt als Basisausbildung die ärztliche Grundhaltung der sogenannten empathischen Resonanz in der Arzt-Patient-Beziehung und schult die Gesprächs- und Kommunikationskompetenz. Das Diplom Psy 2 fokussiert auf professionelle Beziehungsaspekte und spezielle biopsychosozioökologische oder biopsychosoziale gesundheitliche Faktoren in der Behandlung. Das Diplom Psy 3 umfasst die volle psychotherapeutische Kompetenz zur selbstständigen Ausübung von psychotherapeutischer Medizin im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit und befähigt zur psychotherapeutischen Diagnostik, Betreuung und Behandlung von Patient:innen.

Quelle: ÖÄK

Arbeitsmediziner:innen sind gefragt!

Die Arbeitswelt wandelt sich. Die Anforderungen steigen, Gesundheit wird immer wichtiger. Darum braucht Österreich dringend Expert:innen für Arbeitsmedizin. Um Unternehmen als Arbeitsmediziner:in betreuen zu dürfen, benötigt man eine fachspezifische Ausbildung. Unter anderen bietet die Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention (AAMP) 2025 einen Lehrgang in Wien, Klagenfurt/Graz und Innsbruck in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien an. Die Arbeitsmedizin-Universitätslehrgänge bestehen aus 8 Ausbildungsblöcken. Weitere Informationen: https://arbeitsmedizin-info.at/

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