Krebserkrankungen
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Paul Sevelda
Präsident der Österreichischen Krebshilfe
E-Mail: sevelda@aon.at
Ein gesunder Lebensstil ist die Vorsorgemaßnahme Nummer 1 im Kampf gegen Krebserkrankungen – das Bewusstsein dafür ist hierzulande allerdings verbesserungswürdig. Daher sind Früherkennungsprogramme, aber auch präventive Impfungen wichtige Instrumente, um Todesfälle aufgrund von Krebserkrankungen zu verhindern.
Der Europäische Kodex gegen Krebs geht davon aus, dass mit der Befolgung von 12 Empfehlungen 50% aller Krebstodesfälle in Europa vermieden werden könnten. Vor allem unser Lebensstil wäre in der Lage, unser persönliches Krebserkrankungsrisiko deutlich zu minimieren. Dies wäre echte Vorsorge, nämlich dass man die Entstehung einer Krebserkrankung verhindert. Das ist möglich, wenn man die folgenden Empfehlungeneinhält, wobei hier nur die wichtigsten aufgezählt werden.
An 1. Stelle steht die Vermeidung von Bewegungsmangel sowie der ungesunden Ernährung und als deren Folge der Fettleibigkeit, an 2. Stelle ist die Abstinenz von Nikotinkonsum in jeglicher Form zu nennen. Übermäßiger Alkoholkonsum ist ebenso schädlich wie übermäßige Sonnenbelastung und natürlich ist die Entfernung von Krebsvorstufen wie der höhergradigen Dysplasie der Zervix oder der Darmadenome auch präventiv wirksam.
HPV: Impfung als Prävention
Auch haben wir seit einigen Jahren Impfungen, die die Krebsentstehung verhindern können, ja sogar zu einer Eliminationführen könnten, z.B. von Gebärmutterhalskrebs durch die HPV-Impfung. Die WHO hat das Ziel ausgegeben, bis 2030 durch eine HPV-Durchimpfungsrate bei den 15-Jährigen von mindestens 90% und durch die Früherkennungsuntersuchung mittels HPV-Test ab dem 30. Lebensjahr diese Krebserkrankung zu eliminieren.
In Österreich haben wir zwar ein großzügiges kostenloses HPV-Impfprogramm vom 9. bis zum 30. Lebensjahr mit zwei Impfungen in 6- bis 8-monatigen Abständen, aber die Teilnahmerate ist noch weit von den 90% der WHO-Forderung entfernt. Zusätzlich zur Impfung der Jugend ist die Krebsfrüherkennung gemäß den Forderungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft und der Österreichischen Krebshilfe von der jährlichen Pap-Abstrichentnahme hin zu einer HPV-Test-orientierten Früherkennung ab dem 30. Lebensjahr zu ändern. Gefordert wird zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr weiterhin der Pap-Abstrich in jährlichem Abstand, da in dieser Altersgruppe der Anteil an HPV-positiven Befunden relativ hoch wäre und glücklicherweise die allermeisten dieser Infektionen unbemerkt und ganz von alleine wieder verschwinden. Ab 30 Jahren sollte zumindest alle drei Jahre ein HPV-Test durchgeführt werden, und wenn dieser negativ ist, dann kann man beruhigt die nächste Früherkennungsuntersuchung in drei Jahren durchführen. Bei einem positiven Nachweis von HPV-High-Risk-Viren sind dann die Zytologie und Kolposkopie mit einer eventuellen Biopsie der weiterführende Abklärungsschritt.
Wie Langzeitdaten der ersten HPV-Impfstudien zeigen konnten, ist tatsächlich die Vermeidung nicht nur des Zervixkarzinoms, sondern vor allem von dessen Vorstufe, der schweren Dysplasie, zu nahezu 100% erreichbar. Immerhin werden in Österreich jährlich mehr als 6000 Konisationen durchgeführt, eine Operation, bei der ein Kegel aus dem Gebärmutterhals herausgeschnitten wird. Auch wenn dies ein kleiner Eingriff ist, kann er schwerwiegende Folgen für die Frau haben, wie Einschränkung der Fertilität oder auch Frühgeburtlichkeit. Darüber hinaus haben wir bei ca. 60000 Frauen in Österreich jährlich einen verdächtigen Krebsabstrich, der eine weiterführende Diagnostik erfordert.
Früherkennung des Mammakarzinoms
Seit 2014 haben wir in Österreich ein organisiertes Mammografiescreening zur Früherkennung des Mammakarzinoms. Zwischen 45 und 74 Jahren erhält jede Frau in Österreich alle zwei Jahre ein Einladungsschreiben, zur Brustkrebsfrüherkennungsuntersuchung zu gehen. Diese besteht aus einer Mammografie und bei dichtem Drüsengewebe auch aus einer Sonografie. Damit konnte die diagnostische Qualität der Screeninguntersuchung auf höchstem Niveau etabliert werden. 71% aller Screeninguntersuchungen der Mamma werden durch die Sonografie ergänzt, 4% der Untersuchungen ergeben einen BIRADS-III-Befund, der eine weiterführende Abklärung durch Kontrolle nach sechs Monaten oder MRT-Untersuchung erforderlich macht, und bei ca. 1% ist eine diagnostische Biopsie erforderlich. Die Sensitivität beträgt 75%, die Spezifität 99%. Der positive Vorhersagewert beträgt 26% und 77% der entdeckten Karzinome waren entweder In-situ-Karzinome oder im Stadium I mit negativen Lymphknoten und kleiner als 2cm. Damit erfüllt das Screeningprogramm die erforderlichen Qualitätswerte, aber auch hier liegt die Teilnahmerate um die 50% und somit weit unter den geforderten 70%. Frauen zwischen 40 und 44 Jahren sowie ab 75 Jahren können sich niederschwellig über www.frueh-erkennen.at für das Programm melden („opt-in“).
Dickdarmkarzinom: Screeningprogramm
Noch in dieser Legislaturperiode soll ein organisiertes Dickdarmkarzinom-Früherkennungsprogramm kommen. Auf Basis wissenschaftlicher Evidenz wurde vom Österreichischen Screening-Komitee die Darmspiegelung alle 10 Jahre bei unauffälligem Befund vom 45. bis 65. Lebensjahr, fakultativ bis zum 75. Lebensjahr, oder ein immunologischer Blutstuhltest (FIT) alle zwei Jahre als gleichwertige Untersuchung empfohlen. Allerdings ist nur die Koloskopie mit Entfernung von Adenomen als Präventionsmaßnahme zu sehen, wogegen der Blutstuhltest als eine Früherkennungsmaßnahme mit der nachfolgenden Koloskopie gesehen werden kann, aber nicht als Prävention.
Es soll schon bald in drei Modellregionen mit diesem neuen organisierten Früherkennungsprogramm begonnen werden. Entscheidend für den Erfolg werden einerseits die Teilnahmeraten sein und andererseits auch die Qualität der Dokumentation der Daten zur Qualitätssicherung. Dafür wird es natürlich notwendig sein, dass sich alle neun Bundesländer auf ein einheitliches Screeningprogramm verständigen und es auch umsetzen.
Tasten und PSA-Bestimmung: Früherkennung des Prostatakarzinoms
Männer sind wesentlich schwieriger zu motivieren, Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch zu nehmen. Früherkennungsprogramme für das Prostatakarzinom werden schon lange diskutiert. Ein organisiertes Screening dafür gibt es nicht, da die wissenschaftliche Evidenz im Hinblick auf eine Reduktion der Mortalität durch die Früherkennungsuntersuchung mittels PSA-Bestimmung und rektaler Tastuntersuchung zumindest widersprüchlich ist. Die derzeit gültige Empfehlung lautet, ab dem 45. Geburtstag in regelmäßigen Abständen eine rektale Tastuntersuchung sowie die PSA-Bestimmung und eventuell einen ergänzenden Ultraschall durchzuführen. Eine erst kürzlich präsentierte Untersuchung der Medizinischen Universität Wien hat jedoch die Wertigkeit der rektalen Tastuntersuchung zur Früherkennung infrage gestellt. Zentrales Element für die Prostatakrebs-Früherkennung ist der PSA-Wert und nicht die rektale Tastuntersuchung. Ein auffälliger PSA-Blutwert sollte jedenfalls auch kontrolliert werden und davon abhängig sind dann allenfalls weitere diagnostische Schritte wie MRT und MRT-gezielte Biopsie erforderlich.
Es liegt derzeit an der wissenschaftlichen Gesellschaft für Urologie, die Früherkennungsempfehlungen für die Männer zu aktualisieren und dann auch der breiten Bevölkerung vorzuführen.
Lungenkarzinom: Low-Dose-CT
Schließlich gibt es auch überzeugende Evidenz, dass man durch Low-Dose-CT-Untersuchungen der Lunge eine Mortalitätsreduktion beim Lungenkarzinom erzielen kann. Dies wurde bei Menschen, die mehr als 15 Jahre lang mehr als 15 Zigaretten/Tag oder mehr als 10 Zigaretten/Tag über 30 Jahre lang geraucht haben, mit der NELSON-Studie untersucht und im New England Journal of Medicine im Jahr 2020 auch publiziert. Allerdings sind wir noch weit davon entfernt, diese Früherkennungsuntersuchung in Österreich anzubieten. Es fehlen die Empfehlung der wissenschaftlichen Gesellschaft und auch die Grundlage für die Low-Dose-CT-Untersuchungen, die in dieser Studie insgesamt 4 x im Zeitabstand von 0, 1, 3 und 5,5 Jahren durchgeführt wurde. Damit konnte bei der Zielbevölkerung der regelmäßigen und starken Raucher eine Mortalitätsreduktion um 24% erzielt werden. Dennoch ist gerade beim Lungenkarzinom der Prävention bei unseren Jugendlichen absoluter Vorrang zu geben. Immer noch ist der Anteil jugendlicher Raucher in Österreich mit ca. 20% deutlich zu hoch.
Fazit
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil in Österreich deutlich verbesserbar ist. Es braucht dafür eine Unterstützung in allen Bereichen unseres Lebens. Wir müssen gesundheitsrelevante Verhaltensformen wie Bewegung, Vermeidung von Übergewicht, Nikotinabstinenz, sinnvollen Umgang mit Sonneneinwirkung in unser tägliches Leben integrieren – beginnend im Kindergarten, dann in der Schule und natürlich auch am Arbeitsplatz. Es gab wichtige Fortschritte in den letzten Jahren, wie den Nichtraucherschutz in der Gastronomie, das organisierte Mammografie-Screeningprogramm oder die kostenlose HPV-Impfung. Aber es gibt noch viel Luft nach oben, was die Rate der Teilnahme an diesen Programmen und die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung betrifft und dahingehend, was die Politik auch an Maßnahmen für ein gesundes Leben, wie zum Beispiel die seit Jahrzehnten versprochene tägliche Turnstunde, bereit ist, umzusetzen.
Österreichische Krebshilfe:
Unterstützung für Ihre Patient:innen
Seit 1910 widmet sich die Österreichische Krebshilfe der Information der Bevölkerung zum Thema Krebsvorsorge, der Aufklärungsarbeit zur Prävention, Früherkennung, Beratung und Hilfe für Erkrankte und Angehörige, der Ärztefortbildung, der Errichtung von Krebshilfe-Beratungszentren und der angewandten Gesundheitsforschung.
Betroffene finden auf der Website der Österreichischen Krebshilfe umfassende Informationen zu den unterschiedlichen Krebserkrankungen. Aber nicht nur das: Die Diagnose Krebs löst meist eine Art Schockzustand aus und schwärzeste Fantasien belasten Erkrankte und Angehörige. Angst, Wut, Verzweiflung, Ungewissheit – für die meisten eine emotionale Achterbahn. Viele Fragen tauchen auf, viele Antworten werden gesucht: Wie soll es weitergehen? Wie geht es tatsächlich weiter? Oft wird dieses Gefühl des Ausgeliefertseins durch zu wenig Wissen um die Krankheit verstärkt.
In über 60 Krebshilfe-Beratungsstellen in ganz Österreich stehen Ihren Patient:innen ausgebildete Berater:innen kostenlos und auf Wunsch anonym für deren Anliegen zur Verfügung. Betroffene können alle Fragen stellen, die sie haben, und über alles sprechen, was sie belastet.
Die Österreichische Krebshilfe bietet Information, Unterstützung und Hilfe bei Fragen zu Diagnose und damit verbundenen Ängsten/Emotionen, Erkrankung, Therapie, Nebenwirkungen, Beruf, Rehabilitation, Patientenrechten, Ernährung, Bewegung, Umgang mit dem Partner/der Partnerin, Kindern, Freunden, Angehörigen, finanzieller Soforthilfe sowie Vernetzung mit Expert:innen.
Alle Informationen finden Sie unter www.krebshilfe.net .
Literatur:
beim Verfasser
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