Welche Rolle hat das Darmmikrobiom?
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Das menschliche Mikrobiom enthält mehrere Hundert Bakterienspezies – viele davon sind nicht oder nur sehr schwierig kultivierbar und wurden erst kürzlich genetisch identifiziert. Aufgrund seiner genetischen Vielfalt und großen Stoffwechselkapazität wird das Darmmikrobiom heute als eigenständiges Organ betrachtet.1
Es ist ein Teil der Darmbarriere (Abb.1).2 Über die Lymphgefäße und das portalvenöse System besteht eine enge anatomische und funktionelle Beziehung zwischen dem Darmmikrobiom und der Leber – in der Literatur oft als „Darm-Leber-Achse“ bezeichnet. Besonders bei Lebererkrankungen spielt eine Störung der Darm-Leber-Achse eine wichtige Rolle.
Abb. 1: Aufbau der Darmbarriere
Bedeutung des Darmmikrobioms: Das Darmmikrobiom ist neben der Mukusschicht, der Darmepithelschicht mit ihren unterschiedlichen Zell-Zell-Verbindungen („tight junctions“, „gap junctions“) und dem Darmimmunsystem ein Teil der Darmbarriere (modifiziert nach Tripathi A et al. 2018)2
Veränderungen des Darmmikrobioms bei chronischen Lebererkrankungen
Bei Leberzirrhose ist die Zusammensetzung des Darmmikrobioms massiv gestört. Typisch sind eine verminderte bzw. veränderte Diversität bei gleichzeitigem Anstieg der Gesamtbakterienzahl und ein Überwiegen pathogener Keime. Die Diversität des Mikrobioms bewirkt im Normalzustand, dass es sehr widerstandsfähig (resilient) gegenüber Einflüssen von außen ist und pathogene Keime das Mikrobiom nicht kolonisieren können (Kolonisationsresistenz). Nimmt die Diversität ab, wird diese Kolonisationsresistenz beeinträchtigt.
Bei Leberzirrhose findet man häufig vermehrt typische Mundkeime wie Veillonella und Streptococcus spp. im Darm. Dieses Phänomen wird als „Oralisierung“ des Darmmikrobioms bezeichnet. Parallel dazu nimmt die Anzahl an Bakterien ab, denen positive Wirkungen auf den Menschen zugeschrieben werden, zum Beispiel Faecalibacterium prausnitzii als Butyrat-Produzent. Faktoren, die Einfluss auf die Mikrobiomzusammensetzung haben, sind neben der Ätiologie und dem Schweregrad der Lebererkrankung vor allem die Einnahme von Medikamenten wie Protonenpumpenhemmern, der Ernährungszustand und Inflammation.3 Die Dysbiose bei Zirrhose stört die Darmbarriere und führt vermehrt zu intestinalen Entzündungsprozessen. Daraus resultiert der Übertritt von bakteriellen Produkten über die Darmbarriere in den Körper (Abb.2). Damit verbunden sind ein erhöhtes Infektionsrisiko, ein vermehrtes Auftreten von Komplikationen und möglicherweise eine gesteigerte Mortalität.
Abb. 2: Dysbiose und deren Folgen bei Lebererkrankungen
Bei Zirrhose stören Mikrobiomveränderungen und bakterielle Überwucherung die Schutzmechanismen der Darmbarriere, wodurch vermehrt Bakterien (über trans und parazelluläre Wege) und Endotoxine aufgenommen werden. Die Produkte erreichen Leber und Mesenteriallymphknoten, aktivieren Immunzellen und setzen proinflammatorische Zytokine frei. Infolgedessen degranulieren zirkulierende neutrophile Granulozyten und geben eine Vielzahl von Molekülen, u. a. Lactoferrin, Myeloperoxidase und ROS, in den Kreislauf ab, die zu einer systemischen Entzündungsreaktion beitragen.
Möglichkeiten der Mikrobiommodulation bei Leberzirrhose
Aufgrund der weitreichenden und beständigen Veränderungen des Mikrobioms bei chronischen Lebererkrankungen ist das Konzept der Modulation des Darmmikrobioms und/oder der Darmpermeabilität als Therapieansatz attraktiv. Versuche, das Darmmikrobiom durch Präbiotika, Probiotika oder Stuhltransplantation therapeutisch zu beeinflussen, wurden vor allem zur Therapie von Komplikationen der Leberzirrhose (hepatische Enzephalopathie, Infektionen) untersucht.
Präbiotika
Unter Präbiotika versteht man unverdauliche Lebensmittelbestandteile, die gezielt das Wachstum von Bakterienstämmen mit positiven Wirkungen für den Wirt anregen. Zur Prophylaxe und spezifischen Therapie der episodischen hepatischen Enzephalopathie empfehlen die aktuellen Leitlinien das Präbiotikum Lactulose (nicht resorbierbares Disaccharid) in einer Dosierung von 45–90g/Tag. Lactulose ist zwar prinzipiell gut verträglich, aber Nebenwirkungen wie Bauchkrämpfe, Blähungen und Durchfall können sehr störend sein und die Compliance bei einer Dauertherapie einschränken.
Probiotika
Probiotika sind laut WHO-Definition „lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge konsumiert einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben“. Die Wirkweisen von Probiotika sind vielfältig und noch nicht bis ins letzte Detail entschlüsselt. Bekannte Wirkungsmechanismen sind in Grafik 3 zusammengefasst.
Bei Leberzirrhose wurden Probiotika häufig zur Therapie oder Prophylaxe von Komplikationen getestet. Die Verwendung von Probiotika zur Modulation des Darmmikrobioms bei hepatischer Enzephalopathie ist bereits gut untersucht. Ein Cochrane-Review kommt zu dem Ergebnis, dass sie wirksam sind, aber noch bessere Daten benötigt werden.4
Abb. 3: Bekannte Wirkungsmechanismen von Probiotika
Ein weiteres klinisches Problem ist, dass Patienten mit Leberzirrhose ein erhöhtes Infektionsrisiko haben. Die Immundysfunktion ist nach einer Lebertransplantation besonders ausgeprägt, da zusätzlich zur bestehenden Leberzirrhose die große Operation zueiner erhöhten Darmpermeabilität mit vermehrter bakterieller Translokation führt. Eine Metaanalyse kam zu dem Ergebnis, dass eine perioperative Gabe von Probiotika das Infektionsrisiko nach Lebertransplantation senken kann. Probiotika zeigten in einigen Studien – eine davon von der Meduni Graz – auch bei fortgeschrittener Zirrhose eine Besserung von Leberwerten, Endotoxinspiegel und der Leberfunktion.5, 6
Stuhltransplantation
Die Stuhltransplantation als Möglichkeit zur Modulation des Darmmikrobioms bei hepatischer Enzephalopathie wird gerade im Rahmen von mehreren klinischen Studien untersucht. Eine erste randomisierte, kontrollierte Studie zeigte eine Verbesserung der kognitiven Funktion und der Dysbiose. Die Wertigkeit dieser Therapieform, die Auswahl des Spenderstuhls sowie das genaue Protokoll müssen aber noch Bestandteil weiterer Untersuchungen sein.
Bei Zirrhose stören Mikrobiomveränderungen und bakterielle Überwucherung die Schutzmechanismen der Darmbarriere, wodurch vermehrt Bakterien (über trans- und parazelluläre Wege) und Endotoxine aufgenommen werden. Die Produkte erreichen Leber und Mesenteriallymphknoten, aktivieren Immunzellen und setzen proinflammatorische Zytokine frei. Infolgedessen degranulieren zirkulierende neutrophile Granulozyten und geben eine Vielzahl von Molekülen, u.a. Lactoferrin, Myeloperoxidase und ROS, in den Kreislauf ab, die zu einer systemischen Entzündungsreaktion beitragen.
Praxis-Tipp
Das Mikrobiom unterstützen
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dassdas Darmmikrobiom bei Lebererkrankungen eine wichtige Rolle spielt und die Modulation des Mikrobioms z.B. durch Präbiotika, Probiotika oder Stuhltransplantation eine interessante Therapieoption ist. Die Empfehlung der Verwendung von Probiotika in der Therapie von Leberzirrhose ist aktuell noch nicht in Leitlinien verankert, dazu müssen noch weitere Studien durchgeführt werden.
Literatur
1 Pasolli E et al.: Extensive unexplored human microbiome diversity revealed by over 150 000 genomes from metagenomes spanning age, geography, and lifestyle. Cell 2019; 176(3): 649-62
2 Tripathi A et al.: The gut-liver axis and the intersection with the microbiome. Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2018; 15(7): 397-411
3 Stadlbauer V et al.: Disease severity and proton pump inhibitor use impact strongest on faecal microbiome composition in liver cirrhosis. Liver Int 2020; 40(4): 866-77
4 Dalal R et al.: Probiotics for people with hepatic encephalopathy. Cochrane Database Syst Rev 2017; 2: CD008716
5 Horvath A et al.: Randomised clinical trial: the effects of a multispecies probiotic vs. placebo on innate immune function, bacterial translocation and gut permeability in patients with cirrhosis. Aliment Pharmacol Ther 2016; 44(9): 926-35
6 Horvath A et al.: The effects of a multispecies synbiotic on microbiome-related side effects of long-term proton pump inhibitor use: A pilot study. Sci Rep 2020; 10(1): 2723
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