
„Zwischen Fliegen und meiner Arbeit gibt es viele Parallelen“
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Fliegerarzt in Österreich, das ist genauer gesagt ein von der Luftfahrtbehörde AustroControl zertifizierter flugmedizinischer Sachverständiger bzw. „Aeromedical Examiner“ mit einer entsprechenden Ausbildung. Im Optimalfall sind diese Sachverständigen wie Prim. Assoc. Prof. Mag. Dr. Domagoj Javor auch aktive Piloten – das ist aber keine notwendige Voraussetzung für die Ausübung. Wobei die Privatpilotenlizenz ohnehin nur einer der vielen Meilensteine in der Laufbahn des Mediziners ist.
Warum er gleich zwei Studien parallel absolviert hat, dann doch nicht Chirurg geworden ist und was den Reiz seines nicht alltäglichen medizinischen Betätigungsfeldes ausmacht, erzählt der gebürtige Linzer im Gespräch mit ALLGEMEINE+.
Allgemeinmediziner mit Schwerpunkt Flugmedizin und interventioneller Radiologe: Prim. Assoc. Prof. Mag. Dr. Domagoj Javor
Herr Assoc. Prof.Javor, war Ihr Weg zur Arztkarriere familiär vorgezeichnet?
D. Javor: Ich habe schon während meiner Kindheit sehr viel vom medizinischen Alltag mitbekommen, weil meine Eltern beide Ärzte sind. Im Laufe der Schulzeit habe ich gemerkt, dass mich auch die Naturwissenschaft sehr interessiert,ich wollte jedoch nicht das Gleiche studieren wie die meisten in meiner Familie und lieber Physiker werden. Letztlich habe ich beschlossen, sowohl Physik als auch Medizin parallel in Wien zu studieren. Danach folgte die Ausbildung zum Allgemeinmediziner in der Schweiz. Nach meiner Rückkehr nach Wien habe ich am AKH meine Ausbildung zum Radiologen begonnen, in der Folge dann zum interventionellen Radiologen.
Was hat Sie an der Physik so fasziniert?
D. Javor: Ich wollte unbedingt grundlegende physikalische Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten verstehen, z.B. wiedie Quantenphysik im Detail funktioniert. Das macht mir bis heute noch viel Spaß und ich habe auch nach dem Studium eine Zeit lang am Physikinstitut gearbeitet. Mit diesem Background habe ich mich 2008 sogar bei der ESA unter mehr als 10 000 Mitbewerbern als Astronaut beworben. Eine sehr interessante Erfahrung, diese Tests in verschiedenen Stufen zu durchlaufen – angefangen bei Intelligenztests, kognitiven Tests und psychologischen Tests über mehrere Tage, dann eine Woche in Toulouse mit rein medizinischen Tests. Ich war schließlich unter den letzten 45 und da war schon eine reale Chance da, dass ich dann genommen werde. Letztendlich wurden dann leider Bewerber aus Italien, Deutschland, Frankreich und England und niemand aus Österreich ausgewählt.
„Das strukturierte Denken der Piloten, vor allem auch der Umgang mit Checklisten, das sollte auch auch in der Medizin Standard sein.“
Prim. Assoc. Prof. Mag. Dr. Domagoj Javor
Gab es bestimmte Gründe, wieso Sie die weitere Ausbildung in der Schweiz absolviert haben?
D. Javor: Ich wollte einfach rasch mit der Ausbildung beginnen und in kurzer Zeit viel lernen. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich noch vor, Chirurg zu werden. Zusätzlich wollte ich aber auch eine breite allgemeinmedizinische Ausbildung. Dafür haben sich die Möglichkeiten in der Schweiz einfach angeboten. Ich war insgesamt knapp zwei Jahre in Kantonsspitälern in Graubünden und im Tessin tätig. Das Arbeitszeitgesetz war damals Makulatur, wir hatten teilweise 90-Stunden-Wochen. Aber ich habe sehr viel gelernt.
Wieso sind Sie von diesem Vorhaben,die chirurgische Laufbahneinzuschlagen, wieder abgekommen?
D. Javor: Ich habe gesehen, dass man für den Beruf als Chirurg sehr viel opfern muss. Das Privatleben bleibt meistens auf der Strecke. Ich wollte aber unbedingt auch manuell arbeiten und habe dann einen Kollegen getroffen, den ich noch aus dem Studium kannte, der mir vom Teilbereich der interventionellen Radiologie erzählt hat, bei der auch Eingriffe durchgeführt werden. Ich war fasziniert davon und habe mich, auch in Hinblick auf meine vorangegangene Ausbildung als Physiker, für die Radiologie entschieden.
Javor bei seiner Tätigkeit als Wahlarzt für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt auf Vorsorgemedizin, Schmerztherapie und Flugmedizin.
Die Allgemeinmedizin hat Sie aber doch nicht ganz losgelassen?
D. Javor: Unmittelbar nach meinem Aufenthalt in der Schweiz habe ich die Privatpilotenausbildung gemacht und bin dadurch naturgemäß mit vielen Piloten in Kontakt gekommen, was mich dann noch zur Ausbildung zum Flugmediziner gebracht hat. Parallel zu meiner Tätigkeit am AKH habe ich eine Ordination in der Nähe als Wahlarzt für Allgemeinmedizin eröffnet, mit einem Schwerpunkt auf Vorsorgemedizin, Schmerztherapie und Flugmedizin. Nach knapp 15 Jahren am AKH habe ich mich vor zwei Jahren als Leiter des Instituts für Radiologie in Krems beworben und arbeite weiterhin noch zwei Nachmittage in der Woche in meiner Ordination.
Wie genau kamen Sie zur Ausbildung zum Flugmediziner?
D. Javor: Als Privatpilot muss man sich regelmäßig von einem Fliegerarzt untersuchen lassen, und ich war dafür bei Prof. Dr. Wolfgang Marktl. Über ihn bin ich dann zur Flugmedizin gekommen und habe die Ausbildung absolviert. Damals war es erwünscht, dass ein Fliegerarzt auch Pilot ist. Heute ist diese praktische Erfahrung kein Muss mehr, aber gerne gesehen. In meine Ordination kommt mittlerweile nicht nur Flugpersonal wie Berufs- und Privatpiloten und Cabin Crew oder Fluglotsen, sondern es kommen auch Rennfahrer oder Anwärter für Patente in der Seefahrt, die eine spezielle Untersuchung benötigen.
Seit zwei Jahren ist Javor Leiter des Instituts für Radiologie in Krems.
Worauf wird bei diesen Untersuchungen besonders geachtet? Gibt es Unterschiede in den Schwerpunkten je nach Berufssparte?
D. Javor: Wie diese Untersuchungen zu erfolgen haben und welche Erkrankungen eine Fluguntauglichkeit bedingen, ist europaweit durch die EASA, die European Aviation Safety Agency, festgelegt. Das ist unterschiedlich für Privat- und Berufspiloten oder für Flugbegleiter. Es ist auch abhängig vom Alter: Ein älterer Berufspilot muss häufiger zur Untersuchung als ein jüngerer. Wenn jemand Vorerkrankungen hat, muss er auch mehr Untersuchungen machen und öfter kommen als jemand, der gesund ist.
Besonderes Augenmerk wird auf die Sehfähigkeit und das Herz gelegt, Sehtests und EKG sind Standard. Zu den weiteren Schwerpunkten zählen neben Spirometrie und Blutbild seit dem German-Wings-Vorfall 2015 auch psychologische Tests.
Viele Parameter kann ich als Allgemeinmediziner selbst überprüfen. Als Fliegerarzt fungiere ich als zentrale Stelle, die an weitere Fachärzte wie den Kardiologen, den Augenarzt oder den Psychiater überweist, wenn es notwendig sein sollte.
Wie schwierig ist es, den psychischen Zustand Ihrer Patienten zu evaluieren?
D. Javor: Wir Fliegerärzte versuchen, über die Jahre eine Beziehung und eine gute Gesprächsbasis zu den Piloten aufzubauen. Wir wissen dann auch oft über private Aspekte Bescheid, man spricht auch darüber. Das hilft, psychische Belastungen bzw. Ausnahmesituationen rechtzeitig zu erkennen. Diese Problematik ist übrigens auch öfters Thema auf flugmedizinischen Kongressen.
Welche Erkrankungen verhindern eine Zulassung als Pilot?
D. Javor: Das sind vor allem alle Erkrankungen, die eine „sudden incapacitation“, also einen plötzlichen Ausfall, bewirken können. Ein klassischer Grund für Untauglichkeit sind beispielsweise epileptische Anfälle. Was sich in letzter Zeit geändert hat, ist der Anspruch des perfekten Sehvermögens ohne Sehhilfe: Das ist jetzt nicht mehr so.
Gibt es spezielle Berufskrankheiten beim Flugpersonal?
D. Javor: Das lange Sitzen auf Langstreckenflügen, der unregelmäßige Schlaf, der Jetlag, die trockene Luft im Flugzeug stellen natürlich eine außergewöhnliche große Belastung dar. Dazu kommt die kosmische Strahlung. Es ist nicht so, dass bei der beruflichen Ausübung bezüglich der Strahlendosis Grenzwerte überschritten werden, aber die höhere Belastung ist da.
Man hört immer wieder davon, dass Passagiere im Flugzeug aggressiv werden. Gibt es dafür eine medizinische Erklärung – abseits von Alkoholisierung?
D. Javor: Es hat mit der Zeit nicht nur die Belastung für das Flugpersonal zugenommen, sondern auch für die Passagiere. Die Sitzplätze werden immer enger, dazu sind neue Auflagen wie die Maskenpflicht in der Coronapandemie gekommen. Das hat zu einer erhöhten Belastung auf beiden Seiten und in der Folge zu mehr Vorfällen im Flugzeug geführt. Die Airlines sind da nicht sehr tolerant, schon allein aus Sicherheitsgründen. Das ist gut so.
Wie oft fliegen Sie persönlich? Und in welchen Flugzeugen?
D. Javor: Nach meiner Ausbildung habe ich jede Woche meine Platzrunden gedreht. Aufgrund meiner beruflichen Situation hat die Frequenz in den vergangenen Jahren deutlich nachgelassen. Aber es wird wieder eine Zeit kommen, in der ich mehr fliegen kann. Ich bin Mitglied bei den Flugvereinen Stockerau und Linz und fliege hauptsächlich die klassischen einmotorigen Flugzeuge wie Cessna 172, die auch in Filmen oft zu sehen ist. Auch die Piper PA-28 fliege ich gerne. Auf meiner To-do-Liste steht noch der Abschluss der Ausbildung für den Instrumentenflug und zweimotorige Flugzeuge, die ich schon begonnen, aber noch nicht beendet habe.
Sind Sie als Privatpilot schon einmal selbst auf Urlaub geflogen?
D. Javor: Über den Flugverein kann man sich Flugzeuge für ein paar Tage ausborgen und zum Beispiel ans Meer nach Italien oder Kroatien fliegen. Derartige Wochenendausflüge sind für mich die Highlights als Privatpilot. Ich bin öfters an die nördliche Adria geflogen, da ist man mit einem einmotorigen Flugzeug in zwei Stunden dort. Die meisten steuern eher in der Nähe liegende Destinationen an, aber es gibt auch Piloten, die bis nach Nizza oder sogar nach Skandinavien fliegen.
Gibt es beim Fliegen öfters brenzlige Situationen?
D. Javor: Wichtig ist die sorgfältige Flugplanung, damit man nicht in schlechtes Wetter kommt. Dann ist es eine sichere Sache. Aber natürlich gibt es immer wieder besondere Situationen, wie starker Seitenwind bei einer Landung, wo man dann das Adrenalin spürt.
Die Fliegerei verändert einen auch in diesem Sinn. Das strukturierte Denken der Piloten, vor allem auch der Umgang mit Checklisten, das sollte auch auch in der Medizin Standard sein. Ich vergleiche meine Arbeit sehr oft mit den Aufgaben im Cockpit; zum Beispiel, wenn ich einen interventionellen Eingriff in der Angiografie durchführe, da gibt es viele Parallelen. Es gibt in der Luftfahrt beispielsweise auch das „blame-free reporting system“, d.h., jeder Pilot kann in einer Datenbank Situationen schildern, in denen Fehler passiert sind, damit andere daraus lernen können. Das wollen wir mittlerweile auch in der Medizin so haben, zum Beispiel mit Konferenzen, in denen Fälle besprochen werden, die nicht so optimal gelaufen sind. Man hat auch in der Medizin erkannt: Es geht dabei nicht um Schuldzuweisung, sondern ums Lernen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Bericht:
Mag. Andrea Fallent
Definition Flugmedizin und flugmedizinische Sachverständige
Grundlage der Flugmedizin ist es, dass Angehörige des Luftfahrtpersonals in regelmäßigen Abständen ihre physische und psychische Eignung zur Ausübung der Berechtigungen aus ihren Lizenzen zu überprüfen haben. Die Austro Control ist gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 in Verbindung mit den einschlägigen Bestimmungen des Luftfahrtgesetzes die zuständige Behörde für den Bereich Flugmedizin.
Ein flugmedizinischer Sachverständiger (Aeromedical Examiner – AME) ist ein Arzt, der von der zuständigen Behörde (in Österreich: Austro Control GmbH) zur Durchführung flugmedizinischer Tauglichkeitsuntersuchungen und zur Ausstellung flugmedizinischer Tauglichkeitszeugnisse für Luftfahrtpersonal (Piloten, Flugverkehrsleiter und Flugbegleiter) autorisiert ist.
Flugmedizinische Sachverständige tragen wesentlich zur Sicherheit in der Luftfahrt bei und sind für die physische und psychische Tauglichkeitsbeurteilung verantwortlich. Sie berechtigen einen Piloten, Flugverkehrsleiter oder Flugbegleiter mittels Ausstellung eines entsprechenden flugmedizinischen Tauglichkeitszeugnisses, seine mit der Lizenz verbundenen Berechtigungen und Rechte auszuüben.
Die Tätigkeit als flugmedizinischer Sachverständiger erfordert spezielle Kenntnisse über die außerordentlichen Bedingungen, denen der menschliche Organismus während eines Fluges oder im Rahmen der Tätigkeit als Flugverkehrsleiter ausgesetzt ist. Die Voraussetzungen für bzw. die Anforderungen an Bewerber oder Inhaber eines Zertifikates als autorisierter flugmedizinischer Sachverständiger stehen in der Aircrew Regulation (VO [EU] Nr. 1178/2011, erweitert durch VO [EU] Nr. 290/2012).
Österreichische Akademie für Flugmedizin
Die Österreichische Akademie für Flugmedizin hat es sich zur Aufgabe gemacht, hochqualitative Ausbildungslehrgänge für flugmedizinische Sachverständige sowie akkreditierte flugmedizinische Fachärzte anzubieten. Die Lehrgänge in Flugmedizin entsprechen zur Gänze den Anforderungen der EU-rechtlichen Bestimmungen und werden von der zuständigen Behörde, Austro Control GmbH, als solche genehmigt.
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