„Wir sitzen auf den Schultern von Giganten“
Fett als Wunderwaffe in der plastischen Chirurgie ist seit etwa 120 Jahren bekannt, geriet in Vergessenheit und wurde vor 30 Jahren wieder ausgegraben. Seit einigen Jahren nehmen Lipofillings in diversen Bereichen, nicht nur im ästhetischen, zu. Auf der heurigen Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC) im September in St. Veit an der Glan wurde dieser Thematik genügend Raum gewidmet.
Zeitreise Fetttransfer
Univ.-Prof. Dr. Matthias Rab, Leiter der Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie am Klinikum Klagenfurt/Wörthersee, umriss die Geschichte des Fetttransfers von gestern über heute bis morgen. Er betonte, dass die Forschung trotz Covid-19 im Fluss sei. Die Bandbreite des Einsatzes von freien Fetttransfers in der plastischen Chirurgie sei immens und die Möglichkeiten vielfältig, so Prof. Rab in seiner KeynoteLecture anlässlich der ÖGPÄRC-Jahrestagung. Er verwies auf die geschichtliche Entwicklung der Methode und spannte den Bogen zu den aktuellen Einsatzmöglichkeiten.
Indikationen sind Formkorrektur und Rekonstruktion der weiblichen und männlichen Brust, Behandlung von Kapselkontrakturen bei liegenden Brustimplantaten, Rekonstruktion von Thoraxwanddeformitäten, Volumenkorrektur von Weichteildefiziten, Rejuvenation des Gesichtes, Auflösung oder Behandlung der schmerzhaften Rhizarthrose oder Fingerkontraktur bei Morbus Dupuytren. Auch Narbenkorrekturen, die Behandlung des schmerzhaften Neuroms oder die Neuropathie zählen zu den Indikationen für ein Lipofilling. Spätestens seit der Veröffentlichung der mittlerweile zu Standardwerken der plastischen Chirurgie zählenden Bücher „Structural Fat Grafting“ (2004) und „Fat Injection:From Filling to Regeneration“ (2009) durch Sydney R. Coleman und Riccardo F. Mazzola erlebt der freie Fetttransfer in der plastischen Chirurgie eine Renaissance. Schon 1906 beschrieb der Berliner Chirurg Prof. Dr. Eugen Holländer die Transplantation von Fett. Dieses Fett wurde zumeist aus Hernien oder Lipomen gewonnen, da die Methoden der Liposuktion noch nicht etabliert waren. Weiterentwickelt wurde die Idee der Fetttransplantation vom deutschen Chirurgen Erich Lexer 1919. Danach schien die Fetttransplantation aufgrund der unbefriedigenden Take-Raten in Vergessenheit zu geraten.
Mit der Verbesserung der Methoden zur Fettabsaugung und -bereitstellung zur Infiltration erhielt die Idee zum Einsatz von Fett in den 1990er-Jahren wieder mehr Bedeutung. Mit der Zunahme des Indikationsspektrums erlebe die freie Fetttransplantation einen regelrechten Boom in der plastischen Chirurgie, der sich auch in der Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen niederschlage, führte Prof. Rab aus und zitierte Isaac Newton: „Wir sitzen auf den Schultern von Giganten“ – machen wir uns das bewusst. „Wir müssen junge Kollegen motivieren, die in Vergessenheit geratene Technik des Fetttransfers zu berücksichtigen und in ihr Portfolio aufzunehmen.
„Wir wollen es da nicht haben und dorthin transferieren“
Klingt einfach, ist es aber nicht. Viele Fragen sind offen, das Thema bietet Raum zur Diskussion. Seitdem Fett durch Liposuktion gewonnen und schonend aufbereitet werden könne, sei in gutem Wundbett mit einer 60–70%igen Aufnahme zu rechnen, sagte Rab. Wichtig sei nach dem Fetttransfer vor allem die Nachsorge. So dürfen keine Kompressionsverbände an der augmentierten Stelle angelegt werden, denn das Fett soll angenommen werden. Zur Verfügung stehen sogar spezielle nicht drückende BHs nach Lipofilling an der Brust. Kompressionswäsche soll nur an der abgesaugten Stelle für 6–8 Wochen getragen werden; über diesen Unterschied muss der Patient präoperativ explizit aufgeklärt werden, um gute Ergebnisse zu erzielen. Für die Rejuvenation verwendet Rab zumeist Mikro- und Nanofett; mit dünneren Kanülen hofft er, Stammzellen und kleine Fettzellen zu implantieren. In kurzen Bewegungen wird das Fett fächerförmig im Mittelgesichtsbereich appliziert, auch die Zornesfalte kann mit Eigenfett behandelt werden.
Wohin geht die Reise?
Drei wichtige Punkte hob Rab hervor: „Wir wollen die Take-Rate auf über 90% erhöhen, wir müssen unbedingt abschätzen können, wie das Fett angenommen wird und ob die Überkorrektur überhaupt Sinn macht.“ Eine zweite offene Frage kreist darum, wie die Transfer-Volumina in einem Vorgang erhöht werden können, und die dritte Frage dreht sich um die Detektion: Wo sind mehr Stammzellen zu finden, wo sind kleinere und wo größere Fettzellen vorhanden? In diesem Punkt sei noch viel zu forschen, meinte Rab. Seit 2016 ist bekannt, dass Plasma als Carrier die Take-Rate erhöht. Eine weitere Herausforderung ist die Frage nach der idealen Donor-Site. Momentan sind keine signifikanten Unterschiede bei den unterschiedlichen Entnahmestellen feststellbar. Ein Element der Zukunft sieht Prof. Rab in Brustscaffolds aus Kohlenhydratverbindungen, die mit Fettzellen beschichtet sind: „Ich brauche kein Horoskop und keine Kristallkugel, um klar zu sagen, dass wir in 20 Jahren kaum mehr Silikonimplantate zur Brustaugmentation verwenden werden.“ Es seien noch viele Fragen offen und es sei wichtig zu erkennen, dass schon vieles gezeigt wurde, schloss Rab seine Key-note Lecture.
Lipofilling im Gesicht
Univ.-Prof. Dr. Gottfried Wechselberger, Leiter der Abteilung für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Salzburg, berichtete über Lipofillings im Gesicht bei 32 Patienten. Es handelt sich um eine minimalinvasive Methode zur Auffüllung von Volumendefiziten mit körpereigenem Material. Die Entwicklung der Liposuktion als effiziente atraumatische Fettgewinnung in den 1980er-Jahren könne als Wegbereiter und Motor für das Lipofilling betrachtet werden, meinte Wechselberger.
Von 2008 bis Anfang 2020 erfolgten 763 Lipofillings an der Abteilung für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, wobei 57 Eingriffe am Gesicht bei 33 Patienten (7 Männer und 26 Frauen) mit einem Altersdurchschnitt von 47,5 Jahren (10–78) durchgeführt wurden. Gewonnen wurde das Fett in den meisten Fällen aus dem Abdomen, 3x aus dem Oberschenkel und 1x aus dem Nacken. Ästhetische Indikationen lagen bei 11 Patienten vor, ansonsten handelte es sich in 8 Fällen um Narben, einen Hundebiss, einen Säbelschmiss, eine Kraniotomie, eine Combustio, ein Parry-Romberg-Syndrom und in 2 Fällen um den Status post Zahn-OP, 2x um eine HIV(Humanes Immundefizienz-Virus)-Lipodystrophie und 3x um ein Schädel-Hirn-Trauma. Die Patienten wurden in 1–5 Sitzungen behandelt, es zeigte sich eine hohe Patientenzufriedenheit mit langfristig stabilen Ergebnissen, die Komplikationsrate betrug erfreulicherweise null. Die Injektionsmenge betrug durchschnittlich 11,8ml (2–60ml), bei der Liposuktion wurden im Durchschnitt 57ml gewonnen (5–1000ml).
Zur Diskussion stellte Wechselberger die Frage nach der Antibiose, die bei seinen Patienten mindestens 5 Tage per os vorsah. Möglicherweise sei eine „Singleshot“-Antibiose postoperativ ausreichend oder es könne gänzlich darauf verzichtet werden. Ein weiterer Diskussionspunkt drehte sich um die Aufbereitung des Fettes per se: Soll man das Material zentrifugieren, abstehen lassen oder in NaCl oder Ringerlösung waschen? Hier gibt es divergierende Literatur in Bezug auf das Anwachsen des Fettes, auch die Zugabe von plättchenreichem Plasma (PRP) könnte die Resultate optimieren. Auch gibt es verschiedene Theorien hinsichtlich der Kanülengröße bei der Liposuktion. Eine 2mm-Kanüle könnte möglicherweise feineres Fett als eine 3mm-Kanüle gewinnen. Wechselberger sieht das jedoch als wenig bedeutsam.
Sein Fazit lautete: Lipofilling stellt ein sicheres Verfahren zur Behandlung von Konturdeformitäten im Gesicht verschiedenen Ursprungs dar. In wenigen Sitzungen sind konstant langfristige Ergebnisse bei hoher Patientenzufriedenheit zu erzielen.
Bericht:
Dr. Christine Dominkus
Quelle:
58. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC), 17.–19.9.2020, St. Veit/an der Glan
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