Auf dem Weg zu einer personalisierten Therapie des Typ-2-Diabetes
Bericht:
Reno Barth
Typ-2-Diabetes (T2D) ist eine heterogene Erkrankung mit unterschiedlichen Phänotypen, deren Hintergründe auf Ebene diverser „Omics“ aktuell intensiv beforscht werden. „Omics“ sind ein wichtiger Ansatzpunkt für personalisierte Gesundheit und basieren auf großen Datenmengen. Sie lassen Rückschlüsse auf Krankheiten und Prädispositionen zu. Auf Basis einfacher klinischer Parameter lässt sich nun auch ein besseres oder schlechteres Ansprechen auf die einzelnen antidiabetischen Substanzgruppen vorhersagen und so eine individualisierte Therapie planen.
Keypoints
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T2D ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern kann sich mit unterschiedlichen Phänotypen präsentieren.
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Studiendaten zeigen erhebliche Unterschiede beim individuellen Ansprechen auf konkrete Medikamentengruppen.
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Eine britische Gruppe arbeitet an einem Prädiktionsmodell zur individualisierten Wahl des optimal geeigneten Medikaments.
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Erste publizierte Daten zeigen klinisch relevante Vorteile in der Blutzuckerkontrolle bei individualisierter Verschreibung von antidiabetischen Therapien.
Eine Personalisierung des Diabetesmanagements kann simpel sein, wenn sie sich an einfachen klinischen und patientenbezogenen Daten orientiert. Diese Daten können den Weg zu einer optimal wirksamen medikamentösen Therapie weisen, wozu es aber nicht erforderlich ist, Typ-2-Diabetes in unterschiedliche Krankheiten zu unterteilen oder neu zu klassifizieren. Anhand individueller klinischer Eigenschaften sei es möglich, vorherzusagen, wer auf welche Gruppe von Antidiabetika am besten ansprechen wird. „Auf diesem Weg können Spätkomplikationen ebenso wie langfristiges Therapieversagen reduziert werden“, so Prof. Dr. John Dennis, University of Exeter, Großbritannien. In verschiedenen klinischen Studien gibt es starke individuelle Schwankungen im Ansprechen auf einzelne Antidiabetika. Hinter diesen Schwankungen stehen zum einen die große Bandbreite pathophysiologischer Charakteristika des T2D und zum anderen die mittlerweile große Auswahl antihyperglykämischer Medikamente mit zahlreichen unterschiedlichen Wirkmechanismen.
Frauen sprechen besser auf Glitazone an als Männer
Die klinische Relevanz zeigten Analysen der ADOPT-Studie, die in Subpopulationen ein sehr unterschiedliches Ansprechen auf unterschiedliche Medikamentengruppen fand. So erreichten Männer mit einem BMI von <30 mit Sulfonylharnstoffen zumindest über die ersten drei Jahre eine bessere glykämische Kontrolle als unter Glitazonen. Im Gegensatz dazu reagierten Frauen mit einem BMI >30 geradezu katastrophal auf Sulfonylharnstoffe mit zunehmendem Wirkverlust bereits nach wenigen Monaten. In dieser Gruppe wurde jedoch mit Glitazonen ein gutes und über fünf Jahre weitgehend stabiles Ansprechen beobachtet.1
„Seitdem konnten wir sowohl in Analysen klinischer Studien als auch anhand von Beobachtungsstudien zeigen, dass leicht zu erhebende klinische Eigenschaften das Ansprechen auf praktisch alle Substanzklassen beeinflussen“, so Dennis. Diese Beobachtungen führten zur Planung der TriMaster-Studie, der ersten klinischen Studie, die Präzisionsmedizin im Management von T2D untersuchte, wobei darin drei im Jahr 2022 verfügbare orale Therapieoptionen berücksichtigt wurden. Die TriMaster-Studie war eine Cross-over-Studie, in der die Probanden randomisiert nacheinander mit Pioglitazon, einem DPP-4-Inhibitor (DPP-4-I) und einem SGLT2-Inhibitor(SGLT2-I) behandelt wurden. Ergebnis war in der Subpopulation mit einem BMI<30 ein Vorteil für DPP-4-I, während bei einem BMI>30 Glitazone besser wirksam waren. Die Differenz zwischen den Subgruppen machte beinahe 3% HbA1caus.Der Vergleich zwischen DPP-4-I und SGLT2-I ergab für Ersteren eine stärkere HbA1c-Senkung bei Personen mit leicht eingeschränkter Nierenfunktion, während bei einer eGFR über 90ml/min/1,73m2 der SGLT2-I den deutlicheren Effekt auf den HbA1c-Wert hatte (Abb.1).2
Abb. 1: TriMaster-Cross-over-Studie: Die Nierenfunktion beeinflusst das glykämische Ansprechen auf SGLT2-I im Vergleich zu DPP-4-I (nach Shields BM et al. 2023)2
In der Folge zeigte sich jedoch, dass eine so einfache Subtypisierung der Situation nicht gerecht wird und weitere Parameter wie Alter, Geschlecht und Diabetesdauer ebenfalls die Therapieergebnisse beeinflussen. Daher wurde in einem nächsten Schritt ein Prädiktionsmodell entwickelt, das anhand von fünf Parametern (Alter, HbA1c, BMI, eGFR und ALT) die Entscheidung zwischen SGLT2-I und DPP-4-I unterstützen soll. Das Modell wurde anhand von Beobachtungsdaten entwickelt und anschließend in Analysen klinischer Studien mit aktiven Vergleichsgruppen validiert. Anhand der fünf Parameter kann das Modell vorhersagen, wieviel HbA1c-Reduktion bei individuellen Patienten mit einer der beiden Substanzgruppen zu erwarten ist.3 „Eine weitere Validierung, die auch stärker auf den ethnischen Hintergrund der Patienten Rücksicht nimmt, befindet sich aktuell im Publikationsprozess und liefert durchaus relevante Ergebnisse“, so der Experte. Beispielsweise zeige sich, dass in Populationen ohne weisse Hautfarbe DPP-4-I im relativen Verhältnis besser abschneiden.
Studiendaten zeigen erhebliche Unterschiede beim individuellen Ansprechen auf konkrete Medikamentengruppen
Publikation von Prädiktionsmodell für Substanzklassen
Derzeit wird das Prädiktionsmodell auf fünf Medikamentengruppen erweitert. Zu SGLT2-I und DPP-4-I kommen dabei noch GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA), Pioglitazon und die Sulfonylharnstoffe hinzu. Die Liste der Parameter wurde um Geschlecht, HDL-Cholesterin, Gesamtcholesterin und Diabetesdauer auf neun erweitert. „Die noch nicht publizierte Studie zeigt einen hohen Prädiktionswert des Modells“, so Dennis. Wird das Antidiabetikum eingesetzt, das laut dem Modell als ideal empfohlen wird, so beträgt der Vorteil gegenüber einer ungünstigen Wahl ein um 5mmol/mol (2,6%) niedrigeres HbA1c nach 12-monatiger Behandlung. „Wendet man die Ergebnisse unseres Modells auf die derzeitige Therapiesituation an, so sieht man, dass aktuell in Großbritannien nur rund 20% der Patienten initial die optimale Therapie erhalten“, unterstreicht der Experte. Interessanterweise empfiehlt das Modell für rund ein Viertel der Patienten die oft als obsolet eingeschätzten Sulfonylharnstoffe. GLP-1-RA und SGLT2-I sind die beiden übrigen Substanzgruppen, von denen große Patientengruppen profitieren, während Pioglitazon und DPP-4-I in viel selteneren Fällen als erste Wahl eingeschätzt werden. Das Geschlecht bedeutet einen wesentlichen Unterschied. So profitieren fast 75% der Frauen am meisten von GLP-1-RA, während bei Männern SGLT2-I und Sulfonylharnstoffe bessere Erfolgsaussichten versprechen.
Quelle:
„… help choose the best treatment?“, Vortrag von Prof. Dr. John Dennis; präsentiert am EASD-Kongress am 13.September 2024 in Madrid
Literatur:
1 Dennis JM et al.: Sex and BMI alter the benefits and risks of sulfonylureas and thiazolidinediones in type 2 diabetes: a framework for evaluating stratification using routine clinical and individual trial data. Diabetes Care 2018; 41(9): 1844-53 2 Shields BM et al.: Patient stratification for determining optimal second-line and third-line therapy for type 2 diabetes: the TriMaster study. Nat Med 2023; 29(2): 376-83 3 Dennis JM et al.: Development of a treatment selection algorithm for SGLT2 and DPP-4 inhibitor therapies in people with type 2 diabetes: a retrospective cohort study. Lancet Digit Health 2022; 4(12): e873-83
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