© Dr. Mahmoud Abdellatif

„Insulin-like growth factor I“ (IGF-1)

Schlüssel zu verlangsamter Herzalterung?

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache weltweit. Ein Forschungsteam an der Medizinischen Universität Graz hat entdeckt, dass der Insulin-ähnliche Wachstumsfaktor 1 oder kurz IGF-1 eine entscheidende Rolle im Alterungsprozess des Herzens spielt.

Keypoints

  • Eine erhöhte IGF-1-Signalaktivität im Herzen kann einerseits zu einer schnelleren Verschlechterung der Herzfunktion und andererseits zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen.

  • Eine niedrige IGF-1-Signalaktivität im Alter verbessert einerseits die Herzfunktion und erhöht andererseits die Lebenserwartung.

  • Die Beziehung zwischen IGF-1 und der Herzgesundheit ist im Leben zweiphasig. In der Jugend wirkt sich IGF-1 positiv aus, im Alter negativ.

  • Eine pharmakologische Hemmung der IGF-1-Signalaktivität könnte zukünftig eine neue Strategie in der Prävention von altersbedingten Herzerkrankungen sein.

Das Forschungsteam um die Herzwissenschaftler Ass.-Prof. Dr. Mahmoud Abdellatif und Assoz. Prof. Dr. Simon Sedej an der Medizinischen Universität Graz hat einen Schritt zur Lösung des Rätsels, warum Herzmuskelzellen vorzeitig altern und in welcher Form sich das verhindern lässt, gemacht. Sie setzen Hoffnungen auf das Peptidhormon IGF-1 und dessen Signalweg. Bereits bekannt war, dass eine erhöhte kardiale IGF-1-Rezeptor-Aktivierung sowohl negative als auch positive Wirkung auf die Herzfunktion haben kann. Doch trotz großer Relevanz blieben diese kontroversen Ergebnisse lange ungeklärt. Das Forschungsteam untersuchte die Wirkung der IGF-1-Rezeptor-Aktivierung sowohl an jungen als auch an alten Mausherzen. Dabei kam heraus, dass eine niedrige IGF-1-Signalaktivität den kardialen Stoffwechsel und die Kontraktionskraft des alternden Herzens verbessert. Umgekehrt konnten bei Mäusen mit höherer IGF-1-Signalaktivität im Laufe des Lebens eine schnellere Verschlechterung der Herzfunktion, eine frühere Entstehung der Herzinsuffizienz und schlussendlich eine niedrigere Lebenserwartung nachgewiesen werden. Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse über die entscheidende Feinregulation des kardialen IGF-1-Signalwegs für die Prävention von Herzerkrankungen und macht große Hoffnung, dass es bald eine Behandlungsmöglichkeit gibt, um altersbedingte Herzerkrankungen zu verzögern.

Auswirkungen des Älterwerdens auf das Herz

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit noch immer die häufigste Todesursache. Wenn das Herz zu schwach ist, um den Körper ausreichend mit Blut und damit mit lebenswichtigen Nährstoffen sowie Sauerstoff zu versorgen, besteht eine Herzmuskelschwäche (oder Herzinsuffizienz). In Österreich sind derzeit rund 160000 Menschen von chronischer Herzschwäche mit stetig steigender Prävalenz aufgrund der höheren Lebenserwartung betroffen. Das Herz und seine Anpassungsfähigkeiten verändern sich mit zunehmendem Alter. Viele Veränderungen sind auf Herzerkrankungen zurückzuführen, die mit steigendem Alter häufiger werden. Andere Veränderungen sind auf das Älterwerden selbst zurückzuführen. Im Alter vergrößert sich das Herz, die Herzwände verdicken sich (Hypertrophie) und die Kammern werden größer (Dilatation). Diese Größenzunahme beruht hauptsächlich darauf, dass sich die einzelnen Herzmuskelzellen vergrößern. Wegen der durch die verdickten Herzwände bedingten Versteifung können sich die Kammern vor jeder Pumpaktion des Ventrikels nicht mehr ausreichend mit Blut füllen. Die altersbedingte Versteifung der Herzwände führt daher auch dazu, dass sich der linke Ventrikel nicht mehr gut füllt, was eine Herzinsuffizienz verursachen kann. Klinische und experimentelle Untersuchungen belegen, dass das als Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor 1 bekannte Peptidhormon IGF-1 im Herzen eine wesentliche Rolle in der Regulation des Wachstums, der Kontraktionskraft des Herzens und dem Stoffwechsel spielt. Seine Wirkung kann IGF-1 über membranständige IGF-1-Rezeptoren entfalten, die in fast allen Geweben und den meisten Zelltypen nachweisbar sind. Darüber hinaus scheint IGF-1 auch für alterungsbedingte Funktionseinschränkungen des Herzens verantwortlich zu sein. Bei Herzversagen wird oft eine erhöhte Aktivität des IGF-1-Rezeptors nachgewiesen.

Das Rätsel hinter IGF-1

Bisherige experimentelle Studien haben gezeigt, dass eine erhöhte IGF-1-Rezeptoraktivierung im Herz sowohl eine negative als auch eine positive Wirkung auf die Herzfunktion ausüben kann. Trotz großer Relevanz des kardialen IGF-1-Signalwegs für die Herzfunktion blieben diese kontroversen Ergebnisse lange ungeklärt. Um die Folgen von erhöhter oder niedriger IGF-1-Rezeptor-Aktivierung im Laufe eines Lebens zu analysieren, wurden in dieser Studie zwei Mausmodelle erforscht, die eine erhöhte bzw. eine niedrige IGF-1-Signalaktivität im Herz aufwiesen. So konnten direkt verglichen werden, wie sich Veränderungen der normalen IGF-1-Signalaktivität auf die Herzfunktion im Verlauf des Lebens auswirken.

Die zweischneidige Wirkung der IGF-1-Signalaktivität

Überexpression des IGF-1-Rezeptors in den Kardiomyozyten von Mäusen führt zu einer physiologischen Hypertrophie und einer besseren Herzfunktion in jungen Jahren, die sich aber im Laufe des Lebens schneller verschlechtert als bei normalen („wild-type“) Mäusen (Abb. 1). So kommt es früher zu Herzinsuffizienz und schlussendlich zu einer niedrigeren Lebenserwartung. Die jungen Mäuse mit reduzierter IGF-1-Signalaktivität haben hingegen anfangs eine schlechtere Herzfunktion, die sich im Alter aber verbessert und zu einer höheren Lebenserwartung beiträgt. Die Beziehung zwischen der IGF-1-Signalübertragung und der Herzgesundheit ist daher nicht linear, sondern eher zweiphasig. Daher könnte eine pharmakologische Hemmung des IGF-1-Signalwegs – obwohl für junge Menschen ungeeignet – bei älteren Menschen die altersbedingte Verschlechterung der Herzleistung unterdrücken und eine Überlegung hinsichtlich neuer therapeutischer Strategien wert sein.

Abb. 1: Repräsentative Bilder von „wild-type“ (WT) und IGF-1-transgenen Mäusen in Jugend und Alter. Es zeigt sich ein deutlicher Unterschied im Herzmuskelwachstum und in der Struktur zwischen den beiden Gruppen über die Lebensspanne (Quelle: Abdellatif M et al.: Circulation 2022)

Mechanistisch gesehen verstärkt eine hohe IGF-1-Rezeptor(IGF-1-R)-Signalaktivität in den Kardiomyozyten die kardiale Dysfunktion durch eine Verringerung der Autophagie und die verminderte oxidative Kapazität der Mitochondrien im Alter. Eine pharmakologische Hemmung der kardialen IGF-1-R-Signalaktivität im späten Leben könnte die altersbedingte Verschlechterung der kardialen Leistung unterdrücken und möglicherweise die Lebensspanne verlängern. Kurz zusammengefasst: Hohe IGF-1-Signalaktivität im Herzen wirkt sich im Mausmodell positiv auf das Herzmuskelwachstum, die Kontraktionskraft und den Stoffwechsel in der Jugend aus. Im Alter hingegen ist eine niedrigere IGF-1-Signalaktivität im Herz für Herzfunktion und erhöhte Lebenserwartung vorteilhafter (Abb. 2).

Abb. 2: Grafische Verdeutlichung der Rolle der IGF-1-Signalaktivität in Kardiomyozyten zur Regulation der Herzgesundheit im Laufe des Lebens. Die zweiphasige Wirkung von IGF-1 auf das Herz wird verdeutlicht: förderlich in der Jugend, jedoch schädlich im Alter (Quelle: Abdellatif M et al.: Circulation 2022)

Zukunftsausblick

Die vorliegende Arbeit klärt die bisherigen kontroversen Ergebnisse und liefert wichtige Hinweise auf mögliche Ursachen für die Entstehung von Herzinsuffizienz im fortgeschrittenen Alter, die weiter erforscht werden sollten. Diese Studie bringt wichtige Erkenntnisse über die entscheidende Rolle der Feinregulation des kardialen IGF-1-Signalwegs: einerseits betreffend seine Vorteile während der frühen Lebensphasen und andererseits, um schädliche Auswirkungen auf den alternden Herzmuskel zu vermeiden. Damit eröffnet diese Arbeit Perspektiven für die Therapie von altersbedingten Herzerkrankungen und legt einen wesentlichen Grundstein für zukünftige Studien. Diese werden zeigen, ob pharmakologische Inhibitoren des IGF-1-Signalwegs, die derzeit in der Krebstherapie eingesetzt werden, altersbedingte Herzerkrankungen verhindern könnten.

Abdellatif M et al.: Hallmarks of cardiovascular ageing. Nat Rev Cardiol 2023; 20(11): 754-77 Abdellatif M et al.: Fine-tuning cardiac Insulin-like growth factor 1 receptor signaling to promote health and longevity. Circulation 2022; 145(25): 1853-66

Back to top