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Leben mit Diabetes – wenn Therapieadhärenz manchmal schwierig wird
Jatros
Autor:
Ing. Dr. rer. nat. Angelika Heißl, MSc
Postdoc Researcher – Genetics – JKU Linz<br> Vorstandsmitglied der Österreichischen Diabetikervereinigung (ÖDV)<br> E-Mail: angelika.heissl@gmail.com
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Diabetes mellitus erfordert ein hohes Maß an Wissen, Disziplin und Motivation von den Betroffenen und deren Angehörigen. Nicht immer ist das ganz einfach machbar und stößt oft auf Ablehnung und Unverständnis. Die Faktoren, welche die Adhärenz beeinflussen, sind vielfältig und oftmals schwierig selbst zu steuern. In den meisten Fällen ist es nicht nur der Diabetes selbst, der einem das Leben schwer macht, sondern eine Kombination aus den Lebensumständen, dem sozialen Umfeld und Arbeitsplatz sowie der Arzt-Patienten- Beziehung und der Therapie selbst.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Therapie ist wichtig, dennoch sollte der Patient selbst im Mittelpunkt stehen.</li> <li>Die direkte Arzt-Patienten-Beziehung ist ein großer Erfolgsfaktor.</li> <li>Das Umfeld des Patienten einzubeziehen ist sehr wichtig.</li> <li>Auch Verständnis am Arbeitsplatz oder in der Schule beeinflusst das Ergebnis positiv.</li> </ul> </div> <h2>Der Patient im Mittelpunkt</h2> <p>Die Diagnose Diabetes trifft einen wie ein heftiger Schlag mitten ins Gesicht, gefolgt von Gefühlen wie Überforderung und Verunsicherung. Viele überfällt der Gedanke, das Leben würde hier an diesem Punkt enden. Umso wichtiger ist es, die Betroffenen und deren Angehörige in einem sicheren Netz aufzufangen und ihnen Verständnis für ihre berechtigten Sorgen entgegen zu bringen, damit sie schneller wieder ins Leben zurückfinden.<br /> Ziehen die Jahre mit Diabetes dann ins Land, stellt sich die tägliche Routine ein und plötzlich steht man vor einer neuen Herausforderung: Welche Ziele setze ich mir für meine Diabetestherapie? Denn am Ende wartet im Gegensatz zu einer abgeschlossenen Ausbildung oder einem lang ersehnten Traumhaus kein wirklich „fassbares“ Ziel. So ist die Senkung des HbA<sub>1c</sub>- Wertes alleine keine langfristige Motivation, aber die Verbesserung der Stoffwechseleinstellung, um einen Berg erklimmen zu können, oder die Familienplanung in Angriff nehmen zu können, sehr wohl.<br /> Sich gemeinsam mit der Familie, dem Arzt oder dem Diabetesberater persönliche Ziele zu setzen, macht es einfacher, diese zu verfolgen, und stellt den Menschen und nicht den Diabetes in den Mittelpunkt.<br /> Tipp: Versuchen Sie den Patienten direkt nach der Diagnose aufzufangen und Ängste zu beseitigen, um von Anfang an keine Hürden aufzubauen!</p> <h2>Die Arzt-Patienten-Beziehung</h2> <p>Als Diabetespatient verbringt man nahezu 99 % der Zeit eines Jahres mit der Therapie auf sich alleine gestellt und nur wenige Minuten stehen mit dem Arzt gemeinsam zur Festlegung der Therapieziele zur Verfügung. Diese kurze Zeit muss dann mit möglichst vielen Inhalten vollgepackt werden. So bleibt dem Patienten nur wenig Zeit, um seine Lebenssituation zu schildern, welche die Therapie maßgeblich beeinflusst. Wenn dann noch ständig wechselnde Arzt-Patienten-Beziehungen, wie in großen Ambulanzen üblich, hinzukommen, stellt sich Frustration schon bald auf beiden Seiten ein. Der Arzt empfindet, dass der Patient nicht mitarbeiten will und seine Zeit womöglich vergeudet wird, und der Patient fühlt sich unverstanden und vernachlässigt.<br />Um den bestmöglichen Erfolg im Diabetesmanagement zu erzielen und auf einer Ebene arbeiten zu können, muss viel mehr Wert auf Trainings- und Schulungskonzepte (Empowerment) gelegt werden. Somit wandelt sich die Rolle des Arztes und Diabetesberater vom Entscheidungsträger zum Coach und Begleiter.<br />Tipp: Zwischen Arzt und Patient soll sich, obwohl der Partner nicht freiwillig gewählt wurde, eine Beziehung ausbilden. Patienten wollen nicht von einer Begegnung zur nächsten gereicht werden!</p> <h2>Deine optimale Therapie muss nicht gleich meine Therapie sein</h2> <p>Wie schön wäre es für den Arzt, Therapien nach Lehrbuch zu verordnen. Allerdings ist nicht jede Therapie für jeden Patienten alltagstauglich. So kann sich ein junger Mann vielleicht keine Insulinpumpe vorstellen, für einen anderen ist sie aber gar nicht mehr wegzudenken. Vor allem wenn noch zusätzliche Erkrankungen bestehen und andere Medikamente vielleicht zu unterschiedlichen Zeiten eingenommen werden müssen, ist es wichtig, die Therapie so einfach wie möglich zu gestalten. Bis vor wenigen Jahren konnte man mit Diabetes unerkannt leben. Mit den neuen CGM/FGM-Systemen wird man gelegentlich mehrmals täglich darauf angesprochen, „was denn da am Arm klebt“. Nicht jeder kann mit seiner Erkrankung offen umgehen und so kann dies schnell zur Belastung werden.<br />Auch wenn aus Sicht des Arztes bessere Therapieformen bestehen würden, sollte man die Wünsche des Patienten berücksichtigen. Verständnis und Einfühlungsvermögen sind hier der Schlüssel zum Erfolg.<br />Tipp: Versuchen Sie sich doch hineinzufühlen, wie es ist, täglich mit einer Therapieform konfrontiert zu sein, die man sich nicht selbst aussuchen durfte!</p> <h2>Raum für Diabetes am Arbeitsplatz</h2> <p>Ein großes, meist viel zu wenig beachtetes Thema sind Kindergarten, Schule und Arbeitsplatz. Diabetes kann in allen Lebenslagen zur Ausgrenzung führen. Vom Ausschluss aus dem Kindergarten, einer verwehrten Teilnahme an einem Schulschikurs über die oft diskutierte Führerscheinproblematik bis hin zur Absage nach einer Jobbewerbung: Die Vorurteilsliste gegenüber Diabetespatienten ist lang und oft nicht nachvollziehbar. Zurücksetzung und Ausgrenzung sind ein Leben lang negativ prägend, daher muss hier dringend vonseiten der Öffentlichkeit und der Politik mehr Rückhalt gegeben werden.<br /> Es gibt aber durchaus auch sehr viele positive Beispiele: Das Diabetes-Nanny- Projekt der Österreichischen Diabetikervereinigung (ÖDV) schult und trainiert Lehrkräfte und den ganzen Klassenverband, um Ängste und Vorurteile zu beseitigen.<br /> Tipp: Versuchen Sie den Patienten zu motivieren, offen über Probleme zu sprechen und wenn nötig Hilfe bei Patientenvertretern wie der ÖDV zu suchen!</p> <h2>Das Umfeld beeinflusst mit</h2> <p>Die Diabetestherapie lässt sich häufig sehr stark über das Umfeld beeinflussen. Akzeptiert mein Partner den Diabetes, lehnt er ihn ab oder ignoriert ihn gar? Wie geht mein Partner mit dem Thema Unterzucker um? Denn je weniger sich Betroffene selbst vor dem Unterzucker fürchten, desto mehr übernimmt diese Rolle der Partner oder die Mutter bzw. der Vater. Dies ist oft eine Zerreißprobe für Beziehungen. Auch hier gilt: Gemeinsam gesteckte Ziele wie zusammen eine gesündere Ernährung zu verfolgen oder der gemeinsame tägliche Spaziergang sind viel wirksamer, als sich alleine durchzukämpfen. Der Weg zur Selbsthilfe scheint vielen nicht nötig und ist nicht einfach, doch führt sie schnell zum Erfolg. Die Stärkung, Inspiration und Motivation im Kreise der Gleichgesinnten führen zweifelsohne auch zur Verbesserung der Adhärenz.<br /> Tipp: Wenn möglich, sollte auch das Umfeld in die Therapie einbezogen werden. Gemeinsam abzunehmen, Bewegung zu machen sowie auf gesunde Ernährung zu achten macht mehr Spaß, als auf sich alleine gestellt zu sein. Selbsthilfegruppen sind dafür eine gute Anlaufstelle.</p> <h2>Der Mensch ist mehr als seine Daten</h2> <p>Die Therapietreue und Motivation zum aktiven Mitarbeiten und Verbessern des eigenen Diabetesmanagements werden oftmals durch äußerst komplexe Einflüsse bestimmt. Vor allem da der Trend immer mehr in die Richtung Technologisierung und Digitalisierung geht, macht der Patient seinen Daten Platz. Umso wichtiger ist es, wieder den Menschen und seine Bedürfnisse in den Fokus zu rücken.</p> <div id="fazit"> <h2>Factbox</h2> <ul> <li>Gemeinsam einfache und emotionale Ziele setzen</li> <li>Lob und Anerkennung aussprechen</li> <li>Patienten zum Empowerment motivieren</li> <li>Zeit für Gespräche einräumen</li> <li>Arzt-Patienten-Beziehungen anstatt ständig neuer Begegnungen aufbauen</li> <li>Wünsche und Bedürfnisse der Patienten in die Therapieform einfließen lassen</li> <li>Keine Therapieform aufzwingen, nur weil sie als die modernste und beste erscheint</li> <li>Einflüsse aus dem sozialen Umfeld, wie Kindergarten und Schule sowie Arbeitsplatz, berücksichtigen</li> <li>Das Umfeld in die Therapie miteinbeziehen</li> </ul> </div></p>
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