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Leitliniengerechte Diabetestherapie in der Praxis
Jatros
30
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04.05.2017
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<p class="article-intro">Individuelle Zielwerte, individualisierte Therapie. Das sind kurz gefasst die Vorgaben der nationalen und internationalen Guidelines zur Therapie des Typ-2- Diabetes. Praktische Hinweise für die Behandlungsstrategie im klinischen Alltag gab Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching, Wilhelminenspital der Stadt Wien, beim Wiener Diabetes-Dialog 2017.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Unverändert ist Metformin die Basistherapie des Typ-2-Diabetes.</li> <li>Aktuell sind alle Kombinationstherapien möglich, ausgenommen GLP-1-Rezeptor-Agonist/ DPP-4-Hemmer (kein Nutzen) und GLP-1-Rezeptor-Agonist/ SGLT2-Hemmer (sinnvoll, aber nicht erstattet).</li> <li>Neu ist, dass Metformin bis zu einer GFR 30ml/min eingesetzt werden kann und dass Schwangerschaft keine Kontraindikation mehr darstellt.</li> <li>Neu ist auch die Erkenntnis, dass Empagliflozin als einziges orales Antidiabetikum nachweislich das kardiovaskuläre Risiko und die Gesamtmortalität senkt.</li> </ul> </div> <p>In den letzten fünf oder sechs Jahren hat sich in der Diabetestherapie mehr verändert als in den 25 Jahren davor“, hielt Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching, Wilhelminenspital der Stadt Wien, zu Beginn seines Referats fest. Einerseits brachten die vergangenen Jahre zahlreiche neue therapeutische Optionen und damit mehr Möglichkeiten für eine individuelle Therapie. Andererseits gingen die nationalen und internationalen Fachgesellschaften weg von einer fixen HbA<sub>1c</sub>- Zielwert-Vorgabe hin zu einem individualisierten Ziel, angepasst an die Situation des Patienten.<sup>1, 2</sup> „Ziel dieser Anpassung ist die Vermeidung von Hypoglykämien. Mit den neuen Antidiabetika sehen wir Hypoglykämien in weit geringerem Ausmaß als früher. Von den uns zur Verfügung stehenden Substanzen lösen nur Insuline, Sulfonylharnstoffe und Glinide Hypoglykämien aus“, sagte Fasching.</p> <h2>Individuelles HbA<sub>1c</sub>-Ziel nach Risikosituation</h2> <p>Heute gilt nicht mehr ein HbA<sub>1c</sub>-Ziel für alle Patienten, sondern das HbA<sub>1c</sub>-Ziel wird individuell auf Basis von Diabetesdauer, Lebenserwartung, Komorbiditäten und Hypoglykämierisiko festgelegt:<sup>1</sup></p> <ul> <li>HbA<sub>1c</sub> 6,0–6,5 % kann sinnvoll sein bei kurzer Diabetesdauer, langer Lebenserwartung und wenn keine relevanten kardiovaskulären Komorbiditäten vorliegen. „Wir versuchen, junge Patienten ohne Komorbiditäten möglichst stringent einzustellen“, sagte Fasching.</li> <li>HbA<sub>1c</sub> =7 % kann ausreichend sein, wenn ein HbA<sub>1c</sub> von 6,0–6,5 % nicht komplikationslos und nicht ohne hohes Hypoglykämierisiko erreicht werden kann.</li> <li>HbA<sub>1c</sub> =8 % kann als ausreichend erachtet werden bei Patienten mit schweren Hypoglykämien in der Vorgeschichte, eingeschränkter Lebenserwartung und multiplen Spätkomplikationen (ÖDG-Leitlinie 2016).<sup>1</sup></li> </ul> <p>Sekundäre Richtgrößen sind die Nüchternblutglukose (<130mg/dl, ideal: <100mg/dl) und die postprandiale Blutglukose (2 Stunden nach einer Mahlzeit max. 180mg/dl).</p> <h2>Therapiestrategie je nach Ausgangs-HbA<sub>1c</sub></h2> <p>Ein konkreter Algorithmus für das antidiabetische Regime, das eine klare Abfolge der Substanzen festlegt, fehlt in allen aktuellen Leitlinien. Die US-amerikanische Gesellschaft für Endokrinologie schlägt einen Behandlungspfad vor, der das Hypoglykämierisiko und den Einfluss der einzelnen Substanzen auf Gewicht, Nierenfunktion, Gastrointestinaltrakt, Herzinsuffizienz, Atherosklerose und Knochenstoffwechsel berücksichtigt und je nach Ausgangs-HbA<sub>1c</sub> eine Monotherapie (<7,5 % ) oder gleich eine Dual- (=7,5 % ) oder Tripeltherapie vorsieht (>9 % ).3 „Aber auch diese Leitlinie überlässt die Zusammenstellung der Therapie weitgehend dem behandelnden Arzt“, erläuterte Fasching.<br /> Auch die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) empfiehlt einen Therapiebeginn unter Berücksichtigung des HbA<sub>1c</sub>-Ausgangswerts.<sup>1</sup></p> <ul> <li>Ausgangs-HbA<sub>1c</sub> 6–6,5 % : Im prädiabetischen Stadium ist eine Lebensstilintervention indiziert. „Studien zeigen, dass Metformin bei jungen, übergewichtigen Patienten einen Vorteil bringen kann. Pioglitazon zögert möglicherweise die Manifestation des Diabetes hinaus. Es stellt sich aber die Frage, ob man im Vorstadium bereits medikamentös behandeln soll. Das wäre nur sinnvoll, wenn man damit Spätschäden verhindern kann“, sagte Fasching.</li> <li>Ausgangs-HbA<sub>1c</sub> 6,5–9,0 % : Medikamentöse Basistherapie des manifesten Typ-2-Diabetes ist weiterhin Metformin.<sup>1</sup> Wird der HbA<sub>1c</sub>-Zielwert nach 3–6 Monaten nicht erreicht, wird ein zweites Antidiabetikum hinzukombiniert.</li> <li>Bei einem Ausgangs-HbA<sub>1c</sub> >9,0 % ist bereits initial eine Kombinationstherapie mit Metformin indiziert. Bei unzureichender Wirksamkeit werden weitere Antidiabetika hinzugegeben.</li> </ul> <h2>Weitgehend freie Wahl der Kombinationstherapien</h2> <p>Die Wahl der Kombinationstherapien ist weitgehend freigestellt, mit zwei Ausnahmen, wie Fasching festhielt: „GLP-1- Rezeptor-Agonisten sollen nicht mit DPP- 4-Hemmern kombiniert werden, da dies keinen Vorteil bringt. Sinnvoll wäre aufgrund des synergistischen Wirkmechanismus die Kombination eines GLP-1-Rezeptor- Agonisten mit einem SGLT2-Hemmer. Diese Kombination ist derzeit aber nicht zugelassen und wird auch nicht erstattet. Der Nutzen ist derzeit erst in einer einzigen Studie nachgewiesen.“<br /><br /> <strong>Neuerungen zu Metformin</strong><br /> Die jüngste Vergangenheit brauchte zwei Änderungen zu Metformin: den Wegfall der Kontraindikation für Metformin bei Schwangeren und die Senkung der GFR-Untergrenze. Wie Fasching betonte, bedeute der Wegfall der Kontraindikation aber nicht, dass Metformin zur Therapie des Schwangerschaftsdiabetes indiziert sei. Metformin kann nun bis zu einer GFR von 30ml/min eingesetzt werden, allerdings in reduzierter Dosis (GFR <60ml/ min: max. 2000mg, GFR zwischen >30 und <45mg/min: max. 1000mg). Zu beachten ist das erhöhte Risiko für akutes Nierenversagen unter Metformin mit deutlich eingeschränkter Nierenfunktion.</p> <h2>Einstieg in die Insulintherapie mit Basalinsulin</h2> <p>Der Einstieg in eine Insulintherapie erfolge meist durch Zugabe eines Basalinsulins zur laufenden oralen Therapie, so Fasching. Sulfonylharnstoffe müssen am Abend pausiert werden, um keine Hypoglykämien zu riskieren. Ist Basalinsulin nicht ausreichend wirksam, dann ist auch eine einmalige Gabe eines Mischinsulins zur oralen Therapie möglich. Reicht auch dies nicht aus, dann wird eine differenzierte Insulintherapie nötig.</p> <h2>Kardiovaskuläre Aspekte der Diabetestherapie</h2> <p>„Durch konsequente multifaktorielle Therapie konnten das kardiovaskuläre und das renale Risiko von Patienten mit Typ- 2-Diabetes gesenkt werden. Neueren Daten zufolge ist es aber immer noch doppelt so hoch wie jenes von Nichtdiabetikern. Das wird zu wenig wahrgenommen“, sagte Fasching. Bis zum vergangenen Jahr konnte in keiner großen Studie ein Effekt eines Antidiabetikums auf kardiovaskuläre Endpunkte valide nachgewiesen werden.<br /> Lediglich für Metformin zeigte eine kleine Studie bei adipösen Diabetikern eine Reduktion der Gesamtmortalität um 36 % im Vergleich zur Kontrollgruppe, was dessen Stellenwert als Basistherapie begründet.<sup>4</sup><br /> <strong>Pioglitazon</strong> verlängerte in der PROACTIVE- Studie die Zeit bis zum fatalen oder nicht fatalen Myokardinfarkt (sekundärer Endpunkt). Davon profitierten besonders Patienten mit stattgehabtem Myokardinfarkt. Das Risiko für ein Schlaganfallrezidiv war halbiert.<sup>5</sup> Rezent wurde gezeigt, dass Pioglitazon das Risiko für ein Schlaganfallrezidiv auch bei Nichtdiabetikern verringert.<sup>6</sup><br /> <strong>DPP-4-Hemmer</strong> sind gemäß den bisher publizierten kardiovaskulären Outcome- Studien kardiovaskulär sicher, sieht man von der ausschließlich für Saxagliptin gezeigten erhöhten Rate von Hospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz ab.<sup>7</sup> „Es ist nicht von einem Gruppeneffekt auszugehen. Und man weiß auch nicht, ob es bei Saxagliptin nicht ein zufälliges Ergebnis war“, sagte Fasching.<br /> Für den <sup>SGLT2-Hemmer</sup> Empagliflozin wurde erstmals mit einem Antidiabetikum eine Verringerung schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (3-Punkt-MACE) und der Gesamtmortalität gezeigt (EMPA-REGOutcome- Studie, Abb. 1) und auch die Nierenfunktion verbesserte sich.<sup>8</sup> „Diese Tatsache wird sich in den Leitlinien vor allem bei Patienten mit Herzinsuffizienz und mit kardiovaskulärer Vorerkrankung abbilden. Die ESC empfiehlt bereits, SGLT2-Hemmer (Empagliflozin) bei Patienten mit Typ- 2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankung früh im Krankheitsverlauf zu berücksichtigen.<sup>9</sup> Auf Basis der EMPA-REG-Studie wurde die Fachinformation von Empagliflozin ergänzt. In der aktuellen Fassung wird auf die Senkung der kardiovaskulären Mortalität und der Mortalität als integraler Bestandteil der Behandlung des Typ-2-Diabetes hingewiesen.<sup>10</sup><br /> Abschließend verwies Fasching auf die Notwendigkeit, kardiovaskuläre Risikofaktoren bei Patienten mit Typ-2-Diabetes strikt zu kontrollieren, und betonte: „Es gilt ein LDL-C-Ziel von <70mg/dl.“</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Diabetes_1702_Weblinks_s36_abb1.jpg" alt="" width="1421" height="770" /></p> <div id="fazit"> <h2>Praxistipp</h2> „Setzen Sie Diabetespräparate ein, mit denen Sie vertraut sind! Damit vermeiden Sie irrtümliche Doppelverordnungen, wenn mehrere Kombinationspräparate verschrieben werden.“</div></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Wiener Diabetes-Dialog 2017, 17. März 2017, Wien
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Österreichische Diabetes Gesellschaft: Wien Klin Wochenschr 2016; 128(Suppl 2): S37-S225 <strong>2</strong> American Diabetes Association Diabetes Care 2016 <strong>3</strong> Garber AJ et al: Endocr Pract 2016; 22: 84-113 <strong>4</strong> UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group: Lancet 1998; 352: 854-865 <strong>5</strong> Viscoli CM et al: N Engl J Med 2016; 375: 704 <strong>6</strong> Dormandy JA et al: Lancet 2005; 366: 1279-89 <strong>7</strong> Green JB et al: N Engl J Med 2015; 373: 232-42 <strong>8</strong> Zinman B et al: N Engl J Med 2015; 373: 2117-28 <strong>9</strong> Piepoli MF et al: Eur Heart J 2016; 37: 2315-81 <strong>10</strong> Fachinformation Jardiance<sup>®</sup>, Stand 01/2017</p>
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