Pro und Contra initialer Kombinationstherapie bei Diabetes mellitus Typ 2
Autoren:
Univ.-Prof. PD Dr. Harald Sourij, MBA
Priv.-Doz. DDr. Felix Aberer
Klinische Abteilung für Endokrinologie & Diabetologie
Medizinische Universität Graz
E-Mail: ha.sourij@medunigraz.at
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In der antihyperglykämischen Therapie des Typ-2-Diabetes stellt sich die wesentliche Frage, ob man ein sequenzielles Therapieeskalationsschema verfolgen oder gleich bei Diagnosestellung des Diabetes mit einer initialen Kombinationstherapie beginnen soll.
Keypoints
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Die ADA spricht sich bei kardiovaskulären Komorbiditäten, Herzinsuffizienz oder chronischer Nierenerkrankung und T2D für Substanzen mit kardiorenalem Nutzen und Metformin aus.
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Die ÖDG ist für eine initiale Kombinationstherapie bei o.g. Komorbiditäten und T2D und empfiehlt hierfür Metformin und beide Substanzklassen mit kardiorenalem Nutzen.
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Derzeit gibt es keine Evidenz einer initialen Kombinationstherapie bei Diagnosestellung eines T2D.
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Bei Erstdiagnose eines T2D und initial deutlich erhöhtem HbA1c ist eine Kombinationstherapie jedoch zur Zielwerterreichung sinnvoll.
Aktuelle Leitlinien zur antihyperglykämischen Therapie bilden eine sequenzielle Therapie des T2D ab und empfehlen eine initiale Kombinationstherapie
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bei HbA1c>8,5%, (>70mmol/mol),
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bei jungen Patient:innen mit T2D
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und wenn eine Indikation für eine Therapie mit einer Substanz mit nachgewiesenem kardiorenalem Benefit gegeben ist (wie beim Vorbestehen einer kardiovaskulären Erkrankung, einer Herzinsuffizienz oder einer chronischen Nierenerkrankung).1
Die aktuellen Leitlinien zur antihypertensiven Therapie haben eine andere Formulierung gewählt und empfehlen in der Regel eine initiale Kombinationstherapie, außer der systolische Blutdruck liegt unter 150mmHg und/oder Betroffene sind älter als 80 Jahre bzw. ein „Frailty“-Syndrom liegt vor.2 Die Überlegung dahinter ist, dass die Hypertonie multifaktoriellen Ursachen entspringt und sich durch eine Kombination zweier Antihypertensiva eine schnellere und effektivere Blutdrucksenkung erreichen lässt und sich dies auch positiv auf kardiovaskuläre Ereignisse oder Herzinsuffizienz auswirkt.3,4
Argumente für rasche, initiale Blutzuckersenkung
In der United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS), die Menschen mit neudiagnostiziertem T2D eingeschlossen hatte, zeigte eine intensivierte blutzuckersenkende Therapie am Beginn der Erkrankung (sowohl bei der Anwendung von Sulfonylharnstoffen/Insulin als auch Metformin) in den Langzeitnachfolgeuntersuchungen sowohl eine Reduktion der mikrovaskulären als auch der makrovaskulären Komplikationen sowie eine Mortalitätsreduktion.5,6 Diese Effekte bleiben über das gesamte Follow-up von 44 Jahren erhalten.7 Auch wenn die Daten für eine frühzeitige Blutzuckerkontrolle nach Diagnosestellung des T2D sprechen, so muss hervorgehoben werden, dass die initiale Therapie in UKPDS keine Kombinationstherapie, sondern eine Monotherapie war.
Wenn wir von initialer Kombinationstherapie sprechen, bleibt primär die Frage, welche Substanzen initial kombiniert werden sollen. Mit den verfügbaren Daten aus den kardiorenalen Endpunktstudien liegen eine Kombination von Metformin mit SGLT2-Hemmern oder GLP-1-Rezeptoragonisten (RA) oder die Kombination von SGLT2-Hemmern mit GLP-1-Rezeptoragonisten als initiale Kombinationsoptionen auf der Hand. Ein Argument für eine initiale Kombinationstherapie ist der Einsatz einer initialen dualen Therapie zur effizienteren Blutzuckersenkung. Für dieses Argument wird allerdings auch wieder die Substanzabhängigkeit schlagend: So zeigt etwa die Monotherapie mit dem GLP-1-/GIP-Rezeptoragonisten Tirzepatid zumindest eine gleichwertige blutzuckersenkende Potenz wie die Kombinationstherapie von Metformin mit einem DPP-4-Hemmer (hier Sitagliptin).8,9
Eine Studie, die eine stufenweise antihyperglykämische Therapieeskalation mit einer initialen Kombinationstherapie verglichen hat, ist die VERIFY-Studie.10 2001 Menschen mit T2D (HbA1c6,5–7% bzw. 48–58mmol/mol) und einer Diabetesdauer unter 2 Jahren wurden entweder in einen Therapiearm mit einer Kombinationstherapie von Metformin und Vildagliptin oder mit einer Metformin-Monotherapie randomisiert. Bei Therapieversagen im weiteren Follow-up (HbA1c>7%) wurde die Metformin-Monotherapiegruppe um eine Vildagliptin-Therapie erweitert. Der primäre Endpunkt war das Therapieversagen unter der jeweiligen Therapie, definiert als zwei HbA1c-Werte von zumindest 53mmol/mol (über 7,0%). Zwar konnte in der Kombinationstherapiegruppe eine relative Reduktion dieses Endpunktes um 49% gezeigt werden, jedoch muss erwähnt werden, dass nach 5 Jahren Therapie 43,6% der behandelten Patient:innen in der Kombinationstherapie und 62,1% in der mit Metformin behandelten Gruppe das Therapieziel <7% nicht erreichten. Es bleibt aber zu bedenken, dass von allen Personen unter der Kombinationstherapie 43,6% das Therapieziel nach 5 Jahren nicht erreichen, 37,9% hätten das Therapieziel auch ohne die Kombination mit Metformin alleine erreicht und nur 18,5% der Behandelten haben tatsächlich einen klaren Vorteil in der glykämischen Kontrolle durch die Kombinationstherapie. Damit erhielt doch kein geringer Anteil an Patient:innen eine Therapie, die sie in einem sequenziellen Therapieregime nicht bekommen/benötigen würden, was entsprechend unnötige Kosten verursacht.
Ein positiver Effekt auf die Reduktion makrovaskulärer Ereignisse innerhalb der 5 Jahre hat sich in der VERIFY-Studie durch die Kombination nicht gezeigt, dafür war die Studie aber auch nicht ausgelegt. Ein Vorteil bei harten Endpunkten wäre nämlich das entscheidende Argument für den Beginn einer Kombinationstherapie bei allen Menschen mit T2D – diese Daten gibt es jedoch nicht.
Nebenwirkungen der Kombinationstherapie
Die zeitgleiche Einleitung von zwei antidiabetisch wirksamen Substanzen birgt aber auch das Problem, dass bei einer allfälligen unerwünschten Nebenwirkung die Identifizierung des auslösenden Medikamentes schwierig ist. Wenn ein Patient nun beispielsweise nach simultaner Einleitung einer Metformin- und GLP-1-RA-Therapie über Durchfall klagt, ist nicht nachzuvollziehen, welche der beiden Substanzen dazu geführt hat. Die Konsequenz daraus könnte dann das Absetzen beider Substanzen und die Dokumentation einer therapieassoziierten Nebenwirkung für beide Medikamente sein.
Betazellfunktion
Die TODAY-Studie hat sich der Überlegung, eine frühe Kombinationstherapie könnte sich positiv auf die langfristige Betazellreserve auswirken, gewidmet.11 In diese Studie wurden 700 Kinder und Jugendliche mit T2D eingeschlossen und zu Metformin, Metformin plus Rosiglitazon sowie Metformin plus intensivierter Lebensstilmodifikation randomisiert. Während sich in der mit Metformin/Rosiglitazon behandelten Gruppe eine über 6 Jahre hinweg bessere Blutzuckerkontrolle als nur mit Metformin zeigte, so konnte kein nachhaltig positiver Effekt auf die Betazellfunktion durch die intensive, initiale Blutzuckerkontrolle in diesem Kollektiv gezeigt werden.12
Aktuelle Leitlinien
Die aktuellen Empfehlungen zur antihyperglykämischen Therapie des T2D lassen einiges an Spielraum in der Interpretation offen. Sollen bei entsprechendem individuellem Risiko (kardiovaskuläre Erkrankung, Herzinsuffizienz, chronische Nierenerkrankung) Substanzen mitnachgewiesenem kardiorenalem Nutzen in Endpunktstudien (GLP-1-RA oder SGLT2-Hemmer) in der Erstlinientherapie etabliert oder Metformin additiv zu diesen pharmakologischen Substanzen angewendet werden? Die rezentesten Leitlinien der American Diabetes Association (ADA) sprechen eine Level-A-Empfehlung aus, bei Menschen mit oben genannten Komorbiditäten Substanzen mit nachgewiesenem kardiorenalem Nutzen einzusetzen, wobei Metformin als starkes Antidiabetikum zur Erreichung und Erhaltung einer adäquaten Blutzuckerkontrolle ebenso empfohlen wird.13 Die aktuellen ÖDG-Leitlinien empfehlen für Menschen mit T2D und kardiovaskulären Erkrankungen, Herzinsuffizienz oder chronischen Nierenerkrankungen möglichst eine initiale Kombinationstherapie von Metformin mit entweder einem SGLT2-Hemmer oder GLP-1-RA (je nach Begleiterkrankung) mit nachgewiesenen kardiorenalen Benefits.14
Praxistipp
Eine kombinierte Medikamentenneuverordnung birgt das Risiko, Nebenwirkungen keiner Substanz eindeutig zuordnen zu können, was das Absetzen aller neuen Substanzen notwendig machen kann.Auch wenn Überlegungen einer initialen Kombinationstherapie mit Substanzen, die verschiedene pathophysiologische Aspekte des T2D beeinflussen, schlüssig erscheinen, so liegt keine zwingende Evidenz vor, dass dies bei allen Menschen mit T2D bei Diagnosestellung notwendig ist.Jedenfalls ist bei einem initial deutlich erhöhten HbA1c eine Kombinationstherapie zur Zielwerterreichung sinnvoll. Den größten Benefit bei Menschen mit T2D kann man sich jedenfalls von einer engmaschigen Therapiekontrolle, einer raschen Therapieintensivierung im Falle eines Nichterreichens der Therapieziele und einem multifaktoriellen Management unter Berücksichtigung aller kardiovaskulären Risikofaktoren erwarten.
Literatur:
1 Davies MJ et al.: Management of hyperglycemia in type 2 diabetes 2022. A consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care 2022; 45(11): 2753-86 2 Williams B et al.: 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. Eur Heart J 2018; 39(33): 3021-104 3 Egan BM et al.: Initial monotherapy and combination therapy and hypertension control the first year. Hypertension 2012; 59(6): 1124-31 4 Doumas M et al.: Time in therapeutic range, as a determinant of all-cause mortality in patients with hypertension. J Am Heart Assoc 2017; 6(11): e007131 5 Holman RR et al.: 10-year-follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 359(15): 1577-89 6 Holman RR et al.: Long-term follow-up after tight control of blood pressure in type 2 diabetes. N Engl J Med 2008; 359(15): 1565-76 7 Holman RR: Clinical outcomes at 44 years: do the legacy effects persist? Präsentiert im Rahmen des „UKPDS-44-Year-Follow-up“-Symposiums am EASD 2022: Session No. S22 8 Rosenstock J et al.: Efficacy and safety of a novel dual GIP and GLP-1 receptor agonist tirzepatide in patients with type 2 diabetes (SURPASS-1): a double-blind, randomised, phase 3 trial. Lancet 2021; 398(10295): 143-55 9 Goldstein BJ et al.: Effect of initial combination therapy with sitagliptin, a dipeptidyl peptidase-4 Inhibitor, and metformin on glycemic control in patients with type 2 diabetes. Diabetes Care 2007; 30(8): 1979-87 10 Matthews DR et al.: Glycaemic durability of an early combination therapy with vildagliptin and metformin versus sequential metformin monotherapy in newly diagnosed type 2 diabetes (VERIFY): a 5-year, multicentre, randomised, double-blind trial. Lancet 2019; 394(10208): 1519-29 11 Group TS et al.: A clinical trial to maintain glycemic control in youth with type 2 diabetes. N Engl J Med 2012; 366(24): 2247-56 12 Group TS: Effect of early glycemic control in youth-onset type 2 diabetes on longer-term glycemic control and beta-cell function: results from the TODAY study. Diabetes Care 2023; 46(8): 1507-14 13 American Diabetes Association: Standards of care in diabetes-2023 abridged for primary care providers. Clin Diabetes 2022; 41(1): 4-31 14 Clodi M et al.: Antihyperglycemic treatment guidelines for diabetes mellitus type 2 (Update 2023). Wien Klin Wochenschr 2023; 135(1): 32-44
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