Risiko – Statin! Restrisiko: Herzinfarkt?
Autor:innen:
Dr. Moritz Ferch
Assoc. Prof. Dr. Yvonne Winhofer-Stöckl, PhD
Universitätsklinik für Innere Medizin III, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Medizinische Universität Wien
E-Mail: moritz.ferch@meduniwien.ac.at
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Die kardiovaskuläre Risikoreduktion über medikamentöse Lipidsenkung erweist sich als effektiv in der Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen. Weiteres Potenzial für den Zusatznutzen durch noch weitere LDL-C-Senkung scheint einerseits durch bereits sehr niedrige LDL-C-Levels begrenzt. Andererseits bleibt dennoch immer noch ein erhebliches Restrisiko für kardiovaskuläre Ereignisse – das kardiovaskuläre Residualrisiko – offen.
Keypoints
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Der Anteil jener mit leitlinienkonform eingestelltem LDL-Cholesterin mit kardiovaskulärem Event ist erheblich.
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Das Residualrisiko setzt sich aus einer Fülle von bereits jetzt einfach modifizierbaren Risikofaktoren zusammen.
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Weitere Interventionsmöglichkeiten hinsichtlich des inflammatorischen und thrombotischen Residualrisikos befinden sich in Erprobung.
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Residualrisikofaktoren zu erkennen, gewährleistet die Identifikation der Patienten mit ungünstigen Konstellationen und ermöglicht individualisierte Präventionsstrategien.
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Viele Faktoren bleiben realiter undiagnostiziert, aber auch scheinbar bekannte und adressierte Faktoren bleiben oft unzureichend therapiert.
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Medikamentenklassen mit erwiesenem Benefit bleiben Hochrisiko-Patienten vorenthalten, einfache Möglichkeiten über Lebensstilmodifikationen ungenutzt.
Kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD)sind für Frauen und Männer die häufigste Todesursache, sowohl in Österreich mit rund 32000 Todesfällen jährlich (34% aller Todesfälle) als auch weltweit. Davon entfällt der Großteil auf atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ischämische Herzkrankheit und zerebrovaskuläre Erkrankungen) als führende Ursache für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität.
Kardiovaskuläres Residualrisiko
Mit dem breiteren und intensiveren Einsatz von Lipid-senkender, medikamentöser Therapie konnten die Plasma-Spiegel von (LDL-)Cholesterin bevölkerungsweit zwar stetig reduziert werden. Dennoch treten kardiovaskuläre Ereignisse nach wie vor häufig auf, sogar bei jenen Patient:innen mit leitlinienkonform eingestelltem LDL-Cholesterin. Die Reinfarktraten sinken zwar unter Lipid-senkender Therapie signifikant, doch auch bei Patient:innen in kontrollierten Studiensettings zeigte sich: Selbst unter bester medizinischer Therapie sind Reinfarktraten teils erheblich: Zum Beispiel betrug das Reinfarktrisiko 9,8% (vs. 11,3% im Placeboarm) in der FOURIER-Studie in einem Zeitraum von 26 Monaten oder 32,7% (vs. 34,7% im Placeboarm) in der IMPROVE-IT-Studie in 7 Jahren. Es verbleibt somit jeweils ein erhebliches, nicht adäquat adressiertes Restrisiko: das kardiovaskuläre Residualrisiko.
Risikofaktoren für Residualrisiko
Dieses Residualrisiko setzt sich aus mehreren bekannten, modifizierbaren und nichtmodifizierbaren Risikofaktoren zusammen. Nur die Identifizierung dieser Risikofaktorenermöglicht bei diesen Menschen eine individualisierte Präventionsstrategie durch das Einbinden der Risikofaktoren in die Therapiestrategie.
LDL-Cholesterin
Einer der bedeutungsvollsten modifizierbaren Risikofaktoren ist unzureichend kontrolliertes Serum-LDL-Cholesterin. Ein erheblicher Anteil dieser Risikopatient:innen erreicht aufgrund von unterschiedlichen Gründen wie mangelnder Therapieadhärenz, Statinintoleranz oder falscher Risikoeinschätzung durch den Behandelnden sogar mehrheitlich nicht ihr definiertes LDL-Cholesterinziel–trotz ausreichend verfügbarer Lipid-senkender (Alternativ-)Präparate. Erhebungen aus der DA-VINCI-Studie 2021 zeigen für Österreich nur eine 38%ige Zielwerterreichung des LDL-Cholesterins.
Arterielle Hypertonie
Auch arterielle Hypertonie ist in Österreich trotz einfacher Verfügbarkeit von Diagnostik und Therapie mehrheitlich unzureichend eingestellt. In diversen Erhebungen wurden hypertensive Werte bei bis zu 63,5% der behandelten Menschen mit arterieller Hypertonie bzw. 43,2% der unbehandelten Personen bei zufälligen Messungen in Österreich festgestellt. Das zeigt den dringenden Handlungsbedarf zur Senkung des Residualrisikos.
Diabetes mellitus und Prädiabetes
Diabetes mellitus ist – wie hinlänglich bekannt – mit negativen kardiovaskulären Outcomes assoziiert. Hierzu sollten, neben der adäquaten Blutzuckerkontrolle, vor allem Medikamentenklassen mit positiven kardiovaskulären Endpunktstudien wie SGLT2-Hemmer und GLP-1-Agonisten keinem Menschen mit Diabetes vorenthalten werden. Laut schwedischen Registerdaten erhalten allerdings teils nur ein Viertel bis ein Drittel der Patient:innen, die sich für eine Therapie mit SGLT2-Hemmern oder GLP-1-Agonisten qualifizieren, auch tatsächlich die Behandlung. Auch ein etwaiger Prädiabetes (Schätzungen zufolge bis zu 350000 unerkannte Betroffene in Österreich) sollte ausgeschlossen werden. Zusätzlich sollte leitlinienkonform auf eine strengere LDL-Cholesterin- und Blutdruckkontrolle geachtet werden.
Residualrisikofaktoren Hypertriglyzeridämie und Hyperlipoproteinämie
Hypertriglyzeridämie
Ein bisher vernachlässigter Residualrisikofaktor ist die Hypertriglyzeridämie. Nach leitlinienkonformer Etablierung einer Statintherapie ist bei Hochrisiko-Patient:innen bei weiterhin bestehender Hypertriglyzeridämie von >150mg/dl nun hochdosiertes Icosapent-Ethyl (Ester der Eicosa-Pentaensäure; „Vazkepa®“) zur Verschreibung in Österreich zugelassen. Aktuell befindet sich das Medikament in der roten Box. Die Zulassung erfolgte nach unterstützender Evidenz aus positiven randomisierten, kardiovaskulären Endpunktstudien, prospektiven Imagingstudien und Grundlagenforschung. Derzeit bestehen eine Klasse-IIa/B-Empfehl- ung laut Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) zu Dyslipidämie aus dem Jahr 2019 und eine Klasse-IIb/B- Empfehlung laut ESC-Leitlinien zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen (2021).
Lipoprotein(a)
Der zuvor als kaum modifizierbar geltende (Rest-)Risikofaktor Lipoprotein(a) kann nun schon in naher Zukunft potent und effektiv gesenkt werden. Lp(a)-Erhöhungen über ≥125nmol/l oder >50mg/dl gelten als unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor, sind zu 90% genetisch bedingt und sind mit einer hohen Prävalenz von 20% die häufigste vererbte Ursache für atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Lp(a)-Spiegel wurden allerdings schätzungsweise erst bei bestenfalls 1–2% der Bevölkerung gemessen, obwohl es bei jedem Erwachsenen zumindest einmal bestimmt werden sollte. Denn eine Hyperlipoproteinämie(a) hat auch vor der Zulassung spezifischer Senker therapeutische Konsequenzen, zumal mit einer strengen Risikofaktor-Kontrolle, insbesondere LDL-C-Senkung, das Risiko signifikant gemindert werden kann. Lp(a) zeigte sich nämlich gerade in Kombination mit akkumulierten, klassischen Risikofaktoren als besonders aggressiv. Randomisierte kardiovaskuläre Endpunkt-Studien zur medikamentösen Lp(a)-Senkung sind noch nicht verfügbar, doch die bisherige Evidenzlage ist vielversprechend.
Lebensstilfaktoren
Besonders modifizierbare Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Ernährungsverhalten, Bewegungsmangel und Übergewicht sind in Österreich sehr stark ausgeprägt und bieten sich für eine kostengünstige und effektive Intervention zur kardiovaskulären Risikoreduktion an. In der letzten internationalen europäischen „Cardiovascular Disease Statistics“-Erhebung der ESC aus dem Jahr 2021 zeigt Österreich bei regelmäßigem täglichem Tabakkonsum eine Prävalenz von 25% und weist 14000 Tote jährlich auf. Des Weiteren zählen rund 20% der Österreicher als adipös und 30% als unzureichend körperlich aktiv (definiert als Aktivität von >150 Minuten in moderater Intensität bzw. 75 Minuten in hoher Intensität pro Woche) mit einem Geschlechterunterschied zuungunsten von Frauen (33,6% vs. 26,4% bei Männern). Lebensstilinterventionen bezüglich Gewichtsnormalisierung, Umstellungen auf gesundes Ernährungsverhalten (reich an Gemüse, Obst, Getreide; Gesamtzufuhr an gesättigten Fetten <10%, Alkohol <100g/Woche bzw. 15g/Tag), Umsetzung der Bewegungsempfehlungen oder Rauchstopp zeigen positive Auswirkungen inklusive Eventreduktion in Primär- und Sekundärprävention.
Thrombotisches & inflammatorisches Restrisiko
Praxistipp
Bei Menschen mit hohem kardiovaskulärem Risiko bzw. progressiver atherosklerotischer CVD, dem LDL-C im Zielbereich und erhöhten Triglyzeriden > 150 mg/dl sollte an den Einsatz von Vazkepa® zur Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse gedacht werden.Zuletzt wird aktuell auch thrombotisches und inflammatorisches Restrisiko hinsichtlichInterventionsmöglichkeiten untersucht. In randomisierten kontrollierten Studien zeigen sich Gelegenheiten zur pharmakologischen Risikoreduktion.
Niedrigdosiertes Colchicin wird bis dato nur in Ausnahmefällen laut ESC-Leitlinien (2021, 2023) als Klasse IIb/A empfohlen. Auch der monoklonale IL-1-Blocker Anakinra ist Gegenstand aktueller Forschung. Hinsichtlich thrombotischen Residualrisikos ist aktuell kein einfacher Biomarker bekannt. Bis zu flächendeckenden Empfehlungen für die klinische Praxis bedarf es allerdings noch weiterer kritischer Auseinandersetzung und Bewertung von klinischen Erfahrungen.
Literatur:
bei den Verfassern
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