SGLT2-Inhibitoren – Gamechanger bei chronischer Nierenerkrankung
Bericht:
Reno Barth
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SGLT2-Inhibitoren (SGLT2i) erwiesen sich in Studien mit unterschiedlichen Patientenpopulationen und in Metaanalysen als nephroprotektiv. Experten verweisen auf die besondere Bedeutung der SGLT2i-Therapie. Aber es gibt auch Hinweise auf günstige Wirkungen von GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) auf die Niere.
Keypoints
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Der Risikoanstieg für kardiovaskuläre Ereignisse beginnt bereits in einem Albuminurie-Bereich, der als „normal“ betrachtet wird.
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SGLT2i zeigen eine signifikante Reduktion des Progressionsrisikos einer Nierenerkrankung, unabhängig vom Diabetesstatus.
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SGLT2i haben eine ähnliche Bedeutung wie Statine, Antibiotika oder Aspirin.
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In kardiovaskulären Outcome-Studien mit GLP-1-RA konnte meist eine Reduktion der Albuminurie gezeigt werden.
Epidemiologische Daten aus dem Jahr 2019 zeigen, dass Hypertonie und Diabetes in den USA zu diesem Zeitpunkt für ca. 60% aller Fälle von terminalem Nierenversagen (End Stage Kidney Disease – ESKD) verantwortlich waren.1 Ähnliche Werte seien für sämtliche Industriestaaten anzunehmen, wie Prof. Dr. Ofri Mosenzon von der Hebrew University of Jerusalem ausführt. Man spricht heute von einem „diabetisch-kardio-renalen Spektrum“, das Diabetes, Niereninsuffizienz und Herzinsuffizienz umfasst. Bei einer beträchtlichen Zahl der Betroffenen überlappen diese Krankheitsbilder. In einer israelischen Kohortenstudie mit 1,4 Millionen Individuen waren mit zunehmendem Alter bis zu 22% von zumindest zwei dieser Erkrankungen betroffen. Eingeschränkte Nierenfunktion wird mit zunehmendem Alter häufiger und betrifft in der Altersgruppe über 80 fast die Hälfte der Bevölkerung.2
Sowohl eine reduzierte Nierenfunktion im Sinne einer eingeschränkten glomerulären Filtrationsrate als auch Albuminurie haben sich nicht nur als unabhängige Risikofaktoren für Nierenversagen, sondern auch für kardiovaskulären Tod erwiesen.3 Eine Stratifizierung des renalen Risikos wird mittels der von KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) entwickelten Risikotafel anhand von geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) und Albuminausscheidung im Harn (gemessen als Verhältnis von Albumin zu Kreatinin – UACR) vorgenommen. Niedriges Risiko besteht, wenn die eGFR über 60ml/min/1,73m2 und die UACR unter 30mg/g liegen.4 Bereits bei einer UACR über 30 und normaler eGFR ist das kardiovaskuläre Mortalitätsrisiko um zumindest 50% erhöht. Mit steigender UACR und abnehmender eGFR erhöht sich das Risiko weiter.5
Schon bei Albuminurie im hohen Normalbereich steigt das Risiko
Der Risikoanstieg beginnt bereits in einem Albuminurie-Bereich, der als „normal“ betrachtet wird. Mosenzon verweist auf Daten der Studie SAVOR-TIMI 53, die bei einer UACR zwischen 10 und 29mg/g im Vergleich zu unter 10mg/g erhöhte Inzidenzraten sowohl von kardiovaskulären Ereignissen (3-Point-MACE) als auch von kardiovaskulärem Tod zeigen (Abb. 1).6
Abb.1: Der Anstieg des kardiovaskulären Risikos beginnt schon im Bereich der „Normoalbuminurie“. SAVOR-TIMI 53: Inzidenzraten sind bereits bei 10–29mg/g im Vergleich zu unter 10mg/g erhöht: A: kardiovaskuläre Ereignisse (3-Point-MACE), B: kardiovaskulärer Tod (modifiziert nach Scirica BM et al.6)
Im Zusammenhang mit Diabetes wurde Nephropathie bislang als mikrovaskuläre Komplikation eingestuft, so Mosenzon. Doch die Trennung zwischen mikro- und makrovaskulär sei heute nicht mehr aufrechtzuerhalten. Mosenzon: „Wir wissen, dass Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankung, Nephropathie, Neuropathie und Herzinsuffizienz zusammenhängen und Teile eines pathologischen Spektrums sind. Daher überrascht es nicht, dass Medikamente, die bei Herzinsuffizienz hilfreich sind, auch die Progression einer chronischen Nierenerkrankung verlangsamen.“
Diesen Zusammenhängen tragen die aktuellen Empfehlungen der Diabetesgesellschaften Rechnung, so Mosenzon. Das primäre Ziel sei nicht mehr alleine die Kontrolle des Blutzuckers, sondern der Schutz vor Endorganschäden. Für Patienten mit Nierenbeteiligung bedeute dies einen SGLT2i möglicherweise in Kombination mit einem GLP-1-RA, wie Mosenzon erklärt. In der KDIGO-Leitlinie von 2022 werden bei Diabetes mit chronischer Nierenerkrankung Metformin, SGLT2i, RAS-Blockade und Statine als medikamentöse Therapie der ersten Wahl angeführt. GLP-1-RA haben bei KDIGOebenso wie Antiplättchentherapien und nicht-steroidale Aldosteronantagonisten den Status als „zusätzliche Therapien“. Mosenzon unterstreicht, dass KDIGO bereits initial eine Dreifachtherapie empfiehlt. Diese besteht in Lebensstilmodifikation, Metformin – sofern die eGFR noch über 30ml/min/1,73m2 liegt – und einem SGLT2i, der bis zu einer eGFR von 20ml/min/1,73m2 begonnen und bis zur Dialyse weitergegeben werden kann. Wird eine zusätzliche Therapie benötigt, so empfiehlt KDIGO einen GLP-1-RA.7
Starke Evidenz aus klinischen Studien mit SGLT2-Inhibitoren
Aktuell liegt für den Einsatz von SGLT2i bei Diabetes und Niereninsuffizienz stärkere Evidenz vor als für GLP-1-RA. Begonnen hatte die Erfolgsgeschichte dieser Substanzgruppe mit kardiovaskulären Outcome-Studien mit mehrheitlich nierengesunden Probanden. Zur großen Überraschung der Autoren, so Mosenzon, konnte in Post-hoc-Analysen in der Gesamtpopulation dieser Studie eine signifikante und deutliche Senkung des renalen Risikos festgestellt werden.8
Für die mit Dapagliflozin durchgeführte Studie DECLARE-TIMI 58 erfolgte eine Auswertung, stratifiziert nach KDIGO-Risikogruppen, die durch alle Gruppen hindurch eine signifikante Reduktion eines nierenspezifischen Kompositendpunktes von rund 50% zeigte. Ein kombinierter kardiorenaler Endpunkt war ebenfalls in allen Risikogruppen reduziert. Das Ergebnis verfehlte lediglich in der Gruppe mit dem niedrigsten Risiko die Signifikanz.9 Mosenzon: „Man sieht, dass die kardiorenale Risikoreduktion bei hohem Risiko deutlicher ausfällt. Das renale Risiko wird aber unabhängig von einer bereits bestehenden Nierenerkrankung gesenkt. SGLT2i helfen also allen Patienten, wobei die Number Needed to Treat vom vorbestehenden Risiko abhängt.“
Mittlerweile wurden mit SGLT2i auch Studien mit nierenspezifischen primären Endpunkten und nierenkranken Populationen durchgeführt. In die Studie CREDENCE wurden Patienten mit diabetischer Nephropathie eingeschlossen. Die Behandlung mit Canagliflozin führte in diesem Kollektiv zu einer Reduktion des Risikos renaler Ereignisse um 30%.10
Nephroprotektion unabhängig von Diabetesstatus und Ausgangsrisiko
In DAPA-CKD war Diabetes mellitus kein Einschlusskriterium mehr. Die Studie zeigte in einer nierenkranken Population mit oder ohne Diabetes eine signifikante Senkung eines kombinierten kardiorenalen Endpunkts um 39%.11 Die Number Needed to Treat zur Verhinderung eines Events betrug in dieser Risikopopulation nur 19 Personen. Der Effekt war in allen Subgruppen konstant und wurde weder durch eine Diabetesdiagnose noch durch die eGFR oder die UACR bei Einschluss beeinflusst. Mosenzon weist darauf hin, dass der Effekt auch bei Patienten mit Nierenerkrankung im Stadium 4 gegeben war. Auch habe sich gezeigt, dass die für SGLT2i typische initiale Absenkung der eGFR in dieser Patientengruppe nur sehr schwach ausgeprägt war. Mosenzon: „Wir haben noch zu viel Angst, SGLT2i bei Stage-4-Nierenerkrankung einzusetzen. Dabei haben diese Patienten einen erheblichen Benefit durch diese Substanzen.“
Die mit Empagliflozin durchgeführte Studie EMPA-KIDNEY unterschied sich von den beiden erwähnten Arbeiten insofern, als sie auch Patienten mit niedrigem Ausgangsrisiko einschloss. Auch in dieser Population wurde das kardiorenale Risiko signifikant um 28% reduziert (Abb. 2). Subgruppenanalysen zeigen eine Reduktion der jährlichen Abnahme der eGFR durch alle Subpopulationen – also auch bei Probanden mit weniger als 30mg/g Albuminurie. In der Empagliflozin-Gruppe fiel im Vergleich zur Placebo-Gruppe auch eine um 14% geringere Rate an Hospitalisierungen, unabhängig von deren Ursache, auf.12
Abb. 2: Risikoreduktion von 28% für den Kompositendpunkt aus Progression der Nierenerkrankung und kardiovaskulärer Mortalität in EMPA-KIDNEY (modifiziert nach The EMPA-KIDNEY Collaborative Group: N Engl J Med 2023)12
Ähnliche Effekte wurden auch in Studien mit anderen SGLT2i gezeigt, so Mosenzon. Eine rezente Arbeit fand im klinischen Alltag unter SGLTi im Vergleich zu DPP4-Inhibitoren eine Reduktion von Hospitalisierungen. Mosenzon betont die nachteilige Wirkung von Hospitalisierungen auf die Lebensqualität.13 Eine Metaanalyse klinischer Studien mit mehr als 90000 Teilnehmern fand eine signifikante Reduktion des Progressionsrisikos einer Nierenerkrankung um 37% durch den Einsatz eines SGLT2i – und zwar unabhängig vom Diabetesstatus. Dem stehen in der diabetischen Population nur minimal erhöhte Risiken von Ketoazidose und möglicherweise Amputationen gegenüber. Bei nierenkranken Patienten ohne Diabetes steht dem Vorteil praktisch kein Risiko gegenüber.14
Mosenzon: „Manche Experten stellen SGLT2i in ihrer Bedeutung auf eine Stufe mit Statinen, Antibiotika oder Aspirin. Ich denke ebenfalls, dass dies der Platz ist, an dem diese Substanzen heute stehen.“
Für GLP-1-RA steht bislang weniger harte Evidenz für einen protektiven Effekt auf die Niere zur Verfügung. Aber die Datenlage diesbezüglich wird immer besser. So zeigt die Studie AWARD 7, dass Dulaglutid im Vergleich zu Insulin glargin den Verlust an Nierenfunktion verlangsamt.15 Mosenzon betont, dass in den kardiovaskulären Outcome-Studien mit GLP-1-RA günstige Effekte auf die Niere – meist eine Reduktion der Albuminurie – gezeigt wurden. Post-hoc-Analysen der Studien SUSTAIN 6 und PIONEER deuten in Richtung einer besser erhaltenen eGFR unter Therapie mit Semaglutid.16 Prospektive Daten soll die Studie FLOW liefern, die mit Semaglutid in einer Population mit chronischer Nierenerkrankung durchgeführt wird.
Quelle:
EASD 2023, Session „Non-insulin therapies in patients with type 2 diabetes and renal impairment in 2023: current status and new perspectives“, 6. 10. 2023, Hamburg
Literatur:
1 United States Renal Data System. https://www.niddk.nih.gov/about-niddk/strategic-plans-reports/usrds 2 Schechter M et al.: Cardiovasc Diabetol 2022; 21(1): 104 3 Ninomiya T et al.: J Am Soc Nephrol 2009; 20(8): 1813-21 4 Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Diabetes Work Group. Kidney Int 2022; 102(5S): S1-S127 5 Valdivielso JM et al.: Arterioscler Thromb Vasc Biol 2019; 39(10): 1938-66 6 Scirica BM et al.: JAMA Cardiol 2018; 3(2): 155-163 7 Rossing P et al.: Kidney Int 2022; 102(5): 990-9 8 Wanner C et al.: N Engl J Med 2016; 375(4): 323-34 9 Mosenzon O et al.: Diabetes Care 2022; 45(10): 2350-9 10 Perkovic V et al.: N Engl J Med 2019; 380(24): 2295-2306 11 Heerspink HJL et al.: N Engl J Med 2020; 383(15): 1436-46 12 The EMPA-KIDNEY Collaborative Group: N Engl J Med 2023; 388(2): 117-27 13 Schechter M et al.: Diabetes Obes Metab 2023; 25(10): 3054-8 14 Nuffield Department of Population Health Renal Studies Group; SGLT2 inhibitor Meta-Analysis Cardio-Renal Trialists‘Consortium: Lancet 2022; 400(10365): 1788-1801 15 Tuttle KR et al.: Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6(8):605-17 16 Tuttle KR et al.: Kidney Int 2023; 103(4): 772-781
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