Soll man eine subklinische Hypothyreose behandeln?
Bericht:
Dr. med. Norbert Hasenöhrl
Medizinjournalist
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Diese Frage ist bis heute nicht zweifelsfrei entschieden. Es gibt jedoch Daten, die darauf hindeuten, dass zumindest bei bestimmten Patientengruppen, vor allem jenen unter 65 Jahren, nicht selten eine Behandlungsindikation vorliegt.
Die Frage, ob man eine subklinische Hypothyreose behandeln soll oder nicht, beschäftigt mich persönlich und die Endokrinologie als Ganzes schon seit Jahrzehnten», eröffnete Prof. Dr. med. David Stephen Cooper, Director Thyroid Clinic, Johns Hopkins University School of Medicine, Baltimore, USA, seinen Vortrag an der SGED-Jahrestagung 2023.
Geschichte und Definition
«Schon in den Siebzigerjahren wusste man, dass die TSH-Spiegel von Patienten mit leichter, aber klinisch apparenter Hypothyreose und jene von Patienten mit subklinischer Hypothyreose nicht wirklich unterschiedlich sind», fuhr Cooper fort.
Die TSH-Werte in einer Population folgen keiner Normalverteilung, sondern sind eher nach rechts verschoben, d.h. hin zu höheren Werten. In der NHANES-III-Studie aus den USA lag der Durchschnitt der Werte bei gesunden Personen zwischen der 2,5. und der 97,5. Perzentile bei 1,5mU/l. Die Durchschnittswerte hingen vom Geschlecht, von der ethnischen Zugehörigkeit und vor allem auch vom Alter ab – sie stiegen mit zunehmendem Alter signifikant an.1 So betrug in einer Publikation von 2007 der durchschnittliche TSH-Wert einer US-Population bei Personen zwischen 20 und 29 Jahren 3,56mU/l, bei 50- bis 59-Jährigen 4,03mU/l und bei Personen ≥80 Jahren bei 7,50mU/l.2 «Das Problem ist, dass viele Labors keine altersspezifischen Normalwerte angeben; wir sind schon froh, dass wir jetzt in den USA wenigstens trimenonspezifische Referenzwerte für Schwangere bekommen», so der Endokrinologe.
Die Definition der subklinischen Hypothyreose lautet: normale periphere Hormonwerte (fT4) bei erhöhtem TSH, wobei sich hier zwei Grade unterscheiden lassen. Bei einer subklinischen Hypothyreose Grad 1 liegen die TSH-Werte zwischen 5 und 10mU/l, bei Grad 2 >10mU/l. Anti-TPO-Antikörper sind bei 60–80% der Betroffenen vorhanden.
Klinische Bedeutung
Kardiovaskuläres System
«Es gibt eine Reihe von Mechanismen, über welche die Schilddrüsenhormone auf die kardiovaskuläre Funktion und die Hämodynamik wirken», erklärte Cooper. Bei ungenügenden Hormonspiegeln werden die Relaxation der glatten Muskulatur und die kardiale Kontraktilität gestört, der periphere Gefässwiderstand steigt und die Endothelfunktion verschlechtert sich. Zudem steigt die Insulinresistenz und damit das Risiko für ein metabolisches Syndrom und kardiovaskuläre Erkrankungen.
«Es gibt zum Thema subklinische Hypothyreose und kardiovaskuläre Erkrankungen so gut wie keine Interventionsstudien», fuhr der Experte fort, «und die epidemiologischen Studien sind, was diesen Zusammenhang angeht, sehr widersprüchlich.»
Eine Metaanalyse von 11 prospektiven Kohortenstudien aus unterschiedlichen Weltregionen mit insgesamt 55287 Teilnehmern und 542494 Personenjahren kam allerdings zu dem Schluss, dass die subklinische Hypothyreose – insbesondere bei TSH-Werten >10mU/l – das Risiko sowohl für kardiovaskuläre Ereignisse als auch für kardiovaskuläre Mortalität signifikant erhöht. Bei der Mortalität ist das Risiko bereits im TSH-Bereich von 7,0–9,9mU/l signifikant erhöht.3 «Und es gibt eine Reihe von anderen Studien, die bestätigen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem kardiovaskulären Risiko und der Höhe des TSH-Werts geben dürfte», betonte Cooper. Eine andere Metaanalyse bestätigte den Zusammenhang zwischen kardiovaskulärem Risiko und Alter: Während eine subklinische Hypothyreose bei Personen unter 65 Jahren mit einem erhöhten Risiko verbunden war, war dies bei älteren Menschen nicht der Fall.4 «Das Alter erklärt auch die Heterogenität der epidemiologischen Studien», fuhr Cooper fort. «Und tatsächlich scheint ein erhöhtes TSH ab einem Alter von ungefähr 80 Jahren das kardiovaskuläre Risiko sogar zu vermindern», so der Referent.
Symptome, funktioneller Status und Kognition
«Was andere Symptome angeht, so stimmt es zwar, dass Personen mit subklinischer Hypothyreose mehr Symptome haben als euthyreote Personen, aber es gibt hier einen sehr breiten Überlappungsbereich», berichtete Cooper.
Und was die funktionelle Mobilität betrifft, so gibt es eine Studie, die zeigte, dass die Teilnehmer umso schneller gehen konnten, je höher ihr TSH-Wert war.5
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der kognitiven Funktion. Auch hier kann ein erhöhter TSH-Wert bei Personen unter 75 Jahren zu kognitiven Einschränkungen führen, nicht aber bei Personen über 75.6
Progression zur manifesten Hypothyreose
«Einerseits wissen wir zwar, dass es durchaus Patienten gibt, bei denen sich aus der subklinischen Hypothyreose eine manifeste Hypothyreose entwickelt, vor allem, wenn sie Schilddrüsenantikörper haben», so Cooper. «Aber andererseits wissen wir auch, dass sich bei nicht wenigen Patienten im Lauf der Zeit das TSH wieder normalisiert, wie z.B. eine grosse israelische Studie zeigte.»7
In einer anderen Studie zeigte sich, dass sich das TSH bei 61% der Teilnehmer mit subklinischer Hypothyreose in einer über 65-jährigen Population innerhalb eines Jahres normalisierte, wobei folgende Faktoren prädiktiv für eine Normalisierung waren: geringeres Lebensalter, weibliches Geschlecht, niedrigerer TSH-Ausgangswert, höherer fT4-Ausgangswert und Fehlen von TPO-Antikörpern.8
Therapie und Empfehlungen
Was nun die Frage angeht, ob man eine subklinische Hypothyreose behandeln soll oder nicht, so sprechen einige der nicht allzu vielen Interventionsstudien, die es gibt, eher dagegen.9–12 Auch eine Metaanalyse bestätigt diesen Befund.13
Allerdings gibt es – wenn auch aus nicht randomisierten Studien – doch Hinweise darauf, dass Patienten unter 65 bis 70 Jahren von einer Behandlung mit Levothyroxin profitieren könnten.14,15
Für eine Therapie der subklinischen Hypothyreose sprechen also die mögliche Reduktion von Morbidität und Mortalität und die Prävention einer manifesten Hypothyreose. Dagegen sprechen mehrere Faktoren: Die Wirkung auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität ist unklar, die meisten Daten sprechen gegen eine Wirkung auf Symptome, Kognition, Stimmung und Lebensqualität; das TSH kann sich spontan normalisieren; Kosten und Gefahr von Übertherapie.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Therapieindikation bei Patienten unter 65 Jahren grosszügiger gestellt wird als bei älteren Menschen. Diese sollten bei einem TSH unter 7mU/l in der Regel nicht behandelt werden, bei Werten von 7,0–9,9mU/l kann auch bei über 65-Jährigen eine Therapie erwogen werden. Bei einem TSH ≥10mU/l empfehlen die meisten Gesellschaften eine Therapie unabhängig vom Alter.16
Quelle:
Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED), 16. und 17. November 2023, Bern
Literatur:
1 Hollowell JG et al.: J Clin Endocrinol Metab 2002; 87: 489-99 2 Surks MI, Hollowell JG: J Clin Endocrinol Metab 2007; 92: 4575-82 3 Rodondi N et al.: JAMA 2010; 304:1365-74 4 Razvi S et al.: J Clin Endocrinol Metab 2008; 93: 2998-3007 5 Simonsick EM et al.: Arch Intern Med 2009; 169: 2011-7 6 Pasqualetti G et al.: J Clin Endocrinol Metab 2015; 100: 4240-8 7 Meyerovitch J et al.: Arch Intern Med 2007; 167: 1533-8 8 Van der Spoel E et al.: J Clin Endocrinol Metab 2024; 109: e1167-74 9 Jorde R et al.: J Clin Endocrinol Metab 2006; 91: 145-53 10 Razvi S et al.: J Clin Endocrinol Metab 2007; 92: 1715-23 11 Parle J et al.: J Clin Endocrinol Metab 2010; 95: 3623-32 12 Stott DJ et al.: N Engl J Med 2017; 376: 2534-44 13 Feller M et al.: JAMA 2018; 320: 1349-59 14 Razvi S et al.: Arch Intern Med 2012; 172: 811-7 15Andersen MN et al.: PLoS One 2015; 10: e0129793 16 Biondi B et al.: JAMA 2019; 322: 153-60
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