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ÖDG-Leitlinien zur antihyperglykämischen Therapie bei Diabetes mellitus Typ 2 (T2D)

Update 2023: ÖDG-Leitlinien für die Praxis

Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) hat in ihrem regelmäßigen Turnus nun 2023 die Leitlinien für die Praxis neu überarbeitet und aufgelegt. Die Leitlinien für die Praxis sind sowohl in der Langversion wie auch in einer Kurzversion auf der Homepage der ÖDG abrufbar bzw. kann die Kurzversion auch per Post bei der ÖDG bestellt werden. Auch die ÖDG-App wurde upgedatet, sodass Sie auch hier die neuen Leitlinien abrufen können.

Keypoints

  • Die Prävalenz der Menschen mit T2D in Österreich liegt bei knapp 10%.

  • Generell wird ein HbA1c-Zielwert von <6,5% angestrebt, für einen Komplikationsschutz sollte er jedenfalls <7,0% liegen.

  • Für die optimale T2D-Basistherapieeinstellung muss zwischen Patienten mit und ohne Vorerkrankungen differenziert werden.

  • Bei Herz- und Niereninsuffizienz zeigen SGLT2-Hemmer mit einer bis zu 30%igen Risikoreduktion für Hospitalisierung oder eGFR-Abfall einen enormen Vorteil.

  • Inkretine sind im Gewichtsmanagement zu bevorzugen.

Wir haben uns entschlossen, österreichische Leitlinien zu erstellen, da die internationalen Leitlinien meist in Englisch geschrieben sind und daher oft von uns nicht gelesen werden. Wir haben auch versucht, die Leitlinien praxisgerecht zu gestalten, da manche Medikamente in Europa bzw. in Österreich nicht verfügbar sind bzw. gar nicht erhältlich oder nicht zugelassen sind.

Die neuen Leitlinien wurden von einem Ausschuss erstellt, der aus 42 Autorinnen und Autoren besteht. Insgesamt haben mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen an den Leitlinien mitgearbeitet. Diese große Anzahl an Personen, die im Bereich des Diabetes tätig sind, garantiert einerseits eine große Ausgewogenheit und andererseits auch eine sehr hohe Kompetenz in den Manuskripten. Nachdem wir leider in Österreich nach wie vor kein ausreichendes Register haben, welches die verschiedensten Erkrankungen erfasst, obwohl ELGA derzeit schon dazu fähig wäre, sind die Zahlen, die wir zum Diabetes haben, noch eher spärlich bzw. auf Schätzungen beruhend. Nichtsdestotrotz hat die Gesundheit Österreich aufgrund der LEICON-Daten, das sind Daten aller Sozialversicherungsträger in Österreich auf Medikamentenverordnung basierend, eine Prävalenz errechnet. Die LEICON-Daten sagen, dass 575000 Patienten aktuell Medikamente bekommen oder zumindest zwei HbA1c-Bestimmungen pro Jahr haben. Die Schätzung der T2D-Prävalenz liegt zwischen 727618 und 879826 Personen mit T2D. Dies sind doch dramatische Daten, da dies einer Prävalenz in Österreich von 8,17% bis 9,98%, also fast 10% der Bevölkerung, entspricht. Wenn man das herunterbricht auf die ältere Bevölkerung, die ja hauptsächlich an Diabetes mellitus Typ 2 leidet, so ist das bald jede 3. bis 4. Person über 65 Jahre bzw. jede 5. bis 6. Person über 45 Jahre. Aufgrund dieser Daten ist es wichtig, sowohl die Screeningbestrebungen über die HbA1c-Bestimmung in verschiedensten Settings voranzutreiben als auch die Therapiefortschritte im Rahmen von Leitlinien zu präzisieren und in Form einer Leitlinie für die Praxis einfach umsetzbar zu machen.

Individuelle HbA1c-Zielwerte

Die neuen Leitlinien weisen nun zuerst auf die individuellen HbA1c-Zielwerte hin. Bei kurzer Diabetesdauer und langer Lebenserwartung wird ein HbA1c-Ziel <6,5% gewünscht. Generell wirdfür die meisten Patienten für einen ausreichenden Komplikationsschutz aktuell ein HbA1c-Ziel <7% angesehen und es gibt natürlich Patienten, die aufgrund von mehreren schweren Hypoglykämien oder eingeschränkter Lebenserwartung oder anderen multiplen Spätkomplikationen auch einen HbA1c bis 8% haben. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass der HbA1c-Wert am besten im physiologischen Bereich gehalten werden soll. Die neuen Leitlinien bzw. die zentrale Grafik der ÖDG-Leitlinie 2023 startet als grundlegende Therapie aller Patienten mit Diabetes mit der lebensstilmodifizierenden Therapie, die sich natürlich im Speziellen auf das Gewichtsmanagement und auf die körperliche Aktivität bezieht (Abb. 1). In Bezug auf die körperliche Aktivität werden 150 Minuten pro Woche gefordert.

Abb. 1: Lebensstilmodifizierende Therapie und Indikationsstellung der antihyperglykämischen Therapie, je nach kardiovaskulärer und renaler Vorerkrankung (Quelle: ÖDG-Leitlinien, Update 2023)

Basistherapie je nach Vorerkrankungen

Wenn diese Basistherapie steht, wird im Weiteren differenziert zwischen Patienten, die keine bekannte kardiovaskuläre Erkrankung, keine Niereninsuffizienz und keine Herzinsuffizienz aufweisen, und den Patienten mit kardiovaskulären oder renalen Vorerkrankungen. In der Gruppe, die noch keine nachgewiesene kardiovaskuläre Vorerkrankung hat, wird Metformin als Basistherapie empfohlen, wenn keine Kontraindikationen bestehen. Metformin sollte langsam mit 500mg pro Tag gestartet werden und im wöchentlichen Rhythmus jeweils um 500mg auf eine Maximaldosis von 2x1000mg gesteigert werden. Metformin ist nach wie vor eines der wenigen Medikamente, die auch einen Mortalitätsbenefit nachweisen konnten. Dies wurde in der UKPDS-Studie Nummer 34 gezeigt, in der 342 Patienten, die Metformin bekamen, eine niedrigere Mortalität hatten als im Vergleich zu Patienten, die Metformin nicht bekamen. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem BMI>30kg/m2 und neu diagnostiziertem T2D. Für Metformin ist außerdem zu sagen, dass jedes Jahr einige Studien publiziert werden, die für Metformin einen Benefit in verschiedensten Entitäten nachweisen. Ebenso muss man sagen, dass in den großen, oft zitierten kardiovaskulären Outcomestudien Metformin immer als Basistherapeutikum vorhanden war. Gleich nach Metformin oder am besten möglicherweise gleich mit Metformin sollte im Weiteren der Fokus ebenso auf die Therapie der Blutglukose gelegt werden. Hier ist die Vermeidung von Hypoglykämien und die Reduktion des Körpergewichts für die Patienten mit T2D zentral. Es wird empfohlen, SGLT2-Hemmer, die klare Vorteile in kardiovaskulären Outcomestudien und auch in Metaanalysen bei nicht kardiovaskulär vorerkrankten Patienten gezeigt haben, einzusetzen.

Wenn SGLT2-Hemmer nicht gegeben werden wollen, kann gleichwertig ein GLP-1-Analogon gegeben werden. Wenn damit kein Auslangen gefunden wird, kann nach dem SGLT2-Hemmer ein GLP-1-Agonist oder Tirzepatid gegeben werden bzw. in der Therapie mit GLP-1-Analogon sollte ein SGLT2-Hemmer in Addition dazugegeben werden. Kann damit das HbA1c-Ziel nicht erreicht werden, sollte die Therapie mit DPP-4-Hemmern, Pioglitazon, Basalinsulin oder auch Sulfonylharnstoffen ergänzt werden.

In der anderen Gruppe, und zwar in der Gruppe der Patienten, die eine kardiovaskuläre oder renale Erkrankung hatten oder Risikofaktoren dafür haben, wird empfohlen mit einem GLP-1-Analogon oder SGLT2-Hemmern zu starten. Empfohlen wird, gleich mit Metformin zusätzlich zu beginnen.

T2D und Herzinsuffizienz

In der Gruppe der Patienten, die eine Herzinsuffizienz aufweisen, wobei hier gesagt werden muss, dass das Spektrum der eingeschränkten Ejektionsfraktion von der HFpEF bis zur HFrEF reicht, sollte ein SGLT2-Hemmer mit nachgewiesenem Benefit in diesem Kollektiv gegeben werden,am besten gleichmit Metformin. In der Gruppe mit chronischen Nierenerkrankungen sollte ein SGLT2-Hemmer mit nachgewiesenem Benefit, das heißt mit nachgewiesener Nephroprotektion, gegeben und auch hier am besten gleich mit Metformin gestartet werden.

Gerade für Herzinsuffizienz und chronische Nierenerkrankungen ist der Benefit der SGLT2-Hemmer enorm und reicht im Schnitt bis zu 30% Risikoreduktion für Hospitalisierung wegen einer Herzinsuffizienz oder auch einer deutlichen Reduktion des Abfalls der eGFR über die Jahre.

Sollte in diesen Kollektiven die Therapie mit den angeführten Medikamenten nicht ausreichen, kann eine Therapieeskalation, wie oben angeführt, durchgeführt werden.

Hervorgehoben werden muss, dass in der Gruppe ohne kardiovaskuläre Vorerkrankung, in der Literatur z.B. in der FACTOR-64-Studie, fast 61,9% der Patienten mit T2D eine atherosklerotische koronare Herzerkrankung aufweisen. Das heißt, dass diese Patienten zwar asymptomatisch sind, allerdings in die Gruppe der atherosklerotisch vorerkrankten Patienten einzureihen sind.

Kardiovaskuläre Outcomestudien

Für die Gruppe der SGLT2-Hemmer und GLP-1-Analoga sind mittlerweile ganz eindeutige kardiovaskuläre Outcomestudien vorliegend, die den Benefit dieser Medikamentenklasse bestätigen. Für Tirzepatid ist dieser Nachweis noch ausständig. Die weiteren Medikamente, die für die Therapie eingesetzt werden können, sind die uns allen gut bekannten DPP-4-Hemmer. Hierzu ist zu sagen, dass DPP-4-Hemmer die Blutzuckerwerte mit einer HbA1c-Senkung von 0,8 bis 1,2% durchaus sehr effektiv senken. DPP-4-Hemmer sind kardiovaskulär sicher. Sie haben keine Nebenwirkungen, sie machen keine Hypoglykämien und werden meist auch nur 1x pro Tag gegeben. Es gibt sehr gute Kombinationspräparate mit Metformin, aber auch mit SGLT2-Hemmern.

Für Sulfonylharnstoffe konnte in den letzten Jahren in rezenten Metaanalysen mit neuen statistischen Methoden ganz klar nachgewiesen werden, dass sie kardiovaskulär sicher sind. In der CARMELINA-Outcomestudie, die als randomisiert kontrollierte, prospektive Studie durchgeführt wurde, konnte sogar gezeigt werden, dass Sulfonylharnstoffe das gleiche Sicherheitsprofil aufweisen wie DPP-4-Hemmer. Sulfonylharnstoffe machen, natürlich in einem geringen Ausmaß, jedoch Hypoglykämien.

Fazit

Praxistipp
Die neuen Praxis­leitlinien zum anti­hyperglykämischen Management bei T2D können sowohl auf der ÖDG-Home­page abgerufen als auch postalisch angefordert werden.

Grundsätzlich möchten wir anführen, dass es ganz wichtig ist, die Blutzuckersituation und das Senken des HbA1c-Wertes als Zielparameter zu haben. In einer Analyse aus den UKPDS-Daten konnte gezeigt werden, dass, wenn über 20 Jahre der HbA1c-Wert um 1% niedriger ist, die Sterblichkeit um 36% sinkt, und wenn der HbA1c-Wert um 2% niedriger ist, die Sterblichkeit um 86% sinkt (Abb. 2). Dies sind Daten, die eindrücklich beweisen, wie wichtig die Blutzuckersenkung für unsere Patienten über die Jahre ist. Die ÖDG hofft mit den Leitlinien für die Praxis eine vernünftige, verständliche und auch brauchbare Umsetzung der aktuellen Therapien zu ermöglichen.

Abb. 2: Effekt von lange erhöhter Glukose gemessen am HbA1c (nach Lind M et al.: Diabetes Care 2021)

beim Verfasser

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