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Wenn Kinder mit Diabetes erwachsen werden
Jatros
Autor:
Mag. Sandra Fleck
30
Min. Lesezeit
17.04.2018
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<p class="article-intro">Rund 3500 Kinder und Jugendliche in Österreich sind an Typ-1-Diabetes erkrankt. Nicht immer gelingt bei ihnen der reibungslose Übergang – genannt Transition – zur Erwachsenenmedizin. Manche Jugendliche fallen sogar für einige Jahre völlig aus der Versorgung heraus bzw. nehmen erst dann wieder ärztliche Hilfe in Anspruch, wenn bereits gesundheitliche Probleme auftreten. Jugendliche mit Diabetes verlieren heutzutage oft ihre medizinischen Bezugspersonen durch die strenge Trennung zwischen Pädiatrie und innerer Medizin.</p>
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<p class="article-content"><p>Die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) will das ändern und fordert eine frühzeitige und bessere Planung, um gefährliche Betreuungslücken zu vermeiden. Eine reibungslose Transition erfordert eine längerfristige enge Kooperation von pädiatrischen und internistischen Zentren und ebenso eine individuelle Vorgehensweise mit direkter Einbeziehung der jungen Betroffenen und dem Eingehen auf deren aktuelle Lebensbedürfnisse.</p> <h2>Erwachsen werden mit Diabetes – Transition in Österreich mangelhaft</h2> <p>Wenn ein Kind mit Typ-1-Diabetes zum jungen Erwachsenen wird, hat das neben den ohnehin schon großen Herausforderungen im Leben jedes jungen Menschen – Ausbildung, Sexualität, Arbeit etc. – auch eine Umstellung bei der laufenden medizinischen Betreuung zur Folge: Der Jugendliche wird von einem pädiatrischen Zentrum einer Diabetesambulanz übergeben. Dieser Übergang wird als Transition bezeichnet. Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Univ.-Klinik für Innere Medizin III, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, MedUni Wien, und Präsidentin der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, dazu: „Wenn die Übergabe strukturiert abläuft und geplant über einen längeren Zeitraum stattfindet, kann die Kontinuität in der Betreuung durch Diabetologen sichergestellt werden. Leider findet derzeit oftmals keine solche Transition statt.“<br /> „In Österreich werden über 80 Prozent aller Kinder mit Typ-1-Diabetes in spezialisierten pädiatrischen Zentren von einem Fachteam betreut. Nach der Übergabe sind es nur noch 40 Prozent, die in einem entsprechenden Zentrum für erwachsene Diabetiker betreut werden“, erläutert Assoz. Prof. PD OÄ Dr. Sabine Hofer, Kinderärztin an der Medizinischen Universität Innsbruck und Vorstandsmitglied der ÖDG. „Ein hoher Prozentsatz der Patienten wird nicht weiterführend durch Diabetesexperten betreut und von bis zu 10 Prozent weiß man gar nicht, ob und wo sie weiterbetreut werden. Unser Ziel ist es, durch Verbesserung der Transition sicherzustellen, dass Menschen mit Diabetes auch nach der Kindheit und Adoleszenz kontinuierlich von Diabetesexperten betreut und behandelt werden.“<br /> Gelingt die Transition nicht, entsteht – so zeigen Studien – eine Betreuungslücke von durchschnittlich 2 bis 5 Jahren ohne kontinuierliche Betreuung durch Diabetologen. Diese Patientinnen und Patienten kommen dann oft erst wieder zum Arzt oder zur Ärztin, wenn massive Probleme auftreten, wie Blutzuckerentgleisungen oder erste chronische Diabeteskomplikationen.</p> <h2>Warum ist der Übergang für Jugendliche so schwer?</h2> <p>Pädiater sind auf die Wachstums- und Entwicklungsphase fokussiert und kennen die Bedürfnisse junger Menschen genau. Jugendliche sind in der Regel erlebnisorientiert, das bedeutet, dass sie von den Fachleuten, die sie betreuen, auch Verständnis für ihre jugendliche Lebensrealität erwarten. Diese Lebensrealität beinhaltet das Grundbedürfnis nach neuen Erfahrungen und dem Austesten von Grenzen inklusive Lernen aus Fehlern. Die Betreuung erwachsener Diabetespatienten ist im Unterschied dazu aber ergebnisorientiert strukturiert: Habe ich meine Zielwerte erreicht? Wie ist mein Gefäßzustand? Diese Ergebnisorientierung zielt darauf ab, den Gesundheitszustand im Auge zu behalten, um Folgeerkrankungen zu vermeiden, wird aber gerade von jungen Menschen viel zu oft als Prüfungssituation mit Überwachungscharakter erlebt. Viele dieser jungen Menschen fühlen sich nicht verstanden. Sie beklagen, dass ihre Bedürfnisse nicht gehört werden, und fallen aus einer kontinuierlichen Betreuung heraus.</p> <h2>Erfolgreiche Transition bedeutet, individuell auf die Bedürfnisse Jugendlicher einzugehen!</h2> <p>Den Übergang von der Erlebnisorientierung zur Ergebnisorientierung bei Jugendlichen strukturiert zu begleiten ist von zentraler Bedeutung, um Betreuungslücken zu vermeiden. Dafür ist zunächst eine längere Vorbereitung der jungen Betroffenen auf pädiatrischer Seite notwendig. In dieser Phase wird konkret angesprochen, in welcher Einrichtung die weitere Betreuung stattfinden wird und was die jungen Patienten dort erwartet, und sie werden darauf vorbereitet, Eigenverantwortung zu übernehmen. Danach bringen sogenannte Transitionssprechstunden Mediziner aus dem Zentrum für Kinder und dem für Erwachsene sowie die jungen Betroffenen selbst zusammen, um gemeinsam die weitere Betreuung zu besprechen.<br /> Um eine Transition zu strukturieren, können auch überlappende Termine angeboten werden, bei denen die Patienten zur Erwachseneneinrichtung gehen und danach Feedback an ihr pädiatrisches Zentrum geben. Diese Doppelbetreuung sollte für einen gewissen Zeitraum aufrechterhalten werden. „Wir wissen, dass bei einer unstrukturierten Transition maximal 50 bis 55 Prozent der Patientinnen und Patienten weiter in einem spezialisierten Zentrum in Behandlung bleiben. Wird die Transition strukturiert durchgeführt, sind es bis zu 80 Prozent“, erläutert Hofer. Ein weiteres Tool wären die Entwicklung und das Angebot spezieller Transitions- Camps für junge Betroffene, also einer speziellen Stoffwechselrehabilitation für Jugendliche, die sie in ihrer Lebenswelt abholt und bei der Spezialisten und die Betroffenen gemeinsam individuelle alltagstaugliche Lösungen erarbeiten. Im Berliner Transitionsmodell werden sogenannte Case Manager, Pflegepersonen, die die betroffenen Jugendlichen beim Übergang von der kinderfachärztlichen Betreuung in die Erwachsenenmedizin begleiten, eingesetzt. Auch das wäre eine Möglichkeit, die Betreuungslücken gar nicht erst entstehen zu lassen.</p> <h2>ÖDG-Forderung: Zeit und Vernetzung als Schlüssel zur erfolgreichen Transition</h2> <p>Kautzky-Willer bekräftigt: „Unser Ziel ist, eine strukturierte Transition für alle Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes gewährleisten zu können. Die ÖDG evaluiert, welche konkreten Maßnahmen für die Patienten in Österreich am besten geeignet sind. Eine breite Umsetzung scheitert derzeit noch an der mangelnden Zeit und der mangelnden Vernetzung von pädiatrischen Zentren und deren Äquivalenten in der Erwachsenenmedizin. Die Vernetzung wurde bereits in den letzten Jahren von der ÖDG stark vorangetrieben. Die Gesundheitspolitik ist aufgerufen, die zeitlichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, um geeignete Transitionsmaßnahmen anbieten zu können.“ (red)</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Presseaussendung der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, 1. März 2018
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