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Metformin als Therapie des Gestationsdiabetes
Jatros Digital
Autor:
Dr. Christina Stern
Medizinische Universität Graz<br> Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe<br> E-Mail: christina.stern@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
30.05.2018
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<p class="article-intro">Frauen, die einen Schwangerschaftsdiabetes entwickeln, und deren Kinder haben ein beträchtliches Risiko, im späteren Leben einen Typ-2-Diabetes und die damit verbundenen kardiovaskulären Langzeitkomplikationen zu entwickeln. Metformin – als orale Therapiealternative zu Insulin – wird zunehmend in der Schwangerschaft angewendet und wurde bereits in verschiedene internationale Leitlinien implementiert.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die Häufigkeit von Schwangerschaftsdiabetes steigt weltweit rapide parallel zur Zunahme der Prävalenz von Übergewicht und Typ-2-Diabetes. Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes und deren Neugeborene haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Schwangerschafts- bzw. Geburtskomplikationen sowie für Langzeitmorbidität im Sinne der Entwicklung eines manifesten Diabetes mellitus bzw. kardiovaskulärer Folgeerkrankungen.</li> <li>Metformin fördert die Insulinsensitivität von Leber und Muskeln, hemmt die hepatische Glukoneogenese sowie die intestinale Glukoseresorption. Es ist plazentagängig, jedoch wurde bisher in keiner Studie ein negativer Effekt auf Entwicklung oder Wachstum des Feten beschrieben.</li> <li>Metformin stellt eine gleichwertige, kosteneffektive und sichere Alternative zur Therapie mit Insulin dar und bietet zudem Vorteile bzgl. Anwendbarkeit und Patientinnenzufriedenheit, wenngleich Langzeitdaten bisher nur limitiert vorliegen.</li> </ul> Das Screening auf Schwangerschaftsdiabetes mittels oralen Glukosetoleranztests (oGTT) ist im österreichischen Mutter- Kind-Pass (zwischen der 25. und der 28. Schwangerschaftswoche) verankert und ermöglicht es, Frauen mit gestörtem Glukosestoffwechsel rechtzeitig zu erkennen. Dies kann nun entweder eine vorbestehende, in der Schwangerschaft erstmals diagnostizierte Glukosetoleranzstörung bzw. ein manifester Diabetes mellitus oder ein schwangerschaftsassoziierter, also ein Gestationsdiabetes (GDM) sein.<br /> Die diagnostischen Grenzwerte des oGTT beruhen auf internationaler Konsensusbildung durch Experten (International Association of Diabetes and Pregnancy Study Group [IADPSG], 2010), sodass mittlerweile weltweit überwiegend einheitliche Diagnosekriterien gelten. Die Häufigkeit des GDM international beträgt zwischen 9 und 20 % . <h2>Ätiologie</h2> Während der Schwangerschaft entsteht physiologisch durch den Einfluss antiinsulinär wirkender Hormone der Plazenta eine zunehmende Insulinresistenz, welche sich nach der Entbindung wieder normalisiert. Kann dieser Prozess nicht ausreichend kompensiert werden, entwickelt sich ein Gestationsdiabetes. Zudem spielen bei der Genese des GDM auch immunologische Komponenten, im Sinne einer vermehrten Expression von Immunmarkern, die auch bei Diabetes mellitus Typ 1 auftreten, eine Rolle. <h2>Risiken und Komplikationen</h2> Ziel der Behandlung des GDM ist das Vermeiden von mitunter schweren perinatalen Komplikationen bei der Mutter und dem Kind. Für das Kind sind dies Makrosomie, metabolische Störungen wie neonatale Hyperinsulinämie, Hypoglykämie und Hyperbilirubinämie sowie insbesondere die nachteilige fetale Stoffwechselprogrammierung mit späterer Entwicklung von Übergewicht und Diabetes bereits im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter. Hinsichtlich der Häufigkeit neonataler Komplikationen besteht ein linearer Zusammenhang zu steigenden Bluzuckerwerten. Die akuten mütterlichen Risiken sind erhöhte Anfälligkeit für Harnwegsinfektionen, vorzeitige Wehentätigkeit und somit Frühgeburtlichkeit, erhöhtes Risiko für Präeklampsie und Geburtskomplikationen wie Kaiserschnittentbindung, vaginal-operative Entbindung bzw. Schulterdystokie und schwere Geburtsverletzungen. Potenzielle Langzeitfolgen für die Mutter sind erneutes Auftreten eines GDM in einer folgenden Schwangerschaft (50 % ) sowie Manifestation eines Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen 10 Jahre post partum (40–50 % ).<br /> Ein unbehandelter GDM kann zum intrauterinen Fruchttod führen; in 28 % der pränatalen Todesfälle muss ein unerkannter GDM als Todesursache angenommen werden. Zahlreiche Studien belegen, dass Komplikationen durch rechtzeitige und optimierte Therapie vermieden werden können. <h2>Therapieoptionen</h2> <strong>Lifestyle-Modifikation</strong><br /> Die primäre Intervention nach Diagnosestellung besteht aus Maßnahmen der Lebensstilmodifikation, i.e. Diabetesdiät und maßvoller, schwangerschaftsadaptierter regelmäßiger Bewegung. Kann damit das Behandlungsziel nicht erreicht werden, ist eine pharmakologische Therapie indiziert.<br /><br /> <strong>Pharmakologische Therapie: Insulin oder/und Metformin</strong><br /> Insulin galt über Jahrzehnte als Standardtherapeutikum beim Schwangerschaftsdiabetes. Das Biguanidpräparat Metformin ist ein orales Antidiabetikum und wird zunehmend im klinischen Alltag eingesetzt. Es fördert die Insulinsensitivität von Leber und Muskeln, hemmt die hepatische Glukoneogenese sowie die intestinale Glukoseresorption und gilt als Mittel erster Wahl bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes.<br /> 2016 ist Metformin erstmalig als First- Line-Medikation zur Therapie des GDM in die Leitlinie des National Institute for Health and Care Excellence eingegangen (NICE, 2016). Dahingegen äußert sich das American College of Obstetricians and Gynecologists zurückhaltender und empfiehlt Metformin als Medikament der 2. Wahl bzw. jenen Patientinnen, die eine Insulintherapie ablehnen oder die zur sicheren Anwendung von Insulin nicht in der Lage sind (ACOG, 2017).<br /> Bei Patientinnen mit polyzystischem Ovarsyndrom, die Metformin im Rahmen der Kinderwunschbehandlung zur Fertilitätsverbesserung erhalten haben, soll diese Therapie in der Schwangerschaft weitergeführt werden.<br /> Einige Studien zeigten, dass ca. 15-20 % der Gestationsdiabetikerinnen Insulin zusätzlich zur Therapie mit Metformin benötigen. <h2>Nebenwirkungen und Kontraindikationen</h2> Das Spektrum der Kontraindikationen ist schmal, erwähnenswert sind eine eingeschränkte Nierenfunktion (Laktatazidose) sowie schwere Leberfunktionsstörungen (z.B. HELLP-Syndrom). Im Allgemeinen sind keine schweren Nebenwirkungen zu erwarten, bei ca. 10 % wurden gastrointestinale Beschwerden verzeichnet.<br /> Darüber hinaus ist die Anwendung in der Stillzeit möglich. <h2>Metformin: Vor- und Nachteile</h2> Nach wie vor handelt es sich in Österreich bei der Anwendung von Metformin um eine sogenannte „Off-label“-Verordnung, über die die Patientin gesondert aufgeklärt werden muss.<br /> Metformin ist plazentagängig, bisher wurden jedoch keine negativen Auswirkungen auf die fetale Entwicklung und das fetale Wachstum beschrieben. Im Gegenteil: Die bisher größte Studie über das Langzeitoutcome bei Kindern beschreibt eine günstigere Fettverteilung zugunsten des subkutanen Fettanteils, welcher eine positive Prädisposition bzgl. des Risikos für die Entwicklung einer Insulinresistenz im weiteren Leben haben könnte.<br /> Metformin bietet im Vergleich zu Insulin durch die orale Verabreichung, die ambulante Therapieeinstellung und das Ausbleiben von möglichen Hypoglykämien sowie einer ausgeprägten Gewichtszunahme ein vielversprechendes Profil bzgl. der Patientinnenzufriedenheit und damit der Therapiecompliance.<br /> Weitere Studien zur Evaluierung der Wirksamkeit, der Anwendungssicherheit und insbesondere zum Langzeitoutcome sind noch ausständig.<br /> Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass gemäß der Empfehlung der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG) und anderer internationaler Fachgesellschaften derzeit unter Berücksichtigung der Kontraindikationen und nach entsprechender Aufklärung der Patientin kein Einwand gegen den Einsatz von Metformin in der Schwangerschaft besteht.</div></p>
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