Soll man nur nach schriftlicher Patientenaufklärung impfen?
Bericht:
Reno Barth
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Wie viel ärztliche Aufklärung ist vor einer Impfung erforderlich? Und muss diese Aufklärung schriftlich erfolgen? Eine schriftliche Aufklärung hat den Vorteil, dass sie im Falle einer Klage auf Schadenersatz leicht zu dokumentieren ist. Andernfalls steht im Gerichtssaal unter Umständen Aussage gegen Aussage. Andererseits besteht die Gefahr, dass umfangreiche Aufklärungsbögen für Patienten und Behandler nicht mehr zu überblicken sind. Keinesfalls dürfen solche Formulare das ärztliche Gespräch ersetzen.
Für den Juristen Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner, LL.M., Institut für Europarecht, Internationales Recht und Rechtsvergleichung, Universität Wien, ist eine schriftliche Aufklärung vor einer Impfung empfehlenswert. Diese sei beispielsweise vor chirurgischen Eingriffen Standard. Es bestehe dafür zwar keine gesetzliche Grundlage, es werde jedoch fast immer so gehandhabt. In der Praxis erfolge die Aufklärung sowohl mündlich als auch schriftlich.
Die Situation bei einer Impfung sei jedoch nur bedingt vergleichbar. Während in der Regel kranke Menschen mit starker Indikation operiert werden, handelt es sich bei der Impfung um Prävention, nicht um Behandlung. Ob und in welchem Maß eine Indikation besteht, hängt davon ab, wer wogegen geimpft werden soll. Ofner: „Je schwächer die Indikation ist, desto besser muss ich aufklären.“ Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt der Fall eines Kindes, das nach einer Tuberkulose(Tbc)-Impfung einen Impfschaden erlitt. Für die Entscheidung des Gerichts war schließlich ausschlaggebend, dass angesichts der Lebensverhältnisse des Kindes im ländlichen Österreich keine ersichtliche Indikation für eine Tbc-Impfung bestanden hatte. Oder, wie Ofner an einem fiktiven Beispiel erläutert: „Wenn ich einen Tiroler Bauern, der keine Tropenreise plant, gegen Gelbfieber impfe, dann ist das nicht indiziert.“
Die schriftliche Aufklärung reduziert das Risiko vor Gericht
Bei der schriftlichen Aufklärung gehe es aber nicht zuletzt auch um die Glaubwürdigkeit einer Aussage vor Gericht und damit um die Beweiswürdigung durch den Richter. Die Behauptung, nicht aufgeklärt worden zu sein bzw. keine Aufklärung über ein konkretes Risiko erhalten zu haben, ist ein häufiges Szenario im Haftungsprozess, wo dann widerstreitende Aussagen von Patient und Arzt vorliegen. Der Richter muss nach sachlichen Kriterien eine faktenbasierte Entscheidung treffen können – was schwierig ist, wenn Aussage gegen Aussage steht. In solchen Fällen hat sich die schriftliche Aufklärung sehr gut bewährt. Ofner: „So ein Aufklärungsbogen ist eine Wohltat für den Richter.“
Zwei Beispiele aus der Praxis
Wie das in der Praxis aussehen kann, erläuterte Ofner anhand zweier Beispielfälle, die vor deutschen Gerichten verhandelt wurden: Bei einer Patientin wurde ein Uterus myomatosus diagnostiziert und ihr wurde eine Hysterektomie vorgeschlagen. Der Eingriff wurde vaginal durchgeführt, es kam zu Komplikationen, die in Anurie infolge Durchtrennung beider Harnleiter resultierten. Eine Doppel-J-Schiene musste gelegt werden. Die Patientin ist seither erheblich behindert und leidet unter Depressionen. Vor Gericht kam es zu widersprechenden Aussagen von Arzt und Patientin zur Aufklärung über die alternative abdominale Hysterektomie. Allerdings lag ein mit Anmerkungen versehener Aufklärungsbogen vor, in dem neben dem vaginalen Zugang auch der abdominelle Zugang angesprochen und im Einzelnen erläutert wird. Ofner: „Durch ein entsprechendes Kreuzchen wurde eingetragen, dass eine Entscheidung für den vaginalen Zugang getroffen wurde.“
Das ärztliche Aufklärungsgespräch schriftlich festzuhalten bietet Sicherheit vor Gericht
Grundsätzlich ist zur Beweiswürdigung zum Beweis der Aufklärung zu sagen, so Ofner, dass der Dokumentation des behandelnden Arztes im Allgemeinen Vertrauen geschenkt werden kann, wenn sie insgesamt angemessen, vollständig und zeitnah zur Behandlung erstellt worden ist und wenn Anhaltspunkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit begründen könnten, nicht vorliegen. Im konkreten Fall folgte das Gericht der Aussage des aufklärenden Arztes und hielt fest: „Unterlagen zu dem weiteren Krankheitsverlauf lassen erkennen, dass mit der Patientin ein auch für diese verständliches Gespräch geführt werden konnte.“
In einem anderen Fall kam es bei Entfernung einer Zyste am linken Eierstock zu einer Darmläsion, die eine Notoperation, einen künstlichen Darmausgang, eine Beckenvenenthrombose und eine Lungenembolie nach sich zog. Die Patientin leidet seitdem an Depression. Auch in diesem Fall erfolgte eine ärztliche Aufklärung, auch in diesem Fall kam es vor Gericht zu einander widersprechenden Aussagen von Assistenzärztin und Patientin. Allerdings war ein Aufklärungsbogen verfügbar, in dem der Punkt „Verletzung von Nachbarorganen“ zusätzlich handschriftlich unterstrichen war. Das Gericht hielt dazu fest: „Handschriftliche Unterstreichung dieses Punktes lässt erkennen, dass der vorhandenen Problematik ein wesentliches Augenmerk gewidmet wurde.“
Ofner: „Der Aufklärungsbogen dient der Absicherung der Ärzte. Es ist beschwerlich, ihn auszufüllen, aber er dient der Dokumentation und erlaubt es, besser gegen Lügen von Patienten vorgehen zu können. Im Rahmen der Beweiswürdigung benötigt das Gericht Anhaltspunkte, um sich für eine Seite entscheiden zu können.“
Schriftlicher Aufklärungsbogen vom Gesundheitsministerium
Darüber hinaus hat das Gesundheitsministerium einen schriftlichen Aufklärungsbogen für Impfungen entworfen. Allein aus der Existenz eines solchen Bogens könnte vor Gericht ein Gutachter schließen, dass Aufklärung in schriftlicher Form mittlerweile Standard ist, so Ofner.
Keine Gesetze und Normen zum Aufklärungsumfang
Dem hält „Impfärztin“ Univ.-Doz. Dr. Ursula Hollenstein, Fachärztin für Innere Medizin mit Zusatzfach Infektionen und Tropenmedizin und Spezialistin für Reisemedizin in Wien, entgegen, dass der Arzt seinem Patienten Aufklärung schuldet, dass der tatsächliche Umfang der Aufklärung im Gesetz jedoch nicht definiert ist. Man spreche in diesem Zusammenhang also von Meinungen. Hollenstein: „Der Oberste Gerichtshof hat unter ausdrücklichem Hinweis auf fehlende Gesetze und Normen zum Aufklärungsumfang bestimmte Richtlinien definiert. In welchem Umfang der Arzt letztendlich den Patienten aufklären muss, entscheidet sich immer erst im Anlassfall. Also wenn bereits etwas passiert ist und jemand geklagt wurde.“ Insbesondere sei nirgends festgehalten, dass Aufklärung schriftlich erfolgen müsse.
Die Aufklärung soll jedenfalls dazu führen, dass der Patient Chancen und Risiken, Art, Bedeutung, Dringlichkeit, Ablauf und Folgen eines Eingriffs in den Grundzügen versteht. Die Aufklärung ist von einem Arzt im Gespräch mit einem Patienten vorzunehmen – über die Verständlichkeit entscheidet demnach der Empfängerhorizont. Hollenstein: „Was überspitzt formuliert heißt, dass nötigenfalls das Medizinische in den Dialekt übersetzt werden muss. Jedenfalls genügt es nicht, eine Zustimmungserklärung zu einem operativen Eingriff auf bürokratischem Weg einzuholen, das heißt durch Überreichung eines Merkblatts, auf welchem allenfalls unterschrieben werden muss.“
Erfreulicherweise sei man in Europa noch ein Stück von amerikanischen Zuständen entfernt, wo eine ganze Berufssparte davon lebe, „Patienten gegen ihre Ärzte aufzuhetzen“. Allerdings komme es mittlerweile auch in Österreich vor, dass nach Auftreten vermeintlicher oder tatsächlicher Impfschäden geklagt wird und diese Prozesse nicht immer gut für die Ärzte ausgehen, weil vergessen wurde, auf die eine oder andere sehr seltene Nebenwirkung hinzuweisen. Diese Tendenz der Rechtsprechung zur Totalaufklärung führe dazu, dass das Aufklärungsgespräch immer mehr juristischen Charakter annimmt, statt tatsächliche Aufklärung über die Behandlung zu vermitteln. Hollenstein: „Der Faktor der medizinischen Versorgung wird zweitrangig, es dominieren juristische Floskeln zur Absicherung zukünftiger Behandlungsfehler.“ Anleitungen, wie man seinen Arzt am besten verklagt, finden sich mittlerweile auch im Internet.
Die Kunst des ärztlichen Gesprächs muss gelernt werden
Allerdings sei es im klinischen Alltag schlicht nicht machbar, im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs auf alle möglichen Nebenwirkungen einer Impfung hinzuweisen. Man produziere daher Aufklärungsbögen von der Länge eines Beipacktextes, so Hollenstein. Das müsse der Patient alles lesen und anschließend unterschreiben. Und zwar für jede einzelne Impfung, wenn mehrere Impfungen gleichzeitig gegeben werden. Darüber hinaus untergrabe das Unterschreiben solcher Aufklärungsbögen letztlich das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten, weil der Eindruck entstehe, es gehe hier nur mehr um juristische Absicherung. Hollenstein: „Das heißt, wir wälzen die Verantwortung auf den Patienten ab. Das ärztliche Gespräch ist eine Kunst und das sollten wir uns nicht durch ein Papier ersetzen lassen, das im besten Fall halb so gut und im schlimmsten Fall eine Farce ist.“ Man müsse das ärztliche Gespräch allerdings lernen und immer wieder selbst evaluieren und reflektieren.
Auch hielt Hollenstein fest, dass der Umfang der Aufklärungspflicht nicht überspannt werden dürfe – das sehe auch der Oberste Gerichtshof so. Der Umfang ist in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Wohles des Patienten abzugrenzen. Hollenstein: „Das heißt, insbesondere Ängstlichkeit, Todesangst sowie Depressionen sind zu berücksichtigen – erst in zweiter Linie ist auf das Selbstbestimmungsrecht zu achten. Weiters sind die seelische Verfassung, die Aufnahmebereitschaftsowie Vorkenntnisse und Erfahrungsstand des Patienten zu berücksichtigen. Der Arzt hat durch ein Gespräch mit dem Patienten herauszufinden, wie weit eine Aufklärung gewünscht und verkraftbar ist. Eine Aufklärung kann in Grenzfällen – einzelfallbezogen – auch völlig zu unterlassen sein.“
Nicht zuletzt inkludiert die Aufklärung aber die Risiken einer Unterlassung der Operation oder Behandlung. Ebenso ist auf die Gefahr eines Krankentransports und die Nichtverlegung in eine andere Anstalt hinzuweisen, so eine solche Gefahr besteht. Man sei vor allem auch verpflichtet, die Patienten zu informieren, was passieren kann, wenn sie eine Behandlung verweigern.
Quelle:
Pro/Contra-Sitzung 2: „Jede Impfung muss schriftlich aufgeklärt werden“ von Univ.-Doz. Dr. Ursula Hollenstein, Wien, und Univ.-Prof. Dr. Helmut Ofner, Wien, beim 16. ÖIK am 11. April 2024 in Saalfelden
Literatur:
bei den Vortragenden
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