
Lokale Antibiotikatherapie: einige Indikationen mit guter Evidenz
Bericht:
Reno Barth
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Eine Lokaltherapie mit einem Antibiotikum ist nicht nur an der Haut möglich, sondern kann beispielsweise im Respirationstrakt mittels Inhalation erfolgen. Allerdings besteht bei Weitem nicht in allen Indikationen ausreichende Evidenz für diese Verfahren.Grundsätzlich gelten bei der lokalen Antibiotikatherapie die gleichen Regeln wie bei systemischen antiinfektiven Substanzen: Es muss Evidenz für die Kombination „Substanz – Indikation“ bestehen und es muss eine Nutzen-Risiko-Abwägung unter Berücksichtigung der Resistenzentwicklung erfolgen.
In und am menschlichen Körper findet sich eine Vielzahl von Lokalisationen, an denen man lokale Antibiotika verwenden könnte, so Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Ines Zollner-Schwetz von der Klinischen Abteilung für Infektiologie an der Grazer Universitätsklinik für Innere Medizin. Je nach Einsatzort kommen dabei unterschiedliche Applikationsformen infrage (Abb.1). Dies können Instillationen im Urogenitaltrakt ebenso sein wie Augentropfen, Inhalationen für den Respirationstrakt oder Salben und Cremen für die Haut. In den Bereich der lokalen Therapien fallen auch Zement und Spacer für Gelenke, die intrathekale Gabe für das ZNS oder die Einnahme nicht resorbierbarer Substanzen für den Gastrointestinaltrakt. Häufig lokal verwendete Substanzen sind Polypeptide wie Bacitracin (z.B. Baneocin®), Aminoglykoside (Neomycin, Gentamicin, Amikacin + Tobramycin), Mupirocin (z.B. Bactroban®), und Chinolone (Ofloxacin, Moxifloxacin).
Mögliche Vorteile der lokalen Applikation sind die erreichbaren hohen lokalen Konzentrationen und die Penetration in schlecht erreichbare Gewebe. Als Beispiel nennt Zollner-Schwetz die Kornea des Auges, an der insbesondere bei Kontaktlinsenträgern Ulzera infolge bakterieller Infektionen auftreten können, die mit antibiotischen Augentropfen gut behandelt werden können. Auch sind bei lokaler Anwendung weniger systemische Nebenwirkungen zu erwarten. Mögliche Probleme sind Resistenzentwicklung sowie lokale Nebenwirkungen. So kann es bei Inhalation zu einem Bronchospasmus kommen, bei topischer Anwendung kann die Wundheilung erschwert werden und es können sich Kontaktallergien entwickeln. In dieser Hinsicht sind Neomycin und Bacitracin problematisch.
Zystische Fibrose: Empfehlung inhalativer Antibiotika
Im Respirationstrakt sind nicht nur zystische Fibrose (CF) mit Keimbesiedelung sowie Non-CF-Bronchiektasen mögliche und gut durch Evidenz gesicherte Indikationen für inhalative Antibiotika. Bei zystischer Fibrose und Keimbesiedelung spricht die deutsche S3-Leitlinie eine klare Empfehlung mit Evidenzlevel A aus. Die inhalative Suppressionstherapie hat sich als effektiv in Bezug auf die Verbesserung klinischer Symptome und der Lebensqualität erwiesen. Darüber hinaus führt die inhalative Suppressionstherapie zu einer Verbesserung der Lungenfunktion bzw. einer Verlangsamung des Lungenfunktionsverlustes und zu einer Abnahme der Exazerbationsfrequenz bzw. zur Verlängerung der Zeit bis zur nächsten Exazerbation. Die Langzeitanwendung zeigt einen positiven Effekt auf die Reduktion der Mortalität. In der Indikation Non-CF-Bronchiektasen besteht eine vorsichtige Empfehlung der ÖGP aus dem Jahr 2013. Der Einsatz inhalativer Antibiotika sei unter bestimmten Umständen sinnvoll.
Ebenfalls eine potenzielle Indikation für inhalative Antibiotika besteht bei ventilatorassoziierter Pneumonie (VAP). Ein im Jahr 2017 auf Basis einer Metaanalyse publiziertes Positionspapier der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) gelangte allerdings zu dem Ergebnis, dass inhalative Antibiotika bei VAP aufgrund mangelnder Evidenz und des Risikos von Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden sollen. Diese Empfehlung bezieht sich sowohl auf die VAP als auch auf die ventilatorassoziierte Tracheobronchitis (VAT). Ausgewertet wurden Daten zu Aminoglykosiden und Colistin, sowohl im Rahmen adjunktiver Strategien als auch in der Substitution des i.v. Antibiotikums.1 Zollner-Schwetz: „Es wurden also unterschiedliche Optionen beleuchtet und es kommt immer wieder das Gleiche heraus: Wir sind uns nicht sicher, ob es hilft, und wir unterschätzen möglicherweise den Schaden, den wir verursachen.“
Die Frage, ob inhalative Antibiotika in der Prävention der VAP hilfreich sein können, wurde im Rahmen eines systematischen Reviews mit Metaanalyse untersucht. Das Ergebnis war positiv und zeigte eine Risikoreduktion um fast 50%.2 Auf Basis dieser Daten führte eine französische Gruppe an 19 Intensivstationen eine randomisierte, kontrollierte Studie mit inhalativem Amikacin zur Prävention beatmungsassoziierter Pneumonien durch. Die 847 erwachsenen ICU-Patient:innen waren mindestens 72 Stunden intubiert. Die Intervention bestand in der Inhalation von 20mg/kgAmikacin 1x/Tag für 3 Tage, bei der Vergleichsgruppe kam Kochsalzlösung zum Einsatz. Primärer Endpunkt sollte die erste Episode von VAP innerhalb von 28 Tagen sein. Dieser wurde aufgrund methodischer Probleme geändert in die mittlere eventfreie Zeit bis zur VAP („restricted mean survival time to VAP“). Sekundäre Endpunkte waren die Anzahl der Tage mit systemischer Antibiotikagabe, die Anzahl der Tage mit mechanischer Beatmung, die Aufenthaltsdauer in ICU und Krankenhaus, die Mortalität an den Tagen 28 und 90 sowie die Nebenwirkungen der Inhalationen. Eine Vielzahl von Ausschlusskriterien führte dazu, dass von mehr als 50000 ICU-Patient:innen 6419 gescreent und von diesen weniger als 850 in die Studie eingeschlossen werden konnten.
Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt mit einer statistisch signifikanten Differenz der „restricted mean survival time to VAP“ um 1,5 Tage, was auch einer signifikant reduzierten Inzidenz von VAP entsprach. Allerdings stelle sich die Frage, so Zollner-Schwetz, ob dieser Vorteil auch klinisch relevant sei. Hinsichtlich der patientenzentrierten Endpunkte inklusive der Mortalität bestand kein Unterschied zwischen den Studienarmen.3
Zahlreiche Kritikpunkte an der Studie wurden geäußert. So handelte es sich um eine sehr selektierte Patient:innengruppe. Die klinische Relevanz des Endpunkts ist zweifelhaft und die VAP war definiert durch eine positive Kultur aus dem Respirationstrakt. Da inhalatives Amikacin das bakterielle Wachstum reduziert, kann die Keimlast so weit gedrückt werden, dass die Definition der VAP niemals erfüllt wird – obwohl vielleicht sehr wohl eine Pneumonie besteht. Dies könne erklären, warum beispielsweise bei der Mortalität keine Unterschiede zwischen den Studienarmen zu erkennen waren. Das Fazit für die Praxis laute, so Zollner-Schwetz: Inhalation mit Amikacin zur Prävention von VAP ist nicht für alle ICU-Patient:innen zu empfehlen.
Lokaltherapie auf der Haut: an Resistenzbildung denken
Zahlreiche Indikationen bestehen für den Einsatz lokaler Antibiotika auf der Haut. Diese betreffen unter anderem den Einsatz von Fucidin bei Impetigo contagiosa, einer häufigen, hochkontagiösenoberflächlichen Infektion der Haut, die durch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes) oder Staphylococcus aureus verursacht wird und vorwiegend im Kindesalter auftritt. In leichten Fällen sei eine Lokaltherapie durchaus eine Option, so Zollner-Schwetz. Ebenso besteht eine Indikation für Mupirocin zur MRSA-Dekolonisation sowie für Erythromycin, Clindamycin oder Minocyclin bei Akne. Keine Indikation für eine topische Antibiotikatherapie besteht bei chronischen Ulzera sowie zur postoperativen Prophylaxe nach chirurgischen Eingriffen – obwohl beides in der Praxis völlig evidenzfrei durchaus gemacht werde, so Zollner-Schwetz.
Generell gilt auch bei lokaler Anwendung: Je öfter eine antimikrobielle Substanz verwendet wird, desto mehr Resistenzen entstehen gegen diese Substanz. So führte die steigende Anzahl topischer Fucidin-Verschreibungen zu einem Anstieg von Fucidin-resistenten MRSA-Isolaten von 7,8% im Jahr 2003 auf 37,4% im Jahr 2012. In dieser Zeit kam es zu einem Rückgang der Anwendung von Mupirocinaus verrechnungstechnischen Gründen, sodass die Verschlechterung der Resistenzlage auf den Einsatz von lokalem Fucidin zurückgeführt werden kann.4 Dies zeige, dass bei topischer Therapie letztlich die gleichen Muster der Resistenzbildung auftreten wie bei der systemischen, was beispielsweise vor 20 Jahren in einer Arbeit gezeigt wurde, in der der Penicillinverbrauch in verschiedenen Ländern mit der jeweiligen Resistenzsituation korrelierte.5
Eine mögliche Komplikation einer topischen Antibiotikatherapie ist die Entwicklung einer Kontaktallergie. Häufige Auslöser sind Bacitracin und Neomycin, Kreuzreaktivität mit Gentamicin ist möglich. Dies ist so relevant, dass Neomycin von der American Contact Dermatitis Society zum „Contact Allergen of the Year 2010“ gewählt wurde.
Anwendung bei Gelenkprothesen
Mögliche Indikationen für eine lokale antibiotische Therapie bestehen auch im Bereich Knochen und Gelenke. So kann für die primäre Implantation von Gelenkprothesen antibiotikahaltiger Zement verwendet werden – mit dem Ziel, die endogene Flora an der Vermehrung zu hindern. Ebenso besteht die Möglichkeit, im Falle eines Prothesenwechsels bei Protheseninfektionen mit lokalen Antibiotika zu intervenieren. Für den Einsatz von Antibiotika-haltigem Zement bei primärer Implantation zeigt eine Metaanalyse von fünf Studien einen kleinen Vorteil, der jedoch die Signifikanz verfehlte. Darüber hinaus wurden vier der fünf Studien als qualitativ minderwertig mit hohem Biasrisiko eingestuft. Für die Sinnhaftigkeit des häufig praktizierten Einsatzes Antibiotika-imprägnierter Spacer bei Prothesenwechsel fehlt bislang laut der Infectious Diseases Society of America jede Evidenz aus randomisierten, kontrollierten Studien.6 Allerdings zeigt eine randomisierte, kontrollierte Studie bei Einsatz von Spacern mit Vancomycin- oder Tobramycin-Beschichtung ein signifikant erhöhtes Risiko von akutem Nierenversagen nach der Operation.Das Vorliegen einer präoperativen chronischen Nierenerkrankung erhöht das Risiko weiter.7
Quelle:
„Lokale Antibiotika – Sinn und Unsinn“; Vortrag von Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Ines Zollner-Schwetz, Graz, im Rahmen des ÖIK am 11.April 2024 in Saalfelden
Literatur:
1 Rello J et al.: Clin Microbiol Infect 2017; 23(9): 629-39 2 Povoa FCC et al.: J Crit Care 2018; 43: 240-5 3 Ehrmann S et al.: N Engl J Med 2023;389(22): 2052-62 4 Williamson DA et al.: Clin Infect Dis 2014; 15; 59(10): 1451-4 5 Goossens H et al.: Lancet 2005; 365(9459): 579-87 6 Osmon DR et al.: Clin Infect Dis 2013; 56(1): e1-e25 7 Valenzuela MM et al.: J Arthroplasty 2022; 37(6S): S321-S326
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