Auf dem Weg zur individualisierten Krankenhaushygiene
Bericht:
Reno Barth
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Über die vergangenen 150 Jahre verlagerte sich das Infektionsrisiko zunehmend von exogenen, in das Krankenhaus hineingetragenen Keimen zu endogenen Infektionen aus der individuellen Flora der Patienten. Aktuell wird diskutiert, wie sich die Krankenhaushygiene an diese geänderte Situation anpassen kann und soll. Eine wichtige Rolle dürfte dabei auch die molekulare und genetische Charakterisierung des konkreten Erregerstammes spielen.
Es sind spannende Zeiten für die Krankenhaushygiene“, sagte Univ.-Prof. Dr. Cornelia Lass-Flörl, Direktorin des Instituts für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Medizin-Universität Innsbruck im Rahmen ihres Vortrags beim ÖIK und verwies auf aktuelle Evidenz, die darauf hindeutet, dass etliche Dogmen betreffend den Umgang mit Keimen im Krankenhaus derzeit in Diskussion stehen. So wird zunehmend hinterfragt, unter welchen Umständen Hygienemaßnahmen eskaliert werden sollen. Im Jahre 2021 wurde von Kleymann et al. in einem systematischen Review die Frage gestellt, ob sich die Rate an Healthcare-assoziierten Infektionen ändert, wenn die strengen Kontaktbeschränkungen aufgehoben werden, die für Patienten gelten, die mit Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus (MRSA) oder Vancomycin-resistentem Enterococcus (VRE) infiziert oder besiedelt sind. Die Antwort lautet: nein. Die Aufhebung der Kontaktbeschränkungen führte zu keinen vermehrten MRSA-Infektionen, das Risiko für VRE-Übertragung nahm sogar ab.1
Auf welche Hygienemaßnahmen kann verzichtet werden?
Die Conclusio aus dieser und einigen rezenteren Arbeiten sei, so Lass-Flörl: „Konzentriert euch auf eine gute Basis der Händehygiene und vergeudet weniger Zeit mit Maßnahmen wie dem Tragen von Einmalkittel, Handschuhe und Haube. Generell sollte der Einsatz von Einmalmaterial zielgerichteter hinterfragt werden. Da wird durchaus an den Pfeilern der Krankenhaushygiene gerüttelt.“ Allerdings wies Lass-Flörl auch darauf hin, dass die Meinungen zu dieser Frage aktuell alles andere als einstimmig sind: „Manche fordern nach wie vor bei jedem MRSA die sofortige Isolierung des Patienten.“
Eine Antwort könnte die personalisierte Infektionsprävention sein, wie sie 2020 von Prof. Dr. Petra Gastmeier vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der CharitéUniversitätsmedizin in Berlin gefordert wurde.2 Sie geht dabei von einem seit den 1870er-Jahren vollzogenen Shift von primär exogenen zu mehrheitlich endogenen Infektionen aus (Abb. 1). Waren früherErreger aus der Umwelt die wichtigste Infektionsquelle, so sind es heute Keime aus der individuellen Flora des Patienten. Berücksichtigt man dies, gelangt man zwangsläufig zu einem personalisierten Ansatz in der Krankenhaushygiene.
Abb. 1: Shift von exogenen zu endogenen Infektionen (modifiziert nach Gastmeier P 2020)2
Die Dominanz exogener Infektionen in vergangenen Zeiten erkläre, so Lass-Flörl, die traditionelle Herangehensweise der Krankenhaushygiene. Im Gegensatz dazu müsse man heute realisieren, dass Patienten zum Teil mit multiresistenten Bakterien besiedelt und selbst die Quelle problematischer Infektionen sind. Wolle man sich jedoch an eine personalisierte Krankenhaushygiene heranwagen, so sei eine solide Basishygiene, insbesondere eine den Empfehlungen entsprechende Handhygiene, die Grundvoraussetzung. In der Praxis heißt das, dass man beispielsweise im Fall der Detektion eines MRSA zunächst eine Risikoanalyse vornehmen und erheben soll, ob das Pathogen z.B. aus dem Sputum stammt, ob der Patient hustet und/oder schwer krank ist und im gleichen Zimmer mit einem Risikopatienten liegt – oder ob es sich um einen Zufallsbefund handelt. Lass-Flörl: „Sehr viele Krankenhäuser machen diese Analyse nicht und isolieren automatisch, wenn sie einen MRSA finden. Das geschieht nach dem Motto ‚One size fits all‘.“ Glücklicherweise sei man in Innsbruck offen gegenüber moderneren, personalisierten Ansätzen. Diese seien allerdings insofern aufwendiger, als man sich mit jedem einzelnen Patienten persönlich beschäftigen und sich unter Umständen auch Diskussionen stellen müsse. Alles in allem könne der „One size fits all“-Zugang heute nicht mehr als alternativlos angesehen werden.
Risikoanalyse anhand der genetischen Charakteristika des Keims
Diese Ansätze sind mittlerweile auch in die Überlegungen der großen Fachgesellschaften SHEA, IDSA und APIC eingeflossen, die in einem Executive Summary die Evidenz hinter ihren Empfehlungen einer (selbst)kritischen Prüfung unterzogen haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, dass diese in vielen Fällen bescheiden ist. Dies betrifft beispielsweise die Empfehlung der Isolation im Einzelzimmer im Falle einer Infektion mit Clostridioides difficile. Auch für die klassischen Hygienemaßnahmen im Umgang mit MRSA-kolonisierten oder -infizierten Patienten besteht lediglich moderate Evidenz.3
Die Expertin betonte jedoch, dass man die gewohnten Maßnahmen nicht einfach ersatzlos streichen könne. Vielmehr sei eine detaillierte Betrachtung der Pathogene zu fordern. So zeigen bestimmte MRSA-Stämme, die durch molekulare Typisierung gut definiert werden können, eine besondere Fähigkeit, sich epidemisch auszubreiten.4
Diese Eigenschaft der Ausbreitungsfähigkeit, die als „epidemische Virulenz“ bezeichnet wird, charakterisiert ein komplexes Verhalten von S.-aureus-Stämmen. Ausschlaggebend dafür sind einerseits die sogenannte intrinsische Virulenz, also Widerstandsfähigkeit, Ausstattung mit Pathogenitätsfaktoren etc. der Bakterien selbst und andererseits Faktoren ihrer Umwelt – also unter anderem hygienische und antibakterielle Maßnahmen. Das Maß der Ausbreitungsfähigkeit entscheidet mit darüber, ob Einzelerkrankungen oder Ausbrüche auftreten. Lass-Flörl: „Entscheidend ist wahrscheinlich die genetische Ausstattung der Mikroben. Das haben wir in der Vergangenheit in der Krankenhaushygiene bei der Umsetzung von Maßnahmen eventuell zu wenig berücksichtigt. Wir haben einfach alle MRSA in einen Topf geworfen und die krankenhaushygienischen Maßnahmen einheitlich darübergestülpt. Ich denke, die Definition potenziell problematischer Stämme (definiert nach Antibiotikaresistenz, Virulenz, MLST[Multilocus-Sequenztypisierung]-Sequenztypen und einiges mehr) wird die Zukunft der Maßnahmen der Krankenhaushygiene stark beeinflussen.“ So zeigen beispielsweise Daten des Robert-Koch-Instituts, dass sich unterschiedliche Sequenztypen von Vancomycin-resistenten invasiven E.-faecium-Isolaten im Krankenhaus sehr unterschiedlich verhalten, wobei manche Typen zur schnellen Verbreitung neigen, an Oberflächen haften und Menschen nachhaltig besiedeln, während sichandere hingegen praktisch nicht ausbreiten (Abb. 2).5
Abb. 2: Prozentualer Anteil der häufigsten Stammtypen bei invasiven E.-faecium-Isolaten von 2011 bis 2022 (modifiziert nach Rohde AM et al. 2022)5
Auch die Empfehlungen der Amerikanischen Gesellschaft für Infektionsprävention fordern mittlerweile, dass Isolation, Screening und Prophylaxe individualisiert nach patienten- und erregerbezogenen Faktoren sowie nach den Gegebenheiten im Krankenhaus gehandhabt werden sollen. Die Expertin: „Der Weg zu einem personalisierten Hygienemanagement inkludiert die Analyse des Patienten (Grunderkrankung, Komorbiditäten, Besiedelung), des Pathogens (Resistenz und und epidemiologischen Virulenz), des Mikrobioms (Dysbiose und Resistosom) und der Gesundheitseinrichtung (Station, Surveillance, Maßnahmen der Infektionskontrolle).“ Ein derart gezieltes Vorgehen sollte nicht zuletzt auch kosteneffizienter und ressourcenschonender sein.6
Quelle:
„KH-Hygiene mit Maß und Ziel. Was ist wirklich sinnvoll?“; Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Cornelia Lass-Flörl, Innsbruck, im Rahmen des Symposiums „Es ist nicht alles, wie es scheint“ beim 16. ÖIK am 11. April 2024 in Saalfelden
Literatur:
1 Kleyman R et al.: Am J Infect Control 2021; 49(6): 784-91 2 Gastmeier P: J Hosp Infect 2020; 104(3): 256-60 3 Yokoe DS et al.: Infect Control Hosp Epidemiol 2023; 44(10): 1540-54 4 Werner G et al.: Microb Genom 2023; 9(4): mgen001008 5 Rohde AM et al.: Clin Microbiol Infect 2023; 29(4): 515-22 6 Savoldi A et al.: Antimicrob Steward Health Epidemiol 2023; 3(1): e151
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