© MedUni Wien/F. Matern

Innovationen in der Kardiologie

„Wir stehen vor einer digitalen Revolution in der Kardiologie“

Im März fand in Wien die Fortbildungsveranstaltung „Favoriten in der Kardiologie“ statt. Wir sprachen mit Prim. Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Diana Bonderman, Vorständin der kardiologischen Abteilung der Klinik Favoriten, über Innovationen und Digitalisierung in der Kardiologie.

Frau Prof. Bonderman, in welche Richtung entwickelt sich die Kardiologie derzeit? Und was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Innovationsfelder in diesem Fachgebiet?

D. Bonderman: Das derzeit wichtigste Innovationsfeld ist die digitale Medizin mit ihren vielfältigen Möglichkeiten. Dieser Überbegriff umfasst mehrere Entwicklungen:zum einen den Bereich Telemedizin, zum anderen jedoch auch eine Reihe von Applikationen, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Was Letztere angeht, muss man allerdings sagen, dass die meisten dieser Applikationen aktuell ausschließlich im Bereich der Forschung zum Einsatz kommen und nur sehr wenige den Weg in die Klinik gefunden haben. Das wird sich aber ändern, denn dieser Trend ist nicht aufzuhalten und die Kardiologie ist prädestiniert für diese Art von technologischer Innovation. Wir stehen derzeit eher vor ethischen und regulatorischen als vor technischen Hürden. Damit erwarte ich in den kommenden Jahren eine Revolution in der Medizin. Das wird einer der Meilensteine in der Entwicklung unseres Fachs.

Was kann das in der täglichen Anwendung bedeuten? Können Sie ein Beispiel für diese Entwicklungen nennen?

D. Bonderman: Wenn wir die Entwicklungen in der Radiologie betrachten, dann haben wir aus Studien gelernt, dass die auf künstliche Intelligenz – auf KI – gestützte Befundung zuverlässiger ist als die Befundung durch Radiologen, wie zum Beispiel für das Lungenröntgen in Studien gezeigt werden konnte. Dies lässt sich direkt auf die Kardiologie übertragen, wo bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder CT hohe Bedeutung haben. Allerdings stoßen wir derzeit wie gesagt an regulatorische Hürden. Die KI kann zwar befunden, das letzte Wort muss aber ein Arzt haben. Man weiß zwar, dass die KI besser ist, aber es fehlt oft die Zulassung für deren autonomen Einsatz.

Gibt es bereits Zulassungen?

D. Bonderman: Ja, ein in Litauen entwickeltes KI-Tool zur autonomen Analyse von Röntgenbildern hat in der EU eine CE-Zertifizierung erhalten. Das Tool scannt Röntgenbilder des Brustkorbs und analysiert diese. Die KI sortiert die Bilder der Patienten aus, die sie als völlig gesund und ohne Anomalien einstuft. Alle Bilder, die das Tool als potenziell problematisch einstuft, werden anschließend von einem Radiologen geprüft. In Studien waren alle Aufnahmen, die als normal eingestuft wurden, tatsächlich unauffällig. Damit hat die Untersuchung einen hohen negativen Prädiktionswert. Falsch positive Resultate kommen vor und müssen durch die fachärztliche Befundung korrigiert werden. In der Praxis bedeutet das, dass zumindest zehn Prozent der Aufnahmen nicht mehr vom Radiologen angeschaut werden müssen.

Was wäre in der Kardiologie eine naheliegende Anwendung für Befundung durch KI?

D. Bonderman: Zum Beispiel die Auswertung von EKGs. Das EKG könnte man ja im weitesten Sinne auch als bildgebendes Verfahren sehen. Ein Tool wie ChestLink haben wir noch nicht, aber es wäre hilfreich. Wenn eine KI ein gesundes EKG zuverlässig erkennen könnte, dann würden wir uns viel Arbeit ersparen. Das würde die routinemäßige Auswertung von EKGs erheblich erleichtern und beschleunigen.

Gibt es über das EKG hinausgehende Anwendungen?

D. Bonderman: Im klinischen Einsatz, wie gesagt, noch nicht. Aber es gibt zum Beispiel Studien zur Auswertung der Echokardiografie mittels KI. Damit kann man beispielsweise die Auswurffraktion bestimmen. Es gibt auch Studien zur KI-gestützen Identifikation seltener Zustandsbilder, für die man derzeit ein Expertenzentrum braucht. Das betrifft zum Beispiel die pulmonalarterielle Hypertonie. Ein weiteres Beispiel ist die Diagnostik von Amyloidosen aus dem MRT. Die KI kann – derzeit allerdings noch in der Forschung – gut zwischen kardialer Amyloidose und anderen Formen der Herzinsuffizienz differenzieren.

In welchem Zeitrahmen, schätzen Sie, wird es zum klinischen Einsatz von KI in der Kardiologie kommen?

D. Bonderman: Wenn man sich die FDA-Zulassungen ansieht, so nehmen diese derzeit enorm an Fahrt auf. Das meiste tut sich aktuell zwar in der Radiologie, aber auch in der Kardiologie ist viel los. Ich denke, der Zeitraum für den Einsatz werden die nächsten fünf bis zehn Jahre sein. Viel hängt natürlich davon ab, welche Firmen das mit welchem Nachdruck verfolgen. Der Weg in die Klinik ist industriegetrieben.

Was bedeutet das für den Anwender? Es sind ja nicht alle Mediziner besonders technikaffin…

D. Bonderman: Das ist eine ganz wichtige Frage und wird darüber entscheiden, welche Verfahren sich in der Praxis durchsetzen werden. Wenn die Anwendungen so gestaltet sind, dass sie Komplexität aus dem System herausnehmen und Zeit sparen, werden sie sich durchsetzen. Wenn es aber so ist, dass man mit der KI vielleicht einen gewissen Qualitätsgewinn hat, diesen aber mit erhöhtem Aufwand erkaufen muss, dann wird sie sich nicht durchsetzen.

Eine in gewisser Hinsicht einfachere Form digitaler Medizin ist die Telemedizin. Wo stehen wir da?

D. Bonderman: Was die Telemedizin angeht, stehen wir in Österreich leider nicht besonders gut da. Im Vergleich zum Beispiel zu Deutschland stehen wir noch ganz am Anfang. Die Deutschen haben telemedizinische Leistungen teilweise schon in der Regelversorgung und können diese daher abrechnen.

Was wären denn telemedizinische Anwendungen in der Kardiologie?

D. Bonderman: Das Interessanteste ist das Management von Herzinsuffizienzpatienten über ein Volums-Monitoring. Damit kann man Dekompensation frühzeitig erkennen und auch abwenden, wodurch sich Hospitalisierungen verhindern lassen.

Wie macht man das?

D. Bonderman: Es gibt einen Sensor, der in die Pulmonalarterie implantiert werden muss und dort den Druck überwacht. Steigt der Druck über mehrere Tage, dann steht eine Dekompensation bevor, und man kann rechtzeitig intervenieren. Das ist mittlerweile durch mehrere Studien abgesichert. Der Nachteil ist die relativ invasive Implantation mit dem Rechtsherzkatheter. Daher werden Systeme entwickelt, die nicht invasiv an der Thoraxwand den sogenannten Thoracic Fluid Index messen. Es gibt Devices, die auf Radar basieren, und in den USA bereits in der Klinik angekommen sind. In Europa haben wir es derzeit noch nicht. Studien zeigen, dass bei steigendem Thoracic Fluid Index eine rasche Intervention eine Hospitalisierung verhindern kann. Und dann gibt es noch die ganz einfache Sensorik: die Waage. Diesemacht sich z.B. HerzMobil Tirol zunutze. Die Patienten werden angehalten, täglich ihr Gewicht zu messen und die Daten zu übermitteln. Darüber hinaus wird das Befinden abgefragt. Auch für dieses Vorgehen konnte die Wirksamkeit in Studien nachgewiesen werden. Im Wiener Gesundheitsverbund startet demnächst ein Projekt mit einer Sensorik, die wir aktuell noch nicht kennen. Bei diesem Projekt habe ich die fachliche Leitung.

Da wäre dann die Frage, ob die invasiven Methoden bessere Ergebnisse liefern als die Waage…

D. Bonderman: Das weiß man nicht und diese Studie wird es vermutlich nie geben.

Wenn wir von der digitalen Technik absehen, wo gibt es weitere Innovation in der Kardiologie?

D. Bonderman: Die interventionelle Kardiologie befindet sich derzeit in einer hyperdynamischen Entwicklung. Bei strukturellen Erkrankungen des Herzens und bei den Klappenerkrankungen werden die interventionellen Optionen immer vielfältiger und immer besser. Wir können heute bereits alle Klappen interventionell versorgen.

Was ist heute schon bei Klappenerkrankungen möglich?

D. Bonderman: Wir haben mittlerweile zur TAVI sehr gute Langzeitdaten, was dazu führt, dass mittlerweile Patienten ab 75 auch bei geringem Risiko für eine TAVI infrage kommen. Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit, die Mitralklappe, die Trikuspidalklappe und die Pulmonalklappeinterventionell mit unterschiedlichen Technologien zu versorgen. Zur Trikuspidalklappe ist die Datenlage aktuell aber noch einigermaßen dünn.

Gibt es zu den medikamentösen Therapien etwas Relevantes zu berichten?

D. Bonderman: Ja, nach langen Jahren und frustrierenden Studienergebnissen haben wir mit den SGLT2-Inhibitoren jetzt endlich eine wirksame Therapie für die Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Auswurffraktion (HFpEF), die mittlerweile auch in den Leitlinien mit IA-Indikation angekommen ist. Das ist schon eine Sensation.

Und das ist auch in der Klinik angekommen?

D. Bonderman: Das Problem mit der HFpEF ist, dass sie nach wie vor zu wenig diagnostiziert wird. Die Diagnose erfordert ein wenig Aufwand, und der wird leider immer noch zu oft vermieden. Aber jetzt, wo wir eine Therapie haben, muss man von veralteten Begriffen wie dem „Cor hypertonicum“ endlich wegkommen.

Braucht nicht ohnedies jeder multimorbide Patient aus irgendeinem Grund einen SGLT2-Inhibitor?

D. Bonderman: Das ist in gewissem Maße richtig. HFpEF-Patienten sind zumeist multimorbid und leiden häufig unter Diabetes oder Niereninsuffizienz, wobei ebenfalls SGLT2-Inhibitoren indiziert sind. Aber erstens kann man deshalb nicht einfach auf die kardiologische Diagnostik verzichten und zweitens werden die SGLT2-Inhibitoren auch bei Niereninsuffizienz viel zu wenig verschrieben. Das ist leider noch nicht voll im Bewusstsein der Kliniker angekommen.

Und wie sieht es mit dem Lipidmanagement aus?

D. Bonderman: Da warten wir auf die Studien zur Senkung von Lp(a). Generell werden in dieser Indikation vermutlich Gen-Silencer in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen. So wie Gen-Silencer auch in anderen Indikationen wie der kardialen Amyloidose verstärkt zum Einsatz kommen könnten. Aktuell werden Studien zur Wildtyp-Form dieser Erkrankung durchgeführt. Damit würde sich der Patientenkreis, der für diese Therapien infrage kommt, deutlich erweitern.

Wie sieht es bei neuen, teuren lipidsenkenden Therapien eigentlich mit der Erstattung aus?

D. Bonderman: Diese Therapien sind chefarztpflichtig. Aber wenn man gut argumentiert, dass sie der Patient wirklich benötigt, werden die Therapien auch erstattet. Unsere Patienten haben ja bereits ein Ereignis hinter sich und wenn wir sie mit Statinen und Ezetimib nicht in den Zielbereich bekommen, dann gibt es keine Probleme bei der Erstattung.

Und was würden Sie sich wünschen?

D. Bonderman: Mehr Forschung, auch außerhalb der universitären Medizin.Ich denke, dass man State-of-the-Art-Medizin nur betreiben kann, wenn man auch in der Forschung mit dabei ist und klinische Studien durchführt. Das bringt eine internationale Vernetzung und Wissensaufbau. In diesem Bereich sollten wir mehr tun und das kann sowohl über die eigene Infrastruktur als auch in Zusammenarbeit mit der Universität erfolgen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview anlässlich der Fortbildungsveranstaltung „Favoriten in der Kardiologie“, 16.3.2024, Wien

Back to top