Herz & Hirn: eine bidirektionale Beziehung
Autor:
Dr. Raphael Wurm
Universitätsklinik für Neurologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: raphael.wurm@meduniwien.ac.at
Die enge Beziehung zwischen Herz- und Gehirngesundheit gewinnt in der präventiven und kurativen Medizin zunehmend an Bedeutung. Neue Erkenntnisse zeigen, dass beide Organsysteme nicht nur gemeinsame Risikofaktoren haben, sondern sich auch gegenseitig maßgeblich beeinflussen.
Keypoints
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Klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren haben einen starken Einfluss auf die kognitive Gesundheit.
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Insbesondere das mittlere Erwachsenenalter ist ein wichtiger Zeitpunkt für Interventionen, um das Gehirn zu schützen.
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Kardiologische Erkrankungen erhöhen das Risiko für Demenzerkrankungen deutlich.
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Denken Sie bei Ihren Patient:innen früh daran und weisen Sie sie dem Neurologen/der Neurologin zu!
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Gehirngesundheit ist entscheidend für die Lebensqualität im Alter und soll vor allem in der Prävention Priorität haben.
Die Gehirngesundheit rückt immer mehr in den Fokus: Guter und ausreichender Schlaf, soziale Kontakte und geistige Aktivität sind wichtige Voraussetzungen für ein gutes Gedächtnis auch im Alter.
Gemeinsam für Hirn & Herz
Die bekannten kardiovaskulären Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes mellitus und erhöhte Cholesterinwerte – insbesondere das LDL-Cholesterin – beeinflussen nicht nur die Herzgesundheit, sondern haben auch einen immanenten Einfluss auf die Entwicklung der höheren kognitiven Funktionen im Alter. Darunter subsumieren sich wichtige Funktionen wie Gedächtnis, Sprache, Orientierung, Aufmerksamkeit und Konzentration – allesamt Faktoren, die für eine hohe Lebensqualität auch im höheren Alter von Bedeutung sind. Wenngleich der Zusammenhang mit der Demenz etwas komplexer erscheint als jener mit Ereignissen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, so ist es doch einer erfolgreichen kardiovaskulären Präventionsstrategie zu verdanken, dass wir im letzten Jahrzehnt eine Abnahme der Inzidenz von Demenzerkrankungen sehen. Besonders hervorzuheben sind hier drei Präventionsbereiche:
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Vermeiden von Hypertonie in der Lebensmitte: Insbesondere ab 40 sollte vermehrt auf einen gut eingestellten Blutdruck geachtet werden.
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LDL-Cholesterin: Niedriger ist auch hier besser für das Gehirn.
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Körperliche Aktivität: Regelmäßige aerobe Anstrengung ist die beste Strategie zur Prävention neurologischer Erkrankungen, insbesondere der Demenz.
Mit Herz fürs Hirn
Das Gehirn bezieht trotz relativ geringen Gewichts fast 20% der Energie des Körpers und ist deshalb auf eine konstante Blutversorgung angewiesen. Abrupte Veränderungen können zu ischämischen Schlaganfällen und häufig akuten neurologischen Symptomen führen. Chronische Veränderungen wie zum Beispiel bei höhergradigen Karotisstenosen hingegen werden meist gut kompensiert. Bei vermindertem kardialem Auswurf, wie bei der Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion oder bei wirksamer Aortenstenose, kann es allerdings zu einer anhaltenden Hypoperfusion des Gehirns kommen. In Studien belegt ist ein klarer Zusammenhang zwischen niedrigem kardialem Index und dem Entstehen von kognitiven Erkrankungen, insbesondere der Alzheimerdemenz. Auch die Herzinsuffizienz selbst ist ein unabhängiger und potenziell modifizierbarer Risikofaktor. Das komplexe Zusammenspiel von Herz und Hirn wird insbesondere hier gut sichtbar, da in den Herzen von Menschen mit Alzheimer einerseits die krankheitsauslösenden Beta-Amyloide gefunden wurden, andererseits in den Hirnen von Menschen mit kardialer TTR-Amyloidose ebenso TTR-Amyloid.
Mit Hirn fürs Herz
Die Auswirkungen neurologischer Erkrankungen auf das kardiovaskuläre System betreffen häufig das autonome Nervensystem und damit die kardiale Reizleitung. Grundsätzlich kann sich die Hirn-Herz-Achse aber auf unterschiedliche Weise manifestieren. Bei Subarachnoidalblutungen (SAB) können schwerwiegende Rhythmusstörungen oder ein neurogenes Lungenödem auftreten. Es kann durch eine massive, zentral gesteuerte Katecholaminausschüttung zu einem neurogenen myokardialen „stunning“ und damit zu einer reversiblen linksventrikulären Dysfunktion kommen, die dem Takotsubo-Syndrom ähnelt. Die kardialen Manifestationen bei SAB sind alsonicht nur von diagnostischer Bedeutung, sondern können das Outcome maßgeblich beeinflussen.
Bei etwa 60% aller epileptischen Anfälle werden signifikante kardiovaskuläre Veränderungen beobachtet, die als objektives klinisches Zeichen für die Anfallsdiagnostik genutzt werden können. Während der Anfälle kommt es häufig zu Herzrhythmusstörungen, wobei sowohl Tachykardien als auch Bradykardien auftreten können. Diese iktalen Veränderungen sind Ausdruck einer Interaktion zwischen neuronaler Hyperpolarisation und kardialer Regulation, wobei die Pathophysiologie nicht völlig geklärt ist. Sie können allerdings nicht nur diagnostisch wertvoll sein, sondern selten auch zu schweren Arrhythmien führen. Das Syndrom des plötzlichen unerwarteten Todes bei Epilepsie (SUDEP) wird mutmaßlich durch schwerwiegende Arrhythmien während eines Anfalls ausgelöst.
Weiter für Herz und Hirn
Die enge Verbindung zwischen Herz und Gehirn erfordert einen ganzheitlichen Behandlungsansatz. Kardiolog:innen sollten bei ihren Patient:innen verstärkt auf kognitive Einschränkungen achten und sie gegebenenfalls demNeurologen/derNeurologin zuweisen. Umgekehrt sollten Neurolog:innen bei ihren Patient:innen auch die kardiale Funktion im Blick behalten und bei Bedarf zuweisen.
Praxistipp
Fragen Sie Ihre Patient:innen aktiv nach der Dauer und Qualität ihres Schlafs und weisen Sie sie bei Bedarf einem Experten/einer Expertin zu.Ganz generell sollte insbesondere in der Primärprävention der Fokus stärker auf die Gehirngesundheit gelegt werden. Die Daten der letzten Jahrzehnte zeigen, dass wir die Lebensspanne deutlich verlängert haben, insbesondere aber in Österreich die Jahre in guter Gesundheit nicht im gleichen Ausmaß steigen. Ein wesentlicher Faktor für ein gutes Leben liegt im Erhalt kognitiver Fähigkeiten. Zu diesem Zweck hat die Europäische Neurologische Akademie ein Programm zur Förderung der Gehirngesundheit ins Leben gerufen. Unter dem Motto „One brain, one life“ bündelt sie verschiedene Konzepte. Exemplarisch herausgegriffen und in der Praxis wichtig ist ein guter und ausreichender Schlaf. Dessen Mangel führt nicht nur unmittelbar zu einer Verringerung der Lebensqualität, sondern stellt einen wichtigen Risikofaktor für das Entstehen von psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen dar. Guter Schlaf ist allerdings etwas, das oft nicht einfach so passiert und durchaus unter ärztlicher Hilfestellung optimiert werden sollte.
Literatur:
beim Verfasser
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