Physikalische Therapien bei Polyneuropathie
Autor:
Dr. Lukas Mantl
Facharzt für physikalische Medizin und allgemeine Rehabilitation
Praxis für Physikalische Medizin
Innsbruck
E-Mail: kontakt@praxis-mantl.at
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Die Symptome der Polyneuropathie beeinträchtigen die Lebensqualität der Betroffenen meist erheblich. Neben der medikamentösen Behandlung stehen verschiedene physikalische Therapien zur Verfügung, mit welchen sich die Beschwerden der Polyneuropathie deutlich lindern lassen. Welche das sind, erfahren Sie hier.
Keypoints
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Wann immer möglich, besteht der erste Schritt der Polyneuropathietherapie in der Behandlung der auslösenden Ursache.
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Basis der nichtmedikamentösen Therapie stellen das Training der Sensibilität, Sensomotorik und Kraft unter professioneller Anleitung sowie das konsequente selbstständige Üben dar.
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Die verschiedenen physikalischen Therapien haben vielfältige positive Wirkungen und sollten damit ein wesentlicher Bestandteil der Therapie von Patienten mit Polyneuropathie sein.
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Physikalische Maßnahmen müssen adäquat dosiert werden, um eine wirksame Therapie zu ermöglichen.
Die Polyneuropathie zählt zu den häufigsten neurologischen Krankheitsbildern in der Praxis. Typische Symptome sind unter anderem Sensibilitätsstörungen, Schmerzen, Muskelschwäche, Muskelkrämpfe und Lähmungen. Wird die Ursache der Polyneuropathien frühzeitig erkannt, kann das Fortschreiten der Erkrankung oft verlangsamt oder, im besten Fall, sogar verhindert werden. Wenn möglich, sollte daher die auslösende Ursache behandelt oder beseitigt werden, um eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen. Physikalischen Maßnahmen stellen eine wesentliche Therapiesäule in der Behandlung der Polyneuropathie dar. Diese können nämlich die Beschwerden sowie die Funktion und damit die Lebensqualität der Betroffenen deutlich verbessern.
Training und Physiotherapie
Das Erlernen von Eigenübungen zur Verbesserung der Sensomotorik, Sensibilität und Kraft sowie die physiotherapeutische Behandlung stellen die Basis der nichtmedikamentösen Therapie dar. In der Einzelheilgymnastik können Verspannungen, Muskelkrämpfe und Verkürzungen reduziert werden. Das Zusammenspiel zwischen Reizaufnahme und Reizantwort wird im Rahmen des Sensomotoriktrainings trainiert. Das Sensomotoriktraining führt zu einer neuromuskulären Anpassung mit verbesserter sensorischer Reizaufnahme, Reizverarbeitung und einer besseren Muskelantwort. Die aus dem Training resultierende Verbesserung der Kraft, der Koordination und des Gleichgewichts reduziert Einschränkungen im Alltag, und das Sturz- und Verletzungsrisiko wird vermindert. Das Übungsprogramm sollte mit zunehmender Anforderung gestaltet werden. Dies bedeutet einen Übungsaufbau von einfach zu komplex, von bekannt zu unbekannt und die Steigerung der Belastung durch z.B. die Hinzunahme einer instabilen Unterlage, die Reduktion der Unterstützungsfläche und das Ergänzen von Störreizen. Das Krafttraining sollte zumindest 2–3x pro Woche durchgeführt werden. Mit zunehmender Trainingserfahrung sollten Variationen des Trainings erarbeitet werden. Da das neuromuskuläre System rasch erschöpft, werden Sensomotorikübungen mit einer Belastungsdauer von 20–40 Sekunden empfohlen, im Anschluss sollten 120–180 Sekunden Pause eingehalten werden, bevor die Übungen wiederholt werden. Mit zunehmender Besserung kann die Übungszeit verlängert werden. Die erlernten Übungen müssen von den Patienten zu Hause konsequent weiter durchgeführt werden, um eine nachhaltige Verbesserung zu erzielen. In jedem Fall sollten die Patienten zu mehr Bewegung motiviert werden.
Ergotherapie
Bei Einschränkungen der Feinmotorik werden gezielt die Greiffunktionen trainiert und die Sensibilität wird geschult. Es werden Übungen mit Materialien mit unterschiedlicher Oberflächenqualität (Igelball, Bürsten, Tücher, Federn, Pinsel etc.) durchgeführt. Ebenso wird das Barfußgehen auf verschiedenen Untergründen geübt. Eine sinnvolle Ergänzung stellt das Stereognosietraining dar. Dabei sollen Gegenstände durch blindes Ertasten erkannt werden, so zum Beispiel die Differenzierung von Glasmurmeln in einem Linsenbad. Von großer Wichtigkeit ist, dass die Patienten ihre Hobbys wie Basteln, Stricken, das Spielen von Instrumenten etc. weiterhin pflegen, um die Feinmotorik im Alltag zu schulen.
Galileo-Vibrationstherapie
Mit sinusförmigen repetitiven Vibrationen wird am Galileo ein motorischer und neuronaler Lerneffekt ausgelöst. Es handelt sich um eine reflektorische Mechanostimulation, welche die Muskulatur unwillkürlich aktiviert. Darin liegt auch der Vorteil des Galileos – Patienten müssen die Muskulatur nicht bewusst ansteuern können, um eine Aktivierung zu erzielen. Die Vibrationstherapie verbessert die Muskelfunktion, die Muskelleistung und das neuromuskuläre System. Zahlreiche Studien belegen zudem, dass die Tiefensensibilität sehr gut angeregt wird. Bei künstlichem Gelenkersatz der zu trainierenden Region und bei einer Knocheninstabilität darf das Galileo nicht angewandt werden. Andere Metallimplantate stellen hingegen keine Kontraindikation dar. Die Galileo-Vibrationstherapie sollte zumindest 2–3x pro Woche mit 3 Durchgängen zu je 20–40 Sekunden und 120–180 Sekunden Pause erfolgen.
Hochtontherapie (HiToP)
Mit der Hochtontherapie gibt es eine wirksame Therapie, welche unabhängig von der Ursache Hilfe verspricht. Die Hochtontherapie ist eine mittelfrequente modulierte Stromform mit Frequenzen zwischen 4096 und 32768 Hertz, welche alle geladenen Teile im Gewebe in Schwingungen versetzt. Neben der Stimulierung der Muskulatur regt die Hochtontherapie den Nervenstoffwechsel an und kann geschädigte Nerven regenerieren. Im Gegensatz zur herkömmlichen Elektrotherapie wird die HiToP-Therapie bis zu 60 Minuten appliziert. Die Elektroden werden an den Oberschenkeln, Waden und Füßen bzw. Oberarmen, Unterarmen oder Händen angelegt. Neuere Untersuchungen zeigen, dass die Hochtontherapie der herkömmlichen Elektrotherapie überlegen ist. Nebenwirkungen sind bisher keine bekannt. Ein implantierter Defibrillator stellt jedoch eine Kontraindikation dar, bei einem Herzschrittmacher darf immer nur eine Extremität behandelt werden. Im Gegensatz zu TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) ist die HiToP-Therapie metallkompatibel. Die Hochtontherapie sollte mindestens 2–3x pro Woche appliziert werden.
Klassische Elektrotherapie
Nicht überall besteht die Möglichkeit einer HiToP-Therapie. TENS-Behandlungen oder Zellenbäder stellen dazu eine Alternative dar. Die Anwendung der transkutanen elektrischen Nervenstimulation (TENS) hebt durch die Stimulation und Freisetzung endogener Opioide, wie Endorphine und Enkephaline, die Schmerzschwelle an. Diese Form der Therapie stellt eine kostengünstige Möglichkeit dar und kann einfach und unkompliziert mit Stimulationshandschuhen oder -socken, in welche die Elektroden eingewebt sind, zu Hause durchgeführt werden. Zellenbäder, bei welchen über ein Wasserbad Strom durch die Extremitäten geleitet wird, haben den Vorteil, dass es zu einer vollständigen Umströmung der gebadeten Extremitäten kommt. Die Erregbarkeit der Nervenfaser wird dabei gedämpft, was zu einer Beschwerdelinderung führt. Eine neuere Entwicklung ist die Small Fiber Matrix Stimulation (SFMS). Die SFMS hat eine oberflächliche Wirkung und reduziert die Schmerzen durch eine gezielte Stimulation der A-Delta-Fasern mit vielen kleinen Impulsen. Nicht angewandt werden dürfen TENS und Zellenbäder bei Patienten mit einem Herzschrittmacher, einer Defibrillatorimplantation oder mit metallischen Implantaten im Behandlungsgebiet. Die SFMS ist metallkompatibel. Da die Wirkung der klassischen Elektrotherapie meist auf den Applikationszeitraum und die Stunden danach begrenzt ist, ist eine häufige, gegebenenfalls mehrmals tägliche Anwendung für 10–20 Minuten zu empfehlen.
Ultraschall
Es gibt signifikante Hinweise dafür, dass Ultraschallbehandlungen das axonale Nervenwachstum beschleunigen, die frühe Reinnervation denervierter Muskeln unterstützen und die Nervenleitungsgeschwindigkeit nach Nervendurchtrennung sowie Nervenverletzung verbessern. Wenngleich es kaum Literatur zur Ultraschallbehandlung bei Polyneuropathie gibt, sind die positiven Effekte auch in der Polyneuropathiebehandlung denkbar. Die Anwendungshäufigkeit beträgt 2–3x pro Woche für 15 Minuten.
Low-Level-Laser-Therapie (LLLT)
Laserbehandlungen verbessern den Zellstoffwechsel sowie die mitochondriale Funktion, womit eine Steigerung der ATP-Produktion um bis zu 70% einhergeht. Durch die Vasodilatation mit Steigerung der Mikrozirkulation und Verbesserung des Sauerstoffangebots werden die Voraussetzungen für die Geweberegeneration verbessert. Der Laser wird im Verlauf der geschädigten Nerven appliziert. Verschiedenen Studien zufolge zeigt sich, dass die Leitungsgeschwindigkeiten und -amplituden der Nerven gesteigert werden, womit eine LLLT die sensorische Beeinträchtigung verbessern kann. Nicht bestrahlt werden dürfen Tumoren oder Bereiche mit Metastasen. Insgesamt gibt es noch zu wenig Forschung, und die Laserbehandlungsschemata in der Literatur sind zu inhomogen, um ein spezifisches Behandlungsprotokoll empfehlen zu können. Beachtet werden müssen die spezifischen Eigenschaften des verwendeten Lasers.
Fokussierte Stoßwellenbehandlungen (fESWT)
Die fESWT hat sich als wirksame Option der Mechanotherapie erwiesen, um die Regeneration und Heilung zu beschleunigen. Die fESWT scheint unterschiedliche Wirkungen auf periphere Nerven zu haben und fördert nachweislich die axonale Regeneration nach einer Nervendurchtrennung. An Mäusen wurde gezeigt, dass eine präventive Stoßwellenbehandlung effektiv einer diabetischen Neuropathie vorbeugen konnte. Wenngleich es zur fokussierten Stoßwellentherapie bei Polyneuropathie nur wenige Untersuchungen gibt, wird vermutet, dass sich diese Verbesserung der Nervenregeneration auch bei Polyneuropathie zeigt. Die ISMST (International Society for Medical Shockwave Treatment) führt die Stoßwellenbehandlung bei Polyneuropathie unter den Expertenindikationen an. Die Anwendung erfolgt 2–3x pro Woche für 4–6 Behandlungen. Der Effekt der Stoßwellentherapie zeigt sich in der Regel erst 6 Wochen nach Behandlungsbeginn.
Kohlensäurebäder
Zu Hause können Patienten täglich 20 Minuten Kohlensäurebäder bei ca. 32°C bis 34°C durchführen. Die Kohlensäure diffundiert durch die Haut, führt zu einer Öffnung der kleinen Gefäße und dämpft nozizeptive Fasern. Die Mehrdurchblutung verbessert die Trophik und lockert die Muskulatur. Kohlensäurebäder sind in der Apotheke erhältlich und können einfach und unkompliziert als Fuß- und/oder Handbad durchgeführt werden.
Allgemeine Therapieprinzipien
Physikalische Therapien folgen dem Reiz-Reaktions-Adaptations-Prinzip. Demnach muss ein Reiz spezifisch sein, eine adäquate Reizstärke aufweisen und ausreichend lange sein. Zudem sind das zeitliche Aufeinanderfolgen von Reiz und Pausen sowie die Gesamtdauer entscheidend, um überhaupt eine Reaktion auslösen zu können. Bei physikalischen Maßnahmen ist die Therapiehäufigkeit entscheidend, ob eine Behandlung wirkt oder nicht. Häufig werden physikalische Maßnahmen unterdosiert und der Erfolg einer an sich wirksamen Therapie ist somit vermindert. 6–10 Behandlungen 2–3-mal pro Woche für 1–2 Zyklen sind oft erforderlich, um beurteilen zu können, wie gut die Behandlung wirkt. Eine häufigere Anwendung stellt sich meist als vorteilhaft heraus. Die Kontraindikationen der jeweiligen physikalischen Therapien sind zu beachten.
Literatur:
beim Verfasser
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