© Patrick Schoerg

ÖGU-Förderpreis für Open-Access-Publikationen

Angiopoietin-2-Serumspiegel bei Polytraumaopfern

Traumatische Verletzungen des zentralen Nervensystems sind bei Erwachsenen und Kindern eine der häufigsten Ursachen für Morbidität und Letalität. Sie entstehen durch direkte oder indirekte mechanische Einwirkungen auf Gehirn oder Rückenmark, die die Endothelzellen schädigen und zu einem Verlust der Integrität der Blut-Hirn- bzw. Blut-Rückenmark-Schranke führen. Dieser resultiert in einer erhöhten Freisetzung des sezernierten Glykoprotein-Wachstumsfaktors Angiopoietin-2 (Ang-2).

Die Behandlung von Polytraumapatient:innen mit begleitendem schwerem Schädel-Hirn-Trauma stellt eine große Herausforderung für Unfallchirurg:innen dar, da gleichzeitig Operationen zur Blutstillung und zur Wiederherstellung der Durchblutung kritisch ischämischer Organe sowie intrakranielle Eingriffe zur Druckentlastung durchgeführt werden müssen. Die Stabilisierung von Wirbelsäulenfrakturen – insbesondere bei Kompression des Rückenmarks – sollte so zeitnah wie möglich erfolgen, jedoch hat diese Maßnahme in der akuten Phase bei hämodynamisch und respiratorisch kritischen Patient:innen keine Priorität.

Eine frühzeitige Diagnose traumatischer Verletzungen des zentralen Nervensystems (ZNS) ist bei Polytraumaopfern, die sich oft bewusstseinsgetrübt präsentieren oder unter laufender Sedoanalgesierung eingeliefert werden, von entscheidender Bedeutung, um sekundäre neurologische Schäden zu minimieren. Da die Blutabnahme ein Standardverfahren im Rahmen der Erstuntersuchung von Traumata ist, würde das Hinzufügen weiterer Blutwerte keinen großen Aufwand bedeuten. Ein Biomarker, dessen Serumspiegel das Vorliegen einer Schädel- oder Rückenmarksverletzung unverzüglich anzeigen kann, wäre in der klinischen Praxis als zusätzliches Tool zum Goldstandard der Computertomografie von großem Nutzen. Zielsetzung dieser Studie war es, zu überprüfen, ob Ang-2 dieser Aufgabe gerecht werden könnte.

In unserer prospektiven Kohortenstudie wurden 28 Überlebende eines stumpfen Polytraumas (mittleres Alter = 38,4 Jahre; medianer ISS = 34; 75% männlich), die 2018 direkt an die klinische Abteilung für Unfallchirurgie der Medizinischen Universität Wien eingeliefert und nach der Erstversorgung auf die Intensivstation verlegt wurden, evaluiert. Zehn gesunde Erwachsene, die auf unseren Aufruf zur Teilnahme an der Studie reagierten, wurden zur Kontrollgruppe zusammengefasst. Ang-2-Serumspiegel wurden bei der Aufnahme (initial) und an den Tagen 1, 3, 5, 7 und 10 während des Klinikaufenthaltes mihilfe der Luminex- Multi-Analytik-Technologie erhoben, sofern der/die Patient:in damit einverstanden war.

Abb. 1: Initialer Ang-2-Spiegel als Indikator für das Vorhandensein einer ZNS-Verletzung

Wir dichotomisierten unsere Patient:innen entsprechend dem Vorliegen einer ZNS-Verletzung. Die Abbildung veranschaulicht den zeitlichen Verlauf des mittleren Ang-2- Spiegels mit Standardfehlerbalken in der ZNS- und der Nicht-ZNS-Gruppe, wobei nur bei der Aufnahme ein signifikanter Unterschied im mittleren Ang-2-Spiegel ermittelt wurde. Des Weiteren wurde lediglich in der Nicht-ZNS-Gruppe ein signifikanter Anstieg zwischen den an Tag 0 und Tag 3 erhobenen Mittelwerten beobachtet. Nichtsdestotrotz zeigten die beiden Kurven ein ähnliches stetiges Absinken, beginnend mit Tag 3, ohne jedoch während des Beobachtungszeitraums unter den Referenzwert der Kontrollgruppe zu fallen. Eine multivariable binäre logistische Regressionsanalyse identifizierte nur den initialen Ang-2-Spiegel als Indikator für das Vorhandensein einer ZNS-Verletzung, wobei ein Anstieg um 1000 pg/ml die Chance auf ihr Vorliegen um 88,5 % erhöht. Die AUC von 0,893 legt dar, dass initiale Ang-2-Spiegel eine gute Unterscheidungsfähigkeit zwischen Polytraumaopfern mit und ohne ZNS-Verletzung aufweisen, wobei die falsch positive Rate 17,6% und die falsch negative Rate 9,1% beträgt, wenn der Cut-off-Wert auf 5352 pg/ml festgelegt wird.

Unsere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass der Ang-2-Serumspiegel ein vielversprechender Biomarker sein könnte, um ZNS-Verletzungen bei Polytraumapatient:innen gleich bei der Aufnahme anzuzeigen.

Negrin LL, Hajdu S. Serum Angiopoietin-2 level increase differs between polytraumatized patients with and without central nervous system injuries. Sci Rep. 2023; 13(1): 19338. Published 2023 Nov 7. doi: 10.1038/s41598-023-45688-x

Back to top