COPD: Wie leitliniengerecht wird im Real-World-Setting behandelt?
Bericht:
Dr. Christine Adderson-Kisser, MPH
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Für die Behandlung der COPD gibt es etablierte Leitlinien, die evidenzbasierte Empfehlungen bei verschiedenen Krankheitsausprägungen aussprechen. Doch die reale Behandlungssituation sieht oft anders aus. Immer noch werden mehr inhalative Kortikoide verschrieben als empfohlen – oder die Behandlung wird gar nicht erst begonnen.
Ziel der COPD-Behandlung ist es, die Symptome der Betroffenen zu lindern, Exazerbationen mit konsekutiven Krankenhausaufenthalten sowie weitere Komplikationen zu verhindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.1 Neben der globalen Behandlungsleitlinie der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) gibt es in vielen Ländern auch nationale Leitlinien, so auch die deutsch-österreichische S2k-Leitlinie von 2018.2
Im Praxisalltag zeigt sich jedoch, dass die Therapieregime nicht immer diesen evidenzbasierten Behandlungsstrategien folgen, was klinische und nicht zuletzt finanzielle Auswirkungen hat. In einem aktuell durchgeführten Kosten-Konsequenz-Modell wurden die tatsächlichen Verschreibungsmuster – basierend auf Real-World- und Krankenversicherungsdaten – mit globalen (GOLD 2022) und nationalen (Deutschland, Belgien) Empfehlungen verglichen und die klinischen Konsequenzen (jährliche Rate der Exazerbationen und Pneumonien) bei hypothetischer Therapieumstellung auf die Leitlinienvorgaben modelliert.3
ICS-Einsatz häufiger als empfohlen
Für Deutschland zeigten die Daten zum einen, dass – meist im Rahmen von Tripletherapien – mit 36,3% wesentlich mehr inhalative Kortikosteroide (ICS) eingesetzt werden als in globalen (6,9%) und nationalen (20,2%) Empfehlungen vorgesehen. Dagegen kommt die Zweifachtherapie aus einem langwirksamen Muskarin-Antagonisten (LAMA) und einem langwirksamen β2-Agonisten (LABA), die in 65,7% (GOLD) bzw. 30,6% (national) der Fälle empfohlen wäre, nur bei 17,4% der Betroffenen zum Einsatz. Würden diese Therapien auf die empfohlenen umgestellt, könnten 81% (GOLD) bzw. 44% (national) der ICS vermieden werden. Zum anderen ergab die Modellierung, dass bei Therapieumstellung die Inzidenz von leichten bis mittelschweren Pneumonien um 8% und die von schweren um 16% verringert werden könnten. Auf die Exazerbationsrate hätte eine Umstellung dagegen einen nur geringen Effekt (−1%).3
Auch die retrospektiv erhobenen Krankenkassendaten von 17464 Patienten aus Deutschland bestätigen dieses Bild.4 Innerhalb von vier Wochen nach Erstdiagnose wurde 14% der Patienten eine ICS-haltige Therapie verschrieben, was nicht den Empfehlungen der deutsch-österreichischen S2k-Leitlinie entspricht. Gleiches gilt für die Verordnung einer Dreifachtherapie innerhalb von 12 Monaten nach Diagnosestellung, die bei rund 69% der Betreffenden ohne entsprechende Exazerbationen in der Vorgeschichte verschrieben wurde. Die initialen Therapieschemata fielen wie folgt aus:
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Monotherapie mit LAMA (25,3%)
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Zweifachtherapie mit LABA/LAMA (35,2%)
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Zweifachtherapie mit LABA/ICS (16,2%)
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Dreifachtherapie mit LABA/LAMA/ICS (7,8%)
Weniger als die Hälfte der Studienpatienten wurde während der Nachbeobachtungszeit von im Median zwei Jahren wegen Exazerbationen stationär behandelt. Es wurden im Durchschnitt 0,16 schwere Exazerbationen und 0,19 COPD-bedingte Krankenhausaufenthalte pro Patientenjahr beobachtet.
Diagnose COPD – und trotzdem keine Therapie?
Bis zum Beginn einer inhalativen Erhaltungstherapie nach Erstdiagnose vergingen im Studienkollektiv im Median 4,4 Monate.4 Was bei der Datenerhebung allerdings auffiel: Nur 57% der Patienten wurden überhaupt behandelt. Selbst unter denjenigen mit einem FEV1 <50% blieb etwa ein Drittel ohne inhalative Therapie. Ob behandelt wurde oder nicht, hing auch vom Ort ab: Im Krankenhaus Diagnostizierte wurden in nur 45% anbehandelt, während der Anteil beim ambulanten Lungenfacharzt bei 80% lag. Grund dafür könnte sein, dass die Diagnosen im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes meist nebenbefundlich gestellt worden waren – bei älteren, komorbiden und vorwiegend weiblichen Patienten, deren Behandlungsfokus auf dem Haupteinweisungsgrund lag.
Wann sollte ein ICS eingesetzt werden?
Für die Dreifachtherapie mit LAMA/LABA/ICS konnte im Vergleich zu anderen Therapieschemata in verschiedenen Studien eine überlegene Wirksamkeit in Bezug auf die Verringerung der Exazerbations- und Sterblichkeitsrate sowie die Verbesserung der Symptome und der Lungenfunktion gezeigt werden, besonders bei Patienten mit bereits stattgehabten Exazerbationen und erhöhten Eosinophilenzahlen im Blut.5–7 Da aber höhere ICS-Dosierungen mit einem erhöhten Risiko für Pneumonien einhergehen können, gibt es immer wieder Bedenken, diese anzuwenden.8 Auch die deutsch-österreichischen COPD-Leitlinien empfehlen Kombinationsbehandlungen mit ICS vor allem als Eskalationstherapie bei genau definierten Subpopulationen.2 Bleibt die Frage, wie hoch das ICS beim COPD-Patienten dosiert werden sollte.
Wirksamkeit und Sicherheit von ICS
In einem systematischen Review wurden 26 parallele, randomisierte, kontrollierte Studien mit Daten von insgesamt 41366 Patienten (mittleres Alter 64,7 Jahre; 68,4% Männer) mit seit mindestens einem Jahr stabiler COPD eingeschlossen, um Wirksamkeit und Sicherheit verschiedener ICS-Dosierungen in der Tripletherapie miteinander zu vergleichen.9
Obwohl sich in der Analyse kein signifikanter Unterschied ergab, zeigte sich die Dreifachtherapie mit hoch dosierten (HD) ICS in Sensitivitätsanalysen in puncto Exazerbationsrate überlegen: Patienten, die über mindestens 48 Wochen mit HD-ICS therapiert worden waren, hatten ein geringeres Exazerbationsrisiko als diejenigen unter niedrig dosiertem (LD) ICS (OR: 0,66; 95% CI: 0,52–0,94) oder mitteldosiertem (MD) ICS (OR: 0,66; 95% CI: 0,51–0,94). Auch zeigte die Tripletherapie mit HD-ICS gegenüber der mit MD-ICS ein geringeres Risiko für moderate bis schwere Exazerbationen bei Patienten mit einem FEV1 <65% (OR: 0,6; 95% CI: 0,37–0,98) oder Patienten mit vorangegangenen Exazerbationen (OR: 0,6; 95% CI: 0,36–0,99). Die Anwendung von MD-ICS ergab das geringste Risiko für Gesamtmortalität und schwere unerwünschte Ereignisse. Pneumonien traten unter allen ICS-Dosierungen vergleichbar häufig auf.
Je weniger Inhalatoren, desto größer die Adhärenz
Die eher schlechte Adhärenz und Persistenz bei der Dreifachtherapie mit mehreren Inhalatoren könnte durch die inzwischen verfügbaren „Allinone“-Inhalatoren verbessert werden, so die Ergebnisse einer retrospektiven Kohortenstudie aus England.10 Es wurde untersucht, ob COPD-Patienten (FEV1/FVC <0,7; ca. 50% Männer; mittleres Alter: ca. 70 Jahre) unter einer neu begonnenen Tripletherapie mit einem einzigen Inhalator (SITT; n=4080) eine größere Therapietreue und Persistenz aufweisen als unter Anwendung mehrerer Inhalatoren (MITT; n=6579).
Und tatsächlich: Unter den SITT-Anwendern lag die Adhärenz (definiert als Therapieanwendung an ≥80% der Tage) um 124% (6 Monate), 131% (12 Monate) und 192% (18 Monate) signifikant höher als die der MITT-Anwender (jeweils p<0,001). Auch die mediane Persistenz (Zeit bis zum Therapieabbruch/Ende des Follow-ups) fiel bei den SITT-Anwendern mit 5,09 Monaten gegenüber 0,99 Monaten unter MITT höher aus. Ein Wechsel von MITT auf SITT zeigte ebenfalls eine Adhärenzverbesserung – selbst bei denjenigen, die schon unter MITT eine hohe Therapietreue aufwiesen.
Literatur:
1 Singh D et al.: Global strategy for the diagnosis, management, and prevention of chronic obstructive lung disease: the GOLD science committee report 2019. Eur Respir J 2019; 53(5): 1900164 2 Voglmeier C et al.: S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD). AWMF-Register-Nr. 020/006; 2018 3 Sethi S et al.: Costs and clinical consequences of compliance with COPD GOLD recommendations or national guidelines compared with currentclinical practice in Belgium, Germany, Sweden, and the United States. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2022; 17: 2149-60 4 Buhl R et al.: Real-world treatment of patients newly diagnosed with chronic obstructive pulmonary disease: a retrospective German claims data analysis. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2022; 17: 2355-67 5 LipsonDA et al.: Reduction in all-cause mortality with fluticasone furoate/umeclidinium/vilanterol in patients with chronic obstructive pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med 2020; 201(12): 1508-16 6 Martinez FJ et al.: Reduced all-cause mortality in the ETHOS trial of budesonide/glycopyrrolate/formoterol for chronic obstructive pulmonary disease. A randomized, double-blind, multicenter, parallel-group study. Am J Respir Crit Care Med 2021; 203: 553-64 7 Lee HW et al.: Comparisons of exacerbations and mortality among regular inhaled therapies for patients with stable chronic obstructive pulmonary disease: systematic review and Bayesian network meta-analysis. PLoS Med 2019; 16(11): e1002958 8 Crim C et al.: Pneumonia risk in COPD patients receiving inhaled corticosteroids alone or in combination: TORCH study results. Eur Respir J 2009; 34: 641-7 9 Lee HW et al.: Different inhaled corticosteroid doses in triple therapy for chronic obstructive pulmonary disease: systematic review and Bayesian network meta-analysis. Sci Rep 2022; 12(1): 15698 10 Halpin DMG et al.: Comparative adherence and persistence of single- and multiple-inhaler triple therapies among patients with chronic obstructive pulmonary disease in an English real-world primary care setting. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis 2022; 17: 2417-29
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