
Psychodermatologie
Autorin:
Dr. med. Marie Zipser
Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Sanatorium Kilchberg AG
Zentrum für Psychosomatik
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Die Haut ist der Spiegel der Seele – Haut und Psyche sind in der menschlichen Entwicklung und im Volksmund eng verbunden. Hautkrankheiten können psychisch belasten und Stress kann eine Hautkrankheit verschlechtern, ausserdem gibt es viele primär psychiatrische Erkrankungen, die sich an der Haut manifestieren. In der Psychodermatologie arbeiten Dermatologen, Psychologen und Psychiater interdisziplinär eng zusammen, um Menschen mit Hauterkrankungen bestmöglich therapeutisch zu behandeln.
Keypoints
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Patienten mit chronischen Hauterkrankungen (z.B. atopische Dermatitis und Psoriasis) leiden nicht selten unter Depressionen, Ängsten und Suizidgedanken, ausserdem kann psychosozialer Stress den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen.
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Viele primär psychiatrische Krankheiten, beispielsweise Zwangserkrankungen, somatoforme Störungen und Abhängigkeitserkrankungen, manifestieren sich an der Haut und die Patienten stellen sich hiermit primär beim Dermatologen vor.
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Dermatologische Medikamente können zu psychiatrischen Symptomen und Erkrankungen führen (systemische Steroide: Depression, Delir) und psychiatrische Medikamente zu Hautveränderungen (Lithium: Haarausfall, Juckreiz, Schuppenflechte).
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Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Psychiatern, Psychologen und Dermatologen ist wichtig, um im Sinne des biopsychosozialen Krankheitsmodells der Psychosomatik Menschen mit Hautkrankheiten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen.
In unserer Sprache besteht eine genaue Vorstellung, wie Haut und Psyche miteinander interagieren.1 Etwas geht uns unter die Haut, wir sind dünnhäutig, wollen nicht in der Haut eines anderen stecken, manchmal ist etwas gar zum Aus-der-Haut- Fahren. Die Haut ist offenbar der Spiegel der Seele. Dies ist nicht verwunderlich, da evolutionär Haut, Schleimhaut, Haare, Nägel und das Zentralnervensystem demselben Keimblatt, dem Ektoderm, entstammen. Zusammenhänge von Haut und Psyche sind in der Medizin schon lange bekannt,2 Hippokrates (460–370 v. Chr.) hat Haare ausreissen als Stressantwort bezeichnet. Im Jahr 1857 definierte der englische Chirurg und Dermatologe Wilson den Dermatozoenwahn, die Alopecia areata und den Pruritus als Hautneurosen. 1889 prägte der französische Dermatologe Hallopeau den Begriff Trichotillomanie. Die körperdysmorphe Störung wurde 1987 in den DSM-III-R aufgenommen. Um die Zusammenhänge von Haut und Psyche in Forschung und Patientenversorgung zu adressieren, wurde 1993 die Europäische Gesellschaft für Dermatologie und Psychiatrie (ESDaP) gegründet. Diese veranstaltet alle zwei Jahre eine Konferenz, in der angewandte und wissenschaftliche psychodermatologische Themen adressiert werden.3 Die ESDaP bietet Kurse in Psychodermatologie an, mit der Möglichkeit der internationalen Vernetzung, dem Austausch von Fallvignetten und der Supervision durch erfahrene Psychodermatologen ( www.psychodermatology.net ). Ziel ist es, Menschen mit Hautkrankheiten bestmöglich biopsychosozial zu behandeln und qualitativ hochwertige Forschung und Weiterbildung in diesem Bereich sicherzustellen.
Psychosomatische Dermatosen
Chronische Hautkrankheiten führen oft zu einer psychischen Belastung und psychosozialer Stress kann den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussen. Depressionen, Ängste und Suizidgedanken zeigen sich gehäuft bei Menschen mit Hautkrankheiten verglichen mit der Kontrollgruppe.4 Auch erleben Patienten mit chronischen Hautkrankheiten wie Neurodermitis (atopische Dermatitis) und Schuppenflechte (Psoriasis) häufiger Stigmatisierung.5 Die komplexen biopsychosozialen Zusammenhänge und psychiatrischen Komorbiditäten von chronischen Hautkrankheiten wurden in vielen Studien untersucht.
Bereits pränatale mütterliche Depression und Angst führen zu einem erhöhten Risiko der Nachkommen, eine atopische Dermatitis zu entwickeln.6 Psoriasis-Betroffene haben eine signifikant höhere Prävalenz von Kindheitstraumata und ein signifikant niedrigeres Resilienz-Level.7 Stress führt zu Symptomverschlechterung bei Patienten mit atopischer Dermatitis.8 Eine atopische Dermatitis in Jugend und Erwachsenenalter erhöht das Risiko für Depressionen und Angststörungen im Leben.9 Alkohol ist ein Risikofaktor, an einer Psoriasis zu erkranken, und es besteht ein potenzieller Zusammenhang zwischen Psoriasiserkrankung und der Aufrechterhaltung des Alkoholkonsums.10 Hypothetische biopsychosoziale Zusammenhänge von chronischen Hautkrankheiten am Beispiel der Psoriasis und Depression zeigt Abbildung 1.1
Abb. 1: Biopsychosoziale Zusammenhänge von Psoriasis und Depression (mod. nach Gieler U et al. 2020)1
Viele dermatologische Medikamente können psychiatrische Beschwerden, insbesondere Depressionen, verursachen (Antihistaminika zur Behandlung von Juckreiz, Isotretinoin und die Antibabypille zur Behandlung der Akne, systemische Steroide, Antimalariamittel, Methotrexat, Biologics), aber auch Schlafstörungen, Ängste und psychotische Symptome hervorrufen oder bei entsprechender Vulnerabilität delirogen sein (systemische Steroide).
Es finden sich vermehrt Hinweise, dass die Stress-Haut-Achse «top-down» und «bottom-up» funktioniert, also vom Gehirn in die Haut und umgekehrt. Entsprechend setzen Therapien sowohl am Gehirn (z.B. Psychotherapie) als auch an der peripheren Entzündung an (barrierestabilisierende Pflege, topische Steroide oder Biologics).11 Menschen mit chronischer Hautkrankheit profitieren oft nicht hinreichend von einer rein dermatologischen Therapie und biopsychosoziale Belastungsfaktoren und psychiatrische Komorbiditäten können die Erfolgschancen einer rein organmedizinischen Behandlung einschränken.12
Psychiatrische Krankheiten mit hautbezogener Symptomatik
Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen haben in 30% Auffälligkeiten an der Haut.13 Neben primären Hautkrankheiten, die auch einen Bezug zur psychiatrischen Erkrankung haben können (Abhängigkeitserkrankungen, somatische Belastungsstörungen, Zwangsstörungen), manifestiert sich Selbstverletzung oft an der Haut. Diese zeigt sich entweder heimlich (Simulation, Dermatitis artefacta, Münchhausen-Syndrom) oder ansprechbar. Hierunter fallen impulsive (Ritzen/Schneiden/Brennen bei emotionaler Instabilität) oder zwanghafte Verhaltensweisen (Trichotillomanie).1 Ausserdem können psychiatrische Medikamente hautbezogene Nebenwirkungen haben. Beispielsweise kann Lithium zu Akne, Follikulitis, Alopezie und Pruritus führen und eine Psoriasis auslösen oder verstärken. Bei Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen kann die Einnahme von Drogen zu Hautveränderungen führen, welche die Lebensqualität zum Teil erheblich beeinträchtigen. Eine Übersicht über Hautmanifestationen unter psychotropen Substanzen zeigt Tabelle 1.14
Juckreiz, Brennen und Schmerzen sind häufige Symptome in der dermatologischen Praxis. Sie qualifizieren in 18,9% (Juckreiz), 28,3% (Brennen) und 37,5% (Schmerzen) als «somatoform»,15 heute entsprechend der neuen ICD-11-Diagnose «bodily distress disorder». Die Vulvodynie und das «Burning-Mouth-Syndrom» sind auch in den jeweiligen gynäkologischen und gastroenterologischen Kapiteln in der ICD-11 eingeordnet. Neben psychotherapeutischen Interventionen finden sich Belege für die Anwendung von (trizyklischen) Antidepressiva, Gabapentin und Pregabalin im «off-label use» bei der Behandlung der Vulvodynie.16
Viele der in der ICD-11 unter Zwangsstörungen klassifizierten Erkrankungen betreffen die Psychodermatologie. So fallen Patienten mit primärem Waschzwang nicht selten beim Dermatologen auf. Neu finden sich die früher unter Störungen der Impulskontrolle klassifizierte Trichotillomanie und die Dermatillomanie im Kapitel Zwangsstörungen. Die körperdysmorphe Störung ist von den somatoformen Störungen in das Kapitel Zwangsstörungen gewechselt. Gemäss DSM-5 ist sie klassifiziert als «übermässige Beschäftigung mit einem oder mehreren wahrgenommenen Mängeln oder Defekten im äusseren Erscheinungsbild, die für andere nicht erkennbar sind oder geringfügig erscheinen». Dies führt zu sich wiederholenden Verhaltensweisen (z.B. Überprüfung im Spiegel, übermässige Körperpflege, Hautzupfen/-quetschen, Rückversicherungsverhalten) oder mentalen Handlungen. Es besteht oft ein hoher Leidensdruck, nicht selten werden Dermatologen in diesem Zusammenhang mit dem Wunsch nach kosmetischen Eingriffen konfrontiert. Symptome der körperdysmorphen Störung sind signifikant mit dermatologischen Krankheiten assoziiert, Patienten mit atopischer Dermatitis und Psoriasis haben ein sechsfach erhöhtes Risiko für das Auftreten von körperdysmorphen Symptomen.17
Obwohl der psychosomatische Therapiebedarf bei Menschen mit Hautkrankheiten von Dermatologen und dermatologischer Pflege hoch eingeschätzt wird (bei 21,7% bis 33,6% der Patienten) ist die Motivation für eine psychotherapeutische Behandlung häufig gering.18 Es bedarf oft einer primären Motivationsphase im Vorfeld einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von Dermatologen, Psychologen, psychosomatisch tätigen Ärzten, Psychiatern und anderen Healthcare-Professionals steht im Zentrum der psychodermatologischen Versorgung von Menschen mit Hautkrankheiten.
Literatur:
1 Gieler U et al.: Haut und Psychosomatik - Psychodermatologie heute. J Deutsch Dermatol Ges 2020; 18(11): 1280-300 2 Franca K et al.: Psychodermatology: a trip through history. An Bras Dermatol 2013; 88(5): 842-3 3 Bewley A et al.: 19th Congress of the European Society for Dermatology and Psychiatry (ESDaP) and 2nd Brain Skin Colloquium Conference (BSC), June 11-13, 2021, London. Acta Derm Venereol 2022; 15: 102: adv00670 4 Dalgard F et al.: The psychological burden of skin diseases: a cross-sectional multicenter study among dermatological out-patients in 13 European countries. J Invest Dermatology 2015; 35(4): 984-91 5 Van Beugen S et al.: Perceived stigmatization among dermatological outpatients compared with controls: an observational multicentre study in 17 European countries. Acta Derm Venerol 2023; 22: 103: adv6485 6 Chang H et al.: Prenatal maternal distress affects atopic dermatitis in offspring mediated by oxidative stress. J Allergy Clin Immunol 2016; 138(2): 468-75 7 Crosta M et al.: Childhood trauma and resi-lience in psoriatic patients: A preliminary report. J Psychosom Res 2018; 106: 25-8 8 Kodama A et al.: Effect of stress on atopic dermatitis: investigation in patients after the great hanshin earthquake. J Allergy Clin Immunol 1999; 104(1): 173-6 9 Chen C-M. et al.: Risk of developing major depressive disorder and anxiety disorders among adolescents and adults with atopic dermatitis: a nationwide longitudinal study. J Affect Disord 2015; 1: 178: 60-5 10 Poikolainen K et al.: Alcohol intake: a risk factor for psoriasis in young and middle aged men? BMJ 1990; 24; 300(6727): 780-3 11 Peters E et al.: Dermatologische Erkrankungen. In: Psychosomatik, Kohlhammer 2020, Stuttgart 12 Peters E et al.: Psychodermatologie: Grundlagen für den Aufbruch zu neuen Versorgungsformen. Psychother Psychsom Med Psychol 2022; 72(3-04): 155-68 13 Marshall C et al.: Psychodermatology in clinical practice: main principles. Acta Derm Venerol 2016; 23; 96(217): 30-4 14 Mavrogiorgou P, Juckel G: Erkrankungen der Haut bei primär psychischen Störungen. Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(10): 608-16 15 Gieler U et al.: Somatoforme Syndrome in der Dermatologie. In: Psychotherapie der Somatisierungsstörungen, Thieme 2001, Stuttgart 16 Rosen N et al.: Treatment of vulvodynia: pharmacological and non-pharmacological approaches. Drugs 2019; 79(5): 483-93 17 Schut C et al.: Body dysmorphia in common skin diseases: results of an observational, cross-sectional multicentre study among dermatological outpatients in 17 European countries. Br J Dermatol 2022; 187(1): 115-25 18 https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/013-024
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