
Psychopharmaka bei Essstörungen
Bericht:
Martha-Luise Storre
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Bei der Therapie von Essstörungen nimmt die Psychotherapie einen besonderen Stellenwert ein. Welche Bedeutung aber haben Psychopharmaka für die Behandlung von Anorexia nervosa, Bulimia nervosa oder der Binge-Eating-Störung? Ein Update.
Keypoints
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Die S3-Leitlinie empfiehlt bei Anorexia nervosa keine Antidepressiva und Antipsychotika zur Erreichung einer Gewichtszunahme. Neuere Daten weisen jedoch auf einen positiven Effekt von Olanzapin hin.
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Zur Behandlung der Bulimia nervosa bei Erwachsenen ist in Deutschland Fluoxetin in Kombination mit Psychotherapie zugelassen.
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Bei Binge-Eating-Störungen ist die Pharmakotherapie laut Leitlinie nachrangig.
Dr. med. univ. Tabea Bauman, Oberärztin im Fachzentrum für Psychosomatik & Psychotherapie der Schön Klinik Roseneck, Prien am Chiemsee, berichtete von dem Fall einer 52-jährigen, alleinstehenden Anorexia-nervosa-Patientin, die bei Aufnahme in der Spezialklinik einen BMI von 15,4 aufwies. Sie litt unter massiven gegenregulierenden Maßnahmen wie Erbrechen und einem extremen Bewegungsdrang. „Der Behandlungsverlauf gestaltete sich sehr schwierig, sodass wir uns entschieden, neben der primär psychotherapeutischen Behandlung auch eine medikamentöse Therapie mit Fluoxetin und Olanzapin anzuwenden“, so Bauman. Dies resultierte in einer positiven Entwicklung der Behandlung. Aus Sicht der Patientin hätten die Medikamente die Veränderung bewirkt, da diese es ihr ermöglichten, sich in der Therapie mit den möglichen Auslösern ihrer Essstörung zu befassen. Die Behandelnden stellten sich jedoch aus klinischer Sicht die Frage der Kausalität bzw. der Generalisierbarkeit.
In den letzten Jahren habe sich im Bereich der medikamentösen Behandlung von Essstörungen viel getan, wie Bauman berichtete. Daher empfehle es sich, ergänzend zur deutschen S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Essstörungen1 aus dem Jahr 2018 auch die 2023 aktualisierten Guidelines der World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP)2 für die Therapieplanung zu berücksichtigen.
Anorexia nervosa
Wie wirkt sich das zum Beispiel auf die Behandlung der Anorexia nervosa aus? State of the Art sei hier entsprechend der deutschen Leitlinie ein störungsorientierter und die körperlichen Aspekte berücksichtigender Ansatz. Zentrales Therapieziel soll die Normalisierung des Körpergewichts sein. Dafür ist die Psychotherapie das Behandlungsverfahren der ersten Wahl. Antidepressiva und Antipsychotika sollen hingegen nicht zur Erreichung einer Gewichtszunahme eingesetzt werden.1 Die Studienlage zum Antipsychotikum Olanzapin war bislang durchwachsen, erläuterte die Expertin. Von vier randomisiert-kontrollierten Studien zeigten zwei einen positiven Effekt auf die Gewichtsentwicklung bei Anorexie.3,4 Zwei andere Arbeiten konnten dies jedoch nicht bestätigen.5,6 Ergebnisse einer ambulanten Multicenterstudie mit 152 Anorexia-nervosa-Patientinnen und -Patienten (96% weiblich) zeigen hingegen eine signifikant stärkere Zunahme des BMI unter Olanzapin vs. Placebo (Abb. 1).7 In Bezug auf die Zwanghaftigkeit und Essstörungssymptomatik gab es keinen signifikanten Unterschied. Diese Untersuchung sei in der aktuell gültigen Leitlinie nicht berücksichtigt, jedoch im Update der WFSBP, merkte Bauman an. Das Update empfehle den Einsatz von Olanzapin eingeschränkt aufgrund des bislang fehlenden Effekts auf die Psychopathologie.
Abb. 1: Eine Studie mit 152 Anorexia-nervosa-Patientinnen und -Patienten zeigte eine signifikant stärkere Zunahme des BMI unter Olanzapin vs. Placebo (mod. nach Attia E et al. 2019)7
Bulimia nervosa
Für die Behandlung der Bulimia nervosa empfiehlt die S3-Leitlinie eine kognitive Verhaltenstherapie. Bei einer angezeigten Pharmakotherapie sollte Fluoxetin (60mg) eingesetzt werden, jedoch nicht als alleinige Behandlung.1 Zentrales Ziel ist die Reduktion von Essanfällen und gegenregulierenden Maßnahmen. Die Evidenz zur Gabe von Fluoxetin bei Bulimia nervosa geht auf vier Studien zurück, die neben antidepressiven Effekten auch einen positiven Einfluss auf die Frequenz der bulimischen Sympomatik mit Essanfällen und Erbrechen zeigen konnten.8–11 Die WFSBP-Guidelines empfehlen den Einsatz des Stimmungsstabilisierers Topiramat, dieser ist jedoch in dieser Indikation in Deutschland nicht zugelassen. Keine Empfehlung besteht für das Stimulans Lisdexamfetamin, das in einer randomisiert-kontrollierten Studie zwar einen antibulimischen Effekt zeigte, jedoch gleichzeitig zu einer unerwünschten Gewichtsabnahme führte.12
Binge-Eating-Störung
Auch bei der Behandlung der Binge-Eating-Störung (BES) gilt eine Psychotherapie als Behandlungsverfahren der ersten Wahl, dabei vorrangig ebenfalls die kognitive Verhaltenstherapie. Sollte diese abgelehnt werden oder nicht zum Erfolg führen, kann eine Pharmakotherapie mit Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Lisdexamfetamin erwogen werden, so die Leitlinie.1 Im Vordergrund steht die Vermeidung von Essanfällen, aber meist sei seitens der Betroffenen eine begleitende Gewichtsreduktion erwünscht, führte Bauman aus. Die Studien zur pharmakologischen Behandlung der BES gehen auf beide Ziele ein. Die medikamentöse Therapie habe sich zunächst an der Bulimia nervosa orientiert. Somit wurde die Gruppe der selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Fluoxetin untersucht. Trotz zahlreicher Studien spricht die WFSBP keine Empfehlung für Fluoxetin bei BES aus, aufgrund fehlender Metaanalysen. Anders sehe dies bei Topiramat aus: Hier lägen einige randomisiert-kontrollierte Studien mit positiver Wirksamkeit sowohl auf die Essanfälle als auch auf die Gewichtsreduktion vor. Die Guideline sieht daher eine starke Evidenz für den Einsatz von Topiramat bei BES. Für Lisdexamfetamin konnten bei BES ebenfalls positive Effekte gezeigt werden und entsprechend erhält das Präparat von der WFBPS einen hohen Empfehlungsgrad. Sowohl Topiramat als auch Lisdexamfetamin sind für diese Indikation in Deutschland nicht zugelassen, erläuterte Bauman.
Quelle:
Vortrag „Psychopharmaka bei Essstörungen“ von Dr. med. univ. Tabea Bauman im Rahmen des Symposiums „Essstörungen“ beim Interdisziplinären Kongress für Suchtmedizin am 30. Juni 2023 in München
Literatur:
1 AWMF, S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Essstörungen, 2018 2 Himmerich H et al.: World Federation of Societies of Biological Psychiatry (WFSBP) guidelines update 2023 on the pharmacological treatment of eating disorders. World J Biol Psychiatry 2023; 24: 1-64 3 Bissada H et al.: Olanzapine in the treatment of low body weight and obsessive thinking in women with anorexia nervosa: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Am J Psychiatry 2008; 165(10): 1281-8 4 Attia E et al.: Olanzapine versus placebo for out-patients with anorexia nervosa. Psychol Med 2011; 41(10): 2177-82 5 Brambilla F et al.: Olanzapine-induced weight gain in anorexia nervosa: involvement of leptin and ghrelin secretion? Psychoneuroendocrinology 2007; 32(4): 402-6 6 Kafantaris V et al.: A placebo-controlled pilot study of adjunctive olanzapine for adolescents with anorexia nervosa. J Child Adolesc Psychopharmacol 2011; 21(3): 207-12 7 Attia E et al.: Olanzapine versus placebo in adult outpatients with anorexia nervosa: a randomized clinical trial. Am J Psychiatry 2019; 176(6): 449-56 8 Fluoxetine in the treatment of bulimia nervosa. A multicenter, placebo-controlled, double-blind trial. Fluoxetine Bulimia Nervosa Collaborative Study Group. Arch Gen Psychiatry 1992; 49(2): 139-47 9 Goldstein DJ et al.: Long-term fluoxetine treatment of bulimia nervosa. Fluoxetine Bulimia Nervosa Research Group. Br J Psychiatry 1995; 166(5): 660-6 10 Walsh BT et al.: Fluoxetine for bulimia nervosa following poor response to psychotherapy. Am J Psychiatry 2000; 157(8): 1332-4 11 Romano SJ et al.: A placebo-controlled study of fluoxetine in continued treatment of bulimia nervosa after successful acute fluoxetine treatment. Am J Psychiatry 2002; 159(1): 96-102 12 Keshen AR et al.: A feasibility study evaluating lisdexamfetamine dimesylate for the treatment of adults with bulimia nervosa. Int J Eat Disord 2021; 54(5): 872-78
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