Neuer Risikorechner, 100 Empfehlungen
Bericht:
Dr. Felicitas Witte
geprüft von Dr. Bernhard Rintelen, Stockerau
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Eine Osteoporose ist klinisch vor allem wegen ihres erhöhten Frakturrisikos bedeutsam. Frakturen sind nicht nur extrem belastend für die oft älteren Patienten, sondern gehen zudem mit hohen Kosten einher. Die neue Osteoporose-Leitlinie des Dachverbandes Osteologie (DVO) erklärt ausführlich, wie man Patienten mit erhöhtem Frakturrisiko erkennt, behandelt, wie man vorbeugt und nachsorgt. Ein Überblick über die wichtigsten Neuerungen.
Keypoints
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33 Risikofaktoren gehen in die Berechnung des Frakturrisikos ein.
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Neu wird eine Mindestaufnahme von Protein für Patienten ab 65 Jahren empfohlen.
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Die in früheren Leitlinienversionen erwähnten Alters- bzw. Knochendichteschwellen wurden fallen gelassen.
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Während früher das Frakturrisiko über 10 Jahre bestimmt wurde, sind es nun 3 Jahre.
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Neben Teriparatid wurde Romosozumab als zweite osteoanabol wirkende Substanz in die Leitlinie aufgenommen.
Im September 2023 ist die neue Leitlinie des DVO zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose erschienen.1 Die Empfehlungen gelten für Frauen nach der Menopause und für Männer ab 50 Jahren. Die vorherige Leitlinie von 2017 wurde komplett überarbeitet. An der neuen Leitlinie haben Experten aus Medizin, Medizinphysik und vom Bundesselbsthilfeverband für Osteoporose in Deutschland mitgewirkt. Das Dokument ist 420 Seiten lang und damit äußerst umfassend. Man habe es aber bewusst so ausführlich schreiben wollen, sagt Dr. Bernhard Rintelen, Mitglied der Leitlinien-Kommission und Rheumatologe im Landesklinikum Stockerau. Für den Praxisalltag gibt es eine Kurzfassung mit 15 Seiten, die alle wesentlichen Punkte enthält. Für diejenigen, die die zugrunde liegende Literatur nachlesen und sich eingehend informieren wollen, bietet die Leitlinie ein exzellentes Nachschlagewerk mit umfangreicher aktueller Literatur.
Ein Pluspunkt der neuen Leitlinie ist, dass Inhaltsverzeichnis, Literaturangaben im Text und bestimmte Textstellen auf spätere Kapitel beziehungsweise auf das Literaturverzeichnis verlinken, sodass man mit einem Klick gleich an die richtige Stelle kommt. Die Leitlinie ist in zehn Kapitel gegliedert. Sie beginnt mit Definition, Epidemiologie und allgemeinen Risikofaktoren, geht mit messtechnischen Risikofaktoren (z.B. Trabecular Bone Score und DXA-Knochendichtemessung) und Prophylaxe weiter und endet mit Diagnostik, Therapie und Versorgungsaspekten.
Die Leitlinien-Autoren sprechen 100 Empfehlungen aus, 42 davon haben einen Evidenzgrad von 1 und 30 einen Evidenzgrad von 2.
Neue Risikofaktoren
Das Kapitel zu den Risikofaktoren wurde komplett überarbeitet und die einzelnen Faktoren und ihr Einfluss auf das Risiko für vertebrale oder Schenkelhalsfrakturen oder osteoporotische Frakturen – etwa am Unter- oder Oberarm – wurden evaluiert. Die Recherche zu den Risikofaktoren war die Grundlage für den Risikorechner, der das Risiko für vertebrale oder Schenkelhalsfrakturen berechnet. Der Risikorechner ist ein Kernstück der neuen Leitlinie. Eine Schwäche ist, dass es ihn bisher nur in Papierform gibt. Die digitale Version sollte aber bald erscheinen, sagt Rintelen, und wenn man das Risiko einige Male berechnet habe, sei das auch mit dem Papierrechner ganz einfach. Und in der Tat: Nach einigen Test-Berechnungen erscheint der Rechner logisch und eingängig. Für die Berechnung des Risikos eignen sich die Tabellen in der Kurzversion der Leitlinie gut.
33 Risikofaktoren gehen in die Berechnung des Frakturrisikos ein. Neu aufgenommen wurden Humerusfrakturen, Beckenfrakturen, chronische Hyponatriämie, Niereninsuffizienz, multiple Sklerose und ein „Timed-up-and-go“-Test >12 Sekunden. Einige Risikofaktoren, etwa systemischer Lupus erythematodes, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, bariatrische Operationen oder die Therapie mit Aromatasehemmern, werden zwar als Risikofaktoren weiterhin angeführt, gehen aber nicht mehr in den Risikorechner ein und werden Risiko-Indikatoren genannt. Denn es gibt entweder speziell für die Altersgruppe, für die diese Leitlinie entwickelt wurde, keine sicheren Daten für das Frakturrisiko oder die vorliegenden Daten geben keine sichere Auskunft.
Neu ist zudem, dass Faktoren in den Rechner eingehen, die das Risiko für eine imminente, also unmittelbar bevorstehende Fraktur erhöhen. Das sind: Wirbelkörperfraktur, Schenkelhalsfraktur, ≥ 2 Stürze innerhalb des zurückliegenden Jahres und mehr als 7,5 mg Prednisolon in mehr als 3 Monaten innerhalb der letzten 12 Monate. Dies kann sich auf die Therapieentscheidung auswirken: So sollte beispielsweise eine spezifische medikamentöse Therapie schon bei einem Frakturrisiko von 3–5% unter anderem dann in Betracht gezogen werden, wenn ein imminentes Frakturrisiko vorliegt.
Präventionsmaßnahmen
Im Kapitel „Generelle Osteoporose- und Frakturprophylaxe“ sind die Themen Sturz, Risikofaktoren für einen Sturz und Präventionsmöglichkeiten ausführlich erläutert. Ziel sei es, möglichst viele Risikofaktoren zu minimieren, denn Stürze können vielfältige Ursachen haben und eine Sturzprävention gelingt mit einer einzelnen Maßnahme schlechter als mit einem Maßnahmenpaket. Die Autoren erklären, welche Rolle Muskelkraft, Koordination und Bewegung spielen, was man seinen Patienten raten und welche Patienten man mit welchen Tests vorbeugend auf ein erhöhtes Sturzrisiko hin untersuchen sollte.
Weitere Maßnahmen sind unter anderem: knochengesunde Ernährung (neu wird eine Mindestaufnahme von Protein für Patienten ab 65 Jahren empfohlen), Erhöhung der Sehkraft, Therapie von Nykturie, Einsatz von Hüftprotektoren, Entfernung von Stolperfallen sowie das Überdenken von sturz- und osteoporosefördernden Medikationen.
Basisdiagnostik ab 50 bei Risikofaktoren
Der DVO empfiehlt eine Basisdiagnostik für postmenopausale Frauen und Männer ab 50 Jahren, wenn sie bestimmte Risikofaktoren bzw. gewisse Risikofaktor-Konstellationen haben. Ob eine Basisdiagnostik angezeigt ist, bestimmen die 33 Risikofaktoren im Risikorechner und auch die Risikoindikatoren. Zur Basisdiagnostik wird eine Messung der Knochendichte am Schenkelhals beidseits empfohlen. Für die radiologische Diagnostik von Wirbelfrakturen empfiehlt die Leitlinie adäquate bildgebende Verfahren.
Die Serumeiweiß-Elektrophorese ist nun fester Bestandteil des Basislabors, ebenso wird empfohlen, CRP und BSG zu bestimmen.
Zur Basistherapie gehören unter anderem eine generelle Osteoporose- und Frakturprophylaxe, knochengesunde Ernährung und körperliche Bewegung. Neben den Empfehlungen zu Kalzium und Vitamin D ist neu aufgeführt, wie Vitamin D zu dosieren ist. So werden generell 800IE Cholecalciferol pro Tag empfohlen und die Tagesdosis sollte 2000–4000IE nicht überschreiten. Im Falle einer Bolusgabe sollen per Einzeldosis maximal 20000IE verabreicht werden.
Neue Therapieschwellen
Neu sind auch die Schwellen, ab denen eine medikamentöse Therapie eingeleitet werden sollte. Die in früheren Leitlinienversionen erwähnten Alters- bzw. Knochendichteschwellen mit Verschiebungen einzelner Kästchen je nach Risikofaktor wurden fallen gelassen. Hat der Patient eine Osteoporose mit absolutem Frakturrisiko oberhalb der neuen DVO-Therapieschwelle, wird eine Behandlung empfohlen. Abschätzen kann man das auch ohne DXA-Knochendichte: Wenn ein eindeutiges Ergebnis vorliegt, kann man auf eine DXA verzichten. Verfeinert wird das Assessment aber durch eine DXA-Messung.
Die neuen Schwellenwerte sind folgende: Ab einem erhöhten Frakturrisiko zwischen 3% und 5% in den kommenden 3 Jahren sollte eine spezifische Therapie in Betracht gezogen werden, ab 5% soll eine Therapie empfohlen werden und ab 10% soll eine Therapie mit osteoanabol wirksamen Substanzen empfohlen werden.
Während früher das Frakturrisiko über 10 Jahre bestimmt wurde, sind es nun 3 Jahre. Denn schätzt man das Frakturrisiko über 10 Jahre ein, könnte das zu einer Unterschätzung des Frakturrisikos führen und zur Folge haben, dass ein behandlungsbedürftiges erhöhtes Frakturrisiko nicht therapiert wird. Außerdem dauern die meisten Zulassungsstudien zu Osteoporosemedikamenten 3 Jahre, so die Autoren, und dieser Zeitraum sei besonders für hochbetagte Menschen adäquater.
Im Kapitel zur Therapie wird umfassend erklärt, bei welchen Präparaten und bei welchen Frakturen die frakturreduzierende Wirkung am besten belegt ist und wie in speziellen Therapiesituationen (z.B. unter einer Glukokortikoidtherapie) vorzugehen ist.
Ist das Frakturrisiko eines Patienten so hoch, dass neben der Basistherapie auch eine spezifische Therapie indiziert ist, sollte man einen individuellen Therapieplan erstellen. Berücksichtigt werden hierin unter anderem die Ziele der Therapie, die je nach Präparat unterschiedlich starke Frakturrisikosenkung, mögliche Nebenwirkungen der Präparate, Kontraindikationen, Applikationsformen und die Kosten.
Neben Teriparatid wurde neu Romosozumab als zweite osteoanabol wirkende Substanz in die Leitlinie aufgenommen. Nachlesen kann man die neuen Empfehlungen zur osteoanabolen Therapie inklusive „osteoanabol first“ zur Kombinationstherapie, zur osteoprotektiven Therapie unter einer antihormonellen Behandlung, zur Anschlusstherapie nach Beendigung einer Therapie mit einem reversiblen Wirkmechanismus und zur Verlaufsbeurteilung mittels DXA und Knochenumbauparametern.
Erwähnt werden zudem multimodale stationäre Behandlungen, die durchgeführt werden sollen, wenn Patienten trotz ambulanter konservativer Therapien immer noch Schmerzen haben und in ihrer Funktion beeinträchtigt sind.
Abschließend gehen die Autoren auf Versorgungsaspekte ein. So können ambulante Managed-Care-Modelle Stürze vermeiden und Kosten einsparen. Die Leitlinie endet hierzu mit zwei Empfehlungen: Erstens sollen strukturierte multifaktorielle und individualisierte Programme zur Prophylaxe durchgeführt werden und zweitens soll eine strukturierte Frakturnachbehandlung, etwa mittels „Fracture Liaison Service“, erfolgen.
Literatur:
1 DVO: S3-Leitlinie Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern ab dem 50. Lebensjahr. AWMF-Register-Nr.: 183/001
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