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Fibromyalgie: eine Erkrankung, viele Einflussfaktoren
Jatros
30
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23.02.2017
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<p class="article-intro">Im Rahmen des Jahreskongresses des American College of Rheumatology (ACR) im November 2016 wurden zahlreiche aktuelle Studien zur Fibromyalgie vorgestellt. Unter anderem wurden der Wachstumshormonmangel und die Knochendichte diskutiert, aber auch der Zusammenhang zwischen Fatigue und körperlicher Fitness, der Effekt von Tai-Chi sowie die Kriterien für Therapieadhärenz.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Wachstumshormonmangel</h2> <p>Bei Patienten mit Fibromyalgie (FM) wurden niedrige Spiegel des Insulin-abhängigen Wachstumsfaktors 1 (IGF-1) beschrieben, wobei angenommen wird, dass ein Wachstumshormonmangel vorliegt. Die Prävalenz des gleichzeitigen Auftretens von niedrigem IGF-1- und niedrigem Wachstumshormonspiegel wurde bisher jedoch nicht beschrieben. In einer aktuellen Studie wurden 78 Frauen mit FM über einen Zeitraum von vier Jahren beobachtet. Alle Patientinnen erfüllten die 1990- und 2010-ACR-FM-Diagnosekriterien. Das Durchschnittsalter lag bei 45 Jahren. Die Serum-IGF-1-Spiegel wurden gemessen und ein i.v. Wachstumshormonstimulationstest wurde mit Arginin oder Glukagon als Sekretagogum durchgeführt. Der durchschnittliche IGF-1-Spiegel lag bei 133ng/ml im Vergleich zum erwarteten Spiegel von 235ng/ ml. Von den 78 Patientinnen wiesen 70 einen für ihr Alter zu niedrigen IGF- 1-Spiegel auf. Die Prävalenz des Wachstumshormonmangels lag bei FM-Patientinnen zumindest bei 56 % . Demnach scheint der Wachstumshormonmangel häufiger bei FM aufzutreten und die Autoren fordern, dass mehr FM-Patienten getestet werden sollten.<sup>1</sup></p> <h2>Knochendichte</h2> <p>Studien haben gezeigt, dass das FMSyndrom mit einem niedrigen physischen Aktivitätsgrad der Patienten einhergeht, was zu einem erhöhten Osteoporoserisiko führen kann. Bisherige Studien zur Knochenmineraldichte („bone mineral density“, BMD) bei FM-Patienten waren inhomogen. Aus diesem Grund wurden ein systematisches Review und eine Metaanalyse durchgeführt. Einschlusskriterien waren FM und erhobene BMD bei Erwachsenen. FM wurde gemäß den Kriterien des American College of Rheumatology diagnostiziert. BMD wurde in der Lendenwirbelsäule sowie im Oberschenkelhals mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DEXA) bestimmt. Für die Analyse wurden Daten aus vier Beobachtungsstudien mit 680 Patienten herangezogen. Bei Patienten mit FM war die BMD in der Lendenwirbelsäule (L2–L4) im Vergleich zu Kontrollen deutlich verringert (p=0,0003). Dagegen zeigten sich im Oberschenkelhals keine signifikanten Unterschiede in der BMD zwischen FMPatienten und Kontrollen (p=0,23). Die Studienautoren befürworten eine Einschätzung des Osteoporoserisikos bei FM-Patienten.<sup>2</sup></p> <h2>Fatigue und physische Fitness</h2> <p>Das Auftreten einer schweren Fatigue bei rheumatischen Erkrankungen wird am häufigsten bei Patienten mit FM beobachtet. Physische und subjektive Fitness werden als Resilienzquellen angesehen, die dabei helfen, mit FM-Symptomen umzugehen. Daten wurden aus dem al-Ándalus- Projekt, einer populationsbasierten Querschnittsstudie, entnommen. Insgesamt wurden 460 Frauen mit FM (ACR-1990-Diagnosekriterien) in die aktuelle Studie eingeschlossen.<br /> Alle Analysen der Studie wurden nach Alter und Körperfettanteil adjustiert. Alle Teilkorrelationen, wie z.B. physische Fitness insgesamt, positive Einstellung, negative Einstellung, Zufriedenheit mit dem Leben und Fatigue-Dimensionen, waren statistsich signifikant (p=0,004). Lineare Regressionsmodelle zeigten, dass 1) die physische Fitness insgesamt unabhängig von einer generellen Fatigue und mit einer physischen Fatigue assoziiert war (beide p<0,001), 2) positive Einstellung unabhängig mit niedrigeren Scores aller Fatigue- Dimensionen assoziiert war (p<0,001), 3) eine negative Einstellung unabhängig mit niedriger Motivation und geistiger Fatigue assoziiert war (p<0,001 und p=0,01) und 4) die Zufriedenheit mit dem Leben unabhängig mit einer mentalen Fatigue assoziiert war (p=0,046). Kovarianzanalysen zeigten statistisch signifikante kombinierte Assoziationen der gesamten physischen Fitness und positiven Einstellung mit allgemeiner und physischer Fatigue (p<0,001). Demnach gibt es einen Zusammenhang zwischen physischer Fitness und positiver Einstellung bei Frauen mit FM.<sup>3</sup></p> <h2>Tai-Chi besser als Aerobic</h2> <p>Da es sich bei FM um eine komplexe Erkrankung mit multiplen psychologischen sowie Schmerzkomponenten handelt, haben sich multidisziplinäre Therapien bewährt. Vorangegangene Studien konnten zeigen, dass Tai-Chi mit seiner körperlichen und mentalen Komponente eine wirksame Therapie bei FM darstellen könnte. In der vorliegenden Studie wurde Tai-Chi in einer 52-wöchigen randomisierten Studie mit FM-Patienten (ACR- 1990- und -2010-Diagnosekriterien) mit Aerobic verglichen, welches von Patienten mit FM häufig praktiziert wird. Die Patienten wurden in vier Tai-Chi-Gruppen eingeteilt mit entweder 12 oder 24 Wochen Training einmal oder zweimal pro Woche sowie in eine Aerobic-Trainingsgruppe für 24 Wochen mit Training zweimal wöchentlich. Der primäre Endpunkt war eine Änderung im „Revised Fibromyalgia Impact Questionnaire“(FIQR)-Score nach 24 Wochen.<br /> Das durchschnittliche Alter der Patienten lag bei rund 52 Jahren, die durchschnittliche Erkrankungsdauer betrug 8,8 Jahre. Der durchschnittliche BMI lag bei 30kg/m<sup>2</sup> KG, 93 % waren Frauen. Alle Tai- Chi-Gruppen (Durchschnitt aller vier Gruppen) zeigten im Vergleich zur Aerobic- Gruppe statistisch signifikante Verbesserungen des FIQR (p=0,03). Dies betraf auch sekundäre Endpunkte wie Patient Global Assessment, Angst, Depressionen und Selbstvertrauen. Signifikante Verbesserungen für die meisten, aber nicht für alle Outcomes favorisierten 24 Trainingswochen gegenüber 12 Trainingswochen im Vergleich zu Aerobic. Außerdem besuchten Patienten der Tai-Chi-Gruppen das Training wesentlich häufiger als Patienten der Aerobic-Gruppe (54–63 % vs. 35 % ). Es wurden keine schweren unerwünschten Ereignisse beobachtet.<br /> Die Autoren betonen daher, dass Tai- Chi nicht nur aufgrund der signifikanten Reduktion der Symptomschwere, sondern auch wegen der deutlich häufigeren Teilnahme am Training im Vergleich zu Aerobic als wichtige nicht pharmakologische Behandlungsoption bei Patienten mit FM in Erwägung gewogen werden sollte.<sup>4</sup></p> <h2>Vier Stadien der Fibromyalgie</h2> <p>FM wird durch ausgedehnte chronische Schmerzen und Druckdolenz charakterisiert, die das Management der Erkrankung erschweren. Zudem sind chronische Erkrankungen dynamische Prozesse mit zunehmenden, aber auch sich verringernden Symptomen und klinischen Manifestationen. Die Berücksichtigung dieser Heterogenität könnte zu einer Verbesserung der Therapie führen. Die folgende Studie befasste sich mit der Einteilung der FM-Patienten in Stadien oder in ähnliche Erkrankungsprofile, basierend auf der Schwere der FM (z.B. Komorbiditäten, Schmerzregionen und Therapien) sowie auch dem Zeitverlauf.<br /> Im Studienzeitraum 1990 bis 2014 wurden 2.529 FM-Patienten mit mehr als 79.000 Klinikbesuchen eingeschlossen. Die Patienten wurden anhand der Ähnlichkeit der Komorbiditäten (Symptomschwere), Schmerzregion (Schmerzausdehnung) und Therapieintensität eingeteilt. Dabei wurden vier Hauptstadien der FM identifiziert:</p> <ol> <li>lokale FM mit klassischen Symptomen</li> <li>generalisierte FM mit sich verstärkenden ausgedehnten Schmerzen und einigen zusätzlichen Symptomen</li> <li>FM mit fortgeschrittenen und dazugehörigen Symptomen, zunehmenden ausgedehnten Schmerzen, zunehmenden Schlafstörungen und chemischer Sensitivität</li> <li>sekundäre FM</li> </ol> <p>Rund 45 % der Patientenbeobachtungen wurden nach einiger Zeit neu klassifiziert. Bemerkenswert war, dass die Rate der Stadienfalschklassifizierung deutlich von 11,2 auf 4,4 % reduziert werden konnte, wenn Patienten anhand der exponentiellen Zunahme der Erkrankungsschwere reklassifiziert wurden und nicht hinsichtlich der Erkrankungsdauer. Dies deutet auch darauf hin, dass die FM-Stadien durch die Erkrankungsschwere charakterisiert werden und weniger zeitabhängig sind. Generell geht aus der Studie hervor, dass je nach Stadium der FM die Symptomschwere und die Anzahl der Schmerzregionen zunehmen.<sup>5</sup></p> <h2>Therapieadhärenz</h2> <p>Wie auch bei anderen chronischen Erkrankungen ist die Therapieadhärenz bei FM-Patienten niedrig (zwischen 30 und 80 % – je nach Methode und Definition). In einer analytischen Querschnittsstudie mit FM-Patienten (ACR-1990-Diagnosekriterien) wurden zur Evaluierung der Therapieadhärenz die CQR-Fragebögen (Compliance Questionnaire on Rheumatology) eingesetzt, für Angstzustände wurde der GAD-7 (Generalized Anxiety Disorder), für Depression der PHQ-9 (Patient Health Questionnaire) und für den Einfluss der Erkrankung der S-FIQ (Spanish Fibromyalgia Impact Questionnaire) herangezogen. Insgesamt wurden 78 Patienten befragt, davon waren 70 Frauen. Das Durchschnittsalter lag bei 47,3 Jahren, 41 % der Patienten waren adhärent (CQR >80). 41 % der nicht adhärenten Patienten hatten eine schwere Depression gemäß PHQ- 9 im Vergleich zu 6 % der adhärenten Patienten. 67 % der nicht adhärenten Patienten hatten eine schwere Angststörung gemäß GAD-7 im Vergleich zu 16 % der adhärenten Patienten. 87 % der nicht adhärenten Patienten gaben eine schlechte Lebensqualität laut S-FIQ (S-FIQ>50 % ) an, dies war nur bei 50 % der adhärenten Patienten der Fall. Diese Faktoren – Depression, Angstzustände und reduzierte Lebensqualität – beeinflussten statistisch signifikant die medikamentöse Adhärenz von Patienten mit FM.<sup>6</sup></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Annual Meeting of the American College of Rheumatology
(ACR), 11.–16. November 2016, Washington
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Romano T: Arthritis Rheumatol 2016; 68(suppl 10): nr. 33 <strong>2</strong> Upala S, Sanguankeo A: Arthritis Rheumatol 2016; 68(suppl 10): nr. 37 <strong>3</strong> Estévez-López F et al: Arthritis Rheumatol 2016; 68(suppl 10): nr. 2226 <strong>4</strong> Wang C et al: Arthritis Rheumatol 2016; 68(suppl 10): nr. 2222 <strong>5</strong> Gostine M et al: Arthritis Rheumatol 2016; 68(suppl 10): nr. 2213 <strong>6</strong> Bennasar G Sr., Secco A, Mamani M: Arthritis Rheumatol 2016; 68(suppl 10): nr. 2217</p>
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