Verändertes Metabolom als Hinweis auf Krebserkrankung
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. Jan Leipe ist Sektionsleiter Rheumatologie und Klinische Immunologie im Universitätsklinikum Mannheim und
Fachimmunologe der Deutschen Gesellschaft für Immunologie
Das Interview führte
Dr. Felicitas Witte
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Forscher der Universität Heidelberg haben eine Metabolom-Signatur identifiziert,1 die darauf weist, ob ein Patient mit rheumatoider Arthritis (RA) Krebs bekommen könnte. Was von dem Test zu halten ist und ob er Einzug in die Routine halten wird, erklärt Prof. Leipe aus Mannheim.
Herr Professor Leipe, haben Sie die Ergebnisse der Heidelberger Studie überrascht?
J. Leipe: Ja, insbesondere die hohe Sensitivität und Spezifität des diagnostischen Modells für die Krebsdiagnose bei Patienten mit RA. Dass eine Kombination aus bestimmten Metaboliten – nämlich Acetat, Kreatin, Glycin, Formiat – und dem Lipidverhältnis aus L1/L6 eine so hohe Genauigkeit von AUC=0,995 erreichen kann, hätte ich nicht erwartet. Zur Erinnerung: AUC steht für „area under the curve“ und ist ein Maß für die Genauigkeit eines diagnostischen Tests. Ein AUC-Wert nahe 1 wie in diesem Fall deutet auf einen sehr genauen Test hin. Das bedeutet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt wird, ob der Betroffene ein Malignom hat oder nicht.
Welche Erkenntnisse fanden Sie besonders interessant?
J. Leipe: Dass das diagnostische Modell nicht nur Malignome bei RA-Patienten erkennen kann, sondern auch bei Patienten mit Psoriasisarthritis, Spondyloarthritis und paraneoplastischen Syndromen. Dies unterstreicht die potenziell breite Anwendbarkeit des Modells und könnte das Malignomscreening bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen erheblich verbessern.
Welche Stärken hat der Test?
J. Leipe: Neben der hohen diagnostischen Güte, die sich in einer exzellenten AUC sowie hoher Sensitivität und Spezifität widerspiegelt, sehe ich die Robustheit des diagnostischen Modells gegenüber demografischen Variablen wie Alter und Geschlecht sowie klinischen Parametern, etwa Body-Mass-Index und Krankheitsaktivität, als wesentliche Stärke. Darüber hinaus lässt sich das Modell – darauf weisen die Subgruppenanalysen hin – unabhängig von Malignomtyp, Tumorstadium und Tumortherapie anwenden.
Wie beurteilen Sie die Qualität des beschriebenen Assays?
J. Leipe: Das diagnostische Modell scheint bei Arthritiden zwar robust zu sein, jedoch nicht bei SLE und möglicherweise auch nicht bei anderen Erkrankungen, deren Pathophysiologie sich von Arthritiden unterscheidet, etwa Kollagenosen oder Vaskulitiden. Abgesehen davon ist das Modell weniger effektiv bei nichtinvasiven oder präkanzerösen Läsionen. Eine weitere Einschränkung ist die verwendete Methode der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR-Spektroskopie). Diese Methode ist zwar qualitativ hochwertig und gehört neben der Massenspektroskopie zu den Standardmethoden der Metabolom-Analyse. Sie ist jedoch aufwendig und erfordert entsprechende Geräte und Expertise. Daher kann sie (noch) nicht in der Routinediagnostik eingesetzt werden. Wünschenswert wäre zudem, dass die Daten in einer größeren, multizentrischen Kohorte validiert würden. Wegen der Komplexität der Methode, der Kosten und Verfügbarkeit der NMR-Spektroskopie in klinischen Labors ist die Analysemethode zurzeit noch weit davon entfernt, in die Routinediagnostik integriert zu werden. Wenn jedoch das Metabolom-Profil mit einfacheren Methoden, beispielsweise der Chiptechnologie, untersucht werden könnte, wäre der Weg in die Klinik deutlich einfacher und kürzer.
Wird diese Technik in die Klinik Einzug halten?
J. Leipe: Ja, ich glaube, sie hat das Potenzial dazu, insbesondere wenn sie weiter validiert wird und die Kosten für die NMR-Spektroskopie gesenkt werden können. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung halte ich es für wahrscheinlich, dass diese Methoden in absehbarer Zeit, zumindest für spezielle Fragen, Eingang in die Diagnostik und damit in die klinische Praxis finden werden.
Wie gehen Sie vor, um Krebs bei RA-Patienten frühzeitig zu erkennen?
J. Leipe: Das erhöhte Risiko für Malignome wie Lymphome und Lungenkarzinome sollte stets berücksichtigt werden. Bei anamnestischen oder klinischen Hinweisen ist eine entsprechende Abklärung erforderlich. Man darf natürlich auch nicht die Malignome vergessen, die auch in der Normalbevölkerung häufig vorkommen, wie Prostatakarzinome bei Männern und Mammakarzinome bei Frauen sowie Kolorektalkarzinome bei beiden Geschlechtern. Ich motiviere meine Patienten zur Teilnahme an der gängigen Krebsfrüherkennung.
Welche Screenings sollte man als niedergelassener Rheumatologe durchführen?
J. Leipe: Die Patienten sind konsequent auf Krebsfrüherkennungsuntersuchungen hinzuweisen. Darüber hinaus können Anamnese und Voruntersuchungen, etwa Thoraxröntgen vor der Einleitung immunmodulatorischer oder immunsuppressiver Therapien, Hinweise auf Malignome geben, die dann weiter abgeklärt werden müssen.
Welche Krebsarten halten Sie für Menschen mit RA besonders problematisch?
J. Leipe: Grundsätzlich ist jede Krebsart problematisch, insbesondere wenn sie erst in einem fortgeschrittenen Stadium erkannt wird. Zudem kann die Krebstherapie mit Immuncheckpoint-Inhibitoren durch Aktivierung von T-Zellen und damit des Immunsystems die Krankheitsaktivität der RA verschlechtern und Schübe auslösen. Dies könnte eine zusätzliche Immunmodulation oder Immunsuppression, beispielsweise mit Glukokortikoiden, erforderlich machen.
Warum haben Menschen mit RA ein erhöhtes Risiko für Lymphome und Lungenkrebs?
J. Leipe: Beim Lungenkarzinom werden – abgesehen vom Rauchen, das natürlich auch ein Risikofaktor für Menschen ohne RA ist – Anti-CCP-Antikörper mit einem erhöhten Risiko assoziiert, wobei zumindest eine pathophysiologische Mitursächlichkeit angenommen wird. Bei den Lymphomen besteht die Hypothese, dass die chronische Aktivierung von Immunzellen, insbesondere B-Zellen und Plasmazellen, zu dem erhöhten Risiko beiträgt.
Was können Rheumatologen ihren Patienten raten: Mit welchen Maßnahmen können sie ihr Risiko für Krebs senken?
J. Leipe: Der Lebensstil und Veränderungen des Lebensstils können das Krebsrisiko erheblich verringern. Zu den allgemeinen Empfehlungen gehören vor allem der Verzicht auf Rauchen, regelmäßige körperliche und sportliche Aktivität, ein gesundes Gewicht, eine ausgewogene Ernährung und der weitgehende Verzicht auf Alkohol, da bereits geringe bis mäßige Mengen das Risiko für Kolon-, Mamma-, Ösophagus- und Oropharynxkarzinome erhöhen. Wichtig sind außerdem der Schutz vor UV-Strahlung und die Teilnahme an geeigneten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen. Besonders beim Rauchen, dem wichtigsten krebsauslösenden Faktor, sollten Patienten wiederholt motiviert werden, damit aufzuhören. Dies kann durch Informationen über Gruppentherapien oder den Einsatz digitaler Gesundheitsanwendungen unterstützt werden.
Literatur:
1 Gente K et al.: Altered serum metabolome as an indicator of paraneoplasia or concomitant cancer in patients with rheumatic disease. Ann Rheum Dis 2024; ard-2023-224839
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