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Die Urologie und die Herausforderungen der Demografie
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Ine Schmale
Quelle: 66. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie <br/> 1.–4. Oktober 2014, Düsseldorf
30
Min. Lesezeit
18.12.2014
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<p class="article-intro">Unter dem Kongressmotto „Demografischen Wandel gestalten“ wurden in Düsseldorf die Herausforderungen der alternden Gesellschaften diskutiert, die die Urologie in ganz besonderem Masse betreffen. Steigende Zahlen von Tumorerkrankungen, Harninkontinenz, erektiler Dysfunktion, Steinbildungen und benigner Prostatahyperplasie werden nicht nur zu mehr Patienten in der Urologie führen, sondern auch zu einem Bedarf an intelligenteren Strategien, bemerkte Kongresspräsident Prof. Dr. med. Jan Fichtner.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die unterschiedliche Therapie jüngerer und älterer Patienten ist naheliegend, beachtet man das Ungleichgewicht exogener Schäden, die nachlassende Fähigkeit, darauf zu reagieren, sowie metabolische Veränderungen im alternden Körper.</li> <li>Die Risiken einer Testosteronsubstitution im Alter sind weiterhin nicht geklärt – anscheinend wird das Prostatakarzinomrisiko nicht erhöht, aber kardiovaskuläre Risiken sind eventuell nicht auszuschliessen.</li> <li>Eine verbesserte Patientenaufklärung ist dringend erforderlich, um die Compliance und damit die medikamentöse Therapie bei überaktiver Blase zu verbessern.</li> <li>Standardisierte Diagnose- und Therapiestrategien werden gebraucht, um die Retroperitonealfibrose auszuwerten und Betroffenen notwendige Verfahren in der Diagnostik und eine medikamentöse Behandlung zugänglich zu machen.</li> </ul> </div> <p>Da Urologen zu einem grossen Teil altersassoziierte Erkrankungen behandeln, wird in dem Fachgebiet eine allein demografisch bedingte Steigerung des Versorgungsbedarfs von rund 20 % bis 2025 prognostiziert, bei zu erwartender sinkender Anzahl der Arztstunden. Prävention und Eigenverantwortung bekommen vor diesem Hintergrund eine wachsende Bedeutung, denn unser Lebensstil hat auch Folgen für Blase und Nieren, für die Prostata und die Potenz, sagte Fichtner im Rahmen einer Pressekonferenz. In vielen Fällen könne urologischen Erkrankungen vorgebeugt werden, bei anderen sei es wichtig, sie frühzeitig zu behandeln, um Begleiterkrankungen zu vermeiden oder zu lindern.</p> <h2>Therapie und Versorgung des älteren Patienten</h2> <p>Eine differenzierte Unterscheidung zwischen therapiebedürftigen Krankheits- und versorgungsbedürftigen Alterssymptomen ist weder für den Arzt noch für den Betroffenen einfach und hat Auswirkungen auf das generelle Gesundheitsempfinden. Was als Krankheit zu definieren ist, wenn physiologische Prozesse des Alterns Organsysteme verändern, ist ein bisher konzeptionell nicht gelöstes Problem. Die Frage, ob die Zunahme der Lebenserwartung auch zu einer Zunahme von Jahren mit deutlich eingeschränkter Lebensqualität führt, lässt sich nicht abschliessend beantworten, erklärte Prof. Dr. Dr. med. Herbert Rübben, Universitätsklinikum Essen. Es gebe jedoch ausreichend Grund zu der Annahme, dass eine Einschränkung der funktionalen Gesundheit erst später und in einem geringeren Masse eintreten werde, als es bislang prognostiziert werde. Grundsätzlich wird zwischen dem primären Altern in Abwesenheit von Krankheit und einem sekundären Altern, z.B. durch eine Erkrankung, unterschieden. Das primäre Altern ist ein zellbiologisch reglementierter Vorgang, der nicht allein für die Alterung des gesamten Organismus verantwortlich ist. Ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen exogenen Schäden einerseits und der nachlassenden Fähigkeit des Körpers, darauf zu reagieren, andererseits sowie metabolische Veränderungen im Organismus sind als weitere Einflussfaktoren zu beachten. Die unterschiedliche Therapie jüngerer und älterer Patienten ist somit naheliegend. Beim Prostatakarzinom geht man z.B. dazu über, die Detektion bei älter werdenden Männern mit individuell niedrigem Risiko bewusst nicht zu forcieren. Auch bei der Therapie des Prostatakarzinoms scheine es entgegen vielfach geäusserten Bedenken doch möglich zu sein, Kriterien für eine sichere aktive Überwachung festzulegen, so Rübben.</p> <h2>Risiken einer Testosteronsubstitution</h2> <p>Die Diskussion um die Testosteronsubstitution im Alter wird kontrovers geführt. Einerseits gilt als bewiesen, dass ältere Männer mit einem laborchemisch gesicherten Hypogonadismus in Hinsicht auf die Knochendichte, die sexuelle Funktion, das Bauchfett, das metabolische Syndrom, den Typ-2-Diabetes und die Psyche von einer Testosteronsubstitution profitieren. Andererseits sind kardiovaskuläre Risiken und das Risiko für das Auftreten eines Prostatakarzinoms nicht abschliessend geklärt. Es gilt als gesichert, dass das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen per se, ebenso wie psychische Probleme, bei hypogonadalen im Vergleich zu eugonadalen Männern erhöht ist.<sup>1</sup> Nun wurden in einer retrospektiven Untersuchung des Veteran Administration Hospital zwar vermehrte kardiovaskuläre Ereignisse unter Testosteronsubstitution beschrieben;<sup>2</sup> die Studie wurde allerdings aufgrund ihres statistischen Designs kritisiert, so Prof. Dr. med. Wolfang Weidner, Justus-Liebig-Universität Giessen. Bezüglich der Manifestation eines Prostatakarzinoms scheint bewiesen, dass keine Assoziation zwischen dem Prostatakarzinomrisiko und der Testosteronkonzentration, dem freien Testosteron oder Dihydrotestosteron besteht.<sup>3</sup></p> <h2>Populationsbasierte Langzeitstudie zur Anticholinergika-Compliance</h2> <p>Obwohl Antimuskarinika seit über 20 Jahren auf dem Markt sind und die etablierte Erstlinientherapie für Patienten mit überaktiver Harnblase (OAB) darstellen, ist diese Substanzgruppe mit einer geringen Compliance assoziiert. Dr. med. Clemens Wehrberger, Abteilung für Urologie am Donauspital, Wien, und Kollegen untersuchten diese Fragestellung anhand der Datenbank der Wiener Gebietskrankenkasse. In den Jahren 2006/2007 erhielten 24.319 Patienten erstmals ein Anticholinergikum. Das Durchschnittsalter betrug 56,3 Jahre und die Patienten waren zu drei Vierteln weiblich und zu einem Viertel männlich. Trospiumchlorid wurde 78,4 % der Patienten verordnet, Oxybutynin p.o. 14,5 % und Tolterodin 2,7 % der Patienten. Die Compliance betrug nach zwei Jahren 20,2 % , 21,3 % bzw. 34,9 % . In dieser Zeit wurden 3,5 % , 8,8 % bzw. 9,8 % der Patienten in der jeweiligen Therapiegruppe auf ein anderes Anticholinergikum umgestellt. Nach sechs Jahren betrug die Compliance noch 10,3 % , 4,7 % bzw. 13,6 % unter den oben genannten Therapien. Eine verbesserte Diagnostik und Patientenaufklärung seien dringend erforderlich, um die medikamentöse Therapie der überaktiven Blase zu verbessern, folgerte Wehrberger.</p> <h2>Lebensqualitätseinschränkungen bei Retroperitonealfibrose</h2> <p>Bei seltenen Erkrankungen, wie der Retroperitonealfibrose (RPF), gibt es oftmals keine standardisierten Messgeräte zur Analyse der Lebensqualität. Dabei ist die Lebensqualität ein wichtiger Faktor in der Beurteilung und Gestaltung der Therapie, sagte Elisabeth Müller vom HELIOS Klinikum Wuppertal, Universität Witten/Herdecke, Wuppertal. Eine Untersuchung der Lebensqualität von RPF-Patienten im Else-Kröner-Fresenius-Register wurde mittels des SF-36-Fragebogens durchgeführt, den 317 Patienten bei Aufnahme in das Register ausfüllten. In regelmässigen Abständen wurde die Lebensqualität unter Therapie und danach erneut abgefragt. Insgesamt konnten 702 Fragebögen von 224 Patienten zu unterschiedlichen Therapiezeitpunkten ausgewertet werden. Im Vergleich von acht Dimensionen der subjektiven Gesundheit zeigten sich in allen Kategorien deutlich erniedrigte Werte gegenüber einer deutschen Normstichprobe. Im Vergleich verschiedener Subgruppen wurde beobachtet, dass die Betroffenen unter medikamentöser Therapie die schlechteste Lebensqualität aufwiesen. Nach Therapieende war die Lebensqualität allerdings gegenüber der zu Diagnosestellung in fast allen Fällen verbessert. Lediglich Patienten, die nach abgeschlossener Therapie weiter mit einem Doppel-J-Harnleiterstent versorgt wurden, blieben in ihrer Lebensqualität vermehrt eingeschränkt. Im Vergleich mit anderen Erkrankungen wurde die Lebensqualität von RPF-Patienten als schlechter angegeben als die von Krebspatienten und ähnlich schlecht wie bei anderen chronischen Erkrankungen. Die niedrige Lebensqualität von Patienten mit RPF zeige die deutliche Einschränkung dieser Menschen durch ihre Erkrankung. Insbesondere die Tatsache, dass notwendige Verfahren in der Diagnostik und medikamentösen Behandlung von den Krankenversicherungen nicht erstattet werden, verstärke die Notwendigkeit einer Aufwertung dieser seltenen Erkrankung und der Schaffung möglichst standardisierter Dia­gnose- und Therapiestrategien, forderte Müller.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle:
66. Kongress der
Deutschen Gesellschaft für Urologie <br/>
1.–4. Oktober 2014, Düsseldorf
</p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Corona G et al: Characteristics of compensated hypogonadism in patients with sexual dysfunction. J Sex Med 2014; 11: 1823-1834<br /><strong>2</strong> Vigen R et al: Asscociation of testosterone therapy with mortality, myocardial infarction, and stroke in men with low testosterone levels. JAMA 2013; 310: 1826-1836<br /><strong>3</strong> Traish AM et al: Testosterone deficiency. Am J Med 2011; 124: 578-587</p>
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