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Therapie älterer Patienten

Die Urologie und die Herausforderungen der Demografie

<p class="article-intro">Unter dem Kongressmotto „Demografischen Wandel gestalten“ wurden in Düsseldorf die Herausforderungen der alternden Gesellschaften diskutiert, die die Urologie in ganz besonderem Masse betreffen. Steigende Zahlen von Tumorerkrankungen, Harninkontinenz, erektiler Dysfunktion, Steinbildungen und benigner Prostatahyperplasie werden nicht nur zu mehr Patienten in der Urologie führen, sondern auch zu einem Bedarf an intelligenteren Strategien, bemerkte Kongresspräsident Prof. Dr. med. Jan Fichtner.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Key Points</h2> <ul> <li>Die unterschiedliche Therapie j&uuml;ngerer und &auml;lterer Patienten ist naheliegend, beachtet man das Ungleichgewicht exogener Sch&auml;den, die nachlassende F&auml;higkeit, darauf zu reagieren, sowie metabolische Ver&auml;nderungen im alternden K&ouml;rper.</li> <li>Die Risiken einer Testosteronsubstitution im Alter sind weiterhin nicht gekl&auml;rt &ndash; anscheinend wird das Prostatakarzinomrisiko nicht erh&ouml;ht, aber kardiovaskul&auml;re Risiken sind eventuell nicht auszuschliessen.</li> <li>Eine verbesserte Patientenaufkl&auml;rung ist dringend erforderlich, um die Compliance und damit die medikament&ouml;se Therapie bei &uuml;beraktiver Blase zu verbessern.</li> <li>Standardisierte Diagnose- und Therapiestrategien werden gebraucht, um die Retroperitonealfibrose auszuwerten und Betroffenen notwendige Verfahren in der Diagnostik und eine medikament&ouml;se Behandlung zug&auml;nglich zu machen.</li> </ul> </div> <p>Da Urologen zu einem grossen Teil altersassoziierte Erkrankungen behandeln, wird in dem Fachgebiet eine allein demografisch bedingte Steigerung des Versorgungsbedarfs von rund 20 % bis 2025 prognostiziert, bei zu erwartender sinkender Anzahl der Arztstunden. Pr&auml;vention und Eigenverantwortung bekommen vor diesem Hintergrund eine wachsende Bedeutung, denn unser Lebensstil hat auch Folgen f&uuml;r Blase und Nieren, f&uuml;r die Prostata und die Potenz, sagte Fichtner im Rahmen einer Pressekonferenz. In vielen F&auml;llen k&ouml;nne urologischen Erkrankungen vorgebeugt werden, bei anderen sei es wichtig, sie fr&uuml;hzeitig zu behandeln, um Begleiterkrankungen zu vermeiden oder zu lindern.</p> <h2>Therapie und Versorgung des &auml;lteren Patienten</h2> <p>Eine differenzierte Unterscheidung zwischen therapiebed&uuml;rftigen Krankheits- und versorgungsbed&uuml;rftigen Alterssymptomen ist weder f&uuml;r den Arzt noch f&uuml;r den Betroffenen einfach und hat Auswirkungen auf das generelle Gesundheitsempfinden. Was als Krankheit zu definieren ist, wenn physiologische Prozesse des Alterns Organsysteme ver&auml;ndern, ist ein bisher konzeptionell nicht gel&ouml;stes Problem. Die Frage, ob die Zunahme der Lebenserwartung auch zu einer Zunahme von Jahren mit deutlich eingeschr&auml;nkter Lebensqualit&auml;t f&uuml;hrt, l&auml;sst sich nicht abschliessend beantworten, erkl&auml;rte Prof. Dr. Dr. med. Herbert R&uuml;bben, Universit&auml;tsklinikum Essen. Es gebe jedoch ausreichend Grund zu der Annahme, dass eine Einschr&auml;nkung der funktionalen Gesundheit erst sp&auml;ter und in einem geringeren Masse eintreten werde, als es bislang prognostiziert werde. Grunds&auml;tzlich wird zwischen dem prim&auml;ren Altern in Abwesenheit von Krankheit und einem sekund&auml;ren Altern, z.B. durch eine Erkrankung, unterschieden. Das prim&auml;re Altern ist ein zellbiologisch reglementierter Vorgang, der nicht allein f&uuml;r die Alterung des gesamten Organismus verantwortlich ist. Ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen exogenen Sch&auml;den einerseits und der nachlassenden F&auml;higkeit des K&ouml;rpers, darauf zu reagieren, andererseits sowie metabolische Ver&auml;nderungen im Organismus sind als weitere Einflussfaktoren zu beachten. Die unterschiedliche Therapie j&uuml;ngerer und &auml;lterer Patienten ist somit naheliegend. Beim Prostatakarzinom geht man z.B. dazu &uuml;ber, die Detektion bei &auml;lter werdenden M&auml;nnern mit individuell niedrigem Risiko bewusst nicht zu forcieren. Auch bei der Therapie des Prostatakarzinoms scheine es entgegen vielfach ge&auml;usserten Bedenken doch m&ouml;glich zu sein, Kriterien f&uuml;r eine sichere aktive &Uuml;berwachung festzulegen, so R&uuml;bben.</p> <h2>Risiken einer Testosteronsubstitution</h2> <p>Die Diskussion um die Testosteronsubstitution im Alter wird kontrovers gef&uuml;hrt. Einerseits gilt als bewiesen, dass &auml;ltere M&auml;nner mit einem laborchemisch gesicherten Hypogonadismus in Hinsicht auf die Knochendichte, die sexuelle Funktion, das Bauchfett, das metabolische Syndrom, den Typ-2-Diabetes und die Psyche von einer Testosteronsubstitution profitieren. Andererseits sind kardiovaskul&auml;re Risiken und das Risiko f&uuml;r das Auftreten eines Prostatakarzinoms nicht abschliessend gekl&auml;rt. Es gilt als gesichert, dass das Risiko f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Erkrankungen per se, ebenso wie psychische Probleme, bei hypogonadalen im Vergleich zu eugonadalen M&auml;nnern erh&ouml;ht ist.<sup>1</sup> Nun wurden in einer retrospektiven Untersuchung des Veteran Administration Hospital zwar vermehrte kardiovaskul&auml;re Ereignisse unter Testosteronsubstitution beschrieben;<sup>2</sup> die Studie wurde allerdings aufgrund ihres statistischen Designs kritisiert, so Prof. Dr. med. Wolfang Weidner, Justus-Liebig-Universit&auml;t Giessen. Bez&uuml;glich der Manifestation eines Prostatakarzinoms scheint bewiesen, dass keine Assoziation zwischen dem Prostatakarzinomrisiko und der Testosteronkonzentration, dem freien Testosteron oder Dihydrotestosteron besteht.<sup>3</sup></p> <h2>Populationsbasierte Langzeitstudie zur Anticholinergika-Compliance</h2> <p>Obwohl Antimuskarinika seit &uuml;ber 20 Jahren auf dem Markt sind und die etablierte Erstlinientherapie f&uuml;r Patienten mit &uuml;beraktiver Harnblase (OAB) darstellen, ist diese Substanzgruppe mit einer geringen Compliance assoziiert. Dr. med. Clemens Wehrberger, Abteilung f&uuml;r Urologie am Donauspital, Wien, und Kollegen untersuchten diese Fragestellung anhand der Datenbank der Wiener Gebietskrankenkasse. In den Jahren 2006/2007 erhielten 24.319 Patienten erstmals ein Anticholinergikum. Das Durchschnittsalter betrug 56,3 Jahre und die Patienten waren zu drei Vierteln weiblich und zu einem Viertel m&auml;nnlich. Trospiumchlorid wurde 78,4 % der Patienten verordnet, Oxybutynin p.o. 14,5 % und Tolterodin 2,7 % der Patienten. Die Compliance betrug nach zwei Jahren 20,2 % , 21,3 % bzw. 34,9 % . In dieser Zeit wurden 3,5 % , 8,8 % bzw. 9,8 % der Patienten in der jeweiligen Therapiegruppe auf ein anderes Anticholinergikum umgestellt. Nach sechs Jahren betrug die Compliance noch 10,3 % , 4,7 % bzw. 13,6 % unter den oben genannten Therapien. Eine verbesserte Diagnostik und Patientenaufkl&auml;rung seien dringend erforderlich, um die medikament&ouml;se Therapie der &uuml;beraktiven Blase zu verbessern, folgerte Wehrberger.</p> <h2>Lebensqualit&auml;tseinschr&auml;nkungen bei Retroperitonealfibrose</h2> <p>Bei seltenen Erkrankungen, wie der Retroperitonealfibrose (RPF), gibt es oftmals keine standardisierten Messger&auml;te zur Analyse der Lebensqualit&auml;t. Dabei ist die Lebensqualit&auml;t ein wichtiger Faktor in der Beurteilung und Gestaltung der Therapie, sagte Elisabeth M&uuml;ller vom HELIOS Klinikum Wuppertal, Universit&auml;t Witten/Herdecke, Wuppertal. Eine Untersuchung der Lebensqualit&auml;t von RPF-Patienten im Else-Kr&ouml;ner-Fresenius-Register wurde mittels des SF-36-Fragebogens durchgef&uuml;hrt, den 317 Patienten bei Aufnahme in das Register ausf&uuml;llten. In regelm&auml;ssigen Abst&auml;nden wurde die Lebensqualit&auml;t unter Therapie und danach erneut abgefragt. Insgesamt konnten 702 Frageb&ouml;gen von 224 Patienten zu unterschiedlichen Therapiezeitpunkten ausgewertet werden. Im Vergleich von acht Dimensionen der subjektiven Gesundheit zeigten sich in allen Kategorien deutlich erniedrigte Werte gegen&uuml;ber einer deutschen Normstichprobe. Im Vergleich verschiedener Subgruppen wurde beobachtet, dass die Betroffenen unter medikament&ouml;ser Therapie die schlechteste Lebensqualit&auml;t aufwiesen. Nach Therapieende war die Lebensqualit&auml;t allerdings gegen&uuml;ber der zu Diagnosestellung in fast allen F&auml;llen verbessert. Lediglich Patienten, die nach abgeschlossener Therapie weiter mit einem Doppel-J-Harnleiterstent versorgt wurden, blieben in ihrer Lebensqualit&auml;t vermehrt eingeschr&auml;nkt. Im Vergleich mit anderen Erkrankungen wurde die Lebensqualit&auml;t von RPF-Patienten als schlechter angegeben als die von Krebspatienten und &auml;hnlich schlecht wie bei anderen chronischen Erkrankungen. Die niedrige Lebensqualit&auml;t von Patienten mit RPF zeige die deutliche Einschr&auml;nkung dieser Menschen durch ihre Erkrankung. Insbesondere die Tatsache, dass notwendige Verfahren in der Diagnostik und medikament&ouml;sen Behandlung von den Krankenversicherungen nicht erstattet werden, verst&auml;rke die Notwendigkeit einer Aufwertung dieser seltenen Erkrankung und der Schaffung m&ouml;glichst standardisierter Dia&shy;gnose- und Therapiestrategien, forderte M&uuml;ller.</p></p> <p class="article-quelle">Quelle: 66. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie <br/> 1.–4. Oktober 2014, Düsseldorf </p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Corona G et al: Characteristics of compensated hypogonadism in patients with sexual dysfunction. J Sex Med 2014; 11: 1823-1834<br /><strong>2</strong> Vigen R et al: Asscociation of testosterone therapy with mortality, myocardial infarction, and stroke in men with low testosterone levels. JAMA 2013; 310: 1826-1836<br /><strong>3</strong> Traish AM et al: Testosterone deficiency. Am J Med 2011; 124: 578-587</p> </div> </p>
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