„Die Frage ist nicht, ob, sondern wie wir Prostatakrebs-Screenings durchführen“
Bericht:
Reno Barth
Die Urologie, insbesondere im niedergelassenen Bereich, befindet sich im Wandel und ist dabei, ihre Rolle unter anderem in der Prävention neu zu definieren. Dies bedeutet unter anderem die Implementation moderner Strategien im Prostatakrebs-Screening, die vom „One size fits all“-Paradigma abgehen und auf Entscheidungsfindung anhand des Patientenalters, der gemessenen Werte und der Ergebnisse bildgebender Untersuchungen beruhen.
Keypoints
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Die Akzeptanz von Vorsorgeuntersuchungen steigt – ist bei Männern aber immer noch weniger ausgeprägt als bei Frauen.
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Opportunistisches PSA-Screening ist aus heutiger Sicht abzulehnen und sollte durch organisierte Screening-Programme ersetzt werden.
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Die Konsequenzen eines erhöhten PSA-Werts richten sich auch nach dem Patientenalter.
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Sexuelle Funktionsstörungen sind mit einem erheblichen Verlust an Lebensqualität, sozialen Konsequenzen und reduzierter Produktivität assoziiert.
Laut Gesundheitsbarometer der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) haben im Jahr 2022 rund 525 000 Männer eine Gesundenuntersuchung in Anspruch genommen. Im Jahr 2014 waren es noch 350 000. Damit zeigen die Daten eine kontinuierlich ansteigende Bereitschaft zur Vorsorge. Gegenüber den Frauen haben die Männer in dieser Hinsicht allerdings nach wie vor Aufholbedarf. Im Jahr 2022 gingen 623000 Frauen zu Vorsorgeuntersuchungen. Allerdings liegen bei vielen Erkrankungen die Männer klar voran. Den 26 000 000 Krankenstandstagen von Männern standen im Jahr 2022 nur 22 600 000 Krankenstandstage von Frauen gegenüber. Männer tendieren häufiger zum Alkoholismus, haben eine höhere Suizidrate, ernähren sich ungesünder und rauchen mehr, führte Priv.-Doz. Dr. Dr. Mehmet Özsoy, Präsident des Berufsverbandes der Österreichischen Urologie in Wien, aus. Das schlägt sich auch in der Lebenserwartung nieder, die im Jahr 2022 für Männer bei 79 Jahren und für Frauen bei 83,7 Jahren lag.
Empfehlung zur Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung ab 45 Jahre
Angesichts von 6 126 Neudiagnosen von Prostatakrebs empfiehlt die ÖGK allen Männern ab 45 eine jährliche kostenlose Prostatakrebs-Vorsorgeuntersuchung. Das Prostatakarzinom ist mit 26% aller Krebserkrankungen nach wie vor die häufigste Krebserkrankung von Männern in Österreich, gefolgt von Lungenkrebs (11%) und Darmkrebs (10%). Laut der von der Österreichischen Krebshilfe in Auftrag gegebenen Spectra-Studie „Krebs in Österreich“ (2015) kennen 78% der Männer über 40 die Früherkennungsmöglichkeit für Prostatakrebs. Aber nur 34% der Männer über 40 haben tatsächlich eine Früherkennungsuntersuchung durchführen lassen.
Eine in Deutschland unter 1000 Männern ab 45 Jahren durchgeführte Umfrage1 ergab, dass 30% aller Befragten nicht zur Prostatakrebsvorsorge gehen, erläuterte Özsoy. Als häufigster Grund (41%) wurde angegeben, „mir tut nichts weh, ich habe keine Beschwerden“, 20% möchten nicht wissen, dass sie eine Krankheit haben, bzw. möchten sich nicht mit einer möglichen Diagnose auseinandersetzen und 20% haben Respekt oder gar Angst vor der Untersuchung. Dieser Befund zeige, dass einerseitsbei der Kommunikation zu Sinn und Zweck von Vorsorgeuntersuchungen Defizite bestehen und dass andererseits der Gedanke an eine Tastuntersuchung (Digital Rectal Exam; DRE) vielen Männern Unbehagen bereitet. Dies gehe soweit, so Özsoy, dass manche Männer Beschwerden im Bereich der Prostata beim Arztbesuch verschweigen, um sich die Untersuchung zu ersparen.2
Dabei zeigt die aktuelle Evidenz, dass eine Tastuntersuchung heute im Rahmen eines Screenings nicht mehr erforderlich ist. Eine rezente Metaanalyse ergab sowohl für die DRE als auch für die PSA-Bestimmung einen positiven Prädiktionswert von lediglich 0,22. Die Kombination der beiden Methoden erhöhte den Prädiktionswert nicht. Hinsichtlich der Cancer Detection Rate war die DRE gegenüber PSA deutlich unterlegen. Auch im Hinblick auf diesen Endpunkt brachte die Kombination der Methoden keinen Vorteil.3 Auch die transrektale Ultraschall-Untersuchung bringt laut aktuellen Studiendaten im Vergleich zum transabdominalen Ultraschall keinen Vorteil.4 Özsoy: „Wenn wir in der Prostatakrebs-Vorsorge auf Untersuchungen verzichten, die medizinisch nicht indiziert sind, könnten wir wahrscheinlich mehr Männer zur Vorsorge animieren.“
Von der Tastuntersuchung zum intelligenten PSA-Screening
Die Methodik des Prostatakrebs-Screenings hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert, erläuterte Özsoy: „Wir wollten alle erkennen und alle behandeln. Das hat zu wiederholten Screenings und einer hohen Zahl von Biopsien geführt. Zwanzig Jahre später wollen wir die Richtigen erkennen und die Richtigen behandeln. Mit PSA, Bildgebung und neuerdings auch Gen-Panels haben wir die Möglichkeiten dazu. Wir vermeiden die Diagnose von Krankheiten mit geringem Risiko und wollen Übertherapie verhindern. Darüber hinaus können wir nun auch aktive Überwachung für Personen mit geringerem Krankheitsrisiko anbieten. Die Frage ist nicht, ob, sondern wie wir das Prostatakrebs-Screening durchführen.“ Wie groß der Benefit eines korrekt implementierten Screening-Programms sein kann, zeigt die ERSPC-Rotterdam-Kohorte mit einer Reduktion von metastasierten Prostatakarzinomen sowie von Todesfällen durch Prostatakarzinome im Vergleich zu Kontrollen um jeweils mehr als die Hälfte innerhalb von 19 Jahren Follow-up.5
Das opportunistische Screening, wie es derzeit in Österreich durchgeführt wird, ist allerdings problematisch, da es zu einer viel zu hohen Zahl von Folgeuntersuchungen führt. Es gilt also, die allgemeinen PSA-Bestimmungen einzuschränken und stattdessen ein organisiertes, PSA-initiiertes, risikoangepasstes Prostatakrebs-Screening einzuführen. Özsoy: „Das PSA-Screening sollte gut durchgeführt werden oder gar nicht!“ Ein solches Screening-Konzept muss die „One size fits all“-Strategie verlassen und bei positivem PSA-Befund Risikostratifizierung und bildgebende Untersuchungen vorsehen, um vermeidbare Biopsien tatsächlich vermeiden zu können. PSA-Grenzwerte und daraus folgende Konsequenzen müssen altersangepasst sein. So ist bei Männern zwischen 60 und 70 und einem PSA unter 1ng/ml überhaupt kein weiteres Screening erforderlich (Abb. 1).
Abb. 1: Modell eines organisierten, PSA-initiierten risikoangepassten PCa-Screenings (Abbildung adaptiert von Prof. S. F. Shariat)
Die urologische Praxis als Anlaufstelle für Männergesundheit
Generell ruft Özsoy seine Kollegen und Kolleginnen auf, die Rolle des Faches Urologie neu zu definieren: „Bereits junge Frauen besuchen regelmäßig Gynäkologen und Gynäkologinnen zur Vorsorgeuntersuchung. Männer, vor allem junge Männer, gehen kaum zur regelmäßigen Vorsorge. Gesundheitsvorsorge bei Männern findet oft erst bei akuten Beschwerden statt. Wir müssen als Urologen für Männer die Rolle übernehmen, die die Gynäkologinnen und Gynäkologen für die Frauen haben.“ Eine in Planung befindliche Kampagne mit dem Titel „Hodencheck Österreich“ soll einen ersten Schritt in diese Richtung bedeuten und bereits junge Männer mit dem Gedanken an die Krebsvorsorge und auch mit der Selbstuntersuchung vertraut machen. Ebenso soll sich die Kampagne für die HPV-Impfung künftig verstärkt auch an junge Männer richten. Weiters soll in der Öffentlichkeit auch die Bedeutung der Urologie für Frauen mit gezielten Aktionen, an denen sich auch die Krebshilfe beteiligen wird, bekannter gemacht werden.
In der urologischen Ordination stellen sexuelle Störungen häufig präsentierte Krankheitsbilder dar. Dies sind insbesondere erektile Dysfunktion und Ejaculatio praecox. Hinzu kommt der Late-Onset-Hypogonadismus (LOH), der weitreichende Folgen haben kann. Testosteronmangel kann die sexuelle und kognitive Funktion beeinträchtigen, Stimmungsstörungen hervorrufen, das viszerale Fett erhöhen, die Muskelmasse reduzieren, Anämie verursachen und die Knochendichte verringern sowie die Lebensqualität von Männern erheblich beeinträchtigen. Ein niedriger Testosteronspiegel reduziert auch die Insulinsensitivität und erhöht damit das Risiko für das metabolische Syndrom.6
Auch der Impact der sexuellen Funktionsstörungen dürfe nicht unterschätzt werden. So ist die erektile Dysfunktion nicht nur mit einem Verlust an Lebensqualität, sondern auch mit eingeschränkter Produktivität assoziiert.7 Ebenso zeigt eine Übersichtsarbeit massive Auswirkungen der Ejaculatio praecox auf die Lebensqualität und auf die sexuellen Beziehungen der Betroffenen.8
Quelle:
Fortbildungstagung der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie, Vortrag „Herausforderungen durch die Männergesundheit im niedergelassenen Bereich“, Priv.-Doz. Dr. Dr. Mehmet Özsoy, 8.11.2024, Linz
Literatur:
1 Umfrage „Vorsorge bei deutschen Männern ab 45 Jahren“ im Auftrag von Astellas: https://www.journalonko.de/news/lesen/prostatakarzinom-vorsorge# 2 Kirby M et al.: Is the digital rectal exam any good as a prostate cancer screening test? Br J Gen Pract 2024; 74(740): 137-9 3 Matsukawa A et al.: Comparing the performance of digital rectal examination and prostate-specific antigen as a screening test for prostate cancer: asystematic review and meta-analysis. Eur Urol Oncol 2024; 7(4): 697-704 4 Moussaoui G et al.: Accuracy of Clarius, handheld wireless point-of-care ultrasound, in evaluating prostate morphology and volume compared to radical prostatectomy specimen weight: Is there a difference between transabdominal vs transrectal approach? J Endourol 2021; 35(9): 1300-6 5 Osses DF et al.: Results of prostate cancer screening in a unique cohort at 19yr of follow-up. Eur Urol 2019; 75(3): 374-7 6 Bhasin S et al.: Testosterone therapy in men with androgen deficiency syndromes: an Endocrine Society clinical practice guideline. J Clin Endocrinol Metab 2010; 95(6): 2536-59 7 Elterman DS et al.: The quality of life and economic burden of erectile dysfunction. Res Rep Urol 2021; 13: 79-86 8 Rosen RC, Althof S: Impact of premature ejaculation: the psychological, quality of life, and sexual relationship consequences. J Sex Med 2008; 5(6): 1296-307
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