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Zukunftskonzepte in der Niederlassung – Prim. Univ.-Doz. Dr. Claus Riedl im Interview

„Wir sind in einer Umbruchzeit“

Im Rahmen unseres neuen Formats „Dialog – Diskurs – Debatte“ erklärte sich Prim. Univ.-Doz. Dr. Claus Riedl, Vorstand der urologischen Abteilung am Landesklinikum Baden-Mödling, bereit, in einem Interview mit ÖGU Aktuell Stellung zu den Zukunftskonzepten in der Niederlassung von Priv.-Doz. DDr. Mehmet Özsoy zu beziehen.

Herr Dr. Riedl, wie können aus Ihrer Sicht der chronische Ressourcenmangel im Gesundheitssystem und der Schwund an fachlich gutem Personal behoben werden?

C. Riedl: Ich denke, eine umfassende strukturelle Lösung dieses Problems gibt es überhaupt nicht, und ich sehe das eher sehr pessimistisch. Was gegen eine Lösung spricht, ist in erster Linie der demografische Wandel, da es auf der einen Seite immer weniger über das normale Maß hinaus arbeitsbereite und aufgrund von Pensionierungen überhaupt, arbeitsfähige Menschen gibt und auf der anderen Seite eine älter und morbider werdende Bevölkerung steht. Wir schaffen es heute zwar mit moderner Medizin, früher nicht behandelbare Krankheiten zu beheben, aber diese Patientinnen und Patienten brauchen dann für das restliche Leben meistens eine umfassende Nachbetreuung. Dafür reichen unsere Ressourcen sowohl im niedergelassenen Bereich als auch im Spitalsbereich immer weniger aus. Dieses demografische Problem ließe sich zum Teil vielleicht mit gezielter Zuwanderung lösen, aus dem vorhandenen Arbeitskräftepool wird sich der zunehmende Bedarf nicht decken lassen. Was fehlt, ist das politische Zugeständnis zur medizinischen Versorgungssituation mit zunehmenden Einschränkungen in allen Bereichen.

Wie soll das Problem der Betten- und Operationskapazitätenreduktion gelöst werden?

C. Riedl: Beide Spitalsbereiche hängen untrennbar zusammen. Wenn wir mehr operieren, dann haben wir zu wenige Betten auf den Stationen, wenn wir mehr Betten haben, haben wir zu wenig Kapazitäten im operativen Bereich, und nur ein Gesamtkonzept könnte hier Lösungen bringen.

Mein Vorschlag wäre, sich seriös zu überlegen, was man anhand der personellen Ressourcen zu jedem Zeitpunkt überhaupt an medizinischen Leistungen anbieten kann und wo diese Leistungen am besten zu erbringen sind. Die Vermeidung von akuten, aber auch von Folgeschäden durch ausbleibende medizinische Behandlungen muss an erster Stelle stehen. Was noch zusätzlich an Leistungen erbracht werden kann, ist ressourcenabhängig. Durch die fehlende öffentliche Kommunikation der aktuellen Situation stehen wir Ärzt*innen unter starkem Druck seitens der Patient*innen, die natürlich auf ihre Behandlungen, Operationen und Termine bestehen. In meinem Tagesablauf investiere ich inzwischen einen beträchtlichen Teil der Zeit damit, die vorhandenen Ressourcen möglichst gerecht aufzuteilen. Ich denke, wenn wir es in Österreich weiterhin schaffen, jene zu operieren, die lebensnotwendig und akut behandelt werden müssen, sind wir schon sehr gut. Derzeit gelingt uns das überall noch weitestgehend, aber vielleicht sind auch diese Ressourcen einmal gefährdet.

Könnten ambulante Untersuchungen, die im Spital durchgeführt werden, Ihrer Meinung nach ausgelagert werden?

C. Riedl: Wahrscheinlich kann man in den niedergelassenen Bereich sehr viel auslagern, wenn man beginnt, außerhalb etablierter Schemata und Strukturen zudenken. Ich denke auch, dass sehr viel Tagesklinisches in eigene Versorgungseinheiten ausgelagert werden könnte, wie es innerhalb der Spitäler versucht wird. Solange ein Konzept jedoch nicht über alle Bereiche, also über den Spitals- und den niedergelassenen Bereich, hinweg geplant wird, so lange wird es nicht funktionieren. Damit spreche ich die Finanzierung aus einer Hand und die Beantwortung der Frage an: Wo können wir was am besten anbieten? Hierbei geht es nicht so sehr um die Honorierung von Einzelleistungen, sondern um viel größere Konzepte. In Bezug auf die Urologie denken wir nur über einen ganz kleinen medizinischen Bereich nach. Medizin geht aber sehr viel weiter in Österreich. Ein gutes Beispiel ist hier die Prostatabiopsie. Die vermehrt transperineale Durchführungkann nicht ohne Sedoanalgesie durchgeführt und somit nicht mehr in bisher üblicher Weise in Ordinationen angeboten werden. Die Frage ist, wie wir unsere unzähligen Prostatabiopsien, die wir im Jahr bislang transrektal durchgeführt haben, nun im Krankenhaus unterbekommen. Wie kann man die perineale Prostatabiopsie zukünftig organisieren, damit der niedergelassene Bereich, der diese Biopsien sehr gut macht, sie auch weiterhin vernünftig anbieten kann?

DDr. Mehmet Özsoy hat Schwerpunktordinationen vorgeschlagen, die sich auf genau diese Leistungen und z.B. Urodynamik, Ureteroskopie spezialisieren.

C. Riedl: Die angesprochenen Leistungen kann man wahrscheinlich in Einheiten außerhalb des Spitals mit einem Anästhesisten sehr viel ökonomischer anbieten. Aber vorab muss man überlegen, welche Kosten da wirklich anfallen,und es entsprechend finanziell attraktiv gestalten.

Sehen Sie eine Lösung, diese sogenannte dritte Säule durch die Länder – also Bundesausgleich und Kassensystem – zu finanzieren, so wie es der Meinung von Herrn Dr. Stöckl und Herrn Huss entspricht?

C. Riedl: In den derzeitigen Verhandlungen geht es leider überhaupt nicht darum, große Systemumbrüche im medizinischen Leistungsbereich anzudenken und zu verhandeln. Das ist unser Problem. Für eine Lösung müssten Veränderungen viel größer gedacht werden. Wir Urologinnen und Urologen sind hier nur in einem kleinen Bereich tätig – diese Überlegungen müssten aber für jedes Fach getätigt werden.

Können diese Hürden für die Etablierung solcher Strukturen überwunden werden oder sehen Sie das eher pessimistisch?

C. Riedl: Ich sehe es sehr pessimistisch, weil ich erlebe, wie unsere tägliche Arbeit immer mehr durch administrative und bürokratische Hürden erschwert wird. Der Output im Krankenhaus an der Front, die Leistung, die am Patienten erbracht wird, wird immer geringer, weil wir mit medizinfernen Tätigkeiten überschüttet werden. Wenn es eines Tages weniger Ärzt*innen gibt, wird man sich vielleicht wieder besinnen, für welche Tätigkeiten das medizinische Personal da ist. Medizin wird nicht am Computer gemacht, sondern an den Patient*innen.

Zu den Lehrpraxen: Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Lehrpraxen vermehrtin die Ausbildung einzubinden? DDr. Özsoy hat bei der Österreichisch-Bayerischen Tagung berichtet, dass er einen Mitarbeiter bekommen hat, der nur 30 Stunden die Woche im Spital arbeiten kann, was in diesem speziellen Fall und Spital nicht möglich gewesen wäre.

C. Riedl: Prinzipiell sind Lehrpraxen sehr gut. Meines Erachtens lernt man im Rahmen der Ausbildung im Krankenhaus jedoch mehr, denn im ambulanten Bereich sieht man die Fälle, die im niedergelassenen Bereich nicht mehr versorgt werden (können).

Worin ich allerdings ein Problem bei der vermehrten Ausbildung in Lehrpraxen sehe, ist, dass mit längerem Abstand der Ärzt*innen von der klinischen Medizin der Routineumgang mit komplexeren Situationen fehlt. Deswegen ist anzudenken, ob es nicht sogar umgekehrt besser wäre, wenn die niedergelassenen Urologinnen und Urologen von Zeit zu Zeit wieder im Spital sind. Dagegen spricht, dass die Situation der Spitalsärzt*innen mit Nachtdiensten natürlich immer weniger attraktiv wird. Der Anspruch auf eine ausgewogene Work-Life-Balance, die auch von DDr. Özsoy angesprochen wird, ist eine Realität unserer Zeit, mit der wir zurechtkommen müssen.

Ich denke, es hilft, ganz gezielt auf jede einzelne Mitarbeiterin, jeden einzelnen Mitarbeiter zuzugehen und zu fragen, was sie oder er sich beruflich als Ärztin/Arzt vorstellt bzw. wie sich ein Team an Ärzt*innen organisieren will. Sollte man es nicht schaffen, ansprechende Rahmenbedingungen für die Arbeitszeit zu gestalten – und dabei ist die Bezahlung nur ein Teil davon –, muss man versuchen, das Gesamtpaket einer Anstellung zu attraktiveren. Für eine Anstellung in der Pflege ist das Gesamtpaket meines Erachtens nicht gut genug gestaltet. Bei Ärzt*innen droht das Gleiche. Eine meiner Sorgen ist es, dass Nachtdienste in den Krankenhäusern zunehmend schwieriger zu besetzen sein werden. Wenn meine Generation, die gewohnt ist, mit vielen Nachtdiensten zu leben, nicht mehr der Ärzteschaft angehört, dann wird sich sicher einiges ändern. Diesbezüglich sollte man heute schon vorausdenken.

Wie kann aus Ihrer Sicht die Versorgungssicherheit künftig gewährleistet werden?

C. Riedl: Es sollte überall zumindest zentrale, gut organisierte und personell gut ausgestattete interdisziplinäre Notaufnahmen geben, in denen eine kompetente Erstversorgung durchgeführt werden kann und durch welche eventuell andere Fächer ihre Nachtdienste reduzieren können. Ich denke, dass in diese Richtung Überlegungen angestellt werden sollten. Die Unzufriedenheit ist derzeit überall spürbar, weil das System keinen Ausweg ahnen lässt. Ich denke, es braucht keine Verhandlungen, sondern einen Thinktank, der sich überlegt, wie wir die Herausforderungen der Zukunft am besten meistern können. Wenn Ordinationen auch tagesklinische Leistungen anbieten können, wäre das jedenfalls eine wichtige Entlastung für den Krankenhausbetrieb.

Wir sind in einer Umbruchszeit, es wäre wichtig, das zu erkennen, zu akzeptieren und die benötigten Strukturen neu zu gestalten. Dazu braucht es Führungsqualität und gestalterische Visionen, die ich aber derzeit nahezu überall vermisse.

Vielen Dank für das Gespräch!
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