Zukunftskonzepte in der Niederlassung – Andreas Huss im Interview

„Ist es flächendeckend möglich, Leistungen aus dem Spital auszulagern?“

Andreas Huss, MBA, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), bezieht in einem Interview mit ÖGU Aktuell Stellung zu Zukunftskonzepten in der Niederlassung, die von Priv.-Doz. DDr. Mehmet Özsoy, dem Präsidenten des Berufsverbandes der Österreichischen Urologie, zur Lösung von Problemen in unserem Gesundheitssystem vorgeschlagen wurden.

Herr Huss, wie können aus Ihrer Sicht der chronische Mangel im Gesundheits-system und der Schwund an fachlich gut ausgebildetem Personal in der Pflege und im ärztlichen Bereich behoben werden?

A. Huss: Es ist so, dass wir im Bereich der Ärzt*innen immer von einem Ärztemangel sprechen. Dieser ist aber mit 47000 Ärzt*innen, die wir in Österreich auf der Ärzteliste haben, nicht bestätigbar. Das Problem ist, dass wir von diesen 47000 Ärzt*innen zu wenige in der öffentlichen Gesundheitsversorgung haben. D.h., es braucht entsprechende politische Maßnahmen, damit unsere Ärzt*innen, die wir großteils an öffentlichen Universitäten ausbilden, uns auch tatsächlich in der öffentlichen Versorgung zur Verfügung stehen. Einige Ideen sind die Beschäftigungspflicht bis hin zur Landarztquote, mit der man schon junge Studierende freiwillig verpflichten will, für eine gewisse Zeit in der öffentlichen Gesundheitsversorgung zu arbeiten. Wir brauchen aber auch mit den Spitälern die Vereinbarung, wieder mehr Ärzt*innen in den Kliniken auszubilden, denn derzeit bilden die Kliniken zu einem großen Teil nur für den eigenen Nachwuchs Ärzt*innen aus. In der niedergelassenen Versorgung haben wir zu wenig Ärzt*innen, vor allem Allgemeinmedizin-er*innen, die wir in Zukunft vorrangig, gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen, in Primärversorgungseinheiten sehen. Wir müssen daher schauen, dass genügend Ärzt*innen in den öffentlichen Spitälern ausgebildet werden. Dazu wären mehr Ausbildungsplätze in den Spitälern notwendig und man müsste die Spitäler dazu verpflichten.

Ein weiterer Punkt ist: Wie attraktiv sind Spitalsarbeitsplätze, wie attraktiv sind die Kassenordinationen? Das Einkommen ist aus unserer Sicht sowohl in den Spitälern als auch in der Kassenpraxis durchaus attraktiv. Das Problem liegt hierbei vielmehr in der Arbeitszeit und Arbeitsbelastung und der Frage:Wie viel können und möchten junge Ärzt*innen arbeiten? Die Einzelarztpraxis ist oftmals nicht mehr das Beschäftigungsmodell für junge Ärzt*innen. Es gibt immer mehr Frauen, aber auch Männer in der Medizin, die in Teilzeit arbeiten wollen, und das ist mit einer Einzelarztpraxis nicht vereinbar. Primärversorgungszentren und Facharztambulanzen sind für Ärzt*innen die Beschäftigungsformen der Zukunft, in denen sie sich anstellen lassen können – auch in Teilzeit –, was das Arbeitszeitmodell im niedergelassenen Bereich attraktivieren könnte.

Wir als ÖGK können uns vorstellen weitere Facharztzentren zusätzlich zu den bestehenden zu bauen und diese wie die bisherigen als eigene Ambulanzen zu führen.

Gemäß dem Minister werden zusätzlich 120 Primärversorgungszentren ausgebaut.

Im Prinzip schlagen Sie in die gleiche Kerbe wie Dr. Özsoy. Wie ist die Work-Life-Balance des Fachpersonals aufrechtzuerhalten? Was wäre wichtig dafür?

A. Huss: Es gibt viele Ärzt*innen, die nicht mehr nur in einer Einrichtung fix angestellt oder selbstständig sind und so ein gutes Einkommen haben, ohne an eine Stelle gebunden zu sein. Das ist ein Trend, der in der Medizin feststellbar ist, und darauf muss man reagieren. Im Modell einer Einzelarztpraxis oder Job-Sharing-Praxis, bspw. beim Teilen einer Kassenstelle, gibt es diese Flexibilität nicht. Wir müssen diese größeren Versorgungsformen – Primärversorgungszentren, Ambulanzen usw. – mehr in den Fokus rücken, um diese Flexibilität, die junge Ärzt*innen in ihrer Beschäftigung in Zukunft haben wollen, entsprechend abdecken zu können. Eine Möglichkeit ist z.B. eine Ärztebereitstellungsgesellschaft, die dafür verantwortlich ist, dass Praxen, die nicht mehr nachbesetzt werden, mit unterschiedlichen Ärzt*innen durch flexible (Teilzeit-)Modelle bespielt werden. Es ist natürlich nicht das Gleiche wie eine Hausarztpraxis, in der der Vertrauensarzt/die Vertrauensärztin immer da ist, aber zumindest eine Möglichkeit, verwaiste Praxen wieder mit Ärzt*innen zu versorgen.

Wie soll das Problem der Wartezeitenvon bis zu einem Jahr von Patienten, für Eingriffe, ambulante Untersuchungen,z.B. für Urodynamik, Untersuchungen bei gutartigen Veränderungen, Ureteroskopien etc., gelöst werden?

A. Huss: Hier müssen wir mehr Geld für den Ausbau der ambulanten Versorgung in die Hand nehmen und Leistungen, die in den Spitalsambulanzen nicht mehr erbracht werden können oder sinnvollerweise nicht erbracht werden müssen, im niedergelassenen Bereich anbieten. Dazu braucht es einen massiven Ausbau dieser ambulanten Versorgung mit Facharztzentren und Ambulanzen. Die Frage ist: Werden diese Versorgungsformen in Zukunft immer von Einzelärzt*innen angeboten oder von der öffentlichen Hand, der ÖGK, den Ländern und gemeinnützigen Gesellschaften? Es wird verschiedene Möglichkeiten geben, wer eine solche Versorgungsform anbieten kann. Das unternehmerische Risiko wollen junge Ärzt*innen nicht mehr tragen, sodass es durch die öffentliche Hand zu tragen wäre.

Dr. Özsoy hat urologisch-chirurgische Schwerpunktordinationen vorgeschlagen, die im niedergelassenen Bereich angesiedelt werden und in denen Leistungen von mehreren Ärzt*innen gemeinsam mit längeren Öffnungszeiten angeboten werden könnten. Derzeit fehlt die Honorierung dieser Leistungen im niedergelassenen Bereich. Was ist aus Ihrer Sicht dafür die Lösung?

A. Huss: Es gibt mit Sicherheit viele kleine Eingriffe und Leistungen, die man im niedergelassen Bereich machen kann. Es ist nur die Frage, ob wir das flächendeckend in Österreich umsetzen können. D.h., wir müssen uns bei diesen Spitalsauslagerungen ansehen: Ist die Auslagerung medizinisch, qualitativ und ökonomisch sinnvoll? Wenn Leistungen aus dem Spital ausgelagert werden, dann braucht es dazu einen einheitlichen Leistungskatalog, den wir gerade mit der Ärztekammer verhandeln, sodass diese Leistungen auch tatsächlich als Versorgungsauftrag von niedergelassenen Ärzt*innen angeboten werden. Hier spricht dagegen, dass manche niedergelassenen Ärzt*innen diese Leistung gar nicht erbringen wollen oder können, weil ihnen bspw. die äußeren Gegebenheiten, z.B. ein Reinraum, dafür fehlen. Die Frage ist immer: Ist es flächendeckend möglich, solche Leistungen aus dem Spital auszulagern? Wenn das möglich und medizinisch wie auch ökonomisch sinnvoll ist, dann müssen wir das machen. Wenn Leistungen so in Teilen des Landes nicht angeboten werden können, dann haben wir ein Problem damit. Um Leistungen aus dem Spital herauszubringen, braucht es jedoch einen Finanzierungsgrund, denn es heißt nicht automatisch, dass Spitalskosten gespart werden, wenn Leistungen in den niedergelassenen Bereich verlagert werden. Stationäre Leistungen sind bereits um 25% zurückgegangen, aber die Spitalskosten im stationären Bereich sind weiterhin gestiegen und damit natürlich auch die Zahlungen der Sozialversicherungen an die Spitäler. Wir brauchen für die neuen Versorgungsformen einen entsprechenden Finanzierungsstrom (Geld folgt Leistung), den die Länder auch als dritte Säule bezeichnen. Wir brauchen für den Ausbau dieser nicht spitalsambulanten Versorgung Finanzmittel, die wir im Rahmen der Bundes- und der Landeszielsteuerung entsprechend planen müssen.

Was halten Sie von dem Vorschlag Lehrpraxen flexibler zu gestalten, sodass interessierte Assistenzärzt*innen schon früher und länger in die Lehrpraxis kommen oder in flexibleren Abschnitten ihrer Ausbildung darin mitwirken können?

A. Huss: Die Praxisausbildung ist sicher sehr wichtig. Wir haben die Erfahrungen damit: Je früher wir Spitals-ärzt*innen in Ausbildung in der Lehrpraxis ausbilden, desto mehr verliert sich die Scheu, in einer Praxis zu arbeiten. Es ist extrem wichtig, dass man sie nicht nur in der Facharztausbildung, sondern möglicherweise schon im Studium, im KPJ mit der Praxisarbeit vertraut macht und so die Angst vor der Praxisarbeit ein Stück weit nimmt. Wenn es hier flexiblere Modelle braucht, stehen wir sicher nicht auf der Bremse.

Patient*innen bevorzugen „One-Stop-Shops“, d.h., Untersuchungen und Behandlungen sollen möglichst an einem Ort stattfinden. Wie kann mit Hinblick darauf aus Ihrer Sicht die Versorgungssicherheit künftig gewährleistet werden?

A. Huss: Wichtig wäre es, sich in Österreich wieder auf ein hausarztzentriertes System zu fokussieren. Jeder Mensch in Österreich sollte einen Hausarzt/eine Hausärztin haben, egal, ob einen Einzelarzt/eine Einzelärztin oder einen Arzt/ eine Ärztin im Primärversorgungszentrum. 80 bis 85% aller Probleme, mit denen Patient*innen zu Hausärzt*innen kommen, können final bei Hausärzt*innen erledigt werden, nur für den restlichen Anteil braucht es fachärztliche oder therapeutische Leistungen. Der Hausarzt/die Hausärztin soll primärer Ansprechpartner sein, idealerweise ergänzt durch die Primärversorgung von anderen Gesundheitsberufen und er/sie soll Patient*innen durch das System führen. Hier gibt es mit dem System des Einschreibemodells in Deutschland ein gutes System. Früher gab es das auch in Österreich über den Krankenschein. Man hatte nicht die Möglichkeit, selbstständig zuFachärzt*innen zu gehen. Dieses System war nicht nur effizienter, sondern auch gesünder für die Menschen, weil man sich lange Diagnosewege gespart hat und eine Stelle (der Hausarzt/die Hausärztin) immer den Überblick über alle Befunde hatte. Wir sehen, dass Menschen nun Fehldiagnosen oder schlechte Diagnosen haben, weil sie niemand durch das System steuert. Dass wir zu einem solchen hausarztzentrierten System wieder zurückkehren sollten – die Kinderfachärzt*innenund Gynäkolog*innen ausgenommen –, darüber sind wir uns mit der Ärztekammer einig.

Vielen Dank für das Gespräch!
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