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Thromboserisiko, Hormonersatztherapie, Phytoöstrogene statt Hormone
Jatros
30
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13.07.2017
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<p class="article-intro">Die Session zur Endokrinologie im Rahmen der OEGGGJahrestagung zeichnete sich durch mehrere spannende Vorträge aus, in denen gynäkologische Brennpunkt-Themen erörtert wurden: Wie bedenklich ist das Thromboserisiko unter Pilleneinnahme tatsächlich? Ist eine Hormonersatztherapie (HRT) in der Menopause empfehlenswert? Und: Könnten Phytoöstrogene die HRT verdrängen?</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Das VTE-Risiko unter KOK ist in Abhängigkeit von der Gestagenkomponente erhöht. Speziell Gestagene der neueren Generationen sind mit einem erhöhten VTE-Risiko assoziiert. Hingegen weist Levonorgestrel, ein älteres Gestagen, das geringste Risiko auf.</li> <li>Nach Reevaluierung der initial missinterpretierten WHIStudie haben die Österreichische Gesellschaft für Sterilität, Fertilität und Endokrinologie und die Österreichische Menopausegesellschaft 2016 ein Konsensus- Update zur HRT herausgegeben. Darin wird erwähnt, dass der Nutzen die möglichen Risiken einer HRT überwiegt.</li> <li>Die Induktion einer HRT wird nur bei Frauen</li> <li>Zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte von Isoflavonen (auch als Phytoöstrogene bezeichnet) auf Menopause-assoziierte Hitzewallungen. Isoflavone zeigen weitere positive Effekte, darunter solche auf den Knochenmetabolismus und den Lipidstoffwechsel.</li> <li>Die European Food Safety Authority hat in einem 2015 publizierten Statement bestätigt, dass bei Einnahme von 35 bis 150mg Isoflavonen pro Tag keine nachteiligen Effekte zu erwarten sind.</li> </ul> </div> <h2>Pille und Thromboserisiko: ein umstrittenes Thema</h2> <p>Als die Antibabypille in den 1960er- Jahren auf den Markt kam, wurde sie enthusiastisch begrüßt. Doch nach und nach wurde das mit dem neuen Empfängnisverhütungsmittel assoziierte Thromboserisiko diskutiert; der erste Bericht darüber erschien bereits im Jahr 1968.<sup>1</sup> Aus einer dänischen Registerstudie geht hervor, dass das Risiko für die Entwicklung einer Thrombose (VTE), verglichen mit dem von Frauen, die keine kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK) einnehmen, unabhängig vom Präparat um das Drei- bis Vierfache erhöht ist und das VTE-Risiko mit zunehmendem Alter ansteigt.<sup>2</sup> „Wir wissen seit Langem, dass Östrogen der primäre Risikofaktor ist und das VTE-Risiko mit steigender Dosis zunimmt“, berichtete Univ.-Prof. Dr. Ludwig Wildt, Univ.-Klinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Medizinische Universität (MU) Innsbruck. Wie sieht es nun mit den Gestagenen aus? Dazu muss erwähnt werden, dass Gestagene je nach Substanzklasse auch nicht-kontrazeptive Nutzen bringen. „Gestagene üben leicht antagonistische Effekte auf östrogeninduzierte Veränderungen in der Hämostase aus, was besonders auf jene mit androgener Partialwirkung – und hier in erster Linie auf Levonorgestrel – zutrifft“, erklärte Wildt. Prinzipiell ist festzuhalten, dass Gestagene das Ethinylestradiol(EE)- induzierte VTE-Risiko um circa das Dreifache erhöhen,<sup>2, 3</sup> während Gestagenmonopräparate zu keiner Risikoerhöhung führen.<sup>2</sup> In einer englischen Fall-Kontroll- Studie ist nachgewiesen worden, dass speziell die neueren Gestagene, Desogestrel, Gestoden, Drospirenon und Cyproteron, im Vergleich zu den älteren wie Levonorgestrel (LNG) mit einem deutlich erhöhten VTE-Risiko einhergehen.<sup>3</sup> Das absolute VTE-Risiko (95 % CI) pro 10 000 Frauen/Jahr ist unter LNG mit 8,0 (relatives Risiko: 1,0) am niedrigsten.<sup>4, 5</sup> Dinger et al haben gesehen, dass das VTE-Risiko in den ersten drei bis sechs Monaten der KOK-Einnahme erhöht ist: so bei Erstanwenderinnen und Frauen, die nach einer Pause von mehr als vier Wochen mit einem neuen Präparat begannen.<sup>6</sup> „Diese Beobachtungen zeigen, dass eine Pillenpause in Anbetracht des VTE-Risikos nicht als sinnvoll zu erachten ist“, merkte Wildt an.</p> <h2>Konsequenzen der VTE-Thematik</h2> <p>Aus dem deutschen „Pillenreport 2015“ geht hervor, dass tatsächlich gemäß den umfassenden Studienergebnissen, die zu VTE unter KOK vorliegen, LNG-haltige Präparate mit 33 % zu den am häufigsten verschriebenen KOK zählen. <sup>7</sup> Was rät nun der Experte? Wildt äußerte sich diesbezüglich folgendermaßen: „Bei bisher guter Verträglichkeit besteht kein Grund, ein KOK mit einem neueren Gestagen zu ersetzen. Dennoch erscheint es klug, bei der Erstverordnung von oralen KOK in erster Linie an LNGhaltige Präparate zu denken.“</p> <h2>Die irreführende Interpretation der WHI -Studie</h2> <p>Die Women’s Health Initiative (WHI), eine Studie zur Untersuchung der HRT mit Östrogen und Progestin bei Frauen in der Menopause, wurde bekanntlich frühzeitig gestoppt, nachdem im Vergleich mit der Placebogruppe eine Zunahme an Brustkrebs( BC)-Diagnosen und insgesamt ein erhöhtes kardiovaskuläres (CV) Risiko verzeichnet worden waren.<sup>8</sup> „Nach Beendigung der Women’s Health Initiative ging in den USA die Zahl der Frauen, die eine HRT einnahmen, von 50 auf 15 bis 10 Prozent zurück. Interessanterweise haben Gynäkologinnen und Partnerinnen von Gynäkologen jedoch weiterhin die HRT eingenommen“, berichtete Dr. Sabine Anthuber, leitende Oberärztin an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Starnberg. Die Beobachtung, dass nach Studienstopp ein leichter Abfall der Rate an BC-Diagnosen zu verzeichnen war, wurde auf den Rückgang der HRT-Einnahme zurückgeführt.<sup>9</sup><br /> Tatsächlich war die Studie jedoch mit grundlegenden Mängeln behaftet: Der Großteil der Studienteilnehmerinnen (5667 Frauen) war älter als 60 Jahre (demgegenüber 2339 im Alter von 50 bis 59 Jahren), ein Teil hatte eine ausgeprägte Adipositas und/oder wies kardiovaskuläre Risikofaktoren sowie Komorbiditäten auf und als Studienendpunkt waren nicht die Effekte einer HRT auf menopausale Beschwerden definiert.<br /> Aufgrund dieser Mängel wurde die Studie von an deren Design maßgeblich beteiligten Ärzten reevaluiert. Die Autoren der 2012 erschienenen Publikation darüber kamen zu dem Schluss, dass der Nutzen dieser HRT mögliche Risiken übersteigt. In der Gruppe, die alleinig eine Östrogentherapie erhielt, nahm das BC-Risiko sogar ab.<sup>10</sup><br /> Die Autoren einer rezenteren Studie konnten ein direkt proportionales Verhältnis zwischen BMI und BC-Risiko feststellen, das statistisch signifikant war (p<0,001): je höher der BMI, umso größer das Risiko, einen BC zu entwickeln.<sup>11</sup><br /> Die Österreichische Gesellschaft für Sterilität, Fertilität und Endokrinologie und die Österreichische Menopausegesellschaft haben 2016 ein Konsensus- Update zur HRT herausgegeben. Analog zu den Erkenntnissen durch die Reevaluierung der WHI sind sich die Experten darüber einig, dass bei strenger Indikationsstellung und unter Berücksichtigung individueller Faktoren der Nutzen einer differenzierten HRT die damit verbundenen Risiken bei symptomatischen Frauen überwiegt, sofern der Start vor dem 60. Lebensjahr bzw. innerhalb von zehn Jahren nach der Menopause erfolgt ist.<sup>12</sup></p> <h2>Phytoöstrogene: mannigfaltige positive Effekte</h2> <p>„Isoflavone kommen in Soja, verschiedenen Kleearten und auch im Hopfen vor. Sojabohnen enthalten zwölf Arten von Isoflavonen – Isoflavone werden auch als Phytoöstrogene bezeichnet, da sie auf biochemischer Ebene an den Östrogenrezeptor (ER) binden. Daher hat sich mittlerweile der Begriff ,Phyto-SERMs‘ (selektiver ER-Modulator, Anm.) etabliert“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Christian Egarter, Leiter der Klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, MedUni Wien, am Beginn seiner Ausführungen. Die Bindung an den ER führt über die Aktivierung verschiedener Kofaktoren zur Transkription.<sup>13</sup> „Wir kennen inzwischen um die 100 Kofaktoren, die unterschiedliche Konzentrationen in den Geweben aufweisen. So ist der Steroidrezeptor- Koaktivator Subtyp 1 vor allem im Endometrium, der Subtyp 3 hingegen hauptsächlich im Bereich des Brustgewebes lokalisiert. Dementsprechend resultieren selektive Gewebeeffekte“, erläuterte Egarter.<br /> Die Wirkung der Phytoöstrogene bei klimakterischen Symptomen ist durch eine Vielzahl an Studien belegt. So geht aus der von Chen et al durchgeführten Metaanalyse klar hervor, dass Hitzewallungen unter Isoflavonen gut kontrolliert werden können; die Phyto-SERMs zeigten hingegen versus Placebo zwar einen Trend, jedoch keine statistisch signifikanten Effekte auf andere Östrogenmangelsymptome wie Schlafstörungen.<sup>14</sup> Jedoch ist hinzuzufügen, dass eine Mindestdosis von 10 bis 15mg/Tag gegeben werden muss, um nachweisliche Effekte zu erzielen.<sup>15</sup></p> <h2>Zusatzeffekte von Isoflavonen</h2> <p>Neben den Effekten auf die Menopause- bedingten Beschwerden zeigen Isoflavone weitere positive – darunter antiinflammatorische und metabolische – Wirkungen. Sie interagieren nicht nur mit ER-α und ER-β, sondern u.a. auch mit dem „peroxisome proliferator-activated receptor“ (PPAR); über die Aktivierung von PPAR kommt es zur Downregulierung von proinflammatorischen Zytokinen wie Cox-2 und iNOS. Zudem erhöhen Isoflavone die Insulinsensitivität, die via PPAR-α mediiert wird, und in weiterer Folge den Nüchternglukosespiegel; demnach könnten sie auch günstige Wirkungen beim metabolischen Syndrom ausüben, denn sie erhöhen den Energieumsatz und weisen antioxidative Effekte auf.<sup>16</sup><br /> Interessant sind auch die Effekte von Isoflavonen auf den Lipidstoffwechsel: Hier konnte in einer Metaanalyse von 22 Studien eine Reduktion der LDL-Spiegel um 0,17mmol/l (–4,3 % ; p<0,0001) festgestellt werden.<sup>17</sup><br /> In einem systematischen Review wurden die Wirkungen von Isoflavonen auf die Knochendichte (BMD), gemessen am Knochenresorptionsmarker Desoxypyridinolin (DPD) im Urin, evaluiert: Es wurden eine Zunahme der BMD um 54 % und eine Verminderung von DPD um 23 % nachgewiesen. Die Effekte waren ab einer Dosierung von ≥75mg pro Tag ausgeprägt und erwiesen sich gemäß Ergebnissen von Sensitivitätsanalysen sowohl für die BMD als auch für DPD als robust.<sup>18</sup><br /> In Metaanalysen von epidemiologischen Studien ist nachgewiesen worden, dass Isoflavone keine Effekte auf das BCRisiko zeigen.<sup>19</sup><br /> Nicht zuletzt hat die European Food Safety Authority (EFSA) 2015 ein Statement publiziert, in dem bestätigt wird, dass auf Basis der verfügbaren Datenlage bei Einnahme von 35 bis 150mg Isoflavonen pro Tag keine nachteiligen Effekte zu erwarten sind.<sup>20</sup></p> <p><span class="link-color"><a class="article-link" href="../fachthemen/8049" data-locked="0">zurück zum Themenschwerpunkt zur OEGGG Jahrestagung</a></span></p></p>
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<p><strong>1</strong> Vessey MP, Doll R: Investigation of relation between use of oral contraceptives and thromboembolic disease. Br Med 1968; 2: 199-205 <strong>2</strong> Lidegaard Ø et al: Risk of venous thromboembolism from use of oral contraceptives containing different progestogens and oestrogen doses: Danish cohort study, 2001-9. BMJ 2011; 343: d6423 <strong>3</strong> Vinogradova Y et al: Use of combined oral contraceptives and risk of venous thromboembolism: nested case-control studies using the QResearch and CPRD databases. BMJ 2015; 350: h2135 <strong>4</strong> Martinez F et al: Venous and pulmonary thromboembolism and combined hormonal contraceptives. Systematic review and meta-analysis. Eur J Contracept Reprod Health Care 2012; 17: 7-29 <strong>5</strong> Dinger C et al: The safety of a drospirenone-containing oral contraceptive: final results from the European Active Surveillance Study on oral contraceptives based on 142,475 women-years of observation. Contraception 2007; 75: 344-54 <strong>6</strong> Dinger C et al: Cardiovascular risks associated with the use of drospirenone-containing combined oral contraceptives. Contraception 2016; 93: 378-85 <strong>7</strong> <a href="https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/ % 20771128/Datei/2793/Pillenreport-2015.pdf">https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/ 771128/Datei/2793/Pillenreport-2015.pdf</a> (letzter Zugriff: 25.06.2017; 16:31) <strong>8</strong> Rossouw J E e t a l; Writing Group for the WHI-Investigators: Risks and benefits of estrogen plus progestin in healthy postmenopausal women: principal results from the Women’s Health Initiative randomized controlled trial. JAMA 2002; 288: 321- 33 <strong>9</strong> K atalinic A e t a l: Trends i n h ormone t herapy a nd breast cancer incidence – results from the German Network of Cancer Registries. Pathobiology 2009; 76: 90-7 <strong>10</strong> Manson JE, Kaunitz AM: Menopause management – getting clinical care back on track. N Engl J Med 2016; 374: 803-6 <strong>11</strong> Jones ME et al: Menopausal hormone therapy and breast cancer: What is the true size of the increased risk? Br J Cancer 2016; 115: 607-15 <strong>12</strong> <a href="http://www. % 20medical-media-consulting.at/pressroom/oesterr._menopauseges._ u._oesterr._ges._f._sterilitaet_fertilitaet_endokrinologie/ 2016_04_28_pk_mythen_vs_erkenntnisse_ mht/oesterreichisches_konsensuspapier_hormonersatztherapie. pdf">http://www. medical-media-consulting.at/pressroom/oesterr._menopauseges._ u._oesterr._ges._f._sterilitaet_fertilitaet_endokrinologie/ 2016_04_28_pk_mythen_vs_erkenntnisse_ mht/oesterreichisches_konsensuspapier_hormonersatztherapie. pdf </a>(letzter Zugriff: 25.06.2017, 19:15) <strong>13</strong> Tata JR: Signalling through nuclear receptors. Nat Rev Mol Cell Biol 2002; 3: 702-10 <strong>14</strong> Chen MN et al: Efficacy of phytoestrogens for menopausal symptoms: a metaanalysis and systematic review. Climacteric 2015; 18: 260-9 <strong>15</strong> Williamson-Hughes PS et al: Isoflavone supplements containing predominantly genistein reduce hot flash symptoms: a critical review of published studies. Menopause 2006; 13: 831-9 <strong>16</strong> Jungbauer A, Medjakovic S: Phytoestrogens and the metabolic syndrome. J Steroid Biochem Mol Biol 2014; 139: 277-89 <strong>17</strong> Jenkins DJ et al: Soy protein reduces serum cholesterol by both intrinsic and food displacement mechanisms. J Nutr 2010; 140(12): 2302S-2311S <strong>18</strong> Wei P et al: Systematic review of soy isoflavone supplements on osteoporosis in women. Asian Pac J Trop Med 2012; 5: 243-8 <strong>19</strong> Chen M et al: PLoS One 2014; 9: e89288 <strong>20</strong> <a href="https://www.efsa. % 20europa.eu/de/efsajournal/pub/4246">https://www.efsa. europa.eu/de/efsajournal/pub/4246</a> (letzter Zugriff: 26.06.2017; 16:14)</p>
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