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Gastroenteritis – ein Überblick
DAM
Autor:
Doz. Dr. Bernhard Angermayr
Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie<br> Leiter von ärzte im zentrum, St. Pölten<br> Web: www.zentrum.at
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">Jeder hatte schon eine, jeder wird wieder einmal eine bekommen und trotzdem weiß man relativ wenig über dieses heterogene Krankheitsbild, über das es unter diesem Namen keine relevante Literatur gibt. Unter „akuter Diarrhoe” wird man eher fündig. Der Versuch eines Überblicks.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Was ist eine „Gastroenteritis“?</h2> <p>Der Begriff bezeichnet keine einzelne Erkrankung, sondern ist ein eher undefinierter Oberbegriff für akute Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes. Auch die Symptome sind nicht einheitlich definiert, jedoch werden Durchfall und/oder Erbrechen als Hauptsymptom(e) allgemein anerkannt. Weitere Symptome können unter anderem Übelkeit, Bauchschmerzen und Fieber sein. Umgangssprachlich wird die Gastroenteritis auch „Magen-Darm-Grippe“ (obwohl die Erkrankung nichts mit der echten Grippe zu tun hat) oder „Brechdurchfall“ genannt.</p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Bezüglich Häufigkeit, Schwere der Erkrankung, Ursache und Sterblichkeit gibt es neben der Situation in Österreich eine „Parallelwelt“ in weniger entwickelten Ländern. Weltweit sterben ca. 0,5 Mio. Kinder daran. Die Erkrankung ist somit für 11–15 % aller Todesfälle im Kindesalter verantwortlich. In Österreich ist die Kindersterblichkeit durch Gastroenteritis nahezu 0 % . In manchen Regionen der Welt erkranken Kinder sechs- bis achtmal pro Jahr, in Österreich circa ein- bis zweimal. 20 % der Österreicher erkranken jedes Jahr zumindest einmal an einer Gastroenteritis, weltweit sind es 50 % der Bevölkerung.<br /> In Entwicklungsländern können die Morbidität und die Mortalität bei Kindern drastisch durch orale Rehydratationslösungen (bei unterernährten Kindern unter 5 Jahren mit Zinkzusatz), Impfungen gegen Rotaviren und Trinkwasserhygiene gesenkt werden. Die Todesfälle konnten in den letzten 30 Jahren weltweit durch massive Bemühungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um zwei Drittel gesenkt werden. Betrachtet man diese dramatischen Zahlen und die Zahlen aus Österreich, wird deutlich, dass Gastroenteritis nicht gleich Gastroenteritis und Österreich wie so oft eine Insel der Seligen ist.<br /> Es kann davon ausgegangen werden, dass 90 % aller Patienten mit Symptomen einer Gastroenteritis keinen Arzt aufsuchen. Somit wissen wir gar nicht, woran diese Patienten erkrankt sind. Ein Großteil der verbleibenden 10 % , die einen Arzt aufsuchen, erhält und benötigt auch keine weitere Diagnostik und wird daher symptomatisch behandelt. Somit bleibt nur noch ein kleiner Anteil an Patienten übrig (schätzungsweise unter 5 % ), bei dem der Ursache auf den Grund gegangen wird. Auch hier gelingt wieder nur in einem Teil eine klare Diagnose oder ein Erregernachweis, sodass unsere Kenntnisse über Gastroenteritis nur auf einem kleinen Patientenkollektiv beruhen.</p> <h2>Ursachen</h2> <p>In ca. 90 % der Fälle ist eine Infektion die Ursache der Gastroenteritis (Viren, Bakterien, Parasiten), wobei die Mehrzahl der Fälle viral bedingt ist. Noroviren und Rotaviren gehören zu den prominentesten Erregern. Am häufigsten sind Kinder betroffen. Auf die Sinnhaftigkeit der kostenlosen Rotavirusimpfung muss in diesem Zusammenhang hingewiesen werden. Zu den nicht infektiösen Ursachen gehören unter anderem medikamentöse und toxische Ursachen. Auch akute Schübe bzw. Erstmanifestationen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung können als Gastroenteritis imponieren.</p> <h2>Differenzialdiagnose</h2> <p>Im Rahmen der Abklärung unterscheidet man anhand der Anamnese grob zwischen entzündlich und nicht entzündlich anhand der Anamnese (Tab. 1). Bei wahrscheinlich infektiöser Ursache wird entschieden, ob eine weiterführende Diagnostik oder gar Therapie nötig ist. Die Abklärung ist in Abbildung 1 dargestellt. Eine Übersicht über mögliche Ursachen der Beschwerden auf Basis der Anamnese ist in Tabelle 2 dargestellt.<br /> Das Risiko, in Österreich an einer Gastroenteritis zu erkranken, hängt von mehreren Faktoren ab. Selbstverständlich kann jeder erkranken, jedoch erkranken am häufigsten Kinder, ältere Menschen, Patienten mit vorbestehenden gastrointestinalen Erkrankungen (z.B. chronischentzündlichen Darmerkrankungen), sonstige chronisch Kranke (z.B. Diabetiker), Patienten mit gewisser Medikation (Antibiotika, Protonenpumpenhemmer etc.), Reisende sowie Menschen, die in Kinderbetreuungseinrichtungen, Spitälern oder Pflegeheimen arbeiten.<br /> Wenn die Entscheidung für weiterführende Diagnostik bei Gastroenteritis getroffen wird, dann sollte eine Blutabnahme durchgeführt (BB, CRP, Leberwerte, Nierenwerte, Elektrolyte) sowie bei vermuteter infektiöser Ursache eine Stuhlkultur abgenommen werden (Tab. 3). Bei schwereren Verläufen kann eine Sonografie des Abdomens sinnvoll sein. In jedem Fall sollen eine klinische Untersuchung inkl. vollständiger abdomineller Palpation und Auskultation sowie eine rektale Untersuchung erfolgen. In der Akutphase besteht fast nie eine Indikation zur Endoskopie oder zur Schnittbilddiagnostik (beide Untersuchungen sollten nur in klar begründeten Fällen bei hospitalisierten Patienten erfolgen). Eine Endoskopie kurz nach einer rezenten Gastroenteritis ist ebenso nicht sinnvoll, da hier noch Residuen der Entzündung nachweisbar sein können, deren Ergebnis dann schwierig zu interpretieren ist.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s23_tab1.jpg" alt="" width="1417" height="669" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s23_abb1_2.jpg" alt="" width="2150" height="877" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s23_tab2.jpg" alt="" width="1417" height="1177" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s23_tab3.jpg" alt="" width="1417" height="629" /></p> <h2>Therapieempfehlungen</h2> <p>Primäres Ziel der Therapie ist der Ausgleich des Flüssigkeitshaushaltes. Wenn abwarten und Tee trinken zu wenig ist, dann empfiehlt sich eine orale Rehydratationslösung, die selbst hergestellt werden kann (Tab. 4).<br /> Loperamid sollte nicht eingenommen werden, eventuell kann es bei Reisediarrhoe versucht werden. Bei Fieber darf es nicht eingenommen werden. Für Probiotika gibt es wenig bis keine Evidenz. Antibiotika sollten nur in Ausnahmefällen (z.B. auf Reisen oder bei schwerer Erkrankung) empirisch zum Einsatz kommen.<br /> Wenn ein Erreger in der Stuhlkultur nachgewiesen wurde, dann muss geprüft werden, ob es sich um eine meldepflichtige Erkrankung handelt. Ein Erregernachweis bedeutet nicht automatisch, dass eine antibiotische Therapie nötig und sinnvoll ist. Die Art der Infektion, die Schwere der Erkrankung sowie Komorbiditäten und das Umfeld des Patienten müssen in die Therapieentscheidung einfließen.<br /> Wenn die Beschwerden nach 2 Wochen nicht deutlich besser werden, sollte eine weitere Ursachensuche erfolgen. Spätestens 4 Wochen nach Erkrankungsbeginn ist eine akute Gastroenteritis vollständig ausgeheilt. Bei Weiterbestehen der Beschwerden spricht man dann bei Diarrhoe von „chronischer Diarrhoe“, welche nach dem Schema in Abbildung 2 abgeklärt werden kann. Neben dieser Symptomatik kann eine Gastroenteritis als Folge zu einer reaktiven Arthritis führen. Weiters kann eine Gastroenteritis der Auslöser für die Entwicklung eines Reizdarmsyndroms sein, sodass man bei klinischem Verdacht auf diese Erkrankung in der Anamnese immer nach einer vorhergegangenen Gastroenteritis fragen sollte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_DAM_Allgemeinm_1709_Weblinks_s23_tab4.jpg" alt="" width="1417" height="446" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Bei der Gastroenteritis handelt es sich um ein sehr inhomogenes Krankheitsbild, welches in unseren Breiten trotz der hohen Morbidität fast immer ohne Therapie ausheilt. Meist liegt eine infektiöse Ursache zugrunde, die derzeit jedoch aufgrund des raschen Verlaufs der Erkrankung oft nicht diagnostiziert wird. In Zukunft werden raschere diagnostische Methoden (PCR-Analyse statt z.B. Bakterienkultur) verfügbar sein, welche möglicherweise zu einem Mehr an Erregerdiagnostik und zu einem besseren Gesamtüberblick über die Erkrankung führen werden.</p></p>
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<p>beim Verfasser</p>
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