Management von Rückenschmerzen
Autor:
Dr. Reinhard Schmidt
Facharzt für Orthopädie und Traumatologie
Facharzt für Unfallchirurgie
Brunn am Gebirge
E-Mail: office@sport-chirurgie.at
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Wirbelsäulenschmerzen zählen zu den häufigsten Beschwerden in der Hausarztpraxis, auch Kinder und Jugendliche sind bereits davon betroffen. Ein richtungsweisendes Kriterium für Diagnostik und Therapie ist die Unterscheidung zwischen einer radikulären und einer nichtradikulären Symptomatik.
Wirbelsäulenschmerzen werden immer mehr zur führenden Zivilisationskrankheit. Laut dem Gesundheitsbericht von Jänner 2024 zählen bei der Bevölkerung ab 15 Jahren chronische Rückenschmerzen (26% der Bevölkerung) und chronische Nackenschmerzen (20%) ex aequo mit Allergien (20%) zu den häufigsten Beschwerden.1 Aber auch bei Kindern und Jugendlichen steigen die Zahlen. So klagen mittlerweile ca. 27% der Schulkinder in Deutschland über wöchentlich auftretende Rückenschmerzen.2
Die Entscheidungsfindung, wann welche Untersuchung durchzuführen und wann welche Therapie sinnvoll ist, bleibt eine Herausforderung. Abbildung 1 soll einen Überblick darüber geben, welche Fragen gestellt werden sollten.
Abb. 1: Überlegungspfad für Therapiefindung
Spezifischer/nichtspezifischer Kreuzschmerz
Die beiden Gruppen spezifischer/nichtspezifischer Kreuzschmerz wurden etabliert und die Leitlinien entsprechend verfasst. Für den spezifischen Kreuzschmerz liegt seit Jänner 2024 eine aktualisierte Version vor.3
Definition „spezifisch“: Der angegebene Kreuzschmerz korrespondiert mit einem morphologischen Korrelat.
Tabelle 1 zeigt die derzeitigen Entitäten, die als spezifische Ursachen detektiert werden können.Interessanterweise wurden in die Liste von 20243 nicht alle 2017 angeführten Ursachen übernommen. Somit sind in Tabelle 1 auch diese zusätzlich genannt sowie andere durchaus spezifische Ursachen, die ebenfalls nicht (mehr) aufscheinen.
Tab. 1: Spezifische Ursachen für Kreuzschmerzen (modifiziert nach den Leitlinien 2024, 2017)3,4 und sonstige mögliche Ursachen
Alle anderen nicht klar zuordenbaren Rückenschmerzen werden in der Gruppe des nichtspezifischen Kreuzschmerzes zusammengefasst. Die Leitlinie für den nichtspezifischen Kreuzschmerz wurde noch nicht aktualisiert und liegt in der Fassung von 2017 vor.4
Warnsignale (Red Flags)
In der Leitlinie für den nichtspezifischen Kreuzschmerz sind mehrere Anhaltspunkte für das wahrscheinliche Vorliegen einer Fraktur, einer Infektion, einer Radikulopathie/Neuropathie, einer Neoplasie und einer axialen Spondyloarthritis angeführt.4
Hingegen wird in der Leitlinie des spezifischen Kreuzschmerzes, worunter all diese Diagnosen gelistet sein sollten, angemerkt, dass diese „nicht den Umgang mit Kreuzschmerzen bei Red Flags im Blick hat, also Diagnostik und Therapie bedrohlicher Erkrankungen zum Gegenstand, denn in der Regel können diese Erkrankungen sicher erkannt werden“.5–7 Die angeführten Publikationen kommen aber zu einem ernüchternden Schluss, Zitate daraus:
-
„Diagnostic performance of most tests (with the exception of a previous history of cancer) is poor.“ (dt.: Die diagnostische Leistung der meisten Tests [mit Ausnahme einer Krebsvorgeschichte] ist schlecht.)
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„No consistent risk factor emerged as predictive of first-time low back pain (LBP).“ (dt.: Kein konsistenter Risikofaktor erwies sich als prädiktiv für das erstmalige Auftreten von Kreuzschmerzen.)
-
„Most red flags are not useful in increasing the likelihood of vertebral fracture when present, nor are they useful in decreasing the likelihood of vertebral fracture when absent.“dt.: Die meisten Red Flags sind weder nützlich, um die Wahrscheinlichkeit eines Wirbelbruchs zu erhöhen, wenn sie vorhanden sind, noch um die Wahrscheinlichkeit eines Wirbelbruchs zu verringern, wenn sie fehlen.)
Insgesamt zeigt die Literatur keine eindeutigen Ergebnisse. Eine deutschsprachige Review-Arbeit von 2009 allerdings führt ein paar Warnsignale an, die doch auf schwerwiegende Krankheitsbilder in der Wirbelsäule hinweisen können8:
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Traumata, manchmal in Kombination mit Osteoporose,
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erstmaliges Auftreten von Rückenschmerzen bei Patienten <20 oder >50 Jahre,
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Malignität in der Krankengeschichte,
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konstitutionelle und konditionelle Symptome wie Fieber, allgemeine Übelkeit und Gewichtsverlust,
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Risikofaktoren für eine Wirbelsäuleninfektion wie intravenöser Drogenmissbrauch, Immunsuppression oder HIV,
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neurologische Zeichen und Symptome wie Cauda-equina-Syndrom und
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nächtliche Schmerzen.
Die Autoren kommen zu folgendem Resümee: „In der Literatur fand sich keine übereinstimmende Formulierung von Red Flags bei Patienten mit LBP. Die Definition von Red Flags ist nicht eindeutig, aber der Hinweis aufernsthafte Krankheiten steht im Mittelpunkt.“ Das Ziel der Warnsignale ist es, den Untersuchenden klinische Kriterien zu geben, um die Entscheidung für eine weiterführende Diagnostik leichter treffen zu können – nämlich Röntgen, MRT, CT und Laborbefunde. Damit kann ein spezifisch„bedrohlicher“ von einem spezifisch „nichtbedrohlichen“ Kreuzschmerz unterschieden werden.
Diagnosestellung und Therapieempfehlungen
Um eine möglichst exakte Diagnose zu erstellen, soll u.a. nach Univ.-Prof. Dr. Hans Tilscher (Wegbereiter der manuellen Medizin in Österreich) eine dreistufige Diagnose überlegt werden:
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1. Topische Diagnose
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2. Aktualitätsdiagnose
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3. Strukturdiagnose
Aus diesen ergeben sich Empfehlungen für die Therapie. Ein richtungsweisendes Kriterium für Diagnostik und auch Therapie ist die Abklärung, ob eine radikuläre oder eine nichtradikuläre Symptomatik vorliegt.
Bei einem radikulären Beschwerdebild liegt typischerweise eine „Defizit-Symptomatik“ vor (Tab. 2). Abzugrenzen sind des Weiteren Beschwerden aufgrund von Pathologien wie Kompressionssyndromen von peripheren Nerven. Erst nach Ausschluss kann von einer pseudoradikulären Symptomatik gesprochen werden.
Tab. 2: Klinische Unterscheidungsmerkmale: radikulär, pseudoradikulär, peripher (nach Schmidt R); KG = Kraftgrad
Bei vermutetem Vorliegen einer Bandscheibenproblematik muss die Diagnostik mittels MRT erfolgen bzw. mittels CT, wenn Ersteres nicht möglich oder verfügbar ist.
Wird eine Bandscheibenproblematik vermutet, muss die Diagnose mittels MRT oder CT abgesichert werden
Für die Entscheidung, ob eine Indikation für eine Operation vorliegt oder nicht, bleibt aber alleine die klinische Einschätzung relevant. Dementsprechend muss in den entsprechenden Dermatomen nach Sensibilitätsverlust und – noch exakter –nach Schmerzverlust gesucht werden. Die motorische Situation soll durch Überprüfung der Kraftgrade der Kennmuskeln erfasst werden. Hierbei ist aber anzumerken, dass die Dermatomzuordnung recht starken individuellen Schwankungen unterliegt. In einer sehr guten Übersichtsarbeit gehen Lee et al. genau darauf ein.9
In den Leitlinien für die Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik von 2021 werden einige Empfehlungen hierzu gegeben.10 So besteht ein recht starker Konsens bezüglich Indikation zur zeitnahen Operation bei Kraftgrad ≤3 bei funktionell bedeutsamen Muskelgruppen. Bei Conus-medullaris-Syndrom (CMS) und bei Cauda-equina-Syndrom (CES) ist eine Operation indiziert. Unter Berücksichtigung der Gegebenheiten („best time – best team“) sollte eine Operation schnellstmöglich erfolgen.
Konservative Therapie
Bei nichtradikulären oder geringen radikulären Symptomen ist die Behandlung von Wirbelsäulenschmerzen die Domäne der konservativen Interventionen. Auch hierzu gibt es rezente Leitlinien, zum Beispiel eine der WHO.11 Da diese Leitlinie international geprägt ist, sind sicherlich Therapiemethoden enthalten, die in Mitteleuropa nicht zum Tragen kommen. Andererseits zeigen auch diese Empfehlungen klar den hohen Stellenwert für „physische Interventionen“ wie manuelle Therapiemethoden und für „psychologische“ Interventionen.
Eine alleinige Infiltration mit lokalen Anästhetika wird in dieser Leitlinie mit „rot“ eingestuft („conditional recommendation against the use of the intervention“; bedingte Empfehlung gegen den Einsatz der Intervention).
Resümee
Zusammenfassend ist und bleibt die Entscheidung, ob unter Kreuzschmerz Leidende einer operativen oder konservativen Therapie zugeführt werden sollen, eine Herausforderung und eine individuelle Entscheidung im Konsens mit den Patienten, die mit einer regelmäßigen Verlaufskontrolle verbunden ist.
Literatur:
https://www.sozialministerium.at/Services/Neuigkeiten-und-Termine/gesundheitsbericht.html; zuletzt aufgerufen am 13. 11. 2024
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1418688/umfrage/schulkinder-mit-woechentlich-auftretenden-rueckenschmerzen-in-deutschland/ ; aufgerufen am 13. 11. 2024
https://register.awmf.org/assets/guidelines/187-059l_S2k_Spezifischer-Kreuzschmerz_2024-08.pdf ; aufgerufen am 13. 11. 2024
https://register.awmf.org/assets/guidelines/nvl-007l_S3_Kreuzschmerz_2017-03-abgelaufen.pdf ; aufgerufen am 13. 11. 2024
Henschke N et al.: Red flags to screen for malignancy in patients with low-back pain. Cochrane Database Syst Rev 2013; 2013(2): CD008686
Taylor JB et al.: Incidence and risk factors for first-time incident low back pain: a systematic review and meta-analysis. Spine J 2014; 14(10): 2299-319
Han CS et al.: Red flags to screen for vertebral fracture in people presenting with low back pain. Cochrane Database Syst Rev 2023; 8(8): CD014461
Arnold P et al.: Red flags bei Patienten mit Schmerzen im Lendenbereich – Literaturstudie (Red flags in patients with low back pain - literature review). Manuelle Therapie 2009; 13(2): 64-72
Lee MWL et al.: An evidence-based approach to human dermatomes. Clin Anat 2008; 21(5): 363-73
https://register.awmf.org/assets/guidelines/033-048l_S2k_Konservative-operative_rehabilitative-Versorgung-Bandscheibenvorfall-radikulae_2021-06_01.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13. 11. 2024
World Health Organization: WHO guideline for non-surgical management of chronic primary low back pain in adults in primary and community care settings. https://www.who.int/publications/i/item/9789240081789 ; zuletzt aufgerufen am 13. 11. 2024
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