
Mangelernährung beim älteren hospitalisierten Patienten
Autoren:
Dr. med. univ. Kris Rafaisz1
Carla Gressies, MSc1
Prof. Dr. med. Philipp Schuetz, MPH1,2
1 Allgemeine Innere und Notfallmedizin
Kantonsspital Aarau
2 Universität Basel
E-Mail: philipp.schuetz@ksa.ch
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Gemäss World Health Organisation (WHO) wird die Mangelernährung in Unterernährung, Übergewicht einschliesslich Adipositas und ernährungsbedingter Krankheiten sowie mikronährstoffbedingte Mangelernährung aufgeteilt.1 Besonders in der älteren polymorbiden Bevölkerung gewinnt die krankheitsassoziierte Mangelernährung an Bedeutung als ein wesentlicher Risikofaktor für erhöhte Mortalität, Morbidität und Rehospitalisationen. Eine zentrale Rolle spielen dabei neben der krankheitsbedingten verminderten Nahrungsaufnahme und -resorption die Immobilität sowie der Katabolismus und die Inflammation.2,3 Es wurden unlängst neue standardisierte Diagnosekriterien (GLIM) vorgeschlagen mit erhöhter Spezifität für die Identifikation und Diagnose einer Mangelernährung beim hospitalisierten Patienten.4,5 Verschiedene Studien konnten belegen, dass eine gezielte und individuelle Ernährungstherapie das klinische Outcome signifikant verbessern kann.6−8 Deshalb sollten bei mangelernährten Patienten Ernährungsziele festgelegt und mit einem multidisziplinären Team gemäss Stufenschema umgesetzt, reevaluiert und angepasst werden. Das zukünftige Ziel einer optimierten und weitergehend personalisierten Ernährungstherapie zur Behandlung der Mangelernährung ist Gegenstand der aktuellen Forschung.2
Keypoints
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Es wird empfohlen, dass alle hospitalisierten Patienten innert 24 bis 48 Stunden nach Spitaleintritt mit einem validierten Screening-Tool auf das Risiko für eine Mangelernährung gescreent werden.
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Die Diagnosestellung der Mangelernährung erfolgt nach auffälligem Screening neuerdings anhand von spezifischen phänotypischen und ätiologischen Kriterien (GLIM-Kriterien).
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Nachdem die Diagnose Mangelernährung gestellt wurde, werden individuelle Ernährungsziele hinsichtlich Flüssigkeits-, Energie-, Protein- und Mikronährstoffbedarf festgelegt.
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Die Ernährungstherapie richtet sich nach den festgelegten Zielen, wird gemäss Stufenschema durchgeführt und in regelmässigen Intervallen reevaluiert und angepasst.
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Die Ernährungstherapie wird in einem multidisziplinären Team aus Ernährungsberatern, Ärzten, Apothekern, Pflegekräften, Logopäden und anderen durchgeführt.
Die Mangelernährung beeinflusst Individuen aller Altersgruppen.2 Ernährung ist ein Grundbedürfnis des Lebens und spielt somit eine wichtige Rolle sowohl in der Gesundheitsförderung als auch in der Vorbeugung von Krankheit. Die Nahrungsaufnahme und ihre Kontrollmechanismen (z.B. Appetit und Sättigung) stellen hochkomplexe physiologische Prozesse dar. Aus vielfältigen Gründen fällt es kranken Personen oftmals schwer, ihren Bedarf an Nahrung und Flüssigkeit zu decken.9
Prävalenz
Die Angaben zur Prävalenz von Malnutrition in der Schweiz variieren zwischen circa 20 und 30% je nach Patientenpopulation.10−12 In einer grossen Kohortenstudie aus der Schweiz im Jahr 2010 wurde über den «Nutritional Risk Score» (NRS 2002) eine Prävalenz von 18,2% ermittelt. Hierbei zeigte sich eine kontinuierlich steigende Prävalenz mit zunehmendem Alter − einem der wichtigsten Risikofaktoren für eine Mangelernährung.12 Eine höhere Prävalenz von 27,8% wurde in einer anderen prospektiven, schweizerischen Kohortenstudie aus dem Jahr 2015 festgestellt, was die Relevanz der Mangelernährung bestärkt.11 In früheren Schätzungen zeigte sich eine weltweite Prävalenz für Malnutrition bei hospitalisierten Patienten zwischen 20 und 50% abhängig von der Studienpopulation und der Erhebungsmethode.13
Definition
Die Definition von Malnutrition hat sich im Verlauf der Zeit geändert,14 gemäss der WHO bezieht sich eine Mangelernährung auf ein Ungleichgewicht, einen Mangel oder einen Überschuss von Energie- oder Nährstoffzufuhr einer Person. Hierbei werden drei Gruppen unterschieden: Unterernährung (z.B. Untergewicht), mikronährstoffassoziierte Mangelernährung (z.B. Eisenmangelanämie, Vitaminmangel) sowie Übergewicht, Adipositas und ernährungsbedingte Krankheiten (Abb. 1).1,2
Pathogenese
Die krankheitsassoziierte Mangelernährung ist ein komplexes und multifaktorielles Syndrom, bei welchem ein Defizit an Proteinen, Energie und Mikronährstoffen zu veränderter Stoffwechsellage und Körperzusammensetzung führt.15
Risikofaktoren können einzeln oder in Kombination auftreten – dazu zählen das Hungern, die Grunderkrankung und Komorbiditäten (z.B. krankheitsassoziierte Entzündungsmechanismen), Multimedikation, eine gestörte Nährstoffaufnahme und/oder -assimilation, Muskelschwäche durch Immobilität, soziale Isolation sowie ein hohes Alter.2,4 Dadurch gewinnt die Mangelernährung im Zuge des demografischen Wandels und bei steigender Anzahl von polymorbiden älteren (>65 Jahre) Patienten zunehmend an Bedeutung.2,10 Ein zentraler und bedeutsamer Risikofaktor, welchem besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, ist die chronische Inflammation. Hierbei kommt es nicht nur zu einem zytokinbedingten Appetitverlust mit verminderter Energie- und Proteinaufnahme, sondern zusätzlich zur Erhöhung des Energieverbrauchs im Ruhezustand und weiter erhöhtem Katabolismus mit Verlust der Muskelmasse.2,4
Bei einer akuten Hospitalisation tritt darüber hinaus oftmals eine weitere Verschlechterung des Ernährungszustands auf. Gründe hierfür sind vielfältig und beinhalten beispielsweise Medikamentennebenwirkungen, Nüchternheit zur Diagnostik, krankheitsbedingt reduzierte Verdauung und Resorption, suboptimales Ernährungsmanagement sowie krankheitsassoziierte Verluste.16 Sogar kurze Hospitalisationen von älteren Erwachsenen können eine klinische Konsequenz wie den Verlust von Muskelmasse haben. Diese katabolen Prozesse halten unter Umständen auch nach Spitalentlassung an, was das klinische Outcome des Patienten längerfristig ungünstig beeinflusst.8 Mehrere randomisierte Studien haben diesbezüglich gezeigt, dass die Mangelernährung eine erhöhte Morbidität, Mortalität, ein erhöhtes Infektionsrisiko, verlängerte Hospitalisationsdauer sowie erhöhte Kosten bedingt.10 Diese Effekte sind unabhängig vom Typ der akuten oder chronischen Erkrankung.17
Im Weiteren beeinflussen Zytokine wie Interleukin 6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor alpha (TNF alpha) zerebrale Schaltkreise, welche die Nahrungsaufnahme kontrollieren, die Magenentleerung verzögern sowie den Skelettmuskel-Metabolismus beeinflussen. Akute und chronische Erkrankungen wirken sich ausserdem auf verschiedene endokrine Systeme aus, was in einem Katabolismus (z.B. erhöhte Cortisolkonzentrationen oder Herunterregulierung von Sexualhormonen) resultiert. Zytokine modulieren zudem die Antwort der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und stimulieren die Freisetzung von Stresshormonen einschliesslich Cortisol und Katecholaminen, welche wiederum den Muskelkatabolismus erhöhen.18,19 Inkretinhormone wie bspw. «glucagon-like peptide 1» (GLP-1) werden direkt vom Darmgewebe sezerniert und beeinflussen ebenfalls die Malnutrition. Es gibt Hinweise bezüglich der Interaktion zwischen inflammatorischen Zytokinen (IL-6 und IL-1 beta) und GLP-1 sowie dessen Analoga, was in einer verminderten Nahrungsaufnahme und ungewolltem Gewichtsverlust resultieren kann.20
Diagnosestellung Mangelernährung
Die «Global Leadership Initiative on Malnutrition» (GLIM) schlägt ein zweistufiges Vorgehen zur Diagnosestellung einer Mangelernährung vor: ein initiales Screeing, um Risikopatienten zu identifizieren, und ein anschliessendes detailliertes Assessment, in welchem ätiologische und phänotypische Kriterien berücksichtigt werden.4
Fachgesellschaften empfehlen, das Screening für Malnutrition im stationären Setting innerhalb von 24−48 Stunden nach Eintritt durchzuführen.21 Ist dieses unauffällig sollte es im Hospitalisationsverlauf regelmässig wiederholt werden, um Risikopatienten rechtzeitig identifizieren zu können. Es gibt verschiedene validierte Screening-Tools, welche in unterschiedlichen Bereichen empfohlen werden. Ihnen gemeinsam ist ihre einfache Anwendung und ein nur minimaler Zeitaufwand – zwei Eigenschaften, die insbesondere im Klinikalltag wichtig sind.2,9 Der NRS2002 beinhaltet die Einschätzung des Ernährungszustands des Patienten (basierend auf Gewichtsverlust, Nahrungsaufnahme, BMI und Allgemeinzustand) und der Krankheitsschwere (Stressmetabolismus). In jeder Risikokategorie sind Punkte von 0 bis 3 möglich, wobei die Patienten einen Extrapunkt erhalten, wenn sie 70 Jahre alt oder älter sind (Abb. 2).17,22
Nach einem auffälligen Screening sollte ein umfassendes Assessment durch eine Ernährungsfachperson stattfinden, welches Folgendes beinhalten kann: Ernährungsanamnese mit verschiedenen Ernährungserhebungsmethoden (z.B. 24-Stunden-Recall),23 physische Untersuchungen (z.B. auf Muskelschwund, Ödeme), anthropometrische Messungen (z.B. Gewicht, Grösse, BMI, Arm- oder Wadenumfang, Hautfaltendicke), funktionelle Tests (z.B. Faustschlusskraftmessung),24 funktionellen Status (z.B. anhand des Barthel-Index),25 Körperzusammensetzung (z.B. bioelektrische Impedanzanalyse [BIA], CT, MRT) sowie Laborwerte (z.B. Hämoglobin, C-reaktives Protein, Albumin, Präalbumin, Kreatinin, Ferritin, Zink, Vitamine, Harnstoff und Elektrolyte).2 Mithilfe des Assessments kann über die GLIM-Kriterien die Diagnose Mangelernährung gestellt werden (Abb. 3).4
Es gibt verschiedene Subgruppen von Mangelernährung (Kachexie, Sarkopenie oder Frailty), die unterschiedliche metabolische Ausprägungen haben. Ihre Definition und Abgrenzbarkeit wird weiterhin diskutiert.2 Kachexie bezieht sich auf einen hyperkatabolen Zustand einhergehend mit einem schweren Gewichtsverlust, der üblicherweise mit Tumorleiden, HIV oder anderen schwerwiegenden Erkrankungen assoziiert ist.26,27 Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Frailty um eine Homöostasestörung als Folge einer akuten Krankheit, welche phänotypisch oftmals mit ungewolltem Gewichtsverlust, Erschöpfung, Muskelschwäche und verminderter physischer Aktivität einhergeht.28
Mangelernährte Patienten haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für einen Mikronährstoffmangel, was zurückzuführen ist auf eine verminderte Aufnahme und/oder einen erhöhten Bedarf. Deshalb wird ein Screening für einen Mikronährstoffmangel von bspw. Eisen, Vitamin B12, Folsäure, Vitamin D empfohlen. Ein erweitertes Screening einschliesslich INR und Quick als indirektes Mass für einen Vitamin-K-Mangel sollte je nach Anamnese, klinischem Erscheinungsbild sowie bei Hinweisen auf eine schwere oder chronische Mangelernährung in Betracht gezogen werden. In Fällen, bei denen ein umfassender Mangel an Vitaminen nachgewiesen werden konnte, besteht zusätzlich ein erhöhtes Risiko für einen Spurenelementmangel.17
Interventionen
Kürzlich durchgeführte randomisierte kontrollierte Studien haben gezeigt, dass Malnutrition durchaus ein beeinflussbarer Risikofaktor ist, wobei eine individuelle Ernährungstherapie positive Effekte auf das Risiko für Komplikationen, Mortalität, funktionelle Outcomes, Rehospitalisierung und Lebensqualität zeigt.17,29 In einer aktuellen Metaanalyse von 2021 mit 7166 Patienten konnte die Effektivität einer Ernährungstherapie hinsichtlich der Reduktion der Mortalität gezeigt werden: Verglichen mit einer Kontrollgruppe ohne Ernährungsintervention hatten Patienten mit einer Ernährungstherapie eine Risikoreduktion von rund 28% (Odds Ratio [OR]: 0,72; 95% CI: 0,57–0,91; p=0,006).30
Dabei war EFFORT (Effect of early nutritional support on Frailty, Functional Outcomes, and Recovery of malnourished medical inpatients Trial) die grösste randomisierte, kontrollierte, multizentrische Studie in der Schweiz mit mehr als 2000 Patienten mit einem Risiko für eine Malnutrition (Nutritional Risk Score ≥3). EFFORT untersuchte den Einfluss einer Ernährungstherapie mit individuellen Zielen bzgl. Energie, Protein und Mikronährstoffen im Vergleich zu der üblichen Ernährung im Krankenhaus. Der primäre kombinierte Endpunkt der Studie waren schwerwiegende Komplikationen, Mortalität, Hospitalisation auf der Intensivpflegestation (IPS), kardiovaskuläre und gastrointestinale Komplikationen, Funktionseinbussen sowie Rehospitalisationen. In dieser Studie war die ernährungstherapeutische Intervention effektiv, um das Risiko für Mortalität um 21% zu senken (OR: 0,79; 95% CI: 0,64−0,97; p=0,023) mit einer «number needed to treat» (NNT) von 37 Patienten.2,31
Ein ähnlich positiver Effekt hinsichtlich des Mortalitätsrisikos war auch in der placebokontrollierten Studie NOURISH («nutrition effect on unplanned readmission and survival in hospitalized patients») in den USA zu sehen mit einer OR von 0,47 (95% CI: 0,25−0,89; p=0,018) und einer NNT von 20 Patienten.2,8 Daneben haben auch verschiedene andere kleinere Studien positive Effekte gezeigt: In einer Studie, welche Patienten mit akuter Herzinsuffizienz untersuchte, konnte eine Ernährungstherapie das Sterberisiko um 72% reduzieren im Vergleich zur Kontrollgruppe.32 In einer Studie mit Pneumoniepatienten reduziert eine Ernährungsintervention das Risiko für Rehospitalisation signifikant.33
Basierend auf diesen Studien können folgende Grundsätze definiert werden. Zu Beginn einer Ernährungstherapie müssen die individuellen Ernährungsziele (Energie, Proteine, Mikronährstoffe, Flüssigkeit) festgelegt werden. Dies wird durch ein umfassendes Assessment erzielt.10 Der Energiebedarf kann mittels indirekter Kalorimetrie (Goldstandard) oder validierter Formeln (z.B. die adaptierte Harris-Benedict-Gleichung) berechnet werden. Im klinischen Alltag sind auch einfache, gewichtbasierte Formeln (z.B. 25−30kcal/kgKG/d) wertvoll, da sie schnell und leicht durchführbar sind. Es konnte gezeigt werden, dass eine Proteinaufnahme von 1,2–1,5g/kgKG/d das klinische Outcome von erwachsenen (≥18 Jahre) Patienten verbessert, weswegen oft diese Menge empfohlen wird. Bei Patienten mit chronischem Nierenversagen und ohne Nierenersatztherapie sind niedrigere Ziele von 0,8g/kgKG/d angezeigt.2 Daneben sind auch Multivitamin- und Multimineralergänzungsmittel wichtige Zusätze, um einen Mikronährstoffmangel zu korrigieren.21
Wenn die Ernährungsziele im Behandlungsteam festgesetzt wurden, sollte ein Therapieplan erstellt werden. Initial kann die orale Aufnahme angepasst werden (z.B. durch ausgewählte vom Patienten präferierte Mahlzeiten, Nahrungsanreicherung, Snacks, orale Nahrungsergänzungsmittel [ONS]). Wenn die Energie- und Proteinziele durch orale Zufuhr nicht erreicht werden können, sollte die Ernährungstherapie stufenweise auf enterale oder parenterale Ernährung eskaliert werden. Regelmässiges Monitoring ist essenziell, um die Ernährungstherapie an die individuellen und wechselnden Bedürfnisse anzupassen (Abb. 4).2
Abb. 4: Nach Festlegung der Ernährungsziele (Energie-, Protein-, Flüssigkeits-, Mikronährstoffbedarf) erfolgt die Ernährungstherapie gemäss Stufenschema einschliesslich Patientenmonitoring, Re-Assessment sowie Evaluation und Anpassung der Therapie
Refeeding-Syndrom
Obwohl die Ernährungstherapie generell als sicher erachtet wird und ein niedriges Risiko für Komplikationen hat, ist dem Refeeding-Syndrom (RFS) besondere Aufmerksamkeit zu schenken.2 Das RFS ist eine potenziell lebensgefährliche Komplikation, welche bei schwer mangelernährten Patienten oder solchen mit zuvor schweren, katabolen Erkrankungen (z.B. Sepsis, diabetische Ketoazidose) durch Beginn einer Ernährungstherapie ausgelöst werden kann und mit laborchemischen Veränderungen (z.B. Veränderung der Serumelektrolyte) und klinischen Symptomen einhergeht.34 Wesentliche Risikofaktoren für eine RFS sind Essstörungen (z.B. Anorexia nervosa), Malabsorption durch bspw. Kurzdarmsyndrom, M. Crohn und Pankreasinsuffizienz, St.n.bariatrischer Operation, Tumorleiden Alkoholabusus, verminderte Nahrungsaufnahme, niedriger BMI, Gewichtsverlust sowie Elektrolytstörungen.35 Hierbei sind Patienten mit Anorexia nervosa eine besondere Subgruppe, da im Rahmen der selbstinduzierten Energierestriktion ein isolierter Hungerzustand mit Gewichtsverlust und Mangelernährung entsteht und sich häufig ohne weitere Komorbiditäten präsentiert.35
Pathophysiologisch steht eine Umstellung des Metabolismus von einem katabolen in einen anabolen Zustand im Hintergrund,36 was mit einem erhöhten intrazellulären Bedarf oder Verbrauch von Elektrolyten (z.B. Kalium, Phosphat, Magnesium) und Vitaminen (z.B. Vitamin B1), erhöhter Insulinausschüttung sowie mit Natriumretention und Flüssigkeitsstörungen einhergeht.34 Hierbei führen erhöhte Insulinspiegel zur Verlagerung von Serumkalium und -phosphat nach intrazellulär.35
Das klinische Erscheinungsbild ist vielfältig und reicht von mild bis lebensgefährlich.36 Im Alltag gehören zu den Hauptsymptomen eines manifesten RFS Tachykardie, Tachypnoe und periphere Ödeme, welche bei hospitalisierten internistischen Patienten auch durch andere Erkrankungen (z.B. Lungenembolie, akute Herzinsuffizienz) hervorgerufen werden können. Laborchemisch zeigt sich im Rahmen eines RFS insbesondere eine Hypokaliämie, Hypophosphatämie, Hypomagnesiämie sowie ein Vitamin-B1-Mangel (Thiamin).34 Letzterer kann mit neurologischen Störungen im Sinne einer Wernicke-Enzephalopathie mit Ophthalmoplegie, Ataxie und Verwirrtheit einhergehen.35
Zur Diagnosestellung eines RFS wird im ersten Schritt eine Elektrolytverschiebung innert 72 Stunden nach Beginn einer Ernährungstherapie detektiert, was entweder eine Phosphatabnahme um >30% vom Ausgangswert, einen Phosphatspiegel von ≤0,6mmol/l oder jegliche Abnahme von zwei Elektrolyten unter die Normgrenze (z.B. Magnesium <0,75mmol/l, Phosphat <0,80mmol/l, Kalium <3,5mmol/l) beinhaltet. Findet sich eine entsprechende Elektrolytveränderung, stellt sich die Frage, ob diese mit klinischen Symptomen assoziiert sind. Bei asymptomatischen Patienten besteht ein bevorstehendes RFS, bei manifester Symptomatik hingegen ein manifestes RFS.34
Die Therapie des RFS richtet sich nach der Diagnose eines bevorstehenden oder manifesten RFS. In beiden Fällen wird eine Etablierung oder ein Ausbau einer Elektrolytsubstitution empfohlen. Bei manifestem RFS mit Symptomen, wie Ödemen, Herzinsuffizienz oder anderen Organstörungen, sollte auf eine Ernährungstherapie mit reduziertem Energiegehalt geachtet werden sowie ein vorsichtiges Flüssigkeitsmanagement erfolgen.34,35
Als präventive Massnahmen sind insbesondere ein langsames Einleiten der Ernährungstherapie sowie tägliche laborchemische Elektrolytkontrollen bei Risikopatienten wichtig, wodurch sich ein Grossteil der RFS-Fälle vermeiden lässt.34
Personalisierte Ernährungstherapie – Biomarker
Die heutige Forschung zeigt, dass eine massgeschneiderte Ernährung die Effektivität der Ernährungsintervention verbessern kann. Dieses Konzept der personalisierten Ernährung basiert auf der Beobachtung, dass nicht alle Patienten gleich auf eine Ernährungsintervention reagieren. Ob ein Patient von einer Ernährungstherapie profitieren könnte, hängt vermutlich von krankheitsspezifischen Faktoren (z.B. Komorbiditäten, Inflammation und akuter vs. chronischen Verlauf) oder patientenspezifischen Faktoren (z.B. Alter, genetische Vulnerabilität) ab. Biomarker und Schlüsselprädiktoren dieser Faktoren könnten ein personalisiertes Vorgehen in der Therapie der Mangelernährung fördern.2,37 Im Folgenden werden einige potenzielle Biomarker genannt.
Unterschiedliche Faktoren wie eine systemische Inflammation, vorangehende verminderte Nahrungsaufnahme sowie Muskelkatabolismus beeinflussen das Ansprechen auf eine Ernährungstherapie. Im Rahmen einer Sekundäranalyse der Daten aus EFFORT konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit hohen CRP-Spiegeln (>100mg/l) die protektiven Effekte einer Ernährungstherapie in Bezug auf Mortalität verloren gehen im Vergleich zu Patienten mit CRP-Spiegeln <100mg/l.38
Auch das Mangelernährungsrisiko basierend auf dem NRS hat eine starke prognostische Aussagekraft, aber mit nur geringer Unterscheidung bezüglich Therapieansprechen.17 Spezifische Biomarker für Mangelernährung werden nicht routinemässig zur Beurteilung des Therapieansprechens in Betracht gezogen.2
Die Serumkonzentrationen von Albumin und Präalbumin nehmen bei bestehender Inflammation ab, ungeachtet des Ernährungszustands des Patienten.39 Somit können Albumin und Präalbumin als Inflammations- und Krankheitsmarker angesehen werden, dienen aber weniger der Beurteilung des Therapieansprechens bei Ernährungssupport. Eine Normalisierung der Albumin- oder Präalbuminspiegel kann sowohl die Remission einer Entzündung als auch die Reduktion eines Ernährungsrisikos resp. den Übergang in einen anabolen Metabolismus bedeuten.39
Abb. 5: Die Ernährungstherapie soll in einem multidisziplinären Team festgelegt und umgesetzt werden
Zukunft
Die optimale Verwendung der individualisierten Ernährungstherapie, um eine Malnutrition effektiv zu verhindern oder zu therapieren, ist komplex und umfasst einen grossen Bereich in der aktuellen Forschung. Hierbei wäre zukünftig eine personalisierte Therapie mit Einbezug von krankheits- und patientenspezifischen Faktoren denkbar.2 Da im Rahmen einer Sekundäranalyse von EFFORT bereits aufgezeigt werden konnte, dass bei Patienten mit hohen Inflammationsmarkern die protektiven Effekte einer Ernährungstherapie bezüglich der Mortalität verloren gehen, wären Studien mit Ernährungsinterventionen stratifiziert nach dem Inflammationsstatus der Patienten möglich und spannend.38
Obschon Biomarker wie Albumin existieren, um ein Ernährungsrisiko festzustellen, fehlen uns bislang valide Biomarker, welche eine Mangelernährung objektivieren und eine Beurteilung des Verlaufs erlauben.39 Ein spezifischer Biomarker könnte nicht nur die Diagnosestellung einer Mangelernährung verändern, sondern ggf. auch die Therapieindikation und -kontrolle verbessern.
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