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Universimed 2020
Ursachen und Behandlung von Bettnässen
DAM
30
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20.09.2018
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<p class="article-intro">In Österreich leiden mindestens 60 000 Kinder unter dem Problem Bettnässen, es ist somit die zweithäufigste chronische Erkrankung im Kindesalter. Doch nicht einmal ein Drittel aller Betroffenen wird adäquat therapiert. Seelische Störungen sind viel zu oft die Folge.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Was versteht man unter Enuresis und wie hoch ist ihre Prävalenz?</strong><br /> <strong>E.R. Huber:</strong> Unter Bettnässen bzw. Enuresis versteht man das Einnässen im Schlaf in mindestens zwei Nächten im Monat nach dem 5. Lebensjahr. Mehr als die Hälfte der betroffenen Kinder zeigt auch Tagessymptome, die jedoch von den Eltern meistens unbemerkt bleiben.<br /> Bettnässen kommt relativ häufig vor, genaue Zahlen gibt es dazu allerdings nicht. Man geht davon aus, dass etwa 20 % der Kinder zwischen 5 und 15 Jahren gelegentlich einnässen, zu Schulbeginn immerhin noch 7–10 % . Mit zunehmendem Alter sinkt die Prävalenz weiter und bei gesunden Erwachsenen findet man die echte Enuresis sehr selten (weniger als 1 % ).<sup>1</sup></p> <p><strong>Welches sind Ihrer Erfahrung zufolge die häufigsten Ursachen für das Einnässen?</strong><br /> <strong>E.R. Huber:</strong> Man unterscheidet zwischen primärer und sekundärer Enuresis, bei der es nach einer bereits mehrere Monate dauernden, trockenen Phase zu erneutem nächtlichem Einnässen kommt. Die primäre Enuresis macht allerdings 80 % des kindlichen Einnässens aus. Der häufigste Grund dafür ist eine zu geringe Blasenkapazität. Diese sollte bei Kindern bei 30ml multipliziert mit dem Lebensalter plus 30ml liegen. Bei einem 6-jährigen Kind sollten somit 210ml in die Blase passen. Bei einem Kind, das bettnässt, liegt die durchschnittliche Kapazität bei etwa 100/110ml. Das ist typisch für eine Unreife des Miktionsreflexes bzw. -zentrums im Gehirn. Wird in der Nacht mehr als ein Drittel, bei Kindern mehr als 22 % , des 24h-Harns produziert, spricht man von nächtlicher Polyurie. Diese kann durch einen Mangel an antidiuretischem Hormon (ADH) ausgelöst oder die Folge eines falschen Trinkverhaltens sein. Bei Erwachsenen ist die Enuresis häufig mit einer Nykturie vergesellschaftet, und es kommt nur dann zum Einnässen, wenn die Betroffenen tief schlafen.</p> <p><strong>Weshalb kommt es überhaupt zum Einnässen?</strong><br /> <strong>E.R. Huber:</strong> Normal wird in der Nacht gerade so viel Harn produziert, wie noch in die Blase passt. Beim Erwachsenen sind dies 300–400ml, bei Kindern ist die Menge abhängig vom Alter. Erwachsene wachen für gewöhnlich auf, wenn die Blasenkapazität erreicht ist (Nykturie). Schlafmittel, Alkohol oder bestimmte Erkrankungen können der Grund für nächtliches Einnässen sein. Kinder haben einen tieferen Schlaf als Erwachsene, weshalb sie auch nicht aufwachen, wenn die Blasenkapazität ausgereizt ist; deshalb kommt es häufiger zum Einnässen.</p> <p><strong>Welche Therapiemöglichkeiten würden Sie empfehlen?</strong><br /> <strong>E.R. Huber:</strong> Wenn jede Nacht das Bett nass ist, ist das natürlich auch eine Belastung für die ganze Familie. Deshalb rate ich zunächst zu einem Aufklärungsgespräch mit den Eltern, in dem man sie informiert und beruhigt. Ich empfehle dann immer die Anfertigung eines Blasentagebuchs (Abb. 1). Dieses erweist sich für die Diagnose als sehr hilfreich. Dabei wird über 2–3 Tage notiert, wann, wie viel und was getrunken und wann welche Menge uriniert wird. In der Nacht wird das Kind zweimal (nach 2h und nach 6h) geweckt, um zu urinieren. Die Menge wird wieder aufgezeichnet. Falls das Kind in der Nacht eingenässt hat, wird das Windelgewicht (trocken/nass) ebenfalls notiert.<br /> Handelt es sich um eine Unreife des Miktionsreflexes bzw. -zentrums im Gehirn, wird das bei allen Kindern von alleine gut. Es hilft außerdem, die Trinkmengen am Abend zu reduzieren. Trinken wird zwar immer noch als äußerst positiv wahrgenommen, zu trinken, auch wenn man keinen Durst hat, ist allerdings nur bei einem Teil der Bevölkerung sinnvoll, etwa bei alten Menschen, die ein gestörtes Durstempfinden haben. Ein ADH-Mangel ist zwar die am wenigsten häufige Ursache, aber Desmopressin ist das am häufigsten verschriebene Medikament bei Enuresis. Bei der nächtlichen Polyurie, insbesondere bei hohen abendlichen Trinkmengen, sind diese Medikamente jedoch kontraindiziert und sogar gefährlich. Es könnte sogar zu einem Lungenödem kommen. Bei geringer Blasenkapazität können Anticholinergika eine Verbesserung bringen. Insbesondere bringen alle Medikamente zur Therapie der Enuresis keine Heilung, sondern unterdrücken nur die Symptome.<br /> Trinken die Kinder noch viel (200– 500ml) nach 18 Uhr, ist also ein Trinkfehlverhalten die Ursache des Einnässens, dann ist die Gabe von Medikamenten immer kontraindiziert. Die Leitlinien empfehlen außerdem auch noch eine Alarmtherapie, die sogenannte Klingelhose. Diese führt zu einer Konditionierung, sodass die Kinder rechtzeitig aufwachen. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass sie dem widerspricht, was man erreichen will, nämlich ein Durchschlafen mit ausreichender Blasenkapazität und funktionierender Konzentrierung des Harns in der Nacht.<br /> Treten bei Kindern wiederkehrende Infekte auf, sollten sie beim Kinderurologen vorstellig werden.</p> <p><strong><em>Vielen Dank für das Gespräch!</em></strong></p> <p> </p> <p><strong><em><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_DAM_Allgemeinm_1807_Weblinks_blasentagebuch.jpg" alt="" width="2000" height="1178" /></em></strong></p></p>
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<p><strong>1</strong> Ordensklinikum Linz: Enuresis, www.ordensklinikum.at, letzter Zugriff: 29. August 2018</p>
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