
Was ist der Stellenwert von Albumin, Präalbumin und anderen Ernährungs-Biomarkern im Blut?
Autor:
Prof. Dr. med. Peter E. Ballmer
Präsident GESKES-SSNC, Winterthur
Chefarzt ad interim Klinik für Innere Medizin
Spital Bülach AG
Spitalstrasse 24, 8180 Bülach
E-Mail: peter.ballmer@hispeed.ch
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Albumin, Präalbumin (PA, Transthyretin) und Retinol-bindendes Protein (RBP) sind Serumproteine, die immer wieder in der Literatur als sog. «Ernährungsmarker» zur Diagnostik des Ernährungszustands erwähnt wurden und immer noch erwähnt werden. Im Folgenden liegt der Fokus dieses Beitrags auf dem Serumalbumin, da dieses am häufigsten als sog. «Nutritional Marker» in der Fachliteratur erscheint.
Keypoints
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Serumalbumin (SA), Präalbumin und Retinol-bindendes Protein sind keine Ernährungsmarker, auch wenn sie in der Literatur immer wieder als solche bezeichnet wurden resp. werden.
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Das SA ist vielmehr ein Krankheitsmarker.
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Das SA ist prädiktiv für das Outcome des Patienten.
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Mangelernährung (PEM) ist eine klinische Entität und kann nicht mittels SA-Bestimmung diagnostiziert werden.
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PEM sollte mit Screening-Scores identifiziert und mithilfe der GLIM-Kriterien verifiziert werden.
Protein-Energie-Mangelernährung (PEM) ist eine klinische Entität, die sich auf verschiedene Parameter abstützt. Einerseits werden der ungewollte Gewichtsverlust, der Body-Mass-Index (BMI) und die Nahrungszufuhr beurteilt, anderseits die Schwere der Erkrankung. Im klinischen Bereich hat sich dazu vor allem das sog. «Nutrition Risk Screening» (NRS) bewährt.1 Im ambulanten Bereich kommen andere Scores, wie das «Mini Nutritional Assessment» (MNI) und das «Subjective Global Assessment» (SGA) zur Anwendung.2,3
Die Frage stellt sich nun, ob Serumproteine und allenfalls weitere Laborparameter als Diagnostikum für eine PEM hilfreich und zuverlässig sind. Diese Frage soll im Folgenden erörtert werden.
Albumin
Abb. 1: Die «Reise» von Albumin (E: Zufuhr von Protein durch Ernährung; S: Lebersynthese; SA: Serumalbumin; TER: «transcapillary escape rate»; D: Degradation)
Dieses Protein wird in der Leber synthetisiert und sowohl in der Niere als auch im Endothelium degradiert. Das Molekulargewicht beträgt 60000 Dalton und die biologische Halbwertszeit rund 3 Wochen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die sogenannte «transcapillary escape rate», ein Phänomen, das besagt, dass bei jeglicher Akut-Phase-Reaktion innerhalb weniger Stunden das Serumalbumin (SA) aus dem Gefässsystem in das Interstitium transportiert wird (Abb. 1).4
Schon aufgrund dieses Mechanismus scheint es unwahrscheinlich, dass das SA ein Ernährungsmarker sein kann. Vielmehr ist Albumin ein sog. «disease marker», was vor vielen Jahren schon von Philips et al. gezeigt wurde.5 Diese Autoren haben den Zusammenhang zwischen der SA-Konzentration bei Eintritt ins Krankenhaus und der Mortalität untersucht und fanden dabei Folgendes: Während die Mortalität bei einem SA-Wert von 40g/l 23/1000 Patienten pro Jahr betrug, lag sie bei einem von SA 48g/l lediglich bei 4/1000/Jahr. Eine vergleichbare Korrelation konnten sie bei verschiedenen Erkrankungen, im Speziellen bei Krebserkrankungen, feststellen. Die Korrelationen waren dabei unabhängig vom Alter, der sozialen Klasse, dem Raucherstatus, dem Blutdruck und dem FEV1.5
Klinische Kasuistik
Ein 49-jähriger Patient litt seit drei Jahren an einer schweren Depression und hatte sich beinahe «zu Tode» gefastet. Er war 1,73m gross und wog 51kg (BMI 17kg/m2). Sein SA betrug 42g/l und seine INR 1,44 (Quick 49%), dies, obwohl er schwer mangelernährt war. Auch dieses Beispiel zeigt, dass das SA nicht mit dem Ernährungsstatus korrelieren muss und deshalb kaum ein Ernährungsmarker ist.
Datenlage
Sergi et al. haben bei einem Patientenkollektiv (n=44; Alter zwischen 66 und 97 Jahren; BMI <20kg/m2) und einer Vergleichsgruppe (n=69; Alter zwischen 62 und 98 Jahren; normalgewichtig oder übergewichtig) die drei Biomarker SA, PA und RBP im Blut untersucht.6 Ausgeschlossen wurden u.a. Patienten mit akuter Erkrankung bzw. einer Entzündungsreaktion. Dabei fanden die Autoren zwar eine signifikante Korrelation zwischen den drei Biomarkern und der fettfreien Masse – je niedriger die fettfreie Masse war, desto niedriger waren die Serumkonzentrationen der Biomarker –, was dafür sprechen könnte, dass diese doch einen Bezug zur PEM haben. Die Aussagekraft der Studie ist jedoch beschränkt, da das Patientenkollektiv sehr klein war, nur ältere Patienten untersucht wurden, die Diagnose PEM lediglich anhand des BMI gestellt wurde und viele Patienten ausgeschlossen wurden.
Dagegen haben Lee et al. in einer neueren Studie ganz andere Resultate gefunden.7 Sie haben gesunde Probanden untersucht, die ihre Nahrungszufuhr massiv eingeschränkt haben, sei dies aufgrund eines schwierigen Zugangs zur Ernährung oder fehlenden Willens zu essen wegen Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, Hungerstreik u.a. Untersucht wurden die Konzentrationen von SA und PA. Dabei fanden die Autoren keinerlei Korrelation zwischen SA, PA und dem BMI. Ihre Schlussfolgerung: SA und PA sind keine Marker für den Ernährungszustand, und schwere PEM/extremes Fasten/Hungern wurden in der Studie durch Bestimmung der Biomarker nicht identifiziert.
Auch unsere eigenen Beobachtungen haben gezeigt, dass im Hungerstoffwechsel bei Gesunden, resp. Menschen mit Anorexia nervosa das gemessene SA im Blut immer hochnormal war. Und wir konnten die fehlende Korrelation zwischen dem SA und dem Ernährungsstatus in einer Studie bestätigen.8 Untersucht haben wir 102 Patienten im Alter von 62,5±19,5 Jahren, wovon nach klinischen Kriterien 28% unterernährt und 72% gut ernährt waren. 19(76%) der 25 Patienten mit Unterernährung wiesen ein SA von 30,5±6,5g/l auf und 44 der 59 gut ernährten Patienten eines von 32,0± 5,8g/l (p=0,093). Signifikant unterschiedlich war dagegen die Dauer der Hospitalisation, welche bei Unterernährten 3 Tage länger war (p=0,009).
Gariballa et al. konnten in einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Untersuchung mit 445 Patienten (Alter 70–81 Jahre), die ein Trinksupplement erhielten, keinen Unterschied in Bezug auf Körpergewicht, BMI, Mittelarmzirkumferenz und Triceps-Hautfaltenmessung finden.9 Hingegen wurde wiederum ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer akuten Entzündung (gemessen mit dem C-reaktiven Protein [CRP]) und dem Überleben gefunden: Je höher die CRP-Konzentration im Blut war, desto niedriger war die Wahrscheinlichkeit, zu überleben.
Auch bei spezifischen Erkrankungen, beispielsweise bei Patienten mit Leberzirrhose, konnte kein Zusammenhang zwischen Mangelernährung und dem SA gefunden werden. So haben Piquet et al. bei Patienten mit Leberzirrhose als Marker der Unterernährung die MAMC («mid-arm-muscle-circumference», ein Mass für die Proteinmasse des Körpers [«lean body mass»]) in Bezug zum SA gemessen.10 Die Schlussfolgerung der Autoren: «… we are convinced that the use of albumin in nutritional indexes is NOT relevant in patients with cirrhosis …».
Fazit
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Leider werden SA und PA immer noch als Marker des Ernährungszustands angewendet, obwohl diese Biomarker während des Fastens (hoch)normal bleiben, jedoch bei akuten Entzündungszuständen niedrig sind.
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Es gibt keine Evidenz für den Beginn von Ernährungsinterventionen, wenn diese Biomarker niedrig sind. Für diese Indikation braucht es die klinische Diagnose einer Mangelernährung (PEM), welche heute nach den «GLIM-Kriterien» gestellt wird (Tab. 1),11–13 nachdem ein Screening mit dem NRS/MNI/SGA durchgeführt wurde, gefolgt von einem standardisierten Assessment durch eine qualifizierte Ernährungsberaterin/-therapeutin.
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Das SA und andere Biomarker sind keine Ernährungsmarker.
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Das SA ist ein «disease marker».
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Das SA ist für das Outcome des Patienten prädiktiv (und könnte deshalb bei Spitaleintritt orientierend gemessen werden).
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PEM ist eine klinische Entität und sollte primär mit Screening-Scores identifiziert und danach entsprechend den GLIM-Kriterien verifiziert werden.
Tab. 1: Die wichtigsten Kriterien der Global Leadership Initiative on Malnutrition (GLIM) für die Diagnose einer Mangelernährung
Nicht erwähnt wurde bisher, dass die Verabreichung von Albumininfusionen nur in ganz speziellen Situationen angezeigt ist14 und dass generell niedrige SA-Konzentration nicht mit Albumin-Infusionen korrigiert werden dürfen, da die Sterblichkeit dadurch sogar steigen kann.15,16
Literatur:
1 Kondrup J et al.: Clin Nutr 2003; 22: 415-21 2 Vellas B et al.: Nutrition 1999; 15: 116-22 3 Makhija S, Baker J: Nutr Clin Pract 2008; 23: 405-9 4 Fleck A et al.: Lancet 1985; 1: 781-4 5 Philips A et al.: Lancet 1989; 2: 1434-6 6 Sergi G et al.: 2006; 60: 203-9 7 Lee JL et al.: Am J Med 2015; 128: 1023.e1-22 8 Gehring N et al.: Swiss Med Wkly 2006; 136: 664-9 9 Gariballa S, Foster S: Nutrition 2006: 22: 750-7 10 Piquet MA et al.: Nutrition 2006; 22: 216-7 11 Cederholm T et al.: Clin Nutr 2019; 38: 1-9 12 Marcason W: J Acad Nutr Diet 2015; 115; 1744 13 White JV et al.: J Acad Nutr Diet 2012; 112: 730-8 14 Mayerhöfer T et al.: Med Klin Intensivmed Notfmed 2021; 116: 655-64 15 Offringa M: BMJ 1998; 317: 223-4 16 Khafaji A, Web AR: TATM 2003; 5: 392-6
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