Aus der Praxis, für die Praxis
Bericht:
Dr. med. Lydia Unger-Hunt
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Die Arbeit wird oft im Hintergrund und entsprechend ohne öffentlichen Dank gemacht, dennoch ist politisches Lobbying speziell in der Schweiz unerlässlich: Parlamentarier:innen sind auf Informationen aus der Medizin angewiesen, und nur in der direkten, andauernden Kommunikation lassen sich Vorgaben rechtzeitig einbringen oder auch abwenden.
Mit einem kurzen Rückblick auf das standespolitische Engagement leitet der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV), Dr. med. Michael L. Geiges von der Dermatologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich, niedergelassener Dermatologe in Kloten und seit September 2023 Präsident der SGDV, seinen Vortrag ein. Zu erwähnen war zunächst die jahrelange«im Hintergrund laufende» Zusammenarbeit mit der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) bezüglich Tarifen, Fort- und Weiterbildung. Seit 2017/18 verfolgt die SGDV zusätzlich eine eigene politische Strategie, was mit professioneller Öffentlichkeitsarbeit (Patient:innen, Medien, Politik) sowie Lobbying in Bern und Unterstützung kantonaler Gesellschaften einhergeht.
Prävention: nicht nur medizinisch, sondern auch politisch sinnvoll
Politisch hat sich eine frühere Annahme von Dr. Geiges konkretisiert: «Ich war der Meinung, der Öffentlichkeit Sachverhalte zu erklären und sie aufzurütteln führt zu Folgen in der Politik. Aber in Wahrheit läuft es umgekehrt: Das meiste wird eigentlich in Bern entschieden, und erst im Laufe der Zeit kommen dann gewisse Themen an die Öffentlichkeit.» Es sei daher wichtig für die Kommission für Politik und Kommunikation der SGDV, frühzeitig im Parlament Lobbying zu betreiben, um damit die eigenen Anliegen zu formulieren und einzubringen. Denn «die Parlamentarier:innen sind durchaus bereit, Dermatolog:innen zu unterstützen». Umgekehrt gilt: Sind neue Richtlinien oder Verordnungen bereits erlassen (wie etwa Aufbereitung von Instrumenten, Tarifeingriffe, ambulante Pauschalen, Zulassungsbeschränkungen, Budget, Qualitätskontrollen), gibt es «kaum eine Chance, noch etwas zu verändern. Wie auch in der Medizin gilt: Ein frühzeitiges Verhindern ist das beste Vorgehen.» Ebenfalls von grosser Bedeutung für die SGDV ist die Botschaft, dass Dermatolog:innen nicht Spezialist:innen, sondern «Grundversorger:innen für die Haut» sind, das sei politisch und finanziell «ein Riesenunterschied und muss bei jedem Wechsel der Parlamentarier wieder von Neuem erklärt werden», so Dr. Geiges.
Die sogenannte Kostenexplosion ist keine
Nächster Punkt ist die sogenannte «Kostenexplosion», die sich die Schweiz «nicht leisten kann». Tatsächlich müssen Kosten gedämpft werden, so Dr. Geiges. Eine Explosion liegt allerdings nicht wirklich vor, wie der Experte anhand von zwei Grafiken derselben Zahlen der Krankenkassenprämien illustriert:
«Links sind die Krankenkassenprämien um 15% gestiegen, aber der Lohn nur um 2–3%, das sieht natürlich dramatisch aus.» In der rechten Darstellung ist allerdings zu erkennen, dass die Krankenkassenprämien um 300 Franken, der Lohn aber um 1100 Franken gestiegen ist – das ergibt ein ganz anderes Bild. Die Beurteilung von Dr. Geiges: «Die Schweiz ist top in der Medizin, wir haben die höchste Patientenzufriedenheit und die niedrigste Sterblichkeitsrate.» Zudem ist das System nicht so teuer, wie behauptet wird: Nachbarländer wie Deutschland, Frankreich oder Österreich geben prozentual zum Bruttoinlandsprodukt mehr aus, zusätzlich ist das Kostenwachstum seit Jahrzehnten rückläufig – «also das Gegenteil einer Kostenexplosion» – und man müsse auch den Mut haben, das zu sagen, betont der Dermatologe. Derzeit sollte vor allem «konstruktiv» am System geschraubt werden, aktuell etwa bezüglich Kostendämpfungspaket II, einheitlicher Finanzierung (EFAS), Zulassungsbeschränkungen und Tarifdiskussion.
TARDOC und das ambulante Pauschalensystem
Die Tarifdiskussion beziehungsweise «Ambulante Tarifrevision: TARDOC und ambulantes Pauschalensystem» sind die Themen von Dr. med. Bettina Schlagenhauff, Dermatologin in der Dermacenter AG in Küssnacht am Rigi. Der Zusammenschluss der bisher für TARDOC und ambulante Pauschalen verantwortlichen Tarifgesellschaften «Arzttarif Schweiz» (ats-tms AG) und «solutions tarifaires suisses» (sts AG) erfolgte offiziell im November 2022. Seit Januar 2024 arbeiten die Tarifpartner in der «Organisation Ambulante Arzttarife» (OAAT) zusammen.
Zum TARDOC: Seit 2015 wurde am neuen Tarif schon gearbeitet, 2019 lag auch bereits ein erster Entwurf von FMH und curafutura vor. In der Folge gab es mehrere jeweils intern gutgeheissene Versionen; 2023 schliesslich war der TARDOC «materiell genehmigungsfähig», am 1.Dezember 2023 erfolgte dann durch curafutura und FMH das Genehmigungsgesuch. «FMH, curafutura und SWICA haben allerdingsdas Genehmigungsgesuch für ambulante Pauschalen nicht unterzeichnet, sondern nur das übergeordnete Schreiben, wonach sich beide Gruppen anerkennen», berichtet Dr. Schlagenhauff. Dem Bundesrat liegt damit kein geeintes Genehmigungsgesuch vor, seit 2024 wird daran gearbeitet, dass beide Tarife konform verbessert werden.
Abb. 1: Faktenblatt mit politischer Agenda: Darstellungen des BAG (links) und der NZZ (rechts), Bundesamt für Gesundheit (modifiziert)
Am 19. Juni 2024 kam der bundesrätliche Entscheidzur Teilgenehmigung beider Tarifstrukturen, «d.h. der zeitgleichen Einführung von TARDOC und ambulanten Pauschalen per 1. Januar 2026»: Der TARDOC muss mit der Pauschaltarifstruktur abgestimmt und koordiniert werden, der gemeinsame Vertrag muss von der OAAT spätestens am 1. November 2024 eingereicht werden, was seitens OAAT als «ambitiös, aber machbar» eingestuft werde, berichtet Dr. Schlagenhauff. Für die koordinierte und gleichzeitige Einführung der beiden Tarifstrukturen müssen die Tarifpartner einen Tarifvertrag mit Koordinationsregeln einreichen. «Gibt es keine Einigung, erfolgt die subsidiäre Festlegung der Koordinationsregeln und Anwendungsmodalitäten durch den Bundesrat.»
Die SGDV agierte von Anfang an mit Vernehmlassungen und Stellungnahmen an die Tariforganisationen bezüglich der Tarifstruktur «ambulante Pauschalen», welche von den Dermatologen und vielen weiteren Fachgesellschaften als nicht sachgerecht und praxistauglich eingestuft werden. Abzuwarten gilt nun der weitere Entscheid des Bundesrats im November. Die SGDV wird sich weiterhin für einen sachgerechten und praxistauglichen ambulanten Tarif einsetzen und regelmässig Informationen hierzu liefern. Aktuelles zum Stand der Tarifentwicklungen kann man jederzeit auf www.derma.ch erfahren.
Interessenvertretung SGDV: das Fenster nach Bern aufstossen
Politische Arbeit ist speziell in der Schweiz mit ihrem Milizparlament eigentlich «Pflichtaufgabe», und der persönliche Kontakt mit Parlamentarier:innen ist für die Interessenvertretung der SGDV unerlässlich, da «Parlamentarier:innen mitunter nicht das erforderliche Fachwissen haben, um unsere Forderungen zu verstehen. Sie sind darauf angewiesen, dass aus den Branchen der entsprechende Input kommt, welche Regulierung zielführend ist und auf welche man verzichten kann», erklärt Bettina Mutter von der Mutter & Partner Consulting AG, welche die Kommission «Politik und Kommunikation» der SGDV unterstützt.
Mittels eines kurzen Überblicks über die Schweizer Gesundheitskommissionen in Nationalrat (SGK-N) und Ständerat (SGK-S) gibt Bettina Mutter einen Einblick in die praktische Arbeit der Gruppe: «Derzeit hat keine Partei eine absolute Mehrheit. Wenn wir Vorschläge aufnehmen oder ablehnen möchten, müssen wir also eine Mehrheit bilden, die sich aus Links + Mitte oder Rechts + Mitte zusammensetzt. Das bedeutet, dass wir immer die sogenannten ‹Swing States› ausfindig machen, also diejenigen Mitglieder, die sich noch keine Meinung gebildet haben.»
Gegen giftige Massnahmen und heisse Kartoffeln
Die Mitte etwa hat scharfe Sparvorschläge eingebracht: beispielsweise das Modell «Apotheker:in vor Ärzt:in», das verhindern soll, dass Ärzt:innen «Kosten verursachen», oder auch die «recht giftige» Massnahme, den Bundesrat mit Kompetenzen zur regelmässigen Überprüfung «und damit auch Senkung» der ambulanten Tarife auszustatten. «Wir werden natürlich präsent sein, wenn diese Vorschläge diskutiert werden», erklärt Bettina Mutter.
Was durch die intensiven Gespräche erreicht werden kann, erläutert die Expertin am Beispiel der «Telemedizin durch ausländische Ärzte in der Schweiz»: Nach mehreren Treffen mit Nationalrätin (und Kinderchirurgin) Dr. med. Bettina Balmer von der FDP wurde ein Vorstoss konzipiert und eingereicht, in dem Fragen an den Bundesrat formuliert waren, etwa zur Sicherung der Qualität und Einhaltung Schweizer Standards und zur fehlenden Schweizer Berufsausübungsbewilligung ausländischer Ärzt:innen. «Der Bundesrat hat hier klar bestätigt, dass auch diese Anbieter eine Berufsausübungsbewilligung benötigen und hier daher ein Vollzugsnotstand besteht.» Aktuell wird dazu ein umfassender Vorstoss ausgearbeitet.
Ein weiterer Vorstossbetrifft die Kostenkontrolle bei der Einführung der neuen ambulanten Tarifstrukturen: «Der Bundesrat soll aus den Einzelleistungstarifen alle Leistungstarife herausbrechen, die gegebenenfalls missbräuchlich kombiniert werden, und sie in eine Pauschale packen. Dermatolog:innen sollen aufmerksam sein, damit sie hier nicht fälschlicherweise unter Druck geraten», so Bettina Mutter. Die Position der SGDV ist hier klar: Die Kombination von Einzelleistungstarifen muss möglich bleiben.
Um Dermatolog:innen in Bern und in den Kantonen optimal vertreten zu können, «sind wir auf aktive Mithilfe angewiesen», so Politikkennerin Mutter abschliessend: «Politik ist zuweilen ein Labyrinth. Es ist hilfreich, die Ein- und Ausgänge zu kennen.»
Quelle:
Symposium «Aus der Praxis, Standespolitisches», Zürcher Dermatologische Fortbildungstage (ZDFT) 2024, 20.–22. Juni, Zürich
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