Tierbisse bei Reisenden in tropischen und subtropischen Ländern
Bericht:
Dr.med. Lydia Unger-Hunt
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Brehms Tierleben einmal anders: wieso Spinnenbisse nicht so häufig sind wie angenommen, wie Feuerameisen ihren doppelzangigen Angriff führen und warum einfach der gesunde Menschenverstand vor Affenbissen schützen kann.
Zunächst zu den Insekten, genauer gesagt solchen der Ordnung Hymenoptera, wovon weltweit mehr als 150000 verschiedene Gattungen bekannt sind, berichtete Dr.med. Andreas Montag, Hamburg, der als niedergelassener Dermatologe seit vielen Jahren auch immer wieder in den Tropen arbeitet. Weniger als ein Prozent der Hymenoptera sind für Stiche von Menschen verantwortlich, als medizinisch relevant gelten Wespen, Bienen, Hummeln und Ameisen. Die Stiche dieser Insekten imponieren als umschriebene, juckende und/oder brennende rötliche, manchmal glänzende oder zu Blasen führende Hautveränderungen. Übrigens stechen nur die weiblichen Bienen, Wespen und Hummeln, bei denen der ursprüngliche Ovipositor für die Eiablage in der Evolution zu einem Werkzeug zum Stechen und für die Giftfreisetzung umgewandelt wurde.
Von der Honig- zur Kamikaze-Biene
Während des Angriffes wird der mit einem Widerhaken versehene Stachel herausgerissen, was den Tod des Insektes zur Folge hat. Das weiss zum Beispiel die heimische Honigbiene, die «deswegen nur in absoluten Notfällen zusticht», so Montag. Die Ostafrikanische Honigbiene, heimisch in Kenia, Tansania und Südafrika, hat diesbezüglich eine völlig andere Einstellung: Sie sticht immer und in jedem Fall und kann daher laut dem Experten legitim als Kamikaze-Biene bezeichnet werden. Die allergologisch wichtigsten drei Komponenten des Bienengifts sind Melittin, Phospholipase A2 und Hyaluronidase. Neben den gewöhnlichen Wespen in Europa gibt es weltweit eine Vielzahl anderer Spezies, die für das untrainierte Auge «nicht so einfach» als Wespen zu klassifizieren sind. Die Wespenart Chalybion sommereni beispielsweise hat eine braune Farbe, doch am Abdomen ist ein Überbleibsel der typischen schwarzen und gelben Farben des Wespenkleids zu erkennen; diese Wespe ist neben der Afrikanischen Killerbiene ein weiterer typischer Vertreter des tropischen Afrikas, «aber bei Weitem nicht so aggressiv», so Montag. Die wespenspezifische Giftkomponente ist hier die Phospholipase B, wobei Phospholipase A und Hyaluronidase ebenfalls vorhanden sind. Die Erste-Hilfe-Behandlung bei allergischen Reaktionen gegen Bienen- und Wespenstiche dürfte gut bekannt sein: Sie besteht aus oralen Antihistaminika, Kortisoncreme oder dem Einsatz eines EpiPens (Epinephrin-Autoinjektor).
Doppelter Zangenangriff der Roten Feuerameise
Eine grosse Anzahl brennender und schmerzhafter rötlicher Flecken, manche mit nichtfollikulärem Muster: Das sind typische Zeichen von Ameisenbissen, in diesem Fall von Feuerameisen namens Solenopsis, einer Gattung aus der Unterfamilie der Myrmicinae oder Knotenameisen (Abb. 1).
Abb. 1: Typische Ausprägungen von Ameisenbissen, in diesem Fall von Feuerameisen
Dabei handelt es sich laut charmanter, aber durchaus realistischer Beschreibung um «ein kleines Insekt mit einem aussergewöhnlichen, angeborenen Killerinstinkt». Vor dem eigentlichen Giftangriff vergräbt die Feuerameise ihre starken Kiefer tief in der Haut des Opfers und verbeisst sich dort. Danach beginnt der echte Angriff quasi von der Gegenseite, denn bei der Feuerameise sitzt der Giftstachel am Hinterteil. «Der Angriff hört erst auf, wenn das Giftreservoir leer ist», so Montag. Vor rund 80 Jahren machte sich die Rote Feuerameise Solenopsis invictaauf ihren Weg von Argentinien ins südliche Nordamerika, «ohne zu zögern, jede andere Ameisenspezies zu töten, die ihr dabei in den Weg kam».
Das Gift aller Knotenameisen beinhaltet ebenso wie Wespengift Hyaluronidase und Phospholipase A2, was auch der Grund für die «sehr seltenen, aber sehr schmerzhaften Fälle» von Kreuzallergien zwischen Knotenameisen und Wespen ist. Feuerameisen enthalten zusätzlich ein Alkaloid genannt Solenopsin, das schmerzhafte und gleichzeitig entzündliche Hautverletzungen verursacht.
Wider die Arachnophobie
«Die meisten Spinnen sind für den Menschen völlig harmlos», und die Mehrheit der Berichte über Spinnenbisse «falsch und nicht auf Spinnen» zurückzuführen, sondern auf die «Phantasie der hohen Zahl von Arachnophobikern auf der ganzen Welt», erklärte Dr. Montag.
Die Giftdrüse befindet sich bei Spinnen unter den Augen, das Gift kann so direkt in die Beisswerkzeuge geleitet werden. Die meisten Bisse von Taranteln (auch als Vogelspinnen bekannt) wirken kaum stärker als ein Wespenstich – andere Arten injizieren jedoch starke Neurotoxine, womit das zeitnahe Aufsuchen der Notfallambulanz des nächsten Krankenhauses erforderlich wird. Einsiedlerspinnen wiederum werden oft zur Familie der Webspinnen gezählt, das gemeinsame typische Merkmal dieser Familie ist das dritte Augenpaar (sechsäugige Spinnen). Auch sind sie bekannt für stark entzündliche Bissreaktionen, die oft mit nekrotischen Hautveränderungen einhergehen – deswegen gefürchtet ist etwa die in Nord- und Südamerika heimische Loxosceles-Spinne.
Nächstes Thema Käfer: Der Paederussabaeus aus der Familie der Kurzflügler ist quasi weltweit heimisch und hat nur eine Körperlänge von weniger als einem Zentimeter. Das Tier ist zudem – wie alle Kurzflügler der Gattung Paederus – völlig harmlos, solange es ungestört auf der Haut herumkrabbelt. Allerdings ist der Versuch, es zu fangen oder von der Haut abzustreifen, tunlichst zu unterlassen. Denn bei Quetschung dieses Insekts kommt es zur Freisetzung von Toxinen und nachfolgend zu massiver Kontaktreaktion der Haut, mit einer schmerzhaften, blasenbildenden, tief penetrierenden Entzündung, die als verzögerte Reaktion innerhalb von 12 bis 48 Stunden nach der Exposition auftritt.
Hunde, Katzen, Affen: zig Millionen Bisse pro Jahr
Hundebisse führen laut Montag jährlich zu «zig Millionen Verletzungen» und sind für mehr als 50% aller tierischen Verletzungen von Reisenden verantwortlich. In den USA zum Beispiel werden circa 4,5 Millionen Menschen pro Jahr von Hunden gebissen, von denen fast 900000 ärztliche Hilfe benötigen. Pro Jahr müssen sich 30000 Menschen danach plastisch-chirurgischen Eingriffen unterziehen, bis zu 20% entwickeln Infektionen, und zwischen 10 und 20 Menschen sterben durch den Hundebiss. An der Tollwut wiederum sterben jährlich weltweit nach Schätzungen rund 60000 Menschen, wobei die überwiegende Mehrheit der Infektionen auf Bisse tollwütiger Hunde zurückzuführen ist. Die Postexpositionsprophylaxe ist laut Weltgesundheitsorganisation mit fünf Injektionen an den Tagen 0, 3, 7, 14 und 28 durchzuführen.
Zahlreiche Tierbisse sind weltweit auf Katzen zurückzuführen: «In Bezug auf die Inzidenz stehen sie an zweiter Stelle hinter Hundebissen», erklärte Montag. Die Behandlung entspricht jener nach Hundebissen, einschliesslich der Tollwut-Postexpositionsprophylaxe und der Antibiotikatherapie.
Bisse von Affen sind global gesehen ebenfalls keine Seltenheit, sie zeichnen für bis zu 20% aller Tierbisse verantwortlich; in Indien sind Affen nach Hunden sogar die zweithäufigste Ursache tierischer Bisse. Cave: Verletzungen nach Affenbissen sind laut Montag bei Reisenden nicht selten; bei einem Informationsgespräch in der Praxis sollten Reisende daher über die Risiken von Affenbissen und über entsprechende Präventionstechniken informiert werden – «eine ausgezeichnete Technik ist beispielsweise, ihnen nicht zu nahe zu kommen», lautet der durchaus ernstgemeinte Ratschlag. Die Empfehlung des höflichen Abstands gilt übrigens auch – soweit möglich –fürs Wasser beziehungsweise für Treffen mit Meeresbewohnern beim Schwimmen, Schnorcheln oder Tauchen. Bisse von Muränen sind beispielsweise toxisch, wobei diese Tiere keine eigentlichen Giftdrüsen haben, sondern giftiges Gewebe, das direkt unter dem oberen Gaumen lokalisiert ist und beim Biss in die Opfer ausgedrückt wird. Da Muränen Aasfresser sind, ist ihr Maul ausserdem voller Bakterien, die tiefe Infektionen und Wundheilungsstörungen verursachen können.
Ödeme, Nekrosen, Lähmungen durch Schlangenbisse
Von rund 2,5 Millionen Schlangenbissen weltweit pro Jahr sind rund 125000 fatal. «Schlangenbisse bei Reisenden passieren meist am frühen, kühlen Morgen, wenn die Schlange noch zu unbeweglich ist, um zu fliehen, aber schon warm genug, um zu beissen», erklärte der Experte. Reisende treten oder setzen sich dann auf die Schlange oder versuchen womöglich sogar, sie zu fangen.
Alle Vipern (wie etwa Kreuzottern) sind ausnahmslos giftig. Die Giftzähne aller Vipern sind extrem lang, sie sind daher nach innen in Richtung Hals eingefaltet. Zytotoxine des Viperngifts lösen starke Ödeme und nachfolgend eine massive Nekrose der betroffenen Gewebe aus, während die enthaltenen Hämorrhagine zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung und in weiterer Folge zu einer massiven inneren Blutung führen. Zudem enthält Viperngift antihypertensive Kinine, die zu einem kardiovaskulären Kollaps führen, während Neurotoxine Lähmungen verursachen (aber in den wenigsten Klapperschlangengattungen enthalten sind). Die Folgen können «wirklich schrecklich» sein, berichtete der Dermatologe, im Süden der USA sind etwa Fasziotomien beziehungsweise ausgedehnte plastisch-rekonstruktive Eingriffe nach einem Schlangenbiss keine Seltenheit. Das effektivste Gegengift ist derzeit CroFab, das seit 2000 in den USA zur Behandlung von Klapperschlangenbissen zugelassen ist.
Fazit
Warum das Wissen um Tierbisse und -stiche sinnvoll ist: «Statistisch gesehen kann jeder Dermatologe und jede Dermatologin in der eigenen Praxis einem Fall eines Tierbisses gegenüberstehen. Manche Fälle können lebensbedrohlich sein – man ist also besser vorbereitet», so Dr. Montag abschliessend.
Quelle:
«Ow!How animals threat our skin», Vortrag von Dr.med.Andreas Montag, Hamburg, am 20. September 2024 beim SGDV-Jahreskongress
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