Prähabilitation in der gynäkologischen Onkologie
Autor:
Priv.-Doz. Dr. Thomas Bartl, MA
Universitätsklinik für Frauenheilkunde
Klinische Abteilung für Allgemeine Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: thomas.bartl@meduniwien.ac.at
Der Begriff Prähabilitation bezeichnet die Anwendung von Konzepten der Rehabilitation im Rahmen der Vorbereitung auf eine geplante Therapie oder Intervention, mit dem Ziel, die Therapiefähigkeit betroffener Patientinnen zu optimieren. In der Onkologie kann dies sowohl präoperativ erfolgen, um belastendere Operationen zu ermöglichen, das Komplikationsrisiko zu verringern bzw. die Zeit bis zu einer adjuvanten Therapie zu minimieren, als auch vor einer Systemtherapie, um etwa die Resilienz gegenüber Toxizitäten zu unterstützen und dadurch das Risiko von Therapiepausen oder -abbrüchen zu reduzieren.
Keypoints
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Prähabilitation soll die körperliche und psychosoziale Funktionsfähigkeit von Patientinnen im Vorbehandlungszeitraum, zwischen Diagnosemittteilung und Therapiebeginn, stärken, um die Therapiefähigkeit und in Folge auch das onkologische Outcome zu verbessern.
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Die European Society of Gynaecological Oncology (ESGO) empfiehlt zur Prähabilitation im Rahmen des perioperativen Managements von Patientinnen mit fortgeschrittenen Ovarialkarzinomen eine multimodale Kombination aus physischen Übungen, einer Ernährungsoptimierung und psychologischer Unterstützung. Diese werden – noch unter Vorbehalt – auch im Rahmen des Enhanced Recovery After Surgery (ERAS)-Programms formuliert.
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In der Gynäkoonkologie steht die Erforschung von Prähabilitationskonzepten vor operativen Eingriffen im Fokus, Prähabilitation kann jedoch auch vor onkologischen Systemtherapien angewandt werden
Rationale: „cancer care continuum“
Patientinnen mit fortgeschrittenen epithelialen Ovarialkarzinomen, insbesondere mit serösen „High grade“-Subtypen, können infolge diagnostischer und therapeutischer Fortschritte ein immer längeres Überleben, auch über mehrere Rezidivereignisse hinweg, erwarten. Während bereits die Primärtherapie für betroffene Patientinnen oft eine immense Belastung darstellt und Erstlinien-Erhaltungstherapien bis zu 24 Monate andauern können, sind Chemotherapie-assoziierte Toxizitäten oft kumulativ, und psychische wie somatische Belastungen nehmen bei wiederholten Gaben zu. „Cancer care“ beginnt nicht mit der Operation und endet nicht mit der Erhaltungstherapie, sondern ist insbesondere im Spiegel steigender Überlebenszeiten als andauernder Prozess zu verstehen, in dem pflegerische, ärztliche und supportive Ressourcen auch vor und nach jeweiligen Therapien darin unterstützen, die körperliche und psychosoziale Funktionsfähigkeit betroffener Patientinnen zu erhalten und zu fördern. Eine effektive Prähabilitation nutzt als einen Aspekt des „cancer care continuum“ den „Vorbehandlungszeitraum“, d.h. den Zeitraum zwischen Diagnosemittteilung und OP-Datum oder Systemtherapiebeginn, ohne eine Therapieverzögerung zu bewirken, mit dem Ziel, die Therapiefähigkeit und somit in der Folge auch das onkologische Outcome zu verbessern. Zusätzlich kann eine Prähabilitation die Compliance für eine spätere Rehabilitation fördern. Komplikationswahrscheinlichkeiten reduzieren und Krankenhausaufenthalte verkürzen (Abb. 1).1
Abb. 1: Idealisierte Darstellung der Dynamik körperlicher Gesundheit und Funktion unter onkologischer Therapie in Abhängigkeit von der Wahrnehmung von Prähabilitation und Rehabilitation. Nimmt eine Patientin eine Prähabilitation wahr, so startet sie mit einem „Vorteil“ in Bezug auf körperliche Gesundheit und Funktion, von dem sie während einer belastenden Behandlung zehren kann. Nimmt sie zusätzlich noch eine Rehabilitation in Anspruch, ist denkbar, dass die Patientin nach Abschluss der Rehabilitation eine bessere körperliche Gesundheit und Funktion aufweist als vor der Prähabilitation. Aus dieser Ressource kann die Patientin im Umgang mit etwaigen krankheits- oder therapieassoziierten Folgewirkungen schöpfen und im Fall eines möglichen Rezidivs mit besserer Funktion in eine Zweitlinientherapie starten (modifiziert nach Silver JK et al. 2015)7
Aktuelle Empfehlungen in der Gynäkoonkologie
Zum aktuellen Zeitpunkt existiert aufgrund des Fehlens hochqualitativer prospektiver Studien kein Konsens, welche Facetten ein Prähabilitationsprogramm in der Gynäkoonkologie konkret umfassen und wie ein solches systematisch implementiert werden soll. Die European Society of Gynaecological Oncology (ESGO) empfiehlt neben der Anwendung von ERAS („enhanced recovery after surgery“) auch die Implementierung von Prähabilitation im Rahmen des perioperativen Managements von Patientinnen mit fortgeschrittenen Ovarialkarzinomen, als multimodales Modell auf der Basis kombinierter physischer Übungen, Ernährungsoptimierung und psychologischer Unterstützung.2 Mit ERAS steht für gynäkoonkologische Patientinnen ein systematisches, evidenzbasiertes Maßnahmenprotokoll zur Verfügung, das eine Verkürzung des postoperativen Krankenhausaufenthalts und eine beschleunigte Rekonvaleszenz zum Ziel hat. Zwar sind auch Empfehlungen zu unmittelbar präoperativen Maßnahmen enthalten, etwa betreffend Medikamenten- und Nahrungseinnahme sowie Darmvorbereitung, hinsichtlich systematischer Prähabilitationsempfehlungen für gynäkoonkologische Patientinnen zeigt sich die ERAS-Gesellschaft mit Hinweis auf die beschränkte Datenlage jedoch zurückhaltend, wenngleich in Hinblick auf verfügbare „fachfremde“ Evidenz, unter anderem aus der Kolorektalchirurgie, ein klinischer Nutzen für gynäkoonkologische Patientinnen vielversprechend erscheint.3
Anwendungsmöglichkeiten von Prähabilitationsmaßnahmen
Exemplarisch darf als aktuelles „Best Practice“-Beispiel auf ein seit 2015 bestehendes multimodales Prähabilitationsprogramm des Imperial College London verwiesen werden: „PREPARE“ (Akronym für: „physical activity, respiratory exercises, eat well, psychological wellbeing, ask about medications, remove bad habits, enhanced recovery“), nach Eigenbeschreibung ein „multi-disciplinary health optimisation programme“, das Patient:innen unter neoadjuvanter Therapie vor der operativen Resektion von Ösophaguskarzinomen begleiten soll und das ebenso physische Übungen, Ernährungsempfehlungen und psychologische Unterstützung umfasst. Eine retrospektive Auswertung von 55 PREPARE-Teilnehmerinnen ergab eine signifikant geringere Abnahme der Skelettmuskelmasse sowie eine größere Abnahme viszeralen Fettgewebes, welche mit einem geringem Risiko von postoperativen Komplikationen assoziiert war.4 Eine prospektive Validierung ist ausständig.
In Anlehnung an die ESGO-Empfehlung und bestehende Programme wie PREPARE können folgende Aspekte als Teile eines Prähabilitationsprogramms für Patientinnen mit gynäkoonkologischen Erkrankungen, sowohl in Vorbereitung auf einen operativen Eingriff als auch auf eine Systemtherapie, verstanden werden:
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kardiovaskuläres und Krafttraining zur Verbesserung von Funktion, Körperzusammensetzung und Fitness, mit dem Ziel der Erhöhung des Muskelanteils und der Verringerung des Anteils an viszeralem Fett. Hierzu zählen insbesondere gezielte funktionelle Übungen, um körperliche Einschränkungen zu verhindern bzw. zu minimieren.
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Diätmaßnahmen, um trainingsassoziierte anabole Prozesse und krankheitsassoziierte Mangelernährung zu minimieren. Neben einer Optimierung der Ernährung zählt hierzu ein Reduzieren von Gewohnheiten, die den Therapieerfolg negativ beeinflussen können, etwa Alkohol- und Nikotinkonsum.
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psychologische Unterstützung, um Stress zu reduzieren, Verhaltensänderung zu unterstützen und das Wohlbefinden zu steigern.
Zentraler Aspekt einer Implementierung von Prähabilitationskonzepten ist ein Festmachen messbarer Outcomeparameter, einerseits um Patientinnen mit besonderen Prähabilitationsbedürfnissen zeitgerecht zu identifizieren, andererseits um den Erfolg einer Prähabilitation quantifizieren zu können. Bereits im Rahmen eines ersten Anamnesegesprächs können einfache Assessments zurBeurteilung des Allgemeinzustands erhoben werden, etwa der ECOG/Karnofsky-Status, der Body-Mass-Index, eine Medikamenten- und Vorerkrankungsanamnese und der Konsum von Alkohol und Nikotin. Insbesondere zur Abschätzung einer Mangelernährung stehen zahlreiche validierte Fragebögen und Scores zur Verfügung. Ergänzend kann die Bestimmung des Serum-Albuminspiegels zur Bestätigung einer Tumorkachexie vorgenommen werden. Verlaufsbestimmungen erhobener Parameter – etwa während einer Chemotherapie – können helfen, die funktionale Gesundheit betroffener Patientinnen besser einzuschätzen.5
Während die Anbindung an eine psychoonkologische Betreuung und an eine Ernährungsberatung an die zeitlichen Ressourcen der betroffenen Patientin zwischen Diagnosemitteilung und Behandlungsbeginn keine besonderen Ansprüche stellt, ist die Möglichkeit eines körperlichen Trainingsprogramms von der verfügbaren Zeit bis zu Behandlungsbeginn abhängig.
Im Fall von PREPARE begann das körperliche Trainingsprogramm ab Diagnosestellung und wurde während laufender neoadjuvanter Chemotherapie über einen Zeitraum von durchschnittlich 16 Wochen fortgeführt, mit dem Ziel von 150 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Woche, die sowohl Kraft- als auch Ausdauerübungen umfasste. Das Training erfolgte im eigenen Zuhause und wurde remote von einem Personal Trainer begleitet. Eine Adaptierung an die Systemtherapie des Ovarialkarzinoms erscheint somit grundsätzlich denkbar, die Etablierung an Zentren, an denen Prähabilitationsprogramme noch nicht zur Verfügung stehen, wird jedoch auf organisatorische Herausforderungen stoßen. Hinsichtlich der Einführung breit aufgestellter Prähabilitationsprogramme erscheint derzeit ein Abwarten auf prospektive Studiendaten und auf eine Aktualisierung von ESGO- und ERAS-Guidelines empfehlenswert.
Ausblick und Schlussbemerkung
Das Konzept onkologischer Prähabilitation birgt in Anlehnung an etablierte Rehabilitationskonzepte das Potenzial einer kosteneffizienten Optimierung onkologischer Outcomes. Während in Österreich eine onkologische Rehabilitation in spezialisierten Rehabilitationszentren angeboten und von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird, steht dieses Angebot für die Prähabilitation derzeit noch nicht zur Verfügung. Prähabilitationsmaßnahmen sind jedoch theoretisch – wie am Beispiel von PREPARE – ubiquitär durchführbar und bedürfen keiner gesonderten örtlichen oder institutionellen Gegebenheiten. Die Datengrundlage ist derzeit jedoch auf zumeist kleinere, oft retrospektive Studien beschränkt und Beobachtungen müssen auf das Ovarialkarzinom zum aktuellen Zeitpunkt überwiegend extrapoliert werden.6
Mit PROPER (NCT04596800), SOPHIE (NCT04862325) und KORE-INNOVATION (NCT05256576) untersuchen derzeit drei prospektiv-randomisierte Studien die Implementierung multimodaler Prähabilitationsalgorithmen für Patientinnen, die im Rahmen des ERAS-Pathways für gynäkologische Laparotomien (PROPER) bzw. für zytroreduktive Ovarialkarzinomoperationen (SOPHIE, KORE-INNOVATION) geplant werden. Der Abschluss der Rekrutierung war für alle drei Studien im Jahr 2024 angekündigt, eine Publikation der Ergebnisse ist somit in absehbarer Zeit zu erwarten und dürfte die Frage nach dem möglichen Stellenwert der Prähabilitation vor gynäkoonkologischen Operationen vorläufig beantworten.
Mein Dank gilt Prof. Dr. Pedro Ramirez, Departmentof Obstetrics and Gynecology, Neal Cancer Center, Houston Methodist Hospital, Houston, Texas, USA, für seine Einschätzung zur derzeitigen Rolle der Prähabilitation im ERAS-Programm, die in die Entstehung dieses Artikels eingeflossen ist.
Literatur:
1 Crevenna R: Prehabilitation in the cancer care continuum.Support Care Cancer 2022; 30(2): 1019-20 2 Fotopoulou C et al.: European Society of Gynaecological Oncology guidelines for the peri-operative management of advanced ovarian cancer patients undergoing debulking surgery. Int J Gynecol Cancer 2021; 31(9): 1199-206 3 Nelson G et al.: Guidelines for perioperative care in gynecologic/oncology: Enhanced Recovery After Surgery (ERAS) Society recommendations—2019 update. Int J Gynecol Cancer 2019; ijgc-2019-000356 4 Halliday LJ et al.: The effects of prehabilitation on body composition in patients undergoing multimodal therapy for esophageal cancer. Dis Esophagus 2023; 36(2): doac046 5 Morton M et al.: Malnutrition, sarcopenia, and cancer cachexia in gynecologic cancer. Gynecol Oncol 2023; 175: 142-55 6 Miralpeix E et al.: Role and impact of multimodal prehabilitation for gynecologic oncology patients in an Enhanced Recovery After Surgery (ERAS) program. Int J Gynecol Cancer 2019; 29(8): 1235-43 7 Silver JK: Cancer prehabilitation and its role in improving health outcomes and reducing health care costs. Semin Oncol Nurs 2015; 31(1): 13-30
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