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Die Behandlung Minderjähriger und elterliche Obsorge
DAM
Autor:
Mag. Markus Lechner
Rechtsanwalt, Lochau<br> E-Mail: lechnermarkus@aon.at

30
Min. Lesezeit
30.05.2018
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<p class="article-intro">Im Gegensatz zu den Regeln zur Geschäftsfähigkeit gewährt unser Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) Minderjährigen große Entscheidungsfreiheit hinsichtlich medizinischer Behandlungen. Diese Sonderregelungen finden sich hauptsächlich in §173 ABGB, dessen Inhalt in diesem Beitrag vorgestellt werden soll.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Einfache medizinische Behandlungen</h2> <p><em>§173 Abs 1 ABGB lautet: „Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst erteilen; im Zweifel wird das Vorliegen dieser Einsichts- und Urteilsfähigkeit bei mündigen Minderjährigen vermutet. Mangelt es an der notwendigen Einsichtsund Urteilsfähigkeit, so ist die Zustimmung der Person erforderlich, die mit der gesetzlichen Vertretung bei Pflege und Erziehung betraut ist.“</em><br /> Das bedeutet: Jedes Kind, unabhängig von seinem Alter, kann nur selbst in medizinische Behandlungen einwilligen, sofern es einsichts- und urteilsfähig ist.<br /> Einsichts- und Urteilsfähigkeit liegen dann vor, wenn eine Person den Grund für eine Behandlung und die Bedeutung der Behandlung erkennen und ihren Willen nach dieser Einsicht auch ausrichten kann. Bei 14- bis 18-Jährigen (mündige Minderjährige) vermutet das Gesetz sogar, dass diese einsichts- und urteilsfähig sind. Einsichts- und Urteilsfähigkeit liegen nur dann nicht vor, wenn eine geistige Behinderung oder eine stark verzögerte Reife vorliegt. Diese Beurteilung obliegt letztlich dem behandelnden Arzt. Das Gesetz normiert auch keine Altersuntergrenze, ab der man von fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausgehen müsste.<br /> Für den Arzt in der Praxis bedeutet dies, dass unter 18-Jährige im Regelfall selbst über medizinische Behandlungen entscheiden können, ohne dass es der Zustimmung der Eltern für die medizinische Behandlung bedarf. Verlangt dies ein unter 18-jähriges, einsichts- und urteilsfähiges Kind, besteht gegenüber den Eltern sogar die ärztliche Verschwiegenheitsverpflichtung. Die Eltern entscheiden nur dann, wenn das Kind – unabhängig vom Alter – nicht einsichts- und urteilsfähig ist.</p> <h2>Schwerwiegende medizinische Behandlungen</h2> <p>Anderes gilt für medizinische Behandlungen, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden sind. In solchen Fällen – etwa Organtransplantationen oder schweren Herzoperationen – ordnet §173 Abs 2 ABGB an, dass neben dem einsichtsund urteilsfähigen Kind auch die Eltern dem Eingriff zustimmen müssen. Verweigert jedoch das einsichts- und urteilsfähige Kind die Zustimmung, muss die (schwerwiegende) Behandlung unterbleiben. Bei nicht einsichts- und urteilsfähigen Kindern entscheiden auch im Falle von schwerwiegenden Behandlungen die Eltern allein.</p> <h2>Bei vitaler Indikation</h2> <p>Selbstverständlich ist überhaupt keine Zustimmung erforderlich, <em>„wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass der mit der Einholung der Einwilligung oder der Zustimmung verbundene Aufschub das Leben des Kindes gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre“ (§173 Abs 3 ABGB)</em>, also jedenfalls bei vitaler Indikation.</p> <h2>Schwangerschaftsabbruch</h2> <p>Diese Grundsätze gelten nicht für den (medikamentösen oder chirurgischen) Schwangerschaftsabbruch. Ob sowohl die Minderjährige als auch deren Eltern dem Eingriff zustimmen müssen oder die Zustimmung nur eines Teiles genügt, ist in der Fachliteratur umstritten und soll hier nicht weiter vertieft werden.</p> <h2>Sterilisation und Kastration</h2> <p>Eingriffe, deren einziges Ziel die Herbeiführung der Fortpflanzungsunfähigkeit von Minderjährigen ist, sind in Österreich nicht erlaubt (§163 ABGB). Ist die Fortpflanzungsunfähigkeit jedoch Folge eines medizinisch gebotenen Eingriffs, bleibt die Behandlung selbstverständlich erlaubt (z.B. indizierte Gebärmutterentfernung bei Gebärmutterkarzinom).</p> <h2>Ästhetische Behandlungen und Operationen</h2> <p>Besonders schutzwürdig sieht der Gesetzgeber jedoch Minderjährige im Bereich von ästhetischen Behandlungen und Operationen an. Solche sind an Personen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht erlaubt (§7 Abs 1 ÄsthOpG).<br /> Bei Minderjährigen zwischen dem 16. und dem 18. Lebensjahr müssen sowohl der Patient als auch die Eltern nach einer umfassenden und schriftlichen Aufklärung dem Eingriff zustimmen. Die minderjährige Person muss zudem einsichtsund urteilsfähig sein. Zwischen Einwilligung und ästhetischer Behandlung oder ästhetischem Eingriff muss zudem eine Frist von vier Wochen liegen. Bei ästhetischen Operationen (nicht bei ästhetischen Behandlungen) muss zuvor zudem eine psychiatrische Abklärung erfolgen, ob nicht der Wunsch nach der ästhetischen Operation Folge einer psychiatrischen Störung ist; in diesem Fall wäre der Eingriff unzulässig (§7 Abs 2 und Abs 5 ÄsthOpG).</p></p>
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