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Kann die Dranginkontinenz operativ behandelt werden?

<p class="article-intro">Die Dranginkontinenz ist neben der Belastungsinkontinenz die häufigste Form der Harninkontinenz der Frau. Die Belastungsinkontinenz ist eine Schwäche des recht komplizierten Verschlussmechanismus, der sich im Bereich der Urethra und der umgebenden Strukturen befindet. Hier haben sich seit Jahren operative Verfahren zur Behebung der Belastungsinkontinenz etabliert, wenn die konservativen Massnahmen erfolglos blieben. Die wichtigsten sind die suburethralen Schlingen, meist als TVT- oder TOT-Band, oder die Kolposuspension modifiziert nach Burch. Bei geeigneter Indikation sind die Resultate gut und auch dauerhaft. Die Dranginkontinenz wird in der Regel konservativ therapiert. Bisher galt der Grundsatz, dass diese Form der Inkontinenz meist nicht operiert werden kann. In den letzten Jahren werden auch bei der Dranginkontinenz invasive und auch operative Verfahren eingesetzt. Ist die Urgeinkontinenz also doch operativ therapierbar?</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Ursachen einer Dranginkontinenz</h2> <p>Eine imperative Harndrangsymptomatik mit und ohne Urgeinkontinenz kann vielf&auml;ltige Ursachen haben. Eine der h&auml;ufigsten ist ein Harnwegsinfekt. Aber auch die nach der Menopause auftretende urogenitale Atrophie kann verst&auml;rkten Harndrang verursachen. Blasenentleerungsst&ouml;rungen mit Restharnbildung f&ouml;rdern die Drangsymptomatik ebenso wie ein Deszensus mit Reizung der Dehnungsrezeptoren. Raumforderungen im kleinen Becken wie gr&ouml;ssere Myome, Ovarialtumoren oder entz&uuml;ndliche Adnexprozesse k&ouml;nnen Urgesymptome bedingen. Alle tumor&ouml;sen Ver&auml;nderungen, Fremdk&ouml;rper oder Steine in der Blase k&ouml;nnen eine Dranginkontinenz verursachen. Ein eigenes Krankheitsbild mit extremer Symptomatik stellt die interstitielle Zystitis dar, die auch schon in j&uuml;ngeren Jahren auftreten kann. Nach einer Strahlentherapie maligner Erkrankungen im Becken (Uterus, Rektum, Sigma oder Prostata) kann eine Reizblase mit Harndrang zur&uuml;ckbleiben. Fast jede neurologische Erkrankung (multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Polyneuropathie etc.) verursacht eine nur schwer zu behandelnde Drangsymptomatik. Die aus anderen Gr&uuml;nden eingenommene Medikation hat einen wesentlichen Einfluss auf die Blasenfunktion und kann eine Drangsymptomatik ung&uuml;nstig beeinflussen. H&auml;ufig ist die Drangsymptomatik auch psychosomatisch &uuml;berlagert. Nur wenn keine der oben genannten Ursachen vorliegt, handelt es sich definitionsgem&auml;ss um eine &uuml;beraktive Blase (OAB). Die ICS (International Continence Society) definiert die OAB als imperativen Harndrang mit erh&ouml;hter Miktionsfrequenz mit oder ohne Dranginkontinenz ohne Vorliegen einer metabolischen oder hormonellen Ursache oder einer sonstigen lokalen Pathologie. Damit ist eine fr&uuml;he Therapie nach Ausschluss eines Harnwegsinfektes und einer relevanten Restharnbildung ohne weitere invasive Diagnostik m&ouml;glich (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1801_Weblinks_lo_gyn_1801_s30_tab1_korr.jpg" alt="" width="350" height="409" /></p> <h2>Konservative Therapie der Urgeinkontinenz</h2> <p>Die gyn&auml;kologisch-urologische interdisziplin&auml;re gemeinsame deutsche, &ouml;sterreichische und schweizerische Leitlinie empfiehlt ein Stufenkonzept, das im Folgenden dargelegt wird. Die Basis ist ein Verhaltenstraining, denn ohne &Auml;nderung des Trink- und Miktionsverhaltens ist ein dauerhafter Erfolg nicht m&ouml;glich. Das prophylaktische Miktionieren ohne Ausnutzen der vorhandenen Blasenkapazit&auml;t kann mit festen verl&auml;ngerten Miktionsintervallen abtrainiert werden. Auch das sogenannte &laquo;Schl&uuml;ssellochph&auml;nomen&raquo; ist einer Konditionierung zug&auml;nglich. Das Vermeiden von Reizstoffen, Unterk&uuml;hlung, Obstipation und &Uuml;bergewicht unterst&uuml;tzen die Massnahmen. Bei postmenopausalen Frauen ist eine vaginale &Ouml;strogenisierung mit Estriol sinnvoll und kann ohne wesentliche Risiken auch dauerhaft durchgef&uuml;hrt werden. Die wichtigste konservative Therapiemassnahme ist eine anticholinerge Therapie. Durch Blockade der Muscarinrezeptoren k&ouml;nnen der Detrusortonus und die Detrusorhyperaktivit&auml;t gesenkt und das Miktionsvolumen erh&ouml;ht werden. Die verschiedenen Anticholinergika unterscheiden sich weniger in der Wirkung als im Nebenwirkungsprofil. Die anticholinergen Nebenwirkungen limitieren jedoch die Anwendung. Ein Wechsel des Pr&auml;parats oder eine andere Applikationsform kann sinnvoll sein. Eine neuere medikament&ouml;se Alternative stellt der selektive &beta;3-Adrenorezeptoragonist Mirabegron dar, der ebenfalls eine Detrusorrelaxation bewirkt. Alle medikament&ouml;sen Therapien k&ouml;nnen den Leidensdruck bei einer OAB senken. Die Abbruchrate ist jedoch relativ hoch, sei es wegen unzureichender Wirkung oder aufgrund der Nebenwirkungen. Mit der M&ouml;glichkeit, durch Injektion von Botulinumtoxin A direkt in die Blasenwand die Freisetzung von Acetylcholin aus der Nervenzelle zu verhindern, steht seit einigen Jahren eine hochwirksame Behandlung der Urgeinkontinenz zur Verf&uuml;gung. Bis auf selten auftretende Blasenentleerungsst&ouml;rungen ist die Behandlung fast nebenwirkungsfrei. Allerdings ist die Wirkungsdauer auf 6&ndash;12 Monate beschr&auml;nkt, sodass diese bei Bedarf wiederholt werden muss.</p> <h2>Operative Therapie der Urgeinkontinenz</h2> <p>Nach Versagen der konservativen Therapie ist die sakrale Neuromodulation die erste operative Massnahme zur Behandlung der Dranginkontinenz. Durch die Minimalisierung des Verfahrens ist der Eingriff relativ wenig invasiv und dauert nur kurz. Zun&auml;chst erfolgt eine Teststimulation mit Einf&uuml;hren der Sonde zur Stimulation durch ein Foramen im Os sacrum. Mit einem externen Schrittmacher wird zun&auml;chst die Wirkung &uuml;berpr&uuml;ft und bei gutem Effekt dann einige Wochen sp&auml;ter der endg&uuml;ltige Schrittmacher implantiert. Der Vorteil dieser Methode liegt in der andauernden Wirkung. Eine dauerhafte Betreuung der Patienten ist jedoch erforderlich. Voraussetzung ist eine ausreichende Patientencompliance. Operative Blasenaugmentationen, Denervierungen oder Harnblasenersatz werden als ultimative Massnahmen bei dieser Indikation kaum noch eingesetzt. In letzter Zeit erfolgte eine rege Diskussion &uuml;ber die M&ouml;glichkeit der Therapie der Dranginkontinenz durch eine Deszensuskorrektur. Nach der Integraltheorie von Peter Petros ist das Erschlaffen der sakrouterinen Ligamente eine der Ursachen der Drangsymptomatik. Er entwickelte schon vor 20 Jahren eine vaginale Operationstechnik (posteriore intravaginale Schlingeneinlage) zur Suspendierung von Level I (Scheidenende oder Zervix), die sich trotz ordentlicher Resultate f&uuml;r die Drangsymptomatik wegen Komplikationen, ung&uuml;nstigen Suspensionswinkels der Vagina und eher kurzer Aufh&auml;ngung nicht durchsetzen konnte. Wolfram J&auml;ger entwickelte auf Grundlage der Integraltheorie ein abdominales Verfahren mit beidseitiger symmetrischer standardisierter Fixation der Zervix oder des Scheidenendes als Ersatz der sakrouterinen Ligamente. Durch diese CESA- oder VASA-Operation soll die Urgeinkontinenz in bis zu 80 % der F&auml;lle geheilt werden. Meist wurde jedoch sekund&auml;r eine TOT-Bandeinlage erforderlich, um dieses Ergebnis zu erzielen. Dies w&uuml;rde auch der Integraltheorie nach Petros entsprechen. Die alleinige apikale Fixation des CESA-VASA-Verfahrens erreicht nur in etwa einem Drittel eine Besserung der Dranginkontinenz. Dieser Effekt wird jedoch auch durch jede Deszensuskorrektur, gleich welcher Art, erreicht. Dieses Verfahren wird unter Urogyn&auml;kologen sehr kontrovers diskutiert, zumal die Erstver&ouml;ffentlichung erhebliche methodische Schw&auml;chen hat. Die Diskussion &uuml;ber die Option, eine Dranginkontinenz zu operieren, wurde jedoch hierdurch angeregt. Deshalb wurde die &uuml;ber drei Jahre Nachbeobachtung angelegte prospektive Tiloop-Studie mit 289 Patientinnen auch bez&uuml;glich des Effektes auf die &uuml;beraktive Blase ausgewertet. Hierbei zeigte sich, dass sich durch die Korrektur einer symptomatischen Zystozele mit einem alloplastischen Netz mit distaler, lateraler und apikaler Fixierung eine hochsignifikante Besserung aller drei OAB-Symptome Pollakisurie, imperativer Harndrang und Urgeinkontinenz erreichen l&auml;sst (Abb. 1&ndash;3). Da bisher nur wenige gute prospektive Studien vorliegen, die den Einfluss einer Deszensuskorrektur auf die Dranginkontinenz als Studienziel gemessen haben, ist eine abschliessende Bewertung derzeit noch nicht m&ouml;glich (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Gyn_1801_Weblinks_lo_gyn_1801_s32_abb1-3+tab2_korr.jpg" alt="" width="450" height="1286" /></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die Urgeinkontinenz verursacht einen hohen Leidensdruck, sodass bei betroffenen Patientinnen der eindringliche Wunsch nach einer wirksamen Therapie besteht. Auch hier gilt der allgemeine Grundsatz: konservative vor operativer Behandlung. Deshalb ist hier ein stufenweises Vorgehen sinnvoll. Begonnen wird mit Verhaltenstherapie, vaginaler &Ouml;strogenisierung und anticholinerger bzw. adrenerger Medikation. Bei Nichtansprechen auf die Therapie ist eine eingehende Untersuchung in Bezug auf eventuell vorhandene Ursachen erforderlich. Bei Vorliegen einer infravesikalen Obstruktion, von Blasentumoren, eines Urethraldivertikels oder von anderen organischen Ursachen kann eine Operation mit Beseitigung der Ursachen die Dranginkontinenz bessern oder heilen. Eine therapierefrakt&auml;re Urgeinkontinenz kann im n&auml;chsten Schritt mit einer intravesikalen Botulinuminjektion oft erfolgreich behandelt werden. Die n&auml;chste Stufe w&auml;re die Sakralnervenmodulation als minimal invasiver Eingriff. Wenn die konservative Therapie keinen Erfolg zeigt und ein Deszensus mit apikalem Defekt oder nennenswerter Zystozele vorliegt, kann eine Deszensusoperation durchaus erwogen werden. Eine intensive &auml;rztliche Begleitung ist bei Patienten mit Dranginkontinenz als meist chronisches Leiden oft &uuml;ber einen l&auml;ngeren Zeitraum erforderlich. Die Basistherapie kann in der ambulanten Praxis begonnen werden. Falls diese nicht wirkt, ist eine Vorstellung in einem urogyn&auml;kologisch spezialisierten Zentrum sinnvoll.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
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