Körperbild und Sexualität
Autorin:
Dr.med. Nicole Viereck
FMH Gynäkologie und Geburtshilfe
Klinische Sexologin iSi
Institut SexMed Academy
E-Mail: nicole.viereck@sexmed.ch
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Sexualität ist in der Regel eine Aktivität mit Körpereinsatz. Dabei kann die Beziehung zu unserem eigenen Körper, seine Erotisierung oder Ablehnung, entscheidend sein, ob wir sexuellen Genuss erleben oder eine sexuelle Dysfunktion erleiden.
Keypoints
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Ein negatives Körperbild beeinflusst die Sexualität der Frauen und kann zu sexuellen Funktionsstörungen und einer Verminderung des sexuellen Genusses führen.
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Körperoptimierungen werden heute zunehmend als Lösungsansatz beworben. Eine nachhaltige Verbesserung bedarf aber einer positiven Körperwahrnehmung und Erotisierung des eigenen Genitales.
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Sexualtherapie kann helfen, ein positives Körpergefühl und einen wohlwollenden Blick auf die eigene Sexualität zu entwickeln und so die Lebensqualität zu steigern.
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Eine sexualmedizinische Basisausbildung hilft, souverän und empathisch mit dem oft herausfordernden Thema umzugehen.
Unser Körperbild beeinflusst unsere Sexualität. Doch was genau verstehen wir unter unserem Körperbild? Es bezeichnet das subjektive Bild, das wir von unserem Körper haben. Dieses Bild setzt sich zusammen aus unserer Wahrnehmung von unserem Körper, unseren Gedanken und Wertungen, den damit verbundenen Emotionen und unserem Verhalten, das letztendlich daraus resultiert.1
Frauen haben tendenziell ein negatives Körperbild und betrachten ihren Körper im Spiegel viel kritischer, als Männer dies tun (Abb. 1).
Soziokulturelle Objektivierung von Frauen
Abb. 1: Frauen haben meist einen kritischeren Blick auf ihren Körper als Männer
Das weibliche Körperbild wird stark vom soziokulturellen Umfeld geprägt, das den Fokus bei Frauen weniger auf ihre Kompetenzen und Qualifikationen legt als auf einen schlanken und schönen Körper. Frauenkörper werden schon früh im Leben prüfend betrachtet, kommentiert und bewertet. Die sexuelle Attraktivität ist ein zentraler Aspekt der weiblichen Geschlechterrolle in der Gesellschaft.2 Soziokulturelle Auffassungen, was als begehrenswert gilt, sind kultur- und zeitabhängig und veränderlich.
Es besteht das Risiko, dass Frauen diese soziokulturelle Objektivierung schon sehr früh verinnerlichen und körperbezogene Schamgefühle und Ängste entwickeln. Dies hat Folgen für die Sexualität der Frauen. Sie sind verunsichert, wie der eigene Körper auf den Sexualpartner oder die Sexualpartnerin wirkt, was beim Sex zu Stress statt zu Genuss führt.
Untersuchungen zeigen, dass Frauen in diesem Zusammenhang ihre eigenen Bedürfnisse gegenüber dem Partner oder der Partnerin seltener ansprechen und stattdessen häufiger bereit sind, ein riskanteres Sexualverhalten einzugehen, zum Beispiel auf Kondome zu verzichten, statt sich vor Geschlechtskrankheiten zu schützen.2–4
Körperveränderungen treten in verschiedenen Lebensphasen der Frauen auf und können damit auch mit Körperbildveränderungen verbunden sein. Eine eingreifende Veränderung kann eine Schwangerschaft und die Zeit nach der Geburt sein. Insbesondere während der Schwangerschaft verändert sich der weibliche Körper deutlich und entfernt sich vom soziokulturellen Schönheitsideal. Dennoch ist die Schwangerschaft gemäss Cash et al. eine Zeit der aufgeschobenen Realität.5 Das soziokulturelle Körperideal wird ausgeblendet und die Aufmerksamkeit auf die Schwangerschaft gerichtet. Dies kann für Frauen eine grosse Erleichterung sein. Schwierig wird dann die Rückkehr zur Realität nach der Geburt.
Untrennbar von Körperbild und Sexualität ist die Beziehung zum eigenen Genitale. Unzufriedenheit, insbesondere mit der Vulva, führt zu geringerem sexuellem Selbstwertgefühl und geringerer sexueller Zufriedenheit.6
Gesellschaftliche Trends haben in den letzten Jahren zu einer rasanten Zunahme genitalchirurgischer Eingriffe geführt. Eine Vulva ohne sichtbare innere Vulvalippen wird aktuell häufig als ästhetisches Ideal betrachtet, während Abweichungen in Form, Farbe oder Symmetrie oft als unerwünscht empfunden werden. Die Häufigkeit der Labioplastik ist weltweit um 24,1% gestiegen. Kosmetische Intimchirurgie darf beworben werden und die Wichtigkeit des genitalen Erscheinungsbildes für körperliches Wohlbefinden und Sexualität werden stark betont. Physiologische Varianten werden dabei nicht selten pathologisiert.7
Intimchirurgie
Studien, die die Auswirkung der Intimchirurgie auf die Sexualität untersuchen, sind sehr heterogen und werden meist von den Operateuren selbst durchgeführt. Es gibt Daten, die zeigen, dass sich die sexuelle Zufriedenheit der Frau nach einem intimchirurgischen Eingriff verbessert.7,8 Bei diesen Erhebungen wird nicht immer zwischen Labioplastik und Vaginoplastik unterschieden. Langzeitdaten gibt es kaum, jedoch Hinweise, dass die Verbesserung der Sexualität nach zwei Jahren wieder auf den Ausgangswert zurückfällt.9
Letztlich gibt es keine verlässlichen wissenschaftlichen Belege dafür, dass kosmetische Eingriffe an den weiblichen Genitalien eine dauerhafte Verbesserung der sexuellen Empfindung oder Zufriedenheit bewirken.10
In einer Erhebung zu Gesundheitszustand und Sexualität in Deutschland (GeSiD) zeigten sich statistisch signifikante Unterschiede zwischen Frauen, die sich einem genitalchirurgischen Eingriff unterzogen hatten, und der Kontrollgruppe. Erwartungsgemäss waren die Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen und depressive Stimmungsschwankungen in der genitalchirurgischen Gruppe grösser. Ebenfalls statistisch auffällig war die höhere Anzahl an Fehlgeburten, die die Frauen vor dem genitalchirurgischen Eingriff erlitten hatten und die Häufigkeit von Analverkehr.
Ein vermeintliches «Versagen» in der Reproduktion scheint das Körperbild einer Frau negativ zu beeinflussen. Ob der häufigere Analverkehr einen Hinweis zum Körperbild der eigenen Vulva ausdrückt, da Frauen aus dieser Gruppe auch seltener vaginalen Geschlechtsverkehr hatten, oder ob es schlicht an einer grösseren Lust am Analverkehr liegt, ist nicht abschliessend zu beantworten.11
Sexualtherapie
Welche Angebote kann eine Sexualtherapie machen? Studien belegen, dass ein positives Körperbild dazu beiträgt, dass Frauen Sex geniessen können, dass sie keine Hemmungen haben, sich vor dem Partner oder der Partnerin auszuziehen oder auch bei Licht den Sex genussvoll erleben zu können. Sie sind offener, neue sexuelle Aktivitäten auszuprobieren, berichten häufiger von Orgasmen und haben ein grösseres, sexuelles Verlangen im Vergleich zu Frauen mit einem negativen Körperbild.12,13
Abbildung 2 zeigt wie zum Beispiel bei einer Sexualtherapie nach dem Sexocorporel-Ansatz eine Erregungskurve evaluiert und die Ursachen für einen sexuellen Leidensdruck identifiziert werden können. Die negativen Kognitionen und Wertungen (graue Kästchen) stehen der genitalen Erregung (grüne Kurve) und dem sexuellen Lusterleben (rote Kurve) entgegen. Die Orgasmusschwelle («point of no return»; PONR) wird nur mit viel Anstrengung und wenig Genuss erreicht.
Abb. 2: Erregungskurve zur Identifizierung der Ursachen für sexuellen Leidensdruck
Ein Anliegen der Sexualtherapie ist, eine erotische Beziehung zum eigenen Genitale aufzubauen. Die sinnliche Wahrnehmung des eigenen Körpers und des Geschlechts fördert ein positives Körperbild. Negative Kognitionen werden durch proerotische ersetzt. Die sexuelle Selbstsicherheit wird gefördert. Ziel ist es nicht, nur sexuell zu funktionieren, sondern sexuellen Genuss empfinden zu können.
Den Frauen ein positives Körpergefühl, einen wohlwollenden Blick und eine erotische Wahrnehmung ihres Genitales zu vermitteln, stellt eine grosse Herausforderung dar. Es genügt bei Weitem nicht, den Frauen einfach nur zu bestätigen, dass ihr Körper normal aussehe. Unabhängig, ob in einer sexualmedizinischen Spezialsprechstunde oder in einer Praxis der Grundversorgung, ist es wichtig, den Leidensdruck der Frauen wahrzunehmen und sie kompetent und empathisch zu begleiten. Eine sexualmedizinische Basiskompetenz trägt zum souveränen Umgang mit diesem herausfordernden Thema bei.
Literatur:
1 Vocks S et al.: Körperbildtherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa. Ein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Behandlungsprogramm. (2. Auflage). Hogrefe Verlag 2018 2 Fredrickson BL, Roberts TA: Objectification theory: Toward understanding women’s lived experiences and mental health risks. Psychol Women Q 1997; 21(2): 173-206 3 Gillen MM, Markey CH: A review of research linking body image and sexual well-being. Body Image 2019; 31: 294-301 4 Ramseyer Winter V et al.: Associations between body appreciation and comfort communicating about sex: a brief report. Health Commun 2018; 33(3): 359-62 5 Cash TF: Woman’s body images. In: Wingood GM, DiClemente RJ (Hg.): Handbook of Women’s Sexual and Reproductive Health 2002 6 Schick VR et al.: Genital appearance dissatisfaction: implications for women’s genital image self-consciousness, sexual esteem, sexual satisfaction, and sexual risk. Psychol Women Q 2010; 34(3): 394-404 7 Goodman MP et al.: Evaluation of body image and sexual satisfaction in women undergoing female genital plastic/cosmetic surgery. Aesthet Surg J 2016; 36(9): 1048-57 8 Gohla T, Gohritz A: Ästhetisch-plastische Chirurgie der weiblichen Genitalregion: mehr als nur Labioplastik. J Ästhet Chir 2014; 7: 211-9 9 Veale D et al.: Psychosexual outcome after labiaplasty: a prospective case-comparison study. Int Urogynecol J 2014; 25(6): 831-9 10 Barbara G et al.: „The first cut is the deepest“: A psychological, sexological and gynecological perspective on female genital cosmetic surgery. Acta Obstet Gynecol Scand 2015; 94(9): 915-20 11 Koops TU et al.: Sexual activities and experiences in women who underwent genital cosmetic surgery: a cross-sectional study using data from the German Health and Sexuality Survey (GeSiD). Int J Impot Res 2023; 35(8): 741-7 12 Ackard DM et al.: Effect of body image and self-image on women’s sexual behaviors. Int J Eat Disord 2000; 28: 422-9 13 Dosch A et al.: Body image in dyadic and solitary sexual desire: The role of encoding style and distracting thoughts. J Sex Res 2016; 53: 1193-206
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