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Schilddrüse und Kinderwunsch
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Jürgen M. Weiss
Leiter gynäkologische Endokrinologie und<br> Reproduktionsmedizin<br> Luzerner Kantonsspital<br> E-Mail: juergen.weiss@luks.ch
30
Min. Lesezeit
14.06.2018
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<p class="article-intro">Eine overte maternale Hypo- oder Hyperthyreose hat einen klaren negativen Einfl uss auf die kindliche Entwicklung und führt zu vermehrten Schwangerschaftskomplikationen. Daher müssen diese klaren Schilddrüsendysfunktionen behandelt werden. Darüber besteht ein breiter Konsens. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, welchen Einfl uss eine subklinische Hypothyreose hat. Daher wird im Folgenden vornehmlich diese Entität behandelt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Noch bis vor einigen Jahren existierte noch ein weiteres Krankheitsbild der Schilddrüse. Ein TSH-Wert einer Frau mit Kinderwunsch von >2,5mIU/l und unterhalb des oberen Referenzwertes sollte auch schon behandelt werden, obwohl diese «Erkrankung» keinen Eingang in die Definitionen der Schilddrüsenfunktionsstörungen gefunden hat. Einige Leitlinien und unzählige Publikationen der letzten drei Jahre später wird hier aufgezeigt, dass diese Krankheitszuschreibung zunehmend verlassen wird.</p> <h2>Definitionen</h2> <p><strong>Subklinische Hypothyreose</strong><br /> TSH oberhalb des oberen Referenzbereiches (>4,xmIU/l); periphere Hormone normal<br /><br /> <strong>Overte Hypothyreose</strong><br /> TSH oberhalb und periphere Hormone unterhalb der Referenz<br /> (Die American Thyroid Association und die Endo Society klassifizieren bereits ein TSH ab 10mIU/l, bei noch normalen peripheren Hormonen, als overte Hypothyreose.)<br /><br /> <strong>Subklinische Hyperthyreose</strong><br /> TSH niedrig bei normalen peripheren Hormonen<br /><br /> <strong>Overte Hyperthyreose</strong><br /> Niedriges bis undetektierbares TSH und erhöhtes T3 und/oder fT4<br /> <strong>Definition des "Nichts"</strong><br /> TSH >2,5 und <4,xmIU/l mit allen anderen Schilddrüsenparametern (einschliesslich Antikörper) im normalen Referenzbereich</p> <h2>Schilddrüsenhormone in der Schwangerschaft</h2> <p>Die physiologischen Veränderungen in der Schwangerschaft führen zu einer erhöhten Schilddrüsenhormonproduktion. Sie steigt ab der 7. Schwangerschaftswoche (SSW) um 50 % an und erreicht ihren Höhepunkt in der 16. SSW, um dann bis zum Ende der Schwangerschaft hoch zu bleiben.<sup>1</sup> Die renale Jodclearance ist erhöht, damit steigt der Jodbedarf in der Schwangerschaft.<br /> Das humane Choriongonadotropin (HCG) besitzt eine Affinität zum TSHRezeptor. Das HCG hilft so dabei, den vermehrten Schilddrüsenhormonbedarf zu kompensieren. Ein hohes HCG zu seinem Maximum in der 10. SSW und noch mehr bei Mehrlingsgraviditäten senkt das TSH und erhöht das freie Thyroxin (fT4). TSH und HCG verlaufen dabei zueinander invers.<sup>2</sup><br /> Die TSH-Referenzbereiche in der Schwangerschaft sind wie folgt:</p> <ul> <li>1. Trimenon: oberer Referenzwert: 4,0mIU/l</li> <li>2. und 3. Trimenon: normaler Referenzbereich des Labors (ATA Guideline 2017)<sup>3</sup></li> </ul> <h2>Schilddrüse und Reproduktion</h2> <p>In zahlreichen Tier- resp. Zellversuchen wurde herausgefunden, dass die Schilddrüsenfunktion für die Reproduktion bedeutsam ist. TSH-Rezeptoren, Deiodinasen und SD-Transporterproteine wurden in der Plazenta, der Eizelle, im Spermium und beim Embryo gefunden. So sollen Schilddrüsenhormone die Fertilisation v.a. bei künstlicher Befruchtung, viele für die Interaktion von Spermium und Eizelle relevante Prozesse und letztlich den Embryo beeinflussen.<sup>4</sup><br /> Die klinische Bedeutung dieser Befunde ist jedoch ungeklärt. Schon von Basedow hat 1840 bei seinen Patientinnen mit Exophthalmus Zyklusstörungen festgestellt. Allerdings ist die Inzidenz einer subklinischen Hypothyreose (SCH) bei unfruchtbaren Frauen, trotz etwas höherer TSH-Spiegel, gleich wie bei fertilen Frauen. Zudem existieren nicht genügend Daten, um zu belegen, dass eine SCH mit Infertilität assoziiert sei.<br /> Frauen mit geringer oder guter ovarieller Reserve unterscheiden sich auch nicht in den fT4- und TSH-Werten.<sup>5</sup><br /> Ausserdem verbessert die Behandlung einer SCH die Fertilität nicht (ATA Guideline 2017).<sup>3</sup></p> <h2>Behandlung der SCh sowie Schwangerschaftsoutcome und -komplikationen</h2> <p>In früheren Arbeiten führte die Behandlung einer SCH mit Schilddrüsenhormonen zu einer Senkung der Abortrate und damit zu einer Steigerung der Lebendgeburtrate (LBR) nach künstlicher Befruchtung mittels IVF/ICSI (ART).<sup>6</sup> Aktuellere Studien mit deutlich mehr eingeschlossenen Frauen zeigten allerdings keinen Unterscheid in der LBR.<sup>7</sup><br /> Zusammenfassend ist der Benefit der Behandlung einer SCH nach ART umso grösser, je höher das TSH liegt. Im TSH-Bereich von 2,5 bis 4,xmIU/l bringt die Behandlung mit L-Thyroxin keine Verbesserung. In diesem Bereich kann es sogar signifikant vermehrt zu schwangerschaftsinduzierten Hypertonien kommen.<sup>8</sup><br /> Auch Schwangerschaftskomplikationen wie Diabetes, Präeklampsie und Fruchttod werden mit einer SCH in Zusammenhang gebracht.<sup>9, 10</sup><br /> Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine SCH wahrscheinlich mit einer höheren Rate an Schwangerschaftskomplikationen verbunden ist. Im TSH-Bereich von 2,5 bis 4,xmIU/l gibt es sehr wahrscheinlich keine erhöhte Komplikationsrate.</p> <h2>Behandlung der SCH und kindliche Kognition</h2> <p>Maternale Schilddrüsenhormone sind für die neuronale Entwicklung des Feten wichtig, da die fetale Schilddrüse erst in der Mitte der Schwangerschaft voll funktionsfähig ist.<br /> Die aufsehenerregende Arbeit von Haddow im Jahre 1999<sup>11</sup> beschrieb einen verminderten IQ bei Kindern von Frauen mit overter Hypothyreose (mittleres TSH: 13mIU/l). Alleine dies zeigt, dass eine overte Hypothyreose behandelt werden muss.<br /> Ob dies allerdings auch auf eine SCH zutrifft, wird kontrovers diskutiert. Jüngste Publikationen zu diesem Thema lassen es immer weniger wahrscheinlich erscheinen, dass eine unbehandelte SCH zu einer kognitiven Beeinträchtigung bei Kindern führt.<br /> In einer grossen europäischen, randomisierten, klinischen Studie, dem Controlled Antenatal Thyroid Screening (CATS), wurde bei knapp 22 000 Schwangeren in der 13. SSW der TSH-Wert bestimmt. Bei der einen Hälfte der Frauen wurden die Werte offengelegt. Sie wurden mit 150µg L-Thyroxin behandelt, wenn fT4 <2,5 Perzentile und/oder TSH >97,5 Perzentile lag. Die andere Hälfte diente als Kontrollgruppe, bei der die Werte erst nach der Geburt offengelegt wurden und die nicht behandelt wurde.<sup>12</sup> Der IQ der Kinder unterschied sich auch im neuesten Follow-up im Alter von 9,5 Jahren nicht. Er betrug bei den behandelten 101,7 und bei den unbehandelten 102,3.<sup>13</sup><br /> Das Problem dieser und ähnlicher Studien ist, dass die L-Thyroxin-Therapie recht spät, hier in der 13. SSW, gestartet wurde. Daher weiss man nicht, ob eine frühere Behandlung einen Benefit brächte.<br /> Eine milde maternale Schilddrüsendysfunktion beeinflusst die Schulleistung der Kinder bis zum 15. Lebensjahr laut einer prospektiven Kohortenstudie aus England nicht negativ.<sup>14</sup><br /> Eine dänische und eine niederländische Kohortenstudie fanden, dass sowohl maternale Über- als auch Unterfunktionen mit um 1–3 Punkte niedrigeren IQ-Werten im Alter von 5 bzw. 6 Jahren assoziiert waren.<sup>15</sup> In der dänischen Studie war allerdings ein signifikanter Unterschied erst bei einem TSH von grösser 10mIU/l und einem fT4 von unter 10pmol/l erreicht.16 Dies sind Hypothyreosen in ähnlichem Ausmass wie in der ersten Studie von Haddow.<br /><br /> Zusammenfassend lassen sich folgende Aussagen ableiten:</p> <ul> <li>Eine overte maternale Hypothyreose führt zu einer kognitiven Einschränkung beim Kind.</li> <li>Eine subklinische maternale Hypothyreose führt wahrscheinlich zu keiner signifikanten Einschränkung der Kognition beim Kind.</li> <li>Die Behandlung einer subklinischen Hypothyreose im späten ersten Trimenon der Schwangerschaft bringt keinen Benefit.</li> <li>Im TSH-Bereich von 2,5 bis 4,xmIU/l gibt es keine Einschränkung der kindlichen Entwicklung.</li> </ul> <h2>Besonderheiten bei TPO-Positivität</h2> <p>Schilddrüsenantikörper stellen die häufigste Ursache für eine Schilddrüsenfunktionsstörung im reproduktiven Alter dar. Thyreoidale Antikörper sind mit Infertilität assoziiert und kommen häufiger bei Frauen mit dem Syndrom der polyzystischen Ovarien (PCOS) vor.<sup>17</sup> Bei erhöhten Antikörpern kommt es häufiger zu subklinischen Hypothyreosen in der Schwangerschaft und häufiger zu Fehlund Frühgeburten.<sup>18, 19</sup><br /> Die physiologische positive Korrelation zwischen ansteigenden HCG-Werten in der Frühschwangerschaft und steigendem fT4 ist bei Patientinnen mit positiven TPO-Antikörpern häufiger gestört. Dies mag ein Grund für die beschriebenen Komplikationen sein. Wenn trotz positiver TPO-Antikörper der Einfluss des HCG auf die Schilddrüse intakt ist, kommt es auch nicht zu mehr Frühgeburten.<sup>20</sup></p> <h2>Schilddrüsenfunktionsstörungen und künstliche Befruchtung</h2> <p>Eine Metaanalyse von 2018 untersuchte, ob bei positiven thyreoidalen Antikörpern eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) durchgeführt werden soll. Vier Studien mit insgesamt 1855 Patientinnen wurden eingeschlossen. Die im Allgemeinen höhere Fehlgeburtsrate bei positiven Antikörpern wurde dann nicht mehr beobachtet, wenn eine ICSI durchgeführt wurde.<sup>21</sup> Dieses Resultat stellt eine interessante Beobachtung dar, es ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch zu früh, um bei positiven Schilddrüsenantikörpern generell eine ICSI durchzuführen. Derzeit ist die ICSI einer männlichen Fertilitätsstörung vorbehalten, da eine ICSI-Behandlung ausserhalb dieser Indikation nicht zu höheren Schwangerschaftsraten führt.<sup>22</sup></p> <h2>Fazit für die Praxis</h2> <p>Eine overte Hypo- oder Hyperthyreose muss behandelt werden. Ebenso eine subklinische Hypothyreose. Wenn noch keine subklinische Hypothyreose vorliegt, die TPO-AK jedoch positiv sind, behandeln wir tendenziell eher auch mit L-Thyroxin. Die Therapie eines hochnormalen TSH >2,5mIU/l ist nicht notwendig. Diese neue Einschätzung führt dazu, dass weniger unserer Patientinnen als «krank» gelabelt werden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Weeke J et al.: A longitudinal study of serum TSH, and total and free iodothyronines during nor-mal pregnancy. Acta Endocrinologica 1982; 101(4): 531-7 <strong>2</strong> Glinoer D et al.: Regulation of maternal thyroid during pregnancy. J Clin Endocrinol Metab 1990; 71: 276 <strong>3</strong> ATA Thyroid & Pregnancy Guidelines 2017 <strong>4</strong> Vissenberg R et al.: Pathophysiological aspects of thyroid hormone disorders/thyroid peroxidase autoantibodies and reproduction. Hum Reprod Update 2015; 21(3): 378-87<strong> 5</strong> Polyzos et al.: Thyroid autoimmunity, hypothyroidism and ovarian reserve: a cross-sectional study of 5000 women based on agespecific AMH values. Hum Reprod 2015; 30(7): 1690-6<strong> 6</strong> Kim CH et al.: Effect of levothyroxine treatment on in vitro fertilization and pregnancy outcome in infertile women with subclinical hypothyroidism undergoing in vitro fertilization/intracytoplasmic sperm injection. Fertil Steril 2011; 95(5): 1650-4 <strong>7</strong> Plowden TC et al.: Subclinical hypothyroidism and thyroid autoimmunity are not associated with fecundity, pregnancy loss, or live birth. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101(6): 2358-65<strong> 8</strong> Maraka S et al.: Thyroid hormone treatment among pregnant women with subclinical hypothyroidism: US national assessment. BMJ 2017; 356: i6865<strong> 9</strong> Tudela CM et al.: Relationship of subclinical thyroid disease to the incidence of gestational diabetes. Obstet Gynecol 2012; 119(5): 983-8 <strong>10</strong> Wilson KL et al.: Subclinical thyroid disease and the incidence of hypertension in pregnancy. Obstet Gynecol 2012; 119(2 Pt 1): 315-20 <strong>11</strong> Haddow JE et al: Maternal thyroid deficiency during pregnancy and subsequent neuropsychological development of the child. NEJM 1999; 341: 549-55 <strong>12</strong> Lazarus JH et al.: Antenatal thyroid screening and childhood cognitive function. NEJM 2012; 366(6): 493-501 <strong>13</strong> Hales C et al.: Controlled antenatal thyroid screening II: effect of treating maternal suboptimal thyroid function on child cognition. J Clin Endocrinol Metab 2018 Jan 15. doi: 10.1210/jc.2017-02378. [Epub ahead of print] <strong>14</strong> Nelson SM et al.: Maternal thyroid function and child educational attainment: prospective cohort study. BMJ 2018; 360: k452 <strong>15</strong> Korevaar TI et al.: Association of maternal thyroid function during early pregnancy with offspring IQ and brain morphology in childhood: a population-based prospective cohort study. Lancet Diab and Endocrinol 2016; 4(1): 35-43<strong> 16</strong> Anderson SL et al.: Maternal thyroid function in early pregnancy and neuropsychological performance of the child at 5 years of age. J Clin Endocrinol Metab 2018; 103(2): 660-670<strong> 17</strong> Benetti-Pinto CL et al.: Subclinical hypothyroidism in young women with polycystic ovary syn-drome: an analysis of clinical, hormonal, and metabolic parameters. Fertil Steril 2013; 99(2): 588-92 <strong>18</strong> Glinoer D et al.: Risk of subclinical hypothyroidism in pregnant women with asymptomatic autoimmune thyroid disorders. J Clin Endocrinol Metab 1994; 79(1): 197- 204 <strong>19</strong> Busnelli A et al.: The impact of thyroid autoimmunity on IVF/ICSI outcome: a systematic review and metaanalysis. Hum Reprod Update 2016; 22(6): 793-794 <strong>20</strong> Korevaar TI et al.: Thyroid autoimmunity impairs the thyroidal response to human chorionic gonadotropin: two population-based prospective cohort studies. J Clin Endocrinol Metab 2017; 102(1): 69-77<strong> 21</strong> Poppe K et al.: Thyroid autoimmunity and intracytoplasmic sperm injection outcome: a systematic review and meta-analysis. J Clin Endocrinol Metab 2018; doi: 10.1210/jc.2017-02633. [Epub ahead of print]<strong> 22</strong> Grimstad FW et al.: Use of ICSI in IVF cycles in women with tubal ligation does not improve pregnancy or live birth rates. Hum Reprod 2016; 31(12): 2750-55</p>
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